Nehammer, Vrabl-Sanda, Sobotka

U-Ausschuss: Wem gehört der Staat? Seinen Bürgern oder der ÖVP?

Der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss deckt toxische Beziehungen zwischen Politik, Verwaltung und Justiz auf. Was vor Kurzem noch typisch österreichisch war, wird nun verfolgt. Die Volkspartei lernt diese Lektion gerade auf die harte Tour.

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Der erste Paragraf des österreichischen Parteiengesetzes von 2012 steht im Verfassungsrang: "Die Existenz und die Vielfalt politischer Parteien sind wesentliche Bestandteile der demokratischen Ordnung der Republik Österreich."Mit etwas Boshaftigkeit könnte man unterstellen, die Abgeordneten der Parlamentsfraktionen hätten sich selbst in die Verfassung geschrieben, um die eigene Bedeutung zu unterstreichen. Eine solche Selbstüberhöhung wäre vor allem den Großparteien SPÖ und ÖVP zuzutrauen, die sich die Zweite Republik nach deren Gründung-in vielen Bereichen bis heute-untertan machten.

Auf Bundesebene ging die ÖVP dabei in den letzten 20 Jahren schamloser vor. Der SPÖ fehlten schlicht die Gelegenheiten. Seit 2000 waren die Sozialdemokraten insgesamt zwölf Jahre lang in Opposition. Die ÖVP ist seit 1986 durchgängig Regierungspartei, zwischen 2000 und Anfang 2007 und von Ende 2017 bis heute stellt sie den Bundeskanzler. Keusch verhielt sie sich in dieser Zeit nicht. Sie akkumulierte Macht, vom schwarzen Grundsatz "Mehr privat, weniger Staat" keine Spur. Mit etwas Spottlust könnte man den ersten Paragrafen des Parteiengesetzes durchaus umformulieren: "Die Republik Österreich ist in ihrer Vielfalt wesentlicher Bestandteil der ÖVP."

Hinweise darauf, wie sich Schwarz den Staat krallte, liefert der laufende ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss en masse. Und wird auf schwarzer Seite entsprechend hinterfragt: Abgeordnete von SPÖ, FPÖ, NEOS und Grünen seien nicht an der Wahrheitsfindung interessiert, sondern inszenierten "ein Tribunal",kritisierte ÖVP-Obmann Karl Nehammer im profil-Interview.

Untersuchungszeitraum ist die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz von 2017 bis 2021. Konkret befasst sich der U-Ausschuss mit vier Beweisthemen: unzulässigen Vergabe-und Förderverfahren, etwa in der Inseratenaffäre; krummen Vorgängen bei der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG; möglicher Einflussnahme auf die Ermittlungen der Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA); und schließlich Postenschacher und Freunderlwirtschaft.

Ein kursorischer Auszug aus dem schwarzen Sündenregister:

  • Der frühere Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid schuf sich mit Unterstützung der ÖVP-Spitze seinen eigenen Chefposten in der ÖBAG.
  • Die ÖVP soll Inserate und Umfragen für den eigenen Nutzen über öffentliche Mittel finanziert haben.
  • Sebastian Kurz vereinbarte mit FPÖ und Grünen geheime Sideletter, in denen die parteipolitische Vergabe hoher Posten geregelt wurde.
  • ÖVP-nahe Spitzenbeamte in der Justiz behinderten die Arbeit der WKStA.
  • Prominente Wirtschaftstreibende erhielten in Steuerangelegenheiten einen besonderen Service durch das ÖVP-geführte Finanzministerium.
  • In der öffentlichen Verwaltung gingen gute Jobs nach entsprechenden Interventionen an schwarztürkise Günstlinge.

Aus vielen einzelnen Sachverhalten ergibt sich eine Grundsatzfrage für den U-Ausschuss: Wem gehört eigentlich der Staat? Seinen Bürgerinnen und Bürgern oder der ÖVP?

Bei den Staatsbeteiligungen der ÖBAG-OMV, Telekom Austria, Verbund, Post, Bundesimmobiliengesellschaft-mischt die ÖVP ungeniert mit. Einzelne Vorstandsposten, etwa in der Telekom, sind mit ausgewiesenen Vertrauensleuten besetzt. Wollte man die Konzerne vor der ÖVP beschützen, müsste man sie komplett privatisieren, was im Unterschied zu früher kein ÖVP-Wirtschaftspolitiker mehr will. Denn: Wo kein Staatseigentum, da keine Einflussmöglichkeit.

Allerdings können teilstaatliche Unternehmen-wie die ÖBAG-Betriebe im Großen und Ganzen beweisen-durchaus erfolgreich sein, sofern man die Verantwortlichen im Alltagsgeschäft halbwegs in Ruhe lässt. Das Aktienrecht, das den Durchgriff der Eigentümer auf die Geschäftsführung beschränkt, verschafft den Managern Bewegungsfreiheit.

Es gab keine Einflussnahme der ÖVP auf Ermittlungen. Das ist bloß Gerede."

Christian Stocker, ÖVP

Der öffentliche Dienst wird von ÖVP-Politikern dagegen eng geführt. Im U-Ausschuss berichteten Spitzenbeamte des Finanzministeriums von Interventionen und "unerfreulichen Terminen" mit Generalsekretär Thomas Schmid; und dass Inseratenbudgets kraft einzeiliger Anordnungen aus dem Kabinett des Finanzministers um zwei bis drei Millionen Euro erhöht wurden.

Schon jetzt belegt die Arbeit des U-Ausschusses, wie sehr die Checks &Balances zwischen Politik, Verwaltung und Justiz gestört sind. Das notwendige Maß aus Konkurrenz und Kontrolle unter den Staatsgewalten ist verloren gegangen.

Dass in der Justiz einiges im Argen liegt, zeigte die Aussage der WKStA-Leiterin Ilse-Maria Vrabl-Sanda im U-Ausschuss vergangene Woche. Die Hofrätin beklagte, dass die Arbeit ihrer Mitarbeiter vom suspendierten Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek und dem in der Vorwoche ebenfalls suspendierten Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Johann Fuchs, behindert wurde. Aus kürzlich veröffentlichten Chats geht hervor, dass Pilnacek allen Ernstes überlegte, einen Staatsanwalt observieren und E-Mail-Accounts sicherstellen zu lassen. Insgesamt sei das Verhalten ihrer früheren Vorgesetzten, so die WKStA-Chefin, nicht "integer" gewesen.

Vor allem Pilnacek ist nach Ansicht der Oppositionsparteien ein türkiser Erfüllungsgehilfe, der die Ermittlungen gegen die ÖVP in einem Chat als "Putsch" bezeichnete und sich erkundigte, wer Ex-Finanzminister Gernot Blümel auf dessen Einvernahme vorbereite.

Den Beweis, dass die ÖVP von außen direkt und systematisch Justizermittlungen sabotierte, hat der U-Ausschuss allerdings bisher nicht geliefert. Dieser Vorwurf sei nicht belegbar, sondern bloß "Gerede",so der ÖVP-Abgeordnete Christian Stocker.

Gewissermaßen in eigener ÖVP-Sache richtete Stocker im U-Ausschuss eine zentrale Frage an die geladene Justizministerin Alma Zadić (Grüne): "Gab es nach Ihrer Wahrnehmung politische Einflussnahme auf die Ermittlungen der WKStA im Ibiza-Komplex oder zumindest Versuche dazu?"Zadić zögerte und antwortete, diese Frage müsse vom U-Ausschuss geklärt werden, dem das Justizministerium dazu sämtliche Unterlagen übermittelt habe. Allerdings werden politische Interventionen eher selten veraktet.

Stocker fasste die Aussagen von Zadić so zusammen: "Ich halte fest, dass die Frau Justizministerin keine Wahrnehmungen zu politischen Einflussnahmen auf die Staatsanwaltschaft hat." Was nicht ganz präzise ist. Zadić wollte sich bloß nicht dazu äußern.

Das gestörte Verhältnis der ÖVP zur WKStA ist erwiesen. Schließlich führten deren Ermittlungen zum Rücktritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Dieser vermutet noch heute "rote Netzwerke" um WKStA-Chefin Vrabl-Sanda, obwohl deren Staatsanwälte auch SPÖ-Politiker und Grüne nicht verschonen.

Zuletzt hat Vrabl-Sanda zweifach für Aufmerksamkeit gesorgt. In einem Schreiben vom 16. März entzog sie der Sonderkommission Tape, die für die Polizeiarbeit in der Ibiza-Affäre zuständig ist, sämtliche Ermittlungsaufträge, da die Kriminalbeamten die Ermittlungen der Staatsanwälte "torpediert" hätten.

Am 21. März forderte sie forsch den Ausschluss der Rechtsschutzbeauftragten der Justiz, Gabriele Aicher, aus allen Ibiza-Belangen, weil diese die Arbeit der Staatsanwaltschaft mit falschen Vorwürfen kritisiert habe. "Die WKStA ist sehr konfliktfreudig, aber nicht konfliktfähig", kommentierte dies der ÖVP-Abgeordnete Stocker. Ganz falsch liegt er damit nicht: Im Vorjahr hatten Korruptionsstaatsanwälte eine "Presse"-Journalistin nach einem kritischen Artikel - erfolglos - angezeigt.

Und nun wurde bekannt, dass die WKStA sogar prüfte, gegen den Präsidenten der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, und zwar wegen Beihilfe zum Amtsmissbrauch in Zusammenhang mit verspäteten Aktenlieferungen von Ex-Finanzminister Gernot Blümel an den Ibiza-U-Ausschuss. Dieser hatte in der Angelegenheit die Finanzprokuratur zugezogen, weswegen auch Peschorn ins Visier der Staatsanwälte geriet. Intern beschwerte sich Peschorn deswegen massiv. Mittlerweile wurde berichtet, dass es mangels Anfangsverdachts kein Ermittlungsverfahren gegen Peschorn - und in dieser Causa auch nicht gegen Blümel - geben werde.

Die WKStA mag zu Hüftschüssen oder Alleingängen neigen und lieber eine Hausdurchsuchung zu viel als eine zu wenig anordnen. Ihr reinigendes Wirken ist aber unbestritten. Die Leistung der Staatsanwälte liegt darin, den Korruptionsbegriff erweitert zu haben. Was früher als typisch österreichisches Kavaliersdelikt galt, wird nun strafrechtlich verfolgt, etwa Postenschacher. So ermittelt die WKStA gegen ÖVP-Klubobmann August Wöginger wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch, da dieser im Finanzministerium für einen Parteifreund interveniert hatte. Und Mittwoch wurde bekannt, dass auch ÖVP-Nationalratspräsident und U-Ausschuss-Vorsitzender Wolfgang Sobotka nach einer Anzeige des früheren Abgeordneten Peter Pilz von der WKStA als Beschuldigter geführt wird. Im Jahr 2017, Sobotka war Innenminister, soll die ÖVP eine nicht genehme Kandidatin als Wiener Vizelandespolizeidirektorin verhindert und den Job einem der Ihren zugeschanzt haben.

Unbeirrt von allen Rücktrittsaufforderungen führte Sobotka vergangene Woche den Vorsitz im Untersuchungsausschuss. Man sehe keinen Anfangsverdacht, hieß es aus der ÖVP. Die Staatsanwaltschaft ermittle nur bei einem Anfangsverdacht, replizierte der grüne Koalitionspartner. Sobotka meinte gegenüber der "Kronen Zeitung", man wolle ihn einmal mehr "als Vorsitzenden des ÖVP-Korruptionsausschusses diskreditieren".Es sei "leider ein Zeichen unserer Zeit, dass der politische Diskurs zunehmend mit juristischen Mitteln geführt wird".

Nun ist Sobotka gewiss der falsche, um fragwürdige Methoden der Politik zu kritisieren. Hätte er etwas Gespür für Unvereinbarkeiten, würde er den Vorsitz im U-Ausschuss, den er zudem nicht gerade neutral führt, zurücklegen. Womit Sobotka aber richtig liegt: Die Justiz wird zunehmend ein Mittel im politischen Wettbewerb, auch im U-Ausschuss, der eigentlich nur politische Verantwortlichkeiten klären soll.

So müssen Auskunftspersonen im U-Ausschuss damit rechnen, dass die Protokolle ihrer stundenlangen Aussage im Nachhinein nicht nur nach offensichtlichen Lügen durchforstet werden, sondern auch nach kleinsten Widersprüchen. Wird etwas gefunden, folgt prompt eine Anzeige durch SPÖ oder NEOS. Die Sozialdemokraten zeigten im Jänner den ÖBB-Manager Arnold Schiefer wegen Falschaussagen im Ibiza-U-Ausschuss an. Aktuell muss der Kurzzeit-Finanzminister, Ex-Sektionschef und nunmehrige Finanzmarktaufsichts-Vorstand, Eduard Müller, juristische Konsequenzen befürchten.

Anzeigen der Opposition gegen Gernot Blümel nach dessen Auftritt im Ibiza-Ausschuss wurden niedergelegt. Die Ermittlungen gegen Sebastian Kurz wegen Falschaussage sind noch im Laufen. Manche Auskunftspersonen, wie unlängst ÖVP-Großspender Alexander Schütz, antworten bewusst vage, um jedes Risiko eines Widerspruchs zu vermeiden.

Auch der Respekt vor der Justiz geht im U-Ausschuss verloren, nicht nur aufseiten der ÖVP. Der SPÖ-Abgeordnete Jan Krainer warf der Staatsanwaltschaft Wien bei Ermittlungen zu schwarzem Postenschacher mehrfach Untätigkeit vor. Krainers Versuch, WKStA-Chefin Vrabl-Sanda vor dem U-Ausschuss zu einer Kritik an der Staatsanwaltschaft Wien zu verleiten, scheiterte allerdings. NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper wiederum kündigte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter an, das Gerichtsverfahren gegen Ibiza-Detektiv Julian Hessenthaler wegen Kokainhandels im U-Ausschuss "genau anschauen" zu wollen-obwohl zur Kontrolle von Gerichten nur andere Gerichte und keinesfalls Politiker befugt sind.

Doch dies sind eher stilistische Fragen. Im Mittelpunkt des U-Ausschusses steht handfeste Korruption. Der ÖVP droht dabei noch mehr Stress. Nach dem Willen der SPÖ soll sich der Ausschuss schon bald der Inseraten-Affäre um den ÖVP-Wirtschaftsbund in Vorarlberg widmen. Dessen Führungspersonal trat vergangenen Freitag zurück.

 

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.