Michael Häupl: "Faymann kann auch ein Entertainer sein"“

Michael Häupl: "Faymann kann auch ein Entertainer sein"“

Interview. Bürgermeister Häupl über Faymann, Kurz und die Grünen

Drucken

Schriftgröße

Interview: Herbert Lackner und Eva Linsinger

profil: Herr Bürgermeister, sollen wir uns den 4. Oktober 2015 freihalten?
Michael Häupl: Wenn das der erste Sonntag im Oktober ist, dann ist er sehr wahrscheinlich freizuhalten.

profil: Wahltag 4. Oktober: ­Legen Sie darüber einen Notariatsakt an?
Häupl: Nein. Man sieht ja bei den Grünen, was bei Notariatsakten alles schiefgehen kann. In Wien hat es sich leider etabliert, ein halbes Jahr vor der Wahl über den Koalitionspartner zu matschkern. Das war schon bei der ÖVP so, das ist mit den Grünen nicht anders. Daher muss man sich halt überlegen, wie man diese Matschker-Zeit verkürzen kann.

profil: Das heißt, die Wahl könnte auch früher stattfinden?
Häupl: Sagen wir es freundlich und journalistenverträglich: Ich schließe es nicht aus. Aber am wahrscheinlichsten ist der erste Sonntag im Oktober.

profil: Welche Frage entscheidet darüber?
Häupl: Sicher nicht der Song Contest. Entscheidend ist, wie die Arbeit funktioniert und wie sehr alle Beteiligten in einen Vorwahl-Rauschzustand geraten. Könnte sein, dass die SPÖ da etwas routinierter ist als der Partner.

profil: Ist die spröde Wahlrechtsfrage etwas, über das man in einen Rauschzustand geraten kann?
Häupl: Nein, wie man sehen konnte, hat die SPÖ ja gelassen reagiert. Die Medienmeldungen über meinen Grant waren alle maßlos übertrieben. Am ehesten spiegelt mein Halbsatz „Was Vassilakou da macht, ist mir eigentlich wurst“ die Stimmung wider.

profil: Aber es kann ja kein Wahlkampfthema sein, ob man mit 45, 46 oder 44 Prozent die Absolute erreichen kann.
Häupl: Mit 44 Prozent die Absolute – das will ja niemand. Aber wenn man ein bisschen den Kopf hebt, dann wird man sehen, dass in ganz Europa über mehrheitsförderndes Wahlrecht diskutiert wird, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es eine höhere Diversität in der Parteienlandschaft gibt und so die Regierungsfähigkeit erleichtert wird.

profil: Wir nehmen an, die SPÖ-Wahlkampfslogans werden lauten: „Häupl, wer sonst“ und „Strache, nein danke“.
Häupl: Eine Spur inhaltlicher und intelligenter werden wir es schon anlegen. Wahlkampagnen müssen heute anders aussehen als noch vor zehn Jahren.

profil: Aber hat die SPÖ überhaupt ein Thema außer der Abgrenzung von der FPÖ?
Häupl: Es liegt auf der Hand, dass die FPÖ der inhaltliche Widerpart zur SPÖ ist. Das beginnt bei ganz Grundsätzlichem: Wir wollen Ängste, die in der Bevölkerung zweifelsohne vorhanden sind, nehmen. Die Freiheitlichen leben davon, Angst zu schüren und Menschen aufeinanderzuhetzen.

profil: In den Umfragen gewinnen die Grünen ein wenig dazu, die SPÖ verliert. Nützt Rot-Grün nur den Grünen?
Häupl: Die Umfragen, die kolportiert werden, haben entweder nie stattgefunden, oder sie haben läppische Samples mit 400 Befragten in einer Millionenstadt wie Wien. Das ist unsinnig. Wir machen unsere Umfragen mit 1000 Befragten.

profil: Und zu welchen Ergebnissen kommen Sie?
Häupl: Weil wir mit dem Wahlkampf noch nicht angefangen haben, sage ich das nicht. Nur so viel: Wir sind von unserem Wahlziel der absoluten Mehrheit natürlich noch einiges entfernt. Aber alle wissen, dass die SPÖ eine gute Wahlkampfpartei ist und in der letzten Phase bisher bis zu vier, fünf Prozent dazugewonnen hat.

profil: Die Umfragen zeigen eine relativ große Zufriedenheit mit der Wiener Kommunalpolitik. Das wird der größeren Regierungspartei aber nicht gutgeschrieben. Warum?
Häupl: Wenn ich darauf eine einfache Antwort hätte, hätten wir uns längst darauf eingestellt. Ein bisschen hilft uns die Nichtwähleranalyse: Von den Nichtwählern würde die Hälfte SPÖ wählen. Daher müssen wir aus diesem Topf möglichst viele dazu bewegen, zur Wahl zu gehen, weil sie zu jenen gehören, die zufrieden sind mit dem Leben in der Stadt, aber nach dem Motto handeln: Meine Stimme ist eh wurscht.

profil: Es gibt auch eine relativ große Gruppe, die gar nicht wählen darf: die Migranten. Sind Sie für ein Ausländerwahlrecht?
Häupl: Ich halte es nach wie vor für richtig, dass Menschen, die längere Zeit hier leben, auch an Wahlen teilnehmen können. Ich sehe aber zur Stunde leider keine rechtliche Umsetzungsmöglichkeit. Auch in Berlin, Hamburg und Bremen dürfen, wie in Wien, nicht einmal EU-Ausländer wählen, weil diese Städte gleichzeitig auch Bundesländer sind.

profil: Wird vor der Wiener Wahl noch im Bund gewählt?
Häupl: Das glaube ich nicht. Das wäre nur der Fall, wenn die Steuerreform scheitert – und dann wäre die Wahl für SPÖ und ÖVP ein echtes Problem, außer man erklärt sie zu einer Volksabstimmung über die Steuerreform. Und selbst dann wäre es noch schwierig, die Wähler zu überzeugen.

profil: SPÖ-Obmann Werner Faymann schafft es ja nicht einmal, seine eigene Partei zu überzeugen. Auf dem Parteitag wählten ihn nur 83 Prozent.
Häupl: 1993, bei meiner ersten Wahl zum Wiener Parteivorsitzenden, hatte ich auch nur 88 Prozent.

profil: Damals wurden Sie noch als unberechenbarer Junger abgestraft. Aber Faymann hat wochenlang alles versucht, die Partei für sich zu gewinnen.
Häupl: Er wurde am Parteitag von einem kleinen Teil der Delegierten sehr ungerecht behandelt. Er konnte nichts für das Debakel, dass das Parteistatut in Widerspruch zum Wahlrecht geriet und das Schlamassel mit der Frauenquote herauskam. Dennoch nahmen ihm das vor allem die oberösterreichischen Frauen übel.

profil: Wenn 17 Prozent Faymann streichen, muss man davon ausgehen, dass mindestens noch einmal so viele ihn nur aus Parteiräson wählten.
Häupl: Das ist eine kühne, aber falsche Rechnung. Die Grundhaltung ist eher: Wenn ich unzufrieden bin mit Faymann, dann sage ich ihm das, aber ich streiche ihn nicht beim Parteitag. Für Unmut unter den Funktionären sorgt derzeit das Parteienfinanzierungsgesetz. Sie müssen plötzlich Belege bringen, wenn Sie sich bei einer Brauerei einen Tisch oder Bänke für eine Veranstaltung ausborgen. Das ist läppisch, aber es spielt eine Rolle. Und es führt zu Streichungen.

profil: In Faymanns siebenjähriger Amtszeit gab es keinen einzigen Wahlsieg, mit Ausnahme des Sonderfalls Kärnten. Vielleicht sorgt das eher für Unmut.
Häupl: Das ist natürlich ein Problem. Die Vizebürgermeisterin von Graz trat auf dem Parteitag mit dem Argument auf, die Niederlagen müssten endlich aufhören. Das alles dem Parteivorsitzenden allein anzulasten, halte ich für läppisch und für eine Ausrede. Wir sind schon selbst für unser Glück oder Unglück verantwortlich.

profil: Sie sind als Königsmacher der SPÖ besonders dafür verantwortlich. Fragen Sie sich manchmal, ob Faymann der richtige Mann ist?
Häupl: Er ist der richtige Mann.

profil: Sie kennen Faymann lange. Haben Sie jemals herausgefunden, wofür er brennt?
Häupl: Faymann ist kein rasend emotionaler Typ. Aber wenn man ihn näher kennt, dann merkt man, dass es ihm bei der Steuerreform nicht darum geht, dass einfach Geld in die Kassa gespült wird. Das macht er mit großer Verve. Und Faymann kann auch ein Entertainer sein.

profil: Das wäre uns nie aufgefallen.
Häupl: Mag sein, dass er das nur im kleinen Kreis macht. Aber dort ist er es.

profil: Jetzt muss er jedenfalls der SPÖ eine Erbschafts- und eine Vermögenssteuer bringen. Wird er das schaffen?
Häupl: Allein nicht. Da werden wir alle zusammenhelfen müssen. Auf jeden Fall muss eine Erbschafts- und Schenkungssteuer jetzt im Steuerreformpaket drinnen sein. Ein Abkupfern der Erbschafts- und Schenkungssteuer von früher wird es nicht werden. Aber eine bestimmte Form wird es sein müssen.

profil: Wenn die SPÖ sagt „unbedingt Vermögenssteuern“ und die ÖVP „auf keinen Fall Vermögenssteuern“, dann fehlt uns die Fantasie, wie ein Kompromiss aussehen könnte. Es kann ja keine halbe Vermögenssteuer geben.
Häupl: Das Schöne an der Politik ist, dass völlig antagonistische Widersprüche da sein können – und trotzdem findet man am Ende des Tages Lösungen.

profil: Gibt es dafür Beispiele?
Häupl: Da muss ich ein wenig zurückgreifen. Die Fristenlösung war zum Beispiel ein solcher antagonistischer Widerspruch, und am Ende gab es eine parlamentarische Mehrheit.

profil: Aber nur, weil die SPÖ die Absolute hatte. FPÖ und ÖVP stimmten dagegen.
Häupl: Gut, dann streichen wir das Beispiel und kommen zurück zur Steuerreform. Auch von ÖVP-Obmann Mitterlehner wird ein Ergebnis erwartet. Jetzt geht es darum, dass jeder sein Gesicht wahren kann. Das sind eher grundpolitische als steuermathematische Verhandlungen.

profil: Und einer wird am Ende als Verlierer dastehen.
Häupl: Lassen Sie sich überraschen. Wahrscheinlich überrasche ich mich am Ende sogar selbst. Wir alle wollen nicht, dass es zu Neuwahlen kommt.

profil: Die Ausgangsposition für die ÖVP ist viel einfacher. Sie muss nur den Status quo verteidigen, also dass es keine Erbschafts- und Vermögenssteuer gibt.
Häupl: Das ist ein Irrtum. Sie ist strategisch in einer genauso schwierigen Position wie wir. Sie kann nicht nur den Status quo verteidigen, weil kein Mensch glaubt, auch nicht die ÖVP, dass allein durch
Einsparungen das Volumen für die Gegenfinanzierung zustandezubringen ist – außer, man wagt Großes.

profil: Bitte sagen Sie jetzt nicht Verwaltungsreform, daran glaubt keiner mehr.
Häupl: Ich habe vor geraumer Zeit einen ziemlich läppischen Vorschlag gemacht, der aber gar nicht so wenig Geld bringt: Man sollte, so wie wir ein Amt der Landesregierung haben, ein Amt der Bundesregierung machen, das vom Einkauf von Bleistiften über das Facility Management bis zur Personalverwaltung alles für alle Ministerien macht. Und wer schrie als Erster wie am Spieß, dass das nicht geht? Mein Freund Fritz Neugebauer, der schwarze Chef der Beamtengewerkschaft. Ich schaue mir an, wie Vizekanzler Mitterlehner eine Milliarde bei der Verwaltungsreform einsparen will, wenn nicht einmal solche Kinkerlitzchen machbar sind.

profil: Bei den Bundesländern wäre Geld zu holen: Sie leben mit dem üppigen Finanzausgleich aus dem Jahr 2007 – der Zeit vor der Finanzkrise und vor Sparpaketen.
Häupl: Die EU-Kommission, der Internationale Währungsfonds, alle predigen, dass mehr Wirtschaftswachstum notwendig ist. Dazu brauchen wir aber öffentliche Investitionen. Wien etwa wächst rasant und wird bald zwei Millionen Einwohner haben. Allein für Kindergärten, Schulen und Spitäler müssen wir in den kommenden zehn Jahren zehn Milliarden Euro investieren. Dafür würden wir von der europäischen Investitionsbank sofort Geld bekommen – und zwar mit einem Zinssatz unter der Inflationsrate. Eigentlich müsste ich bei dem Angebot keine Sekunde überlegen, aber ich darf nicht, wegen Stabilitätspakt und Maastricht.

profil: Heißt das, Sie wollen gleichzeitig mit der Steuerreform ein Konjunkturpaket verhandeln?
Häupl: Das wäre mir das Liebste. Ich werde in jede Steuerreform-Verhandlungsrunde mit zwei Mappen gehen: einem dicken Konvolut mit allerlei weisen Steuervorschlägen und einer Mappe mit Vorschlägen für Investitionen. Ich brauche dafür nicht mehr Geld vom Bund. Er soll nur Schulden, die für nachhaltige Investitionen gemacht werden, anders werten. Das macht auch jede Bank so: Sie gibt natürlich leichter einen Kredit, wenn Sie eine Wohnung kaufen, als wenn Sie im Urlaub auf den Putz hauen wollen.

profil: In den vergangenen Wochen und Monaten wurde viel über Nachfolger für Kanzler und Bundespräsident spekuliert, seltener über einen des Wiener Bürgermeisters. Warum haben Sie keinen Nachfolger aufgebaut? Irgendwann werden Sie einen brauchen.
Häupl: Korrekt, jede Wurst hat zwei Enden. Vorläufig bin ich aber noch mein eigener Nachfolger – wenn der Wähler das nächstes Jahr wünscht.

profil: Die SPÖ tut sich prinzipiell mit Jungen schwer. Der Gemeinderat Christoph Peschek, den Sie immer als Nachwuchshoffnung bezeichnet haben, geht als Manager zu Rapid, Niki Kowall von der Sektion 8 nach Deutschland.
Häupl: Wir haben 432 Sektionen in der Wiener SPÖ. Ich will sie nicht schlechtmachen, aber die Sektion 8 und Niki Kowall beherrschen die Kunst der Publikumswirksamkeit. Und die Aufmerksamkeit der Medien bekommt man am besten, wenn man die eigene Partei aufregt. Ich meine das gar nicht wertend, ich habe das als Junger genauso gemacht.

profil: Aber Sie sind geblieben.
Häupl: Ich habe als Biologe im Naturwissenschaftlichen Museum auch acht Jahre lang einen nichtpolitischen Beruf ausgeübt. Die Wiener Weinbergschnecke ist ja nicht besonders ideologiebehaftet, der Feuersalamander auch nicht. Ich will damit nichts verblödeln, sondern nur sagen: Ich hoffe, dass Christoph Peschek irgendwann in die Politik zurückkehrt. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass es die lebenslangen Karrieren in der Politik nicht mehr gibt. Das Muster, wie Faymann, Josef Cap oder ich es gemacht haben, ist passé. Es wird viel höhere Durchlässigkeit geben. Und das hat auch seine Vorteile.

profil: Die SPÖ hat jedenfalls keinen Sebastian Kurz.
Häupl: Gott sei Dank.

profil: Warum?
Häupl: Entschuldigen Sie! Reden Sie mit unseren Jungen einmal über den ach so jungen Herrn Außenminister.

profil: Was sagen denn die Jungen in der SPÖ über ihn?
Häupl: Der Großvater soll nicht für seine Jungen reden.

profil: So wortkarg kennen wir Sie gar nicht.
Häupl: Als Sebastian Kurz noch Gemeinderat war, hat er eine einzige Anfrage an mich gerichtet, nämlich jene, ob man die Altersgrenze für Ordensverleihungen nicht auf unter 50 Jahre setzen könne, damit auch die Jungen Orden bekommen können. Ich habe ihn fragen lassen, ob er das ernst meine. Worauf mir mitgeteilt wurde, ja, er meine es ernst. Sonst gab es nichts. Er schaut halt nur jung aus.

Foto: Philipp Horak für profil