
Massive Zweifel an Stundenaufzeichnung von Klinikleiterin am AKH Wien
Um exakt 22.56 Uhr wird ein 16-Jähriger in die Notaufnahme des Wiener AKH eingeliefert. Sein rechter Ringfinger ist vollständig abgetrennt und hängt nur noch an einem dünnen Hautfetzen. Im Text nennen wir den Patienten Thomas; Name, Alter und Geschlecht wurden zum Schutz seiner Identität geändert. Nur wenige Minuten später, nachdem der Bursche im Krankenhaus eingetroffen ist, beginnt dort der routinierte Ausnahmezustand. Thomas wird stabilisiert und gegen Mitternacht in den OP gebracht. Um 00.48 Uhr beginnt der Eingriff. Es ist eine schwere, aber nicht hoffnungslose Verletzung. Die diensthabende Oberärztin entscheidet sich für eine Replantation – also einen Versuch, den Finger zu retten. Gegen zwei Uhr, während der Operation, möchte sie Rücksprache mit ihrer Vorgesetzten halten. Die leitende Ärztin war laut Dienstplan für die sogenannte Rufbereitschaft eingeteilt – das bedeutet: Im Fall eines medizinischen Notfalls muss sie telefonisch erreichbar sein und binnen kurzer Zeit zur Verfügung stehen.
Doch in dieser Nacht hebt niemand ab. Die Ärztin soll auch nicht auf das Foto des abgetrennten Fingers reagiert haben, das ihr per Chatnachricht zugeschickt wurde. Die diensthabende Oberärztin führt den Eingriff daraufhin ordnungsgemäß fort. Der Finger kann zunächst wieder angenäht werden. Zehn Tage später zeigt sich aber: Die Weichteilverletzung ist zu schwer, eine Amputation unvermeidlich. Der Fall liegt nun fast genau ein Jahr zurück, er ereignete sich am 7. Juni 2024. Medizinisch gesehen verlief die Behandlung zwar einwandfrei, trotzdem wirft diese Nacht ein Schlaglicht auf die Organisationsstruktur der Klinik, insbesondere auf die leitende Ärztin der Plastischen Chirurgie am AKH Wien. Interne Dienstpläne, die profil vorliegen, zeichnen das Bild eines strukturellen Problems. Im Fokus steht die Klinikleiterin, gegen die eine bemerkenswerte Zahl an Beschwerden aus der Belegschaft vorliegt.
Wie Recherchen von profil belegen, soll sich die Ärztin seit zumindest Anfang 2021 kurz vor Monatsende rückwirkend Dienste in den Dienstplan eingetragen haben. Laut MedUni Wien eine Handhabung, die „nur in Ausnahmefällen“ vorkommt. Im Fall der leitenden Ärztin scheint die Ausnahme aber eher zur gängigen Praxis geworden zu sein. Die Eintragungen folgen dabei meist einem auffälligen Muster. Immer wieder, kurz vor dem Stichtag zur Gehaltsabrechnung – die in der Regel rund um den 5. oder 6. des Folgemonats stattfindet – tauchen plötzlich bis zu einem Dutzend zusätzlicher Bereitschaftsdienste im Dienstplan der Ärztin auf. Dieses Ausmaß an nachträglich eingetragenen Diensten könnte sich durchaus auch finanziell bemerkbar machen, denn die Vergütung der Bereitschaftsdienste kommt am Ende des Monats zum Grundgehalt obendrauf. Pro Stunde sind das an Werktagen zwischen sieben und zehn Euro. An Sonn- und Feiertagen fällt der Zuschlag ab der neunten Stunde fast doppelt so hoch aus. Je nach Wochentag dauert ein Dienst zwischen 16 und 24 Stunden. Über die Jahre hinweg könnten auf diese Weise mehrere Zehntausend Euro zusammengekommen sein. Ob dieses Vorgehen, Dienste im Nachhinein einzutragen, mit der Personalsituation an der Klinik oder mit der zusätzlichen Abgeltung für diese Dienste zu tun hat, blieb unbeantwortet. In der Abteilung jedenfalls erhebt man diesen Vorwurf.