Starke Frau

Starke Frau: Zum Tod von Barbara Prammer

Nachruf. Zum Tod von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer

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18. Oktober 2008, Integrationsball der Volkshilfe in Linz. Die Nationalratspräsidentin bittet mich zu ihrem Tisch und fragt mich geradeheraus, ob ich – so sie denn in zehn Tagen wiedergewählt werden sollte – ihr Pressesprecher werden möchte. Die Frage traf mich frontal, um nicht zu sagen: Sie schockierte mich. Ich war bis dahin durch und durch Journalist gewesen, lebte diesen Beruf intensiv, wollte nie etwas anderes machen. Ein Wechsel in die Politik, auf die andere Seite, ist heikel, der Weg zurück schwierig, gerade in Österreich.

Auch setzt der Job in hohem Maße Loyalität voraus. Man muss mit der Person, für die man sprechen soll, menschlich wie weltanschaulich können. Man muss davon ausgehen können, dass sie willens und fähig ist, Rat und Kritik anzunehmen. Auch wollte ich mich keinesfalls verbiegen, wollte das, was ich zuvor alles an der Politik bemängelt hatte, künftighin nicht selbst vertreten und gutheißen müssen.

Ich habe mich, rückblickend, in Barbara Prammer nicht getäuscht. Dass sie ideologisch auf der richtigen Seite stand, war klar. Sie hat sich in der Folge in den zentralen Fragen als standhaft erwiesen und ist darin noch gewachsen. Sie war nicht laut, ohne jeden Hang zu Populismus oder billigem Applaus, drängte sich nicht vor. Doch sie war bestimmt und kämpferisch, wenn es nötig war. Sie war in gewisser Weise das Gegenkonzept zu dem, was heute gemeinhin als politisches Erfolgsmodell angesehen wird: Sie war eine starke Frau, aber alles andere als der zunehmend wieder herbeigewünschte „starke Mann“.

Was mich überraschte, war das enorme Tempo in einem politischen Büro. Journalismus ist ein stressiges Geschäft, und ich dachte, in dieser Hinsicht resistent zu sein. Doch Politik spielt diesbezüglich in einer höheren Liga – erst recht bei einer Chefin, für welche die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ebenso wichtig waren wie die eigentliche parlamentarische Arbeit.
Warum sie mir ihr Vertrauen schenkte, verriet mir die Präsidentin damals nicht. Ich habe sie später nie danach gefragt. Gewiss war ihr davon abgeraten worden, sich einen Journalisten zu holen. Zudem kannten wir uns, obwohl beide aus Oberösterreich stammend, nicht sonderlich gut. Einmal hatte ich sie, damals noch Frauenministerin, in einem Kommentar zum Rücktritt aufgefordert. Woraufhin sie nach dem nächsten Ministerrat schnurstracks auf mich zuging und fragte, was ich gegen sie hätte. Wir haben das damals irgendwie ausgeräumt. Oder auch nicht.

Barbara Prammer nahm mediale Kritik ernst, konnte deren Gewicht und Wirkung aber gut einordnen. Im Wissen um die Rolle und die Bedeutung von Medien in einer Demokratie sah sie in Journalistinnen und Journalisten keine Gegner oder gar Feinde, sondern stand ihnen stets offen gegenüber – allerdings mit der gebotenen Distanz: keine Anbiederung, keine Vereinnahmung, niemals ein Versuch, Druck auszuüben. Und wenn ihr Kritik als ungerechtfertigt erschien, nahm sie das mit Gelassenheit und der ihr eigenen Langmut – auch mit Humor. Nachtragend war sie absolut nicht.
Mit Lob konnte Barbara Prammer hingegen nur schlecht umgehen. Verehrt oder angehimmelt wollte sie partout nicht werden. Sie wollte auch kein Vorbild sein. Role Model gefiel ihr besser, wenn es etwa darum ging, was sie für Frauen sein wollte. Sie könne umgekehrt auch selbst nicht loben, gestand sie freimütig. Als wolle sie sich dafür entschuldigen, dass für sie erbrachte Leistung etwas Selbstverständliches war, das nicht extra gewürdigt werden musste. So gesehen war Barbara Prammer eine Funktionärin im besten Sinne. Sie funktionierte, wo immer sie von ihrer Partei hingestellt wurde. Dahinter verbarg sich eine Kombination aus Bescheidenheit, Pflichtbewusstsein und Disziplin.

Solche Menschen räumen anderen Platz ein, denen es vorrangig um sich selbst geht, die ihr Ich ausleben und gezielt ihre eigenen Interessen verfolgen. Sie ließ sie gewähren, ungern vermutlich, doch sie hatte dagegen kein geeignetes Mittel. Allzu konfliktfähig war sie im Zwischenmenschlichen nicht, im Politischen sehr wohl.

Der Tod von Barbara Prammer könnte Anlass sein, der Politik weniger verachtend zu begegnen, ihr nicht prinzipiell Unfähigkeit oder schlechte Absicht zu unterstellen. Politik muss kritisch beurteilt werden. Sie sollte aber etwas öfter als derzeit der Fall als mühsames Ringen um gesellschaftlichen Ausgleich gesehen werden, als ehrliches Bemühen von Menschen, die es ernst meinen.

In einem bin ich an Barbara Prammer gescheitert: Meinen unermüdlichen Kampf gegen das sperrige Wort „bewerkstelligen“, das sie gerne einsetzte, habe ich verloren. Und die nie gestellte Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet.

Gerhard Marschall war unter anderem Redakteur bei profil, „Standard“ und „Oberösterreichischen Nachrichten“ und seit 2008 Pressesprecher von Barbara Prammer.