Wird das Wedeln endgültig zum Luxus?

Schnee von gestern: Skifahren als Luxusprogramm

Schnee von gestern: Skifahren als Luxusprogramm

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Conchita Wurst singt beim Ski-Opening in Wagrain, Rea Garvey in Saalbach, Christina Stürmer in Schladming, Culcha Candela in Obertauern, und die Beach Boys treten in Ischgl auf: Ohne bombastische Events begeht kaum ein Skigebiet die Eröffnung der Wintersaison, Skirennen wie jene im Jänner in Kitzbühel stehen als Fixtermin in den Kalendern der Politspitze, von Bundespräsident Heinz Fischer abwärts. Da wird der Glanz vergangener Jahrzehnte beschworen, als Österreich sich als Skination inszenierte und Wedeln und Carven Nationalsport Nummer eins waren.

Mit der Realität hat das nicht mehr viel zu tun. Zwar behauptet der Wintersport seinen Status als bedeutender volkswirtschaftlicher Faktor im Tourismusland Österreich, die Bruttowertschöpfung beträgt beträchtliche rund sieben Milliarden Euro pro Jahr. Nur: Skifahren ist ein Milliarden-, aber kein Wachstumsmarkt. Die Einheimischen verschlägt es immer seltener auf die Skipisten. Die Zahl der Nicht-Skifahrer steigt kontinuierlich: Mitte der 1980er-Jahre waren 50 Prozent der Österreicher absolute Skifahrverweigerer – mittlerweile fahren zwei Drittel der Bevölkerung überhaupt nie Ski. Die Zeiten, als zu Beginn der Weihnachts- und Semesterferien reihum Skiträger auf den Autos montiert wurden, ist vorbei: Nicht mehr als 15 Prozent der Österreicher fahren überhaupt noch auf Skiurlaub.

Damit scheint der Winterurlaub wieder zum Luxusprogramm zu mutieren – wie er es schon in seinen Anfängen vor einem Jahrhundert war.

„Der Winterurlaub ist ein oft überschätztes Minderheitenprogramm“, analysiert Peter Zellmann vom Institut für Tourismusforschung, der für sein neues Buch „Die Urlaubsrepublik“ das Reiseverhalten der Österreicher in langen Zahlenreihen vermessen hat. Aus den sinkenden Zahlen folgert er: „Wir verlieren ganze Generationen an Skifahrern.“

Das liegt auch an den Schulen. Noch Anfang der 1990er-Jahre fuhren 180.000 Schüler pro Jahr auf Skikurs. Mittlerweile ist die Skiwoche nicht mehr Pflicht, Sprach- und Segelwochen machen ihr Konkurrenz – und die Zahl der Schüler auf Schulskikurs sank um ein Drittel. „Die Sinnhaftigkeit des Skifahrens wird zusehends hinterfragt“, weiß Martin Molecz vom Wiener Stadtschulrat zu berichten. Dafür sind auch finanzielle Aspekte verantwortlich. Die Preise für Liftkarten in heimischen Skigebieten stiegen heuer um 2,4 Prozent – und durchbrachen mancherorts die 50-Euro-Marke für den Tagespass. Damit scheint der Winterurlaub wieder zum Luxusprogramm zu mutieren – wie er es schon in seinen Anfängen vor einem Jahrhundert war.

Nur nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Zeit des Wirtschaftswunders, fungierte Skifahren als Nationalsport – und das war durchaus politisch gewollt und gefördert. „Der Skisport war damals ein Glücksfall und wurde dazu benutzt, sich vom Nationalsozialismus abzugrenzen und die österreichische Nation zu inszenieren“, befundet der Sporthistoriker Christoph Eric Hack. Vormoderne, heimatverbunde, dezidiert unpolitische Helden wie Toni Sailer und Karl Schranz stifteten Identität – und wurden gar zum Politikum, wie Schranz, dem 1972 die Teilnahme an den Olympischen Spielen verweigert wurde. „Hermann Maier war der Letzte in der Reihe dieser Naturburschen-Helden“, sagt Hack. Und: „Zum Nationalbewusstsein trägt Skifahren heute wenig bei.“

In der Tat täuscht die verklärte Erinnerung an garantierte Schneeberge und Winteridyllen.

Klimawandel und Erderwärmung gehören mittlerweile zum Allgemeinwissen, das Schmelzen der Gletscher auch. Alle Jahre wieder machen grüne Weihnachten und der Kampf um die letzte Schneeflocke Schlagzeilen und führen zu bizarren Rettungsversuchen. Mancher Skiort legt unter einer dichten Schicht aus Hackschnitzel und Kunststoff-Vlies Schneedepots an, um den Schnee aus dem Vorjahr über den Sommer zu konservieren. Die gängigste Versicherung gegen Wetter sind Beschneiungsanlagen – der größte Wachstumsmarkt im Skibereich. Vor einem Jahrzehnt gab es in allen Skiorten Europas gemeinsam nicht mehr als 3000 Schneekanonen. Heute brummen allein auf Österreichs Pisten 20.000 Stück.

Allen Unkenrufen über Schneemangel zum Trotz: „Die Winter in Österreichs Bergen sind in den vergangenen 30 Jahren kälter geworden“, sagt Skitourismus-Forscher Günther Aigner.

In der Tat täuscht die verklärte Erinnerung an garantierte Schneeberge und Winteridyllen. Schon vor einem halben Jahrhundert, als der Nationalsport Skifahren auf seinem Höhepunkt war, konnte Schnee Mangelware sein: Für die Skirennen bei den Olympischen Winterspielen in Innsbruck im Jahr 1964 musste das Bundesheer 20.000 Eisblöcke und 40.000 Kubikmeter Schnee herankarren.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin