Politik

SPÖ: Am roten Pannenstreifen

Falsch versandte Strategiepapiere, Geschäfte und Nehmerqualitäten in Kleingärten, die immer weitere Kreise ziehen, das übliche Gesudere in der Partei: SPÖ-Chef Andreas Babler erlebt eine Serie von Donnertagen. Die Pleitenserie wurzelt in der tief gespaltenen SPÖ.

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Er war ganz in seinem Element. Ernst im Auftritt, ausnahmsweise sogar mit Krawatte, in betont langsamen Worten, angriffig in der Botschaft. „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, geschätzte arbeitende Menschen, liebe Kinder“, hob SPÖ-Chef Andreas Babler am Donnerstagnachmittag an – um Bundeskanzler Karl Nehammer scharf zu kritisieren, der „bei edlem Wein und Käsehäppchen“ Burger als warme Mahlzeit empfiehlt und „auf Menschen hintritt“. Bablers Sukkus: „Das hat sich Österreich nicht verdient.“

Diese geharnischte Vernichtung von Nehammers mittlerweile berühmtem Video in einer flugs einberufenen Pressekonferenz war wohl einer der wenigen Auftritte der Vorwoche, die Babler genoss. Denn ansonsten durchläuft die SPÖ eine bemerkenswerte Pleiten-, Pech- und Pannenserie: Günther Ogris vom Sozialforschungsinstitut Sora verschludert sich bei E-Mail-Adressen und versendet seine strategischen Tipps versehentlich nicht an die SPÖ, sondern an einen Riesenverteiler von 800 Menschen. Der Kollateralschaden ist erheblich: Sora, 29 Jahre bei Wahlen renommierter Hochrechner, verliert den ORF-Auftrag, den erhofften Beratungsvertrag mit der SPÖ bekommt Ogris auch nicht – stattdessen zog er sich von der Sora-Spitze zurück. Und die SPÖ war Häme und Kritik gewiss wegen der teils banalen, teils überzeichneten Vorschläge („Liebe statt Hass = Babler statt Kickl“) im Papier, bis zu den ersten „Silberstein“-Rufen der politischen Konkurrenz dauerte es nicht lange.

So unangenehm die Sora-Panne auch für die SPÖ ist – wesentlich härter und nachhaltiger trifft sie die Affäre um Wiener Bezirksvorsteher und Funktionäre, die gute Geschäfte mit Umwidmungen in Kleingärten gemacht haben sollen. Immer mehr SPÖ-Politiker sind betroffen, von Donaustadt bis Ottakring. Der Vorwurf steht im Raum, dass sie durch Insiderwissen oder Beeinflussung von Verfahren beim Kauf von Schrebergärten von der Stadt Wien profitiert haben. Hochnotpeinlich für die SPÖ, passen diese Nehmerqualitäten von mächtigen und einflussreichen roten Politikern doch gar nicht zur Partei, die von sich selbst behauptet, für Verteilungsgerechtigkeit einzutreten. Kurz: der Stoff, mit dem Glaubwürdigkeit untergraben wird.

Gerade für den neuen Parteivorsitzenden, der meist hemdsärmelig auftritt und stets seine Verbundenheit zu sozial Benachteiligten betont. „Als SPÖ-Chef mache ich Politik für diejenigen, die es sich nicht richten können – weder durch ihre Millionen am Konto noch durch ihre politischen Kontakte“, stellte Babler in drohendem Ton Konsequenzen in den Raum. Wiens SPÖ-Chef und Bürgermeister Michael Ludwig tönte wenige Tage später ähnlich.

Der Messer-Ernstl

Leicht wird das nicht. Derzeit untersucht die Wiener SPÖ die Grundstückdeals: SPÖ-Politiker haben Parzellen im Kleingartenverein am Schotterteich gekauft, die durch Umwidmung von Grün- in Bauland doppelt so viel wert wurden. Diese Betroffenen müssen zu Wiens Parteigeschäftsführerin Barbara Novak zum Rapport. Ob wirklich Konsequenzen folgen, wird auch zeigen, wie durchsetzungsstark Babler ist. Denn hinter dem Disput um umgewidmete Kleingärten steckt auch die Grundsatzfrage, wen die SPÖ vor allem vertreten, für wen sie Politik machen soll – und mit welchen Methoden. Kurz: Babler-Kurs oder Nevrivy-Linie?

Eine der zentralen Figuren in der Kleingartenaffäre ist Ernst Nevrivy, seit dem Jahr 2014 Bezirksvorsteher der Wiener Donaustadt, die mit 210.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt Österreichs wäre, gleichauf mit Linz. Nevrivy ist als gelernter Fernmeldemonteur wie Babler kein Mitglied des roten Intellektuellenflügels – steht aber dennoch für eine völlig andere Politik. Gleich bei seinem Amtsantritt 2014 tönte Nevrivy vollmundig: „Die Donaustädter werden nicht alle mit dem Rad fahren.“ Straßen sind seine Priorität, auf einem SPÖ-Parteitag zog er gegen Klimaschützer, Grüne „und die anderen Heisln“, die gegen neue Straßenbauten mobilisieren, vom Leder. Und gab später donnernd zu Protokoll, dass er „keine Begegnungszonen braucht“ – gemixte Straßen für Fußgänger, Autos, Radler. Das passt so gar nicht zu Babler, der Klima- und Ökofragen zu einer Kampfzone der SPÖ machen will – und Tempo 100 für eine geeignete Maßnahme hält.

Nevrivy steht für robusten Politikstil. Schon 2021 leitete die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses und Bestechlichkeit gegen ihn in der Wienwert-Causa ein, weil er bei einem Grundstücksdeal Informationen weitergegeben haben soll. Die Ermittlungen sind abgeschlossen, ob Anklage erhoben wird oder nicht, entscheidet sich demnächst. Es gilt die Unschuldsvermutung, wie auch in der Causa Kleingarten.

Parteiintern heißt Nevrivy „Messer-Ernstl“, weil er im Jahr 2012 bei einer Gemeinderatssitzung in Rage geriet und nicht glauben wollte, dass die FPÖ Kartons voller Unterschriften gegen das Parkpickerl gesammelt habe. Und zornig die Kartons aufschlitzen wollte – mit einem Brieföffner, wie er sagt. Mit einem Taschenmesser, wie die FPÖ sagt. Eine Videoauswertung konnte damals keine Klarheit bringen, die Bilder waren zu unscharf. Der Spitzname jedenfalls blieb.

Nevrivy kultiviert seinen eigenen Ruf als mächtiger Bezirkskaiser – und setzt ihn bei Personalentscheidungen ein. Er drängte seinerzeit auf einen Rückzug von Michael Häupl von der Spitze der Wiener SPÖ – und war später am Kampfparteitag einer der wenigen Wiener Genossen, die sich nach der Rede von Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil demonstrativ zum Applaus erhoben. Dass Nevrivy – wie andere rote Bezirkskaiser in Arbeiterbezirken – im Doskozil-Fansektor zu verorten ist, überrascht nicht. Mit dem Machtkampf zwischen Babler und ihm wird der unversöhnliche Clash of Clans in der SPÖ fortgesetzt.

Nevrivy stand schon seinerzeit treu zu SPÖ-Chef und Kanzler Werner Faymann, als die Kritik aus dem roten links-urbanen Reformer-Flügel immer deutlicher wurde. Und verteidigte Faymann und dessen Law-and-Border-Kurs etwa mit den Worten: „Ob das jetzt Trüpstühü-Wert oder Obergrenze heißt, ist egal. Wenn alle, die Asyl wollen, uneingeschränkt zu uns kommen, gefährden wir die Sicherheit und den sozialen Frieden.“

Der erbitterte Clash of Clans

Der aufstrebende rotzfreche Jungspund Andreas Babler, als Traiskirchner Bürgermeister täglich mit dem Thema Asyl konfrontiert, war hingegen damals ein Sprachrohr der unzufriedenen SPÖ-Mitglieder, die lautstark eine Kurskorrektur nach links von Faymann einforderten, Babler hielt auf einem SPÖ-Parteitag eine Brandrede gegen Faymanns übergroßen Pragmatismus. Faymann-Fans wiederum tragen den Faymann-Kritikern bis heute die Pfeifaktion am 1. Mai nach – und gehörten zu den ersten, die Faymann-Nachfolger Christian Kern und dessen Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner kritisierten.

Derartige Clash of Clans wirken lange nach. Heute steht Babler an der Parteispitze, wurde vom Kritiker zum Kritisierten und bekommt die Flügelkämpfe zu spüren. Der eher rechte Parteisektor, vom

Linzer Bürgermeister Klaus Luger bis zum Tiroler Parteichef Georg Dornauer, stellt offen die Babler-Ideen für eine 32-Stunden-Woche und Tempo 100 infrage, der am Kampfparteitag unterlegene Doskozil schwänzt demonstrativ, wenn Babler auf Tour ins Burgenland kommt. Derartige Nadelstiche ergeben in der Gesamtschau eher das Bild eines zerstrittenen Haufens statt das einer geeinten Partei.

Und sind einer der Gründe, warum Babler in Umfragen nicht recht vom Fleck kommt. Von der Unzufriedenheit gegen die Regierung profitiert bisher vor allem eine Partei: die FPÖ.

Deren Skandal der Woche – der eigentlich nicht unspektakuläre Besuch bei den Taliban – ziemlich unterging, wieder einmal. Denn keine Klientel scheint so leicht zu verzeihen wie die blaue.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin