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Was Frauen tragen dürfen

Ein Erlebnis in der U-Bahn wirft eine bange Frage auf: Wie weit sind wir in der Selbstbestimmtheit von Frauen eigentlich gekommen?

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Sonntag, um die 35 Grad, in der U1 schwitzen die Leute auf dem Weg ins Bad. Auf dem Viererplatz rechts von mir hat ein junges Pärchen Platz genommen. Sie spricht laut, ich bekomme erste verstörende Satzfetzen mit. Dass sie die Hose – bodenlang, mit Blumenmuster – extra für ihn angezogen habe, sagt die junge Frau. Dass sie gerne einen Rock getragen hätte, sich aber nicht sicher sei: Wie lange müsse ein solcher denn mindestens sein?

Ironischerweise war ich gerade dabei, Elfriede Hammerls Kommentar über Abtreibungsrechte im aktuellen profil zu lesen. Doch jetzt gelingt es mir nicht mehr, mich darauf zu konzentrieren. Ich will die Antwort des jungen Mannes hören. Bisher hat er kaum gesprochen, auch jetzt antwortet er mit einer Geste. Seine Hand zieht eine Linie knapp über dem Knöchel.

Man kennt die Debatte von Erzählungen aus längst vergangenen Tagen. Der Streit in den 70ern mit dem Vater über die Länge des Minirocks („So gehst du mir nicht aus dem Haus!“), Bekleidungsvorschriften in der Arbeit (etwa: Stöckelschuh-Pflicht für Frauen) oder an Schulen (nicht zu knapp soll es sein, nicht bauchfrei). Während ich noch darüber nachdenke, merke ich, dass es plötzlich ruhig geworden ist am Viererabteil nebenan. „… so wie sie?“, höre ich das Mädchen flüstern. Ein verstohlener Blick in meine Richtung. Damit bin wohl ich gemeint. Da muss ich dann doch schauen – und sehe gerade noch sein heftiges Kopfschütteln: Nein, so eine kurze Hose, wie ich sie an diesem Tag trage, ist bestimmt nicht drin.

Der schwache Mann

Man könnte sich jetzt darüber aufregen, dass ein ungefähr 20-jähriger Mann einer ihm unbekannten, deutlich älteren Frau (mir) das Recht absprechen will, sich zu kleiden, wie es ihrem Befinden und den Temperaturen entspricht. Nur: Mir kann es egal sein, es verunsichert mich nicht. Aber was ist mit Jüngeren? Die Freundin wird sich wahrscheinlich an die absurden Vorschriften ihres Freundes halten, offenbar sieht sie ihn als Instanz, die darüber, was sie zu tragen hat, besser Bescheid weiß als sie selbst.

Und was ist mit den jungen Frauen und Mädchen an den Schulen? Die Journalistin Melisa Erkurt hat für die Zeitung „Biber“ schon vor Jahren darüber berichtet, wie Teenager versuchen, ihren Schulkolleginnen verquere Bekleidungsvorschriften aufzuzwingen. Die Trennung zwischen „haram“ (sündig, verboten) und „halal“ (erlaubt) erfolgt unter Berufung auf den Islam, betroffen sind vor allem Brennpunktschulen.

Die Argumentation der Burschen ist dieselbe wie jene der Väter in den 1970er Jahren: Sexy Kleidung macht Männer schwach und verführt sie zu Dingen, die sie eigentlich gar nicht wollen.

Ich finde das Argument vom schwachen Mann ehrlich gesagt ziemlich unmännlich. Es ist nicht gerade ein Zeichen von Stärke, wenn die eigenen Triebe angesichts von ein paar Zentimeter nackter Haut völlig außer Kontrolle geraten. Abgesehen davon stelle ich fest, dass wir wohl doch einen gewissen Fortschritt erreicht haben – sonst wäre mir die seltsame Auseinandersetzung in der U-Bahn kaum als außergewöhnlich aufgefallen.

Der junge Mann trug an diesem Sonntag übrigens auch eine kurze Hose. Sie war um wenige Zentimeter länger als meine.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.