Österreich

Unrundfunk: ORF unter Druck

340.000 Stimmen für Jux-Volksbegehren gegen GIS. Wer die geheimen Hintermänner sind und wie sich der ORF künftig finanzieren könnte.

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Es gibt Berufsgruppen, deren Job es ist, sich richtig unbeliebt zu machen: GIS-Kontrolleur ist eine davon. In den seltensten Fällen sind die Gebühreneintreiber des ORF willkommen. Schlimmer noch: Sie können mit ihrer Tätigkeit sogar ein Anti-ORF-Volksbegehren auslösen. Die Geschichte geht so: Im Dezember 2021 sei ein Kontrolleur vor einer Wohnung im 7. Wiener Bezirk gestanden. Als der Mieter die Tür öffnete, soll der GIS-Mann seinen Fuß in den Spalt geklemmt und vehement auf die Entrichtung der Gebühr gedrängt haben. Von dieser unangenehmen Begegnung berichtete der GIS-Verweigerer bei nächster Gelegenheit seinen Freunden beim Bier. So entstand die Idee für das Volksbegehren "GIS Gebühr abschaffen". Wenige Wochen später wurde es Realität. So erzählt einer der Initiatoren des Begehrens gegenüber profil. Er möchte anonym bleiben: "Es war eine Jux-Geschichte, die sich ein bisschen zum Selbstläufer entwickelt hat."

Das Volksbegehren hat folgenden Wortlaut

Der Bundesverfassungsgesetzgeber möge die GIS Gebühr abschaffen. Die von einem großen Teil der Bevölkerung als solche wahrgenommene abnehmende Programmqualität, eine fragwürdige Erfüllung des öffentlichen Bildungsauftrags, parteipolitische Besetzungen der Führungspositionen und des Stiftungsrats sowie die Abschaffung wichtiger Sportübertragungen rechtfertigen die bestehende Gebühr aus Sicht der Initiatoren nicht. Eine streng zweckgewidmete Gebühr zur Finanzierung von Ö1 ist hingegen legitim. 

Der öffentlich-rechtliche ORF kommt von mehreren Seiten unter Druck. Rechtsparteien, Verschwörungstheoretiker, alternative Blogger und Privatsender wie ServusTV kampagnisieren gegen den "Staatsfunk". Das Vertrauen in den Sender sinkt, die Zahl der GIS-Abmeldungen steigt. Die Gretchenfrage, wie sich der ORF künftig finanzieren soll, ist ungelöst. Mehr Geld wird es trotz eines klaffenden Budgetlochs nicht geben, so viel steht fest. Gerät der ORF in eine ähnliche Schieflage wie andere TV-Anstalten in Europa? Wohlgemerkt: Die Initiatoren des aktuellen GIS-Begehrens sind keine ORF-Hasser. Für den Kultur-und Klassik-Radiosender Ö1 wären sie bereit, eine zweckgewidmete Gebühr zu zahlen, nicht aber für ORF1 mit seinen vielen US-Serien. So steht es auch im Erklärungstext zum Volksbegehren. "Damit wollten wir uns von der FPÖ-Schwurblerecke abgrenzen",erklären die Initiatoren.Sie steckten keinen Cent in die Bewerbung. Sie unterhielten weder Websites, Facebookseiten, noch haben sie eine Kontaktadresse. Dennoch unterzeichneten 340.000 Menschen das Jux-Volksbegehren. Damit liegt es auf Augenhöhe mit dem Volksbegehren "ORF ohne Zwangsgebühren" aus dem Jahr 2018, das-vor Ibiza-vom damals reichweitenstarken FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz Christian Strache gepusht wurde. Diesmal ist der lauteste Unterstützer ein Bundespräsidentschaftskandidat: Ex-BZÖ-Chef Gerald Grosz. Die FPÖ unterstützte das Volksbegehren nur halbherzig. Was die Partei vom ORF hält, ist ohnedies bekannt. Hätte im Mai 2019 nicht der Ibiza-Skandal die türkisblaue Regierung gesprengt, wäre der ORF wohl radikal umgebaut worden-ohne GIS. So wollten es vertrauliche Pläne von ÖVP und FPÖ (profil berichtete).

Ringen um eine Digitalnovelle zum ORF-Gesetz-und ein neues Finanzierungsmodell

Der ORF ist nicht allein in der Malaise, das Wettern von Rechtspopulisten gegen das, was sie "System" und "Systemmedien" nennen, zeigt Wirkung. Das Konzept öffentlich-rechtlicher Sender steht europaweit auf dem Prüfstand. In Großbritannien wollen die konservativen Tories der BBC das Budget kürzen. Vor vier Jahren forderte eine Schweizer Volksinitiative, dass die Gebühren des SRF komplett gestrichen werden. Obwohl das Begehr damals mit deutlicher Mehrheit abgelehnt wurde, rollt bereits die nächste Attacke an: Eine neue Initiative will die Gebühren um 40 Prozent kürzen. Manchmal machen es die Anstalten ihren Gegnern auch leicht: In Deutschland musste ARD-Chefin Patricia Schlesinger ihre Funktion zurücklegen, nachdem bekannt geworden war, dass sie sich auf Senderkosten üppige Spesen und einen Audi A8-auch zur Privatnutzung-gönnte. Zudem soll ihr Mann Aufträge vom Sender bekommen haben.

Es war eine Jux-Geschichte, die zu einem Selbstläufer wurde.

Ein Initiator des Volksbegehrens "GIS abschaffen"

Ein gewisses Grundvertrauen in öffentlich-rechtliche Medien ist Basis für deren Finanzierung durch die Bürger. Im ORF-Zentrum am Küniglberg sorgt daher eine Zahl für Kopfzerbrechen. Wie aus dem "Digital News Report" 2022 hervorgeht, vertrauen nur noch 61,7 Prozent den Informationen des ORF-zum Vergleich: 2021 waren es noch 74 Prozent. Das ist ein Minus von zwölf Prozentpunkten in nur einem Jahr. Maßgeblich ist der Vertrauensverlust auf die polarisierte Stimmung während der Coronapandemie zurückzuführen. Eine gut vernetzte ORF-Redakteurin sagt: "Anders als ServusTV haben wir Sucharit Bhakdi und Co. nicht zu Wort kommen lassen. Das wird uns von einem Teil der Bevölkerung massiv negativ ausgelegt." Auch damit ist der ORF nicht allein: Unter dem Vorwurf, Teil der "Corona-Diktatur" zu sein, leiden viele (Qualitäts-)Medien.

ORF-General Roland Weißmann geht einen Schritt auf die privaten Medien zu: Die blaue Site orf.at halbiert ihr "zeitungsähnliches" Text-Angebot und setzt einen Schwerpunkt auf "Bewegtbild"

Dass Akteure, "die mit Lügen Politik machen, die Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten, mit öffentlich-rechtlichen Medien ein besonderes Problem haben",ist für Leonhard Dobusch "nicht sehr verwunderlich".Dobusch ist BWL-Professor an der Uni Innsbruck und Verwaltungsrat beim deutschen Sender ZDF. Er analysiert: "Ich bin überzeugt, dass die bessere Vernetzung von Verschwörungstheoretikern über Telegram-Gruppen die Angriffe befeuert." Ein Beispiel: Martin Rutter, eine zentrale Figur der Verschwörungstheoretiker-Szene, forderte seine 35.000 Telegram-Follower bereits im November des Vorjahres auf: "JETZT den ORF für seine Lügen bestrafen und GIS kündigen!"

Das GIS-Abmeldeformular ist unter Gegnern der "Systemmedien" längst ein Dokument des Widerstands geworden und wird im Netz aktiv geteilt. Bis Ende des Jahres rechnet der ORF mit 25.000 Abmeldungen. ORF-intern ein Alarmzeichen, aber noch keine existenzbedrohende Dimension angesichts von 3,6 Millionen GIS-Haushalten (280.000 davon gebührenbefreit)-das ist die überwältigende Mehrheit der vier Millionen Haushalte insgesamt im Land.

Allerdings schickten zuletzt nicht nur ORF-Hasser das GIS-Abmeldeformular ab, sondern auch Mediennutzer, die dem ORF neutral bis positiv gesinnt sind, sein Angebot aber nur im Internet streamen. Ohne klassisches Fernseh-oder Radiogerät sind sie derzeit von der Gebührenpflicht ausgenommen. Der ORF nennt das "Streaminglücke".Entsprechend groß war der Jubel am Küniglberg über das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) im Juli 2022: Gratis-Streamen von ORF-Inhalten widerspricht der Verfassung. Gebühr ist Gebühr. Bis Ende 2023 muss die Streaminglücke nun geschlossen werden.

In der Regierung wollte die FPÖ den ORF auflösen und neu gründen. Doch dann kam Ibiza.

Aber wie? Modelle wie eine Finanzierung direkt aus dem Staatsbudget wurden verworfen, auch deshalb, weil damit der Politdruck weiter steigen könnte. Nun gibt es zwischen ÖVP und Grünen ein Tauziehen: Zur Wahl stehen eine Haushaltsabgabe für alle, unabhängig von den Empfangsgeräten, und eine erweiterte GIS, die auch für digitale Endgeräte wie Computer, Laptops, iPads gilt. Auf eine Haushaltsabgabe haben die Schweiz und Deutschland umgeschwenkt, die Mehrzahl der EU-Länder finanziert ihre Sender aus dem Budget.

Die Grünen favorisieren eine Haushaltsabgabe, weil eine erweiterte GIS schwer zu kontrollieren sei. Die ÖVP sieht die Haushaltsabgabe als Steuer und will aber ihrem Slogan "keine neuen Steuern" treu bleiben. "Es ist in Zeiten wie diesen schwierig, über neue Steuern zu sprechen", kommentierte ÖVP-Medienministerin Susanne Raab auf den Medientagen.

"Es ist in Zeiten wie diesen schwierig, über neue Steuern zu sprechen", kommentierte ÖVP-Medienministerin Susanne Raab die aktuelle GIS-Debatte 

"Eine Haushaltsabgabe ist die einzig adäquate Form, alle Empfangsgeräte mitzubedenken",kontert die Mediensprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, gegenüber profil. Die Gesetzespassage zur GIS-Gebühr einfach um weitere Empfangsgeräte wie Laptops oder iPads zu erweitern, erachtet sie angesichts des raschen technischen Wandels als "retro".Außerdem müssten dann auch Handys miteinbezogen werden. "Wer soll eine Handy-GIS kontrollieren?",fragt sich Blimlinger. Eine Haushaltsabgabe würden die Grünen gerne sozial staffeln-mit einem Nulltarif für jene, die derzeit von der GIS befreit sind, einem Mittel-Tarif und einem Ober-Tarif für Gutverdiener. Eine österreichische Besonderheit: Von der aktuellen GIS-Gebühr in der Höhe von monatlich 28,25 Euro zwacken sich sieben von neun Bundesländern zwischen zwei und acht Euro ab. Damit finanzieren sie ein Bündel an Aktivitäten von Kultur über Sport bis Musikschulen oder Altstadterhaltung. Blimlinger geht nicht davon aus, dass die Länder darauf verzichten würden. Deswegen schlägt sie einen Ersatz aus dem Bundesbudget vor. Dadurch könnte die verbleibende ORF-Haushaltsabgabe im Vergleich zur aktuellen GIS sogar sinken-und das könnte der ÖVP die Angst vor einer neuen Steuer nehmen, so das Kalkül.

Alexander Wrabetz, ehemaliger ORF-Generaldirektor, sieht eine erweiterte GIS als einzig realistischen Weg.

Alexander Wrabetz war 15 Jahre lang ORF-Generaldirektor und als solcher bis vergangenen Sommer mit der Zukunft der ORF-Gebühren betraut. Er sieht eine erweiterte GIS als einzig realistischen Weg. Sein Hauptargument: der Zeitdruck. "In Deutschland dauerte die Einführung der Haushaltsabgabe zwei Jahre und war von einer hitzigen Debatte begleitet, die heute noch nachwirkt." Der VfGH habe der heimischen Regierung aber nur bis Ende 2023 Zeit gegeben, die ORF-Gebühren aufs Streamen auszuweiten. Smartphones könnte man wegen des kleinen Bildschirms sehr wohl ausnehmen von der Gebühr, ist Wrabetz überzeugt. Und die Kontrolle? Die könnte aus seiner Sicht künftig noch leichter fallen. Denn: "Wer hat heutzutage kein Internet und Smart-TV-fähiges Gerät daheim?"Als ORF-General hatte er es sich zum Ritual gemacht, die GIS-Kontrolleure einmal im Jahr zu begleiten. "Die meisten Leute, die wir an der Haustür an die Gebührenpflicht erinnerten, waren keine Hardcore-Verweigerer und meldeten sich schließlich an. Die meisten Österreicher nutzen ja die ORF-Programme und sind gesetzestreue Leute."

Ob GISplus oder Haushaltsabgabe-mit Mehreinnahmen kann der ORF unterm Strich nicht rechnen. Das hat auch Raab beim Branchenevent der Medienszene, den Medientagen, klargemacht: "Wir dürfen die Haushalte nicht zusätzlich belasten." Mit dem Budgetloch von 30 Millionen Euro in Folge der Teuerung muss das Unternehmen nun selbst zurande kommen. Die Einzahlung in die betriebliche Pensionskasse aller Mitarbeiter wurde wegen "zwingender wirtschaftlicher Gründe" ausgesetzt.

Dabei müsste das Unternehmen gerade jetzt massiv investieren, um junge Menschen überhaupt noch zu erreichen. Unter den 18-bis 24-jährigen Österreichern informieren sich laut Digital News Report 63,3 Prozent bevorzugt über Netzwerke wie Facebook, Instagram und TikTok. Traditionelle Medienangebote wie Radionachrichten (38 Prozent),Fernsehnachrichten (37,6 Prozent) oder gedruckte Zeitungen (14,4 Prozent) sind in dieser Altersgruppe nur mehr ein Minderheitenprogramm (lesen Sie hier ein Essay von ORF-Anchor Armin Wolf).

Akteure, die Fake News verbreiten, haben ein besonderes Problem mit Öffentlich-Rechtlichen.

Leonhard Dobusch, ZDF-Verwaltungsrat

Die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender ZDF und ARD investieren seit 2016 jährlich 45 Millionen Euro in das junge Digitalangebot "Funk".Dort werden reine Onlineformate entwickelt, die im linearen Fernsehen nie zu sehen sind. Die erfolgreichste Show läuft auf YouTube, dort erklärt die junge Wissenschafterin Mai Thi Nguyen-Kim Corona. Sie versammelt inzwischen 1,4 Millionen Abonnenten hinter sich "Der ORF darf das gar nicht. Aus der deutschen Perspektive wirkt die Mediengesetzgebung in Österreich versteinert und zurückgeblieben. Der ORF darf nur ins Netz stellen, was er vorher linear ausgestrahlt hat. Digital first oder gar digital only gibt es nicht",sagt Wissenschafter Leonhard Dobusch.

Was er nicht erwähnt: Eine Digitaloffensive des gebührenfinanzierten ORF auf YouTube, Facebook oder TikTok hätte privaten Medienhäusern, die ohnehin unter Druck stehen, noch weniger Luft zum Atmen gelassen. Besonders kritisch sehen die Verlage seit jeher die Dominanz der "blauen" Gratis-Site orf.at, die Konkurrenz zu den Digitalangeboten von Tageszeitungen und Magazinen darstellt. Wenn User auf orf.at Journalismus kostenlos geboten bekommen, warum sollten sie für Onlinezeitungen zahlen, lautet das Argument. Der Verein der Chefredakteure kritisierte im Juni, dass ein "fairer Interessensausgleich" derzeit nicht gegeben sei. Auf den Medientagen ging ORF-General Roland Weißmann nun einen Schritt auf die privaten Medien zu: Die blaue Site orf.at halbiert ihr "zeitungsähnliches" Text-Angebot: "Wir setzen auch bei ORF.at den Schwerpunkt auf Bewegtbild."Gerald Grünberger vom Verband der Zeitungsverleger (VÖZ) reagierte vorsichtig positiv auf den Vorstoß des ORF. Als Gegengeschäft könnte eine Digitalisierungsnovelle dem Sender-wie in Deutschland-mehr Spielraum bei der Onlinevermarktung seiner Inhalte geben. Der ORF wünscht sich schon länger ein Ende der Sieben-Tage-Regel, die ihn dazu zwingt, seine Videoinhalte nach einer Woche wieder zu löschen, und würde mit dem "ORF-Player" gerne eine zeitgemäße Streamingplattform starten.

Politische Diskussionen darüber laufen seit einem Jahrzehnt. Medienministerin Raab arbeitet an einer Lösung. Bis die Digitalnovelle und die Haushaltsabgabe wirklich kommen, werden sich die GIS-Kontrolleure noch eine Weile unbeliebt machen müssen.

Und wenn sie zu forsch Einlass begehren, riskieren sie ein neuerliches Volksbegehren.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.