Was kommt nach dem Lockdown für Ungeimpfte?

Die Infektionszahlen steigen weiter, die Spitäler sind überlastet, der Kanzler verkündet einen Lockdown für Ungeimpfte. Ist dieser überhaupt verfassungskonform? Und kommt die Impfpflicht?

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"Politisches Versagen". So fasst die "Neue Zürcher Zeitung" das Pandemie-Krisenmanagement der österreichischen Bundesregierung zusammen. Die türkis-grüne Koalition habe es nicht vermocht, "einen genügend großen Teil der Bevölkerung von der Notwendigkeit der Vakzine zu überzeugen".

Das Mantra von Ex-Kanzler Sebastian Kurz, die Pandemie sei für Geimpfte vorbei, erweist sich heute als Falschaussage. Auch die Garantie von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein vom Juni, es werde im Herbst 2021 anders sein als im Herbst 2020, ist geplatzt. Am Ende des Tunnels ist kein Licht mehr sichtbar, die Republik steckt im finsteren Loch. 12.000 Neuinfektionen täglich; Intensivstationen an der Kapazitätsgrenze; und am Freitag stuften die deutschen Behörden Österreich als Hochrisikogebiet ein.

Maßnahmen-Spielraum der Regierung eingeschränkt

Wie konnte das passieren? Zweifellos liegt politisches Versagen vor, doch ist der Handlungsspielraum der Regierung beim Krisenmanagement nicht unbegrenzt. Bundesverfassung und Realverfassung verhindern das von Wissenschaft und Teilen der Opposition geforderte harte Durchgreifen.

So musste Wolfgang Mückstein auf die peinliche Tour lernen, wo die wahre Macht im Land liegt. Schon Mittwoch vergangener Woche forderte er von den Landeshauptmännern von Salzburg, Wilfried Haslauer, und Oberösterreich, Thomas Stelzer, angesichts der hohen Inzidenzen einen regionalen Lockdown für Ungeimpfte. Doch die Landeshauptmänner wiesen den Plan zurück. Haslauer meinte, man könne nicht immer nur "der virologischen Wahrheit" folgen. Und Stelzer schlug vor, noch eineinhalb Wochen zuzuwarten.

48 Stunden später war alles anders, ein Lockdown in Salzburg und Oberösterreich beschlossene Sache. Bloß die Verantwortung dafür wollten weder Stelzer noch Haslauer übernehmen. Der Lockdown wird per Verordnung des Bundes, nicht durch das Land angeordnet. Denn seiner Meinung nach, so Haslauer, sei dieser nicht notwendig. Verschärfungen wie eine Erweiterung der Maskenpflicht, Einschränkungen in der Gastronomie, Alkoholverbot auf Christkindlmärkten und eine Ausweitung der 2G-Regel würden ausreichen. Aber: "Wenn der Bund die Einschätzung ändert, halte ich mich daran." Thomas Stelzer klang da schon besorgter. Die Lage im Land sei "dramatisch". Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler Universitätsklinikum Linz, kommentierte den Sinneswandel lakonisch: "Offenbar muss es einen gewissen Leidensdruck geben."

Der Trost für Stelzer und Haslauer: Sie sind in ihrem Schicksal nicht allein. Seit Montag gilt der Lockdown für Ungeimpfte österreichweit. So hatte es Kanzler Alexander Schallenberg Freitagmittag in Tirol verkündet - offenbar ohne sich zuvor mit dem grünen Vizekanzler Werner Kogler und seinem Gesundheitsminister intensiver abgesprochen und ohne die Landeshauptleute informiert zu haben, was vor allem in Wien und Eisenstadt zu Gegrummel führte. Schließlich ist die Infektionslage in der Bundeshauptstadt und im Burgenland wesentlich günstiger als im Westen und ein Teil-Lockdown nicht notwendig. Allerdings folgt der Kanzler mit seiner Ankündigung der Corona-Ampel-Kommission, die am Donnerstag empfahl, den Lockdown für Ungeimpfte "bundesweit auszurollen".

Stufenplan überholt

Der erst vor drei Wochen adaptierte Fünf-Stufenplan der Regierung ist damit bereits überholt. Für Ungeimpfte im Land gelten wieder die altbekannten Regeln: Hinaus darf man nur, um zur Arbeit zu gelangen; anderen Menschen zu helfen; für notwendige Erledigungen; um sich die Beine zu vertreten.

Wucht und Tempo der vierten Welle überforderten die Koalition. Thomas Stelzer spricht von einer "Vervielfachung in der Steigerung". Selbst die Experten hätten die Dynamik nicht vorhergesehen. Was so nicht stimmt: Die EU-Seuchenbehörde ECDC warnte im Oktober deutlich vor einer Überlastung der Spitäler im November (siehe faktiv-Faktencheck). Aber wahr ist auch, dass noch Ende Oktober nicht einmal das für gewöhnlich pessimistische Covid-Prognosekonsortium mit einem so dramatischen Anstieg gerechnet hatte. Zudem war es nicht nur hausgemachter Schlendrian, der die jetzige Notlage auslöste. Eine Rolle spielt wohl auch die heftige Infektionswelle in weiten Teilen Osteuropas, etwa in Rumänien und Bulgarien. Allein durch die Arbeitsmigration kommt es zwangsläufig zu einer Weiterverbreitung über die Grenzen.

Ob ein paar in der Rückschau misslungene Politikeransprachen den großen Unterschied ausmachen, ist fraglich. Angela Merkel hat - anders als ihr ehemaliger Amtskollege in Österreich - die Pandemie nicht für quasi beendet erklärt. Dennoch steigt die Inzidenz auch in Deutschland rasant. Nimmt man die Zahl der belegten Intensivbetten und die täglichen Covid-Todesfälle als Maßstab, ist die Lage beim großen Nachbarn nicht viel rosiger als zwischen Eisenstadt und Bregenz. In Deutschland wird nur weniger getestet. Und wie hierzulande sieht sich auch die deutsche Bundesregierung Vorwürfen ausgesetzt, beim Krisenmanagement versagt zu haben.

Lockdown für Ungeimpfte rechtlich zulässig?

Ungeklärt ist die rechtliche Zulässigkeit eines Lockdowns allein für Ungeimpfte. "Die Frage ist immer, ob es eine sachliche Begründung für die Differenzierung gibt", sagt der Tiroler Verfassungsjurist Peter Bußjäger. "Solange in den Intensivstationen vorwiegend Ungeimpfte liegen, kann man Einschränkungen wohl begründen. Aber je mehr Impfdurchbrüche es gibt, umso kritischer wird es für diese Argumentation." Ohnehin könne man nie mit Sicherheit vorhersagen, wie der Verfassungsgerichtshof entscheiden werde. Bußjäger verweist auf eine Entscheidung jüngeren Datums, bei der es um die Gastronomie in Vorarlberg ging. Landeshauptmann Markus Wallner hatte Skihütten, die auf dem Straßenweg nicht zu erreichen sind, im vergangenen Winter die Ausgabe von Take-away-Speisen und -Getränken verboten. Dieses Verbot sei rechtswidrig gewesen, entschied der Verfassungsgerichtshof. Die Erreichbarkeit über eine Straße sei kein sachliches Kriterium.

Die Wiener Anwälte Florian Höllwarth und Alexander Scheer brachten bereits einige Beschwerden gegen die Covid-Verordnungen ein und kämpfen jetzt auch gegen Einschränkungen für Ungeimpfte. "Unser Argument ist im Wesentlichen, dass Tests die bessere Lösung wären, um das Infektionsgeschehen zu bremsen. Wie sich zeigt, lässt die Wirkung der Impfungen sehr stark nach. Ein PCR-Test wäre sicherer", sagt Scheer.

Der Haken bei all diesen Aktivitäten: Bis zu einem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs vergehen Monate, manchmal Jahre. Es wird also erst im Nachhinein feststehen, ob die Maßnahmen gegen Ungeimpfte rechtmäßig waren oder nicht.

Noch mehr Kopfzerbrechen bereitet die Frage, wie ein Lockdown für Ungeimpfte überhaupt kontrolliert werden soll. Die Polizei fühlt sich nicht zuständig. Das sei die Aufgabe der Gesundheitsbehörden, erklärte Hermann Greylinger, Vorsitzender der SPÖ-Fraktion in der Polizeigewerkschaft. Internationale Vorbilder für einen solchen Teil-Lockdown gibt es nicht. Rumänien hat als bisher einziges Land zwar ähnliche Beschränkungen für Ungeimpfte eingeführt - diese gelten aber nur in der Nacht, wenn ohnehin weniger Leute unterwegs sind. Wie es tagsüber, etwa in einer belebten Innenstadt, gelingen soll, Ungeimpfte dingfest zu machen, ist völlig unklar. "Sollen wir die Straßen abriegeln, um ein paar Ungeimpfte zu erwischen?", kritisierte der ÖVP-Gewerkschafter Reinhard Zimmermann schon vor einer Woche im profil-Gespräch.

Effizienter zu kontrollieren wäre ein Lockdown für Ungeimpfte, wenn 2G auch am Arbeitsplatz gelten würde. Das ist aber nicht geplant. Gesundheitsminister Mückstein regte lediglich an, dass wieder mehr Menschen im Homeoffice arbeiten sollten. Der Appell mutet etwas hilflos an. Denn diese Maßnahme greift gerade dort nicht, wo tendenziell mehr ungeimpfte Arbeitskräfte werken: im Lager, am Bau, im Supermarkt, beim Friseur, im Beisl.

Einen generellen Lockdown schließt Kanzler Schallenberg kategorisch aus. Doch so mancher Experte in der Ampel-Kommission glaubt nicht, dass die vierte Welle mit Beschränkungen für Ungeimpfte allein zu brechen sei. Denn auch Geimpfte können sich, wenn auch mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit, anstecken und andere infizieren. Daher sei es auch schlicht falsch, von einer "Pandemie der Ungeimpften" zu sprechen, so der Berliner Virologe Christian Drosten in der "Zeit".

Doch Lockdown für alle?

Ein Lockdown für alle ist - trotz aller Dementis der Regierung - eine Möglichkeit, sollten die nun beschlossenen Maßnahmen nicht greifen. Die NEOS wollen unbedingt verhindern, dass Geimpfte und Genesene wieder in die Ziehung kommen. "Ein Lockdown für Geimpfte darf einfach keine Option mehr sein", forderte der stellvertretende Klubobmann Gerald Loacker. Auch 2G habe man nicht gewollt, sagt er zu profil. "Aber jetzt hat die Bundesregierung so lange zugewartet, bis nichts anderes mehr ging." Von einer "Bankrotterklärung der Koalition" spricht auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.

Man hätte Nichtgeimpfte aktiv einladen müssen, meint Gerald Loacker, und zwar gleich mit einem fixen Impftermin. "Wir haben schon im Juni gefordert, dass Corona-Tests nicht mehr gratis sein sollen", so Loacker. "Auch das wäre ein Anreiz, sich impfen zu lassen."

Gegen diese Forderung sprechen allerdings die Erfahrungen in Deutschland. Seit einem Monat müssen Ungeimpfte dort für Corona-Tests zahlen. Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn will das jetzt ändern und doch wieder Gratistests anbieten. Die Maßnahme habe sich nicht bewährt, heißt es.

Impfpflicht als Ausweg?

Klar ist: Ohne höhere Impfraten ist eine fünfte Welle programmiert. Gesundheitsminister Mückstein kündigte am Freitag eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe an. Doch auch die Diskussionen über eine allgemeine Impfpflicht werden intensiver. Aus Sicht des Wiener Anwalts Florian Horn, der sich seit Beginn der Pandemie mit der einschlägigen Gesetzgebung befasst, handle es sich bei den geplanten Einschränkungen für Ungeimpfte ohnehin um eine verkappte Impfpflicht: "Das heißt, wir werden klären müssen, ob eine Impfpflicht verfassungsrechtlich halten würde. Ich glaube, das würde sie." Er persönlich hielte die Impfpflicht auch für den geraderen, ehrlicheren Weg. "Was wir jetzt haben, öffnet wieder einmal die Tür für behördliche Willkür."

Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer sagte gegenüber dem "Standard", er halte einen Volksentscheid über eine allgemeine Impfpflicht für prinzipiell möglich, als "letzten Ausweg".

Es wäre eine Abschiebung der Verantwortung auf die Bürgerinnen und Bürger. Dass die Bundesregierung unpopuläre Maßnahmen scheut, beweist eine vorwöchige Wortmeldung von Kanzler Alexander Schallenberg: "Es wäre absurd gewesen, im Sommer, in einer Phase, in der es nicht notwendig war, Maßnahmen zu verhängen, die die Menschen nicht akzeptiert hätten."

Rosemarie Schwaiger

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.