Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil  am Dienstag, 16. Februar 2016, im Rahmen der "Präsentation Grenzmanagement an Süd- und Ostgrenze" in Spielfeld.

Spenderherzinfarkt: Die Asylkrise und das Geld

Innenministerium und Hilfsorganisationen streiten über die Kosten der Flüchtlingsbetreuung. Der Tonfall in dieser Auseinandersetzung zeigt: In der Asylkrise geht es nicht nur um menschliche Schicksale, sondern auch um Marktanteile und Geld.

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Die Aufregung war gewaltig. Auf der nach oben offenen Empörungsskala wurden neue Rekordwerte erzielt. Grünen-Chefin Eva Glawischnig sprach von einer Aktion, "die an Bösartigkeit nicht zu überbieten“ sei. "Wehret den Anfängen“, deklamierte Günther Lutschinger, Geschäftsführer des Fundraising-Verbands Austria. Dann klagte er noch über den "einmaligen Übergriff“ und den "Missbrauch der Spendenidee“. Auch die Plattform für eine menschliche Asylpolitik packte die großen Kanonen aus: "Was für eine Ungeheuerlichkeit!“, tobte die Organisation. Es handle sich um eine "widerliche Attacke der Regierung“ auf Hilfsorganisationen.

Man würde es angesichts solcher Wortspenden nicht vermuten, aber der Auslöser all dieser Wut war ein simpler Brief: Das Innenministerium hatte zwölf Nichtregierungsorganisationen (NGO) schriftlich an einen Vertrag erinnert, den die nämlichen NGOs im Oktober mit dem Innenministerium geschlossen hatten. Darin geht es, unter anderem, um die Abgeltung von Leistungen. Mehr ist nicht passiert. Und sehr viel mehr wird wohl auch nicht passieren. Es sollte doch möglich sein, alle Interessen unter einem Hut zu vereinen, erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am Dienstag, dem zweiten Tag des Ausnahmezustands, versöhnlich. Im Übrigen werde sie sich dafür einsetzen, dass die Hilfsorganisationen so rasch wie möglich zu ihrem Geld kommen. Gerald Foitik, Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes, hörte sich ein paar Stunden später auch schon recht entspannt an. "Ich verstehe nicht, warum dieser Brief an die Öffentlichkeit ging. Das ist kein Thema, über das man breit diskutieren muss“, sagte er zu profil. Am Mittwoch Nachmittag fand trotzdem noch eine Protestkundgebung vor dem Innenministerium statt, zu der die Plattform für eine menschliche Asylpolitik aufgerufen hatten. Sicherheitshalber.

Fast eine Milliarde Euro eingeplant

Immerhin warf die Posse ein grelles Licht auf einen Bereich der Flüchtlingskrise, über den weniger oft geredet wird als über die Quartiersuche und notwendige Integrationsmaßnahmen: das liebe Geld. Wenn man NGO-Vertretern so zuhört, könnte man glauben, dass der Großteil des Aufwands mit Spenden finanziert oder überhaupt für Gottes Lohn erledigt werde. In Wirklichkeit zahlt natürlich in erster Linie die öffentliche Hand. Für die Unterbringung und Betreuung so vieler Menschen muss der Staat hohe Summen aufbringen. Im Budget 2016 hat das Finanzministerium dafür fast eine Milliarde Euro eingeplant. Dieses Geld will verteilt werden - und beim Kampf um ihr Stück vom Kuchen sind die Experten des Mitgefühls mitunter recht hemdsärmelig unterwegs.

Hilfsorganisationen arbeiten nicht gewinnorientiert. Davon abgesehen, funktionieren sie ähnlich wie normale Unternehmen. Es geht auch hier um Marktanteile, Wachstumschancen und das Absichern der eigenen Position im Wettbewerb. Daran gibt es nichts zu kritisieren. Aber es ist kein Schaden, gelegentlich daran zu denken. Man versteht dann besser, warum sich Erich Fenninger, Chef der Volkshilfe Wien, für das "ZIB 2“-Interview am Montag ausgerechnet vor die Zelte des Flüchtlingslagers in Idomeni stellte. Mit dem Elend im Hintergrund wirkte seine Empörung noch viel glaubwürdiger.

Hintergrund des aktuellen Proteststurms ist ein 15-seitiges Papier, das im Oktober 2015 von den Juristen des Innenministeriums ausgearbeitet worden war. Es trägt den sperrigen Titel "Sonderrichtlinie des Bundesministeriums für Inneres zur Abwicklung der Förderungen im Zusammenhang mit Hilfsmaßnahmen für Transitflüchtlinge“. Es war, darin sind sich alle Beteiligten einig, ein Notvehikel. Die Völkerwanderung quer durch Österreich war damals schon seit eineinhalb Monaten im Gange. Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz, die Caritas und der Arbeiter-Samariter-Bund stellten unbürokratisch Betten und Zelte zur Verfügung und kümmerten sich um die Versorgung Zigtausender Menschen. Ohne den schnellen NGO-Einsatz wäre diese Ausnahmesituation nicht zu bewältigen gewesen. Das Chaos an den Grenzen hätte sich im ganzen Land ausgebreitet.

"Sonderrichtlinien"

Allerdings fehlten die rechtlichen Grundlagen, um die Helfer für ihren Aufwand zu entschädigen. Deshalb einigte man sich darauf, das Geld unter dem Titel "Förderungen“ fließen zu lassen. "Wir haben damit Neuland betreten. Im Allgemeinen werden Förderungen ja für Künftiges vergeben, nicht rückwirkend. Daher hat es ebendiese Sonderrichtlinien gebraucht“, sagt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums. Andernfalls landet man tief im Vergaberecht und muss nachträglich mit Ausschreibungen arbeiten.

Vereinbart wurde, dass die Organisationen ihre Ausgaben bekanntgeben und diese dann vom Ministerium - gegen Vorlage von Belegen - ersetzt bekommen. Unter Punkt VI heißt es außerdem: "Förderbar sind grundsätzlich nur jene Kosten, die (…) nicht durch Zuwendungen Dritter (insbesondere Spenden) abgedeckt sind.“ Mitte Februar verschickte das Innenministerium - auf Initiative des Finanzministeriums - an alle betroffenen Organisationen einen Brief, in dem es noch einmal auf diesen Passus hinwies. Mehr als einen Monat später landete das Schreiben in den Medien. Und fertig war der Tumult. Haben die NGO-Vertreter vor einem halben Jahr nicht gelesen, was sie da unterschrieben?

Reinhard Hundsmüller, Bundesgeschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes Österreich (ASBÖ), sagt, er habe schon damals seine Bedenken artikuliert. "Aber ich habe den Vertrag dann wie alle anderen auch abgenickt, um nicht aus dem Geschäft zu sein und am Ende vielleicht noch auf den Kosten sitzen zu bleiben.“ Die Caritas hielt sich in den vergangenen Tagen mit Kritik eher zurück. Auf Anfrage sagt Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien: "Wenn jemand ausdrücklich für die Transitquartiere gespendet hat, ist die Forderung nachvollziehbar.“ Spenden für die allgemeine Flüchtlingshilfe müssten davon aber ausgenommen sein.

Das sind sie auch, wie im Ministerium betont wird. Es gehe ausschließlich um den Transit und um jenen Teil der Spenden, der eindeutig zuordenbar sei - etwa durch Erlagscheine mit dem Vordruck "Spielfeld“ oder "Westbahnhof“. In spätestens drei Jahren werde der Rechnungshof die Aktion prüfen, heißt es im Finanzministerium. "Es geht einfach nicht, dass wir in Einzelfällen mehr als 100 Prozent der Aufwendungen ersetzen.“ Zumal die Spenden auch noch steuerlich absetzbar sind, die öffentliche Hand also auch auf dieser Seite des Tisches Einnahmen verliert. Wobei es sich nicht um gigantische Summen handelt. Die Gesamtkosten des Transits zwischen September und Februar dürften unter 50 Millionen Euro liegen.

Flüchtlinge als Geschäftsgrundlage

Mit der Schließung der Balkanroute hat der Durchzug von Flüchtlingen nach Deutschland zuletzt fast aufgehört. Das kann sich wieder ändern. Doch bis auf Weiteres verlagern sich die Aktivitäten der Hilfsorganisationen auf die Betreuung jener Menschen, die erst einmal in Österreich bleiben. Mag durchaus sein, dass die aktuelle Aufregung eines Teils der NGO-Vertreter auch dem Eigenmarketing diente. Jetzt gilt es, die Claims abzustecken. Denn die Flüchtlinge bleiben, so herzlos das klingen mag, eine enorm wichtige Geschäftsgrundlage. Und ihre schiere Menge sorgt für eine Art Sonderkonjunktur in der Helferbranche.

Die Caritas etwa hat allein in Wien seit dem Vorjahr 230 Mitarbeiter zusätzlich angestellt. In der Grundversorgung betreut werden derzeit rund 40.500 Asylwerber. Die kirchennahe Organisation ist damit der mit Abstand größte Player im Flüchtlingsbusiness. Erst im Jänner kamen 400 Plätze in der Grundversorgung dazu, weitere 1100 sollen bis zum Sommer folgen. Enorm aufgestockt hat auch der Arbeiter-Samariter-Bund: Innerhalb weniger Monate stieg die Zahl der betreuten Flüchtlinge von 150 auf 7500. Nach der Schließung des Quartiers am Schwarzlsee bei Graz liegt die Zahl derzeit bei rund 5000 betreuten Personen. Auch weniger bekannte Hilfsorganisationen wie der Verein menschen.leben befinden sich im Aufwind. Erst vor zehn Jahren gegründet, haben die Niederösterreicher derzeit schon 300 hauptamtliche Mitarbeiter und betreuen 34 Projekte. Zuletzt hinzugekommen ist ein Heim für 42 unbetreute Jugendliche in Purkersdorf.

Für die Unterbringung und Betreuung eines Asylwerbers zahlt der Staat 19 Euro pro Tag. Das klingt nicht nach viel Geld, kann sich in der Menge aber trotzdem rechnen. "Wäre es kein Geschäft, würde es die meisten Asylquartiere in Österreich nicht geben“, sagt ein Kenner der Szene. Vertreter von Hilfsorganisationen wollen dem nicht zustimmen: Die Caritas etwa müsse bei jedem Heim für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge pro Jahr 50.000 Euro an Spendengeld zuschießen, weil die Beiträge der öffentlichen Hand für eine Betreuung nach den gesetzlichen Standards der Jugendwohlfahrt nicht ausreichten, sagt Wien-Geschäftsführer Schwertner. Vor Kurzem wurde der Tagsatz für Jugendliche auf 95 Euro erhöht. "Wir werden sehen, wie sich das auswirkt.“

Ganz transparent läuft die Vergabe von Aufträgen im Asylwesen häufig nicht ab. Welche Organisation wo zum Zug kommt, kann von persönlichen Bekanntschaften abhängen, von der regionalen Verankerung des Anbieters oder schlicht von dessen Image. "Asylquartiere werden nicht im klassischen Sinn ausgeschrieben“, bestätigt Jörg Trobolowitsch, Sprecher von menschen.leben. Manchmal trete ein Bundesland oder eine Gemeinde an den Verein heran, manchmal kämen auch Angebote von Immobilienbesitzern, die dann vom Verein geprüft und anschließend den öffentlichen Stellen als Quartier vorgeschlagen würden.

Traiskirchen als "Betriebsunfall"

Dass mit Traiskirchen ausgerechnet das größte Flüchtlingsheim von einem privaten Unternehmen, der Schweizer Firma ORS, geführt wird, gilt in der NGO-Szene als schwerer Betriebsunfall. Allerdings hatte sich bei der Vergabe im Frühling 2011 keine österreichische Hilfsorganisation um den Auftrag beworben. Weil Traiskirchen zu diesem Zeitpunkt unterbelegt und kein Geschäft war, heißt es aus der Politik. Weil die Ausschreibung so gemacht worden war, dass nur der private Bieter eine Chance hatte, beschwerten sich die NGOs.

Wahrgenommen werden Hilfsorganisationen in der Öffentlichkeit vor allem in ihrer Funktion als mildtätige Spendensammler. Weniger bekannt ist, dass die größeren dieser Vereine 100 Millionen Euro Umsatz ausweisen und wie privatwirtschaftliche Unternehmen gemanagt werden. Zwar geht es nicht darum, Aktionäre zufriedenzustellen. Aber so etwas wie eine Kosten-Nutzen-Rechnung und eine Langfristplanung muss auch machen, wer sich dem Helfen verschrieben hat. Die Caritas etwa gibt in ihrem Jahresbericht 2014 Gesamtmittel von über 700 Millionen Euro an. Nur zehn Prozent davon stammen aus Spenden. Der weitaus größte Teil kommt von der öffentlichen Hand, die für Leistungen der Caritas beispielsweise in der Krankenpflege und Altenbetreuung bezahlt. Die enorme Zahl an Flüchtlingen wird sich erst in den Jahresberichten 2015 und 2016 niederschlagen - dann aber sehr kräftig. Ein Wachstum in solchen Dimensionen muss man erst einmal verdauen.

Der Arbeiter-Samariter-Bund kämpft derzeit mit einem völlig anderen Problem. Auf dem Höhepunkt des Flüchtlingstransits im vergangenen Herbst hatte der ASBÖ 600 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. Die abrupte Schließung der Balkanroute auf Initiative der österreichischen Regierung brachte die Planung gehörig durcheinander, 100 Jobs mussten wieder gestrichen werden. In den Lagern stapeln sich tonnenweise Sachspenden, die in Österreich nicht mehr gebraucht werden - in Griechenland aber sehr wohl. Vergangene Woche schickte der ASBÖ 60 Paletten Hilfsgüter Richtung Süden auf die Reise. "Das Benzin für die Transporte nehmen wir aus dem Spendentopf“, sagt Geschäftsführer Hundsmüller. Das Rote Kreuz tut sich zumindest beim Personalmanagement nach eigenen Angaben etwas leichter. Es gebe rund 70.000 Menschen im Land, die man für vorübergehende Dienste beschäftigen könne, sagt Gerry Foitik. "Diese Leute bekommen befristete Verträge und wissen, dass sie den Job nur vorübergehend machen. Von einigen haben wir uns auch bereits wieder getrennt.“

Das Theater um den Brief scheint den meisten Beteiligten inzwischen etwas unangenehm zu sein. In aller Öffentlichkeit um Geld zu streiten, hinterlässt ja immer einen schalen Nachgeschmack. Es würde den Hilfsorganisationen extrem schaden, wenn heimische Spender jetzt den Eindruck hätten, ihr Geld lande sowieso nur im großen Flüchtlingsbudgettopf des Finanzministeriums. So war das nicht gedacht, und so wird es auch nicht kommen. Um Streitereien dieses Zuschnitts in Zukunft zu vermeiden, sollte man schnell legistische Grundlagen schaffen, fordert ASBÖ-Chef Reinhard Hundsmüller. "Wir haben Schönwettergesetze, mit denen wir uns in Notlagen nicht bewegen können.“

Noch eine "Sonderrichtlinie“ braucht wirklich kein Mensch.

Rosemarie Schwaiger