Was bei illegalen Schönheitsstudios übersehen wird
Was haben die Stars Kylie Jenner, Ariana Grande, Tallulah Willis und Blac Chyna gemeinsam? Sie alle haben sich die Filler in ihren Gesichtern auflösen lassen. Sie sind damit nur wenige von vielen, die verkünden, dass sie nach Jahren Botox und Lippenfüller zurück zum „Ursprung“, also zum „natürlichen Mädchen von nebenan“-Look wollen. Aber der Trend zum Natürlichen ist nicht ganz echt.
In den vergangenen Jahren gingen Celebrities immer transparenter mit ihren Eingriffen um – so wollten sie vor allem jüngeren Fans zeigen, dass Instagram-Bilder täuschen können und ihr makelloses Aussehen nicht echt ist. Heute erzählen sie auf Social Media, dass sie es bereuen, „fake“ ausgesehen zu haben.
Sie propagieren stattdessen ein neues Schönheitsideal – eines ohne voller Lippen und gepolsterter Botox-Stirn. Das hat aber nichts mit der Akzeptanz eines natürlichen Selbst zu tun. In Hollywood entfernt man die Implantate aus seinen Brüsten, lässt sich aber dafür das Gesicht so straffen, dass man keine einzige Falte sieht. Schönheitseingriffe gibt es nach wie vor – sie werden nur wieder vertuscht. Der Trend zum Natürlichen hat mit Natürlichkeit nicht viel gemeinsam.
Diese Welle der falschen Natürlichkeit ist aus den USA auch schon lange nach Österreich übergeschwappt.
Im Juni startete die Stadt Wien eine Social-Media-Kampagne, um vor illegalen Beautystudios zu warnen: „Nur, weil viele es machen, heißt das nicht, dass es harmlos ist. Dein Körper ist wertvoll!", heißt es. Die Werbeaktion lenkte viel mediale Aufmerksamkeit auf das Thema. Die Gruppe Sofortmaßnahmen deckte kurz danach zwei illegale Beautystudios auf, in denen über mehrere hundert Patient:innen Botox und Lippenfüller gespritzt worden sein sollen.
Aber wieso gibt es in Österreich überhaupt illegale Schönheitssalons? Und was genau hat der feministische Rückschritt mit dem Diskurs zu tun?
Vielleicht sollte es in der Debatte um Schönheitseingriffe auch Platz für unvoreingenommene Gespräche mit Betroffenen geben – um herauszufinden, warum sie etwas an ihren Körpern verändern möchten: Ist es, weil gesellschaftliche Schönheitsnormen ihnen Druck machen, sich anpassen zu müssen, oder machen sie es, weil sie ihrer eigenen Ästhetik nachgehen möchten?
Den eigenen Körper zu gestalten, ist eine Ausdrucksform des Selbst und eine Kunstform für sich
Künstlerin und Influencerin
Denn auch, wenn das vorherrschende westliche Schönheitsideal gerade der „natürliche Look“ ist, gibt es trotzdem Menschen, die Schönheit und Ästhetik anders definieren. profil hat mit einer von ihnen gesprochen: Lea Neckel alias 69lean666 ist Künstlerin und Influencerin. Ihre Lippen lässt sie sich ein- bis zweimal im Jahr aufspritzen. Außerdem färbt sich Neckel ihre Haare pink und achtet stehts darauf, sich vorrangig rosa zu kleiden. Ihre Selbstdarstellung passt nicht zum natürlichen Look, der gerade propagiert wird. „Den eigenen Körper zu gestalten, ist eine Ausdrucksform des Selbst und eine Kunstform für sich“, sagt sie.
Neckel hat sich mit 17 Jahren zum ersten Mal die Lippen aufspritzen lassen – damals bei einem Schönheitschirurgen. Dass sie zu dem Zeitpunkt minderjährig war, fiel ihm nicht einmal auf. Für sie war es das erste und das letzte Mal in einem „legalen“ Beautystudio. Sie hatte schon früh eine genaue Vorstellung davon, wie sie aussehen möchte. Dem Arzt hat das allerdings nicht gefallen. Er weigerte sich, ihr den geforderten unnatürlichen Look zu verschaffen. Eine medizinische Begründung dafür gab es laut Neckel nicht. „Dicke Lippen fand er einfach nicht schön.“ Neckel war mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Außerdem hatte sie einen Knoten – ein Ergebnis verkapselter Fillerreste in ihrer Lippe, den sie nachträglich auflösen musste.
Ihren nächsten Termin buchte sie daher bei einem illegalen Studio, bei einer Frau, die hauptberuflich Krankenpflegerin ist und sich mit dem Aufspritzen von Lippen nebenbei etwas dazuverdienen wollte. Eine Bekannte empfahl ihr die Dame. Gleich nach dem ersten Termin wusste Neckel: Sie wird nie wieder zu einem Arzt gehen, um sich ihre Lippen aufspritzen zu lassen.
Die Frauen, die Lea Neckel aufsucht, sind zwar keine ausgebildeten Ärztinnen, arbeiten aber selbst in der Gesundheitsbranche, betont sie. Bei ihnen fühlt sich Lea Neckel mit ihrem unkonventionellen Sinn für Ästhetik akzeptiert. Finanzielle Vorteile hat sie davon keine – preislich liegen die Behandlungen im dreistelligen Bereich. Günstiger als beim offiziellen Beautydoc ist es nicht. Rechtlich ist Neckel schlechter gestellt: Bisher hatte sie zwar keine Komplikationen, aber sie ist sich bewusst, dass sie im Ernstfall juristisch nicht abgesichert wäre. Sie würde daher keinen anderen Eingriff als Lippenauffüllen bei einem illegalen Schönheitsdoc durchführen lassen. Ein Risiko geht sie aber auch so ein.
Lea Neckel, Künstlerin und Influencerin
„Vor allem als Frau überlegt man sich immer genau, ob und welchem männlichen Arzt man vertraut.“
Einzelne Fälle von Patient:innen, die ein Risiko eingegangen sind und es bereut haben, gibt es immer wieder. Im Februar klagte eine Frau in Wien einen Arzt wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung an, nachdem sie infolge einer illegalen Kinnstraffung schwere Verletzungen erlitten hatte.
Auch das Geschlecht spielt für Neckel eine Rolle – sie ist ausschließlich bei Frauen in (illegaler) Behandlung. Im Fachbereich der Ästhetischen Medizin überwiegen nämlich Schätzungen zufolge Männer, genaue Zahlen über das Geschlechterverhältnis gibt es allerdings nicht. Sexismus und Diskriminierungserfahrungen bei männlichen Ärzten sind keine Seltenheit. Erst vergangene Woche deckte das Magazin Dossier auf, dass ein Gynäkologe jahrelang Patientinnen eingeschüchtert und nicht ernst genommen hat. „Vor allem als Frau überlegt man sich immer genau, ob und welchem männlichen Arzt man vertraut“, so Neckel.
Außerdem kommen viele Ärztinnen und Ärzte aus „höheren sozioökonomischen“ Klassen – und haben deswegen ein anderes Verständnis für Ästhetik als „einkommensschwächere“ Schichten. Sie haben andere Schönheitsvorstellungen, können nicht nachvollziehen, warum Lea unnatürlich aussehen möchte.
Ihren Körper nach ihren Vorstellungen zu gestalten, ist für Neckel eine wichtige Ausdrucksform ihrer Selbst – und eine Kunstform, die ihr als Künstlerin wichtig ist. Dass ihre Ästhetik nicht zu dem aktuellen „Mädchen von nebenan“-Schönheitstrend passt, ist ihr bewusst.
Lea Neckel würde sich wünschen, dass auch Krankenpfleger:innen die Möglichkeit haben, legal Hyaluron oder Botox spritzen zu dürfen – mit einer Zusatzausbildung zum Beispiel. Relativ locker ist dieses Gesetz etwa in Großbritannien oder Irland: Da darf eigentlich fast jeder mit der Spritze ran. In den meisten anderen europäischen Ländern gelten jedoch dieselben Bestimmungen wie in Österreich – Hyaluron oder Botox dürfen nur Ärzt:innen injizieren. Würde man diese lockern, könnte Neckel zu ihrer Schönheitsbehandlung gehen, ganz legal.
Mitarbeit: Eva Sager