Verwunderlich ist, dass die Stadtregierung nicht sehr viel früher gegensteuerte. Im Jahr 2020 wurde die Haushaltssystematik – reichlich spät – auf ein komplexeres System umgestellt, das bald zeigte: Wien hat kein von der Konjunktur abhängiges Defizit – das je nach Wirtschaftslage mal größer, mal geringer ausfällt –, sondern ein strukturelles. Die laufenden Fixkosten sind höher als die Fixeinnahmen. Dazu wächst die Stadt bei derzeit zwei Millionen Einwohnern kontinuierlich an, was die Ausgaben für die notwendige Infrastruktur weiter in die Höhe treibt.
Die Coronapandemie gilt nur bedingt als Ausrede. Tatsächlich verursachte sie auch in Wien Milliarden-Kosten. Allerdings zeigt die Statistik, dass der Schuldenstand Wiens ausgerechnet von 2021 auf 2022 zurückging.
Selbst verschuldetes Defizit
Anschaulich wird das selbst verschuldete strukturelle Budgetproblem am öffentlichen Verkehr. Am 1. Mai 2012 setzte die rot-grüne Regierung stolz ihr Leuchtturmprojekt um: eine Jahreskarte für alle Öffis um 365 Euro. Es wurde eine teure Marketingmaßnahme. Jahr für Jahr unterstützte die Stadt die Wiener Linien, da die Fahrscheine die Betriebskosten nur zu 60 Prozent deckten und der Preis nie an die Inflation angepasst wurde. Allein 2024 musste die Stadt 485 Millionen Euro für den Betrieb zuschießen. Laut der erst kürzlich im Firmenbuch veröffentlichten Jahresbilanz für 2024 verdreifachte sich der Verlust der Wiener Linien von 102 Millionen (2023) auf 378 Millionen Euro im Vorjahr.
Vergangene Woche gab Verkehrsstadträtin Ulli Sima schließlich bekannt, dass die Jahreskarte ab 2026 467 Euro kosten wird. Im Wahlkampf für die Gemeinderatswahl im April hatte Bürgermeister Michael Ludwig noch gelobt, den Preis des Öffi-Tickets nicht zu erhöhen. Der Vorwurf von Peter Hanke an die frühere Bundesregierung, Prestigeprojekte umgesetzt zu haben, ohne sich „um eine Gegenfinanzierung zu kümmern“, trifft also auch auf Ludwig und seine SPÖ zu. Wien ist hier nicht anders.
Nicht zuletzt dank seiner Wahlversprechen gewann Ludwig die Gemeinderatswahl am 27. April mit 39,4 Prozent. Die FPÖ kam auf 20,35 Prozent, die Grünen auf 14,5 Prozent und die ÖVP auf 9,65 Prozent. Mit den Neos (10 Prozent) ging Ludwig wieder eine rot-pinke Koalition ein.
Die neue Finanzstadträtin Barbara Novak, SPÖ, muss nun in einem Gewaltakt das Budget sanieren. profil fragte nach, ob das von Hanke für 2025 avisierte Defizit von 3,8 Milliarden Euro überhaupt zu halten ist. Laut Auskunft von Novaks Büro arbeite die Stadtregierung „mit Nachdruck“ an einer Konsolidierung.
FPÖ-Landesparteichef und Stadtrat Dominik Nepp glaubt nicht, dass aus Michael Ludwig ein Sparefroh wird: „Bürgermeister Ludwig steuert die Stadt Wien sehenden Auges in den finanziellen Abgrund. Die Infrastruktur in unserer Stadt ist auf Verschleiß gefahren – von kaputten Straßen über marode Schulen bis hin zu fehlenden Investitionen in den öffentlichen Raum – und trotzdem gibt es keinen Plan zur Budgetkonsolidierung. Stattdessen verteilt die rot-pinke Stadtregierung jedes Jahr rund 700 Millionen Euro an Mindestsicherung für Nicht-Österreicher.“
Der Bürgermeister verlangte von seinem Ressort im April, das Stadtbudget noch heuer im Ausmaß von 500 Millionen Euro zu konsolidieren, ein Drittel davon einnahmenseitig, zwei Drittel ausgabenseitig. Neben dem Öffis-Jahresticket werden auch die Parkgebühren um 30 Prozent angehoben. Die Erhöhungen werden im Neusprech der Stadt launig als „Qualitätssicherungspaket“ bezeichnet.
Kürzungen gibt es auch im Sozialbereich. Wohl zu Recht: Allein die Ausgaben für die Mindestsicherung verdoppelten sich von 2015 (dem Jahr des ersten großen Flüchtlingszuzugs) bis 2024 von 540 Millionen Euro auf eine Milliarde Euro. Von den etwa 180.000 Beziehern stammen 62 Prozent (Quelle: Statistik Wien für 2023) nicht aus Österreich. Nun will Ludwig durch diverse Maßnahmen die Ausgaben für die Mindestsicherung um 115 Millionen Euro pro Jahr reduzieren.
Weniger Spitalsbetten?
Wie angespannt die Situation ist, geht aus einem im Juni bekannt gewordenen Schreiben der Magistratsabteilung 5 (Finanzwesen) vom November 2024 hervor. Darin wird gewarnt, dass die 2026 erwarteten Mehrkosten bei der Mindestsicherung „durch Reduktion in anderen Bereichen im Budget der Geschäftsgruppe Soziales, Gesundheit und Sport zu bedecken sein werden oder durch Änderung von rechtlichen Rahmenbedingungen erheblich reduziert werden, weil eine Finanzierbarkeit ansonsten nicht darstellbar ist.“
Doch Kürzungen bei Sozialleistungen allein werden nicht reichen. Um das Budget zu sanieren, muss die Stadt bei den großen Ausgabenposten ansetzen. Der „Kurier“ berichtete vergangene Woche über Pläne, den Ausbau des Wiener U-Bahn-Netzes zu drosseln.
Laut profil-Informationen droht aus Spargründen ein Eingriff, der noch viel mehr Aufruhr auslösen könnte als Verzögerungen beim U-Bahn-Ausbau. So soll die Stadtregierung überlegen, bis zu 800 Betten in den Wiener Spitälern einzusparen. Auch diese Maßnahme wäre zweckmäßig. Die Ausgaben für den Gesundheitsbereich stiegen von 2018 auf 2023 um 41 Prozent an. Insgesamt könnte die Stadt bei der Gesundheit laut profil-Informationen weitere 500 Millionen Euro kürzen.
Die Ausgaben für die rund 67.000 Mitarbeiter der Stadt – darunter Verwaltungsbeamte, Krankenpfleger, Ärztinnen, Lehrer, Feuerwehrleute und Müllaufleger – sowie für die 18.000 Mitarbeiter der Stadtwerke beliefen sich 2024 auf 3,9 Milliarden Euro. Damit lagen sie um 164 Millionen über dem ursprünglich budgetierten Voranschlag. Wie viele andere Kommunen spürt auch Wien die stark gestiegenen Gehälter, die durch Inflationsausgleiche verursacht wurden. Die Hoffnungen der Stadt richten sich nun auf die Bundesregierung und die bevorstehenden Verhandlungen mit den Gewerkschaften für Beamte und Gemeindebedienstete. Gelingt es Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) und Staatssekretär Alexander Pröll (ÖVP), die für 2026 bereits fixierten Abschlüsse noch zu senken, würde auch Wien davon profitieren
Das Sparprogramm trifft auch die 23 Gemeindebezirke. Die automatische Erhöhung der Bezirksbudgets wird 2026 ausgesetzt. Insgesamt sollen so 17 Millionen Euro eingespart werden. Wiens ÖVP-Chef Markus Figl, Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, ist empört: „Statt bei sich selbst zu sparen, dreht die SPÖ-Neos-Stadtregierung immer weiter an der Gebühren- und Belastungsschraube. Und zusätzlich wird nun auch noch den Bezirken das Budget gekürzt. Und dies, obwohl es gerade die Bezirke sind, die im Alltag für die Wienerinnen und Wiener mit ihrer Bürgernähe den direkten Draht zu den Menschen sicherstellen.“ Tatsächlich könnte Wien seine Verwaltung straffen. Das Rathaus leistet sich 56 Magistratsabteilungen, wobei die kleinste, die MA 8 (Wiener Stadt- und Landesarchiv), 2024 gerade einmal 232.000 Euro ausgab.
Schuldenkollaps?
Greifen all die Konsolidierungsmaßnahmen nicht und beträgt das Defizit 2025 tatsächlich 3,8 Milliarden Euro, könnten die Gesamtschulden Wiens von 11,9 Milliarden Euro 2024 auf 15,8 Milliarden anwachsen. Rechnet man zu den Finanzschulden sämtliche Verbindlichkeiten ausgelagerter Einheiten wie Wiener Wohnen, Wien Kanal und des Wiener Gesundheitsverbunds dazu, beträgt die gesamte Verschuldung der Stadt derzeit rund 31,5 Milliarden Euro.
Null Problemo, heißt es aus dem Rathaus, wenn vor einem drohenden Schuldenkollaps gewarnt wird. Das Argument: Die Stadt verfüge über ein langfristiges Gesamtvermögen von 34,4 Milliarden Euro. Dieses besteht aus Unternehmensbeteiligungen, Immobilienbesitz und immateriellen Vermögenswerten. Allerdings verschweigt das Rathaus gern die andere Seite der Bilanz, die im Rechnungsabschluss der Stadt für 2024 aber leicht zu finden ist. Demnach stehen dem Vermögen langfristige Fremdmittel in Höhe von 55,6 Milliarden gegenüber. Das Nettovermögen liegt daher bei minus 20 Milliarden Euro. Wäre die Stadt Wien ein privater Konzern, wäre das Eigenkapital schwer negativ.
Nun muss auch dieses Stadtvermögen angezapft werden. Im rot-pinken Koalitionsvertrag (Motto: „Aufschwung“) ist angekündigt, die Ausschüttungen von Dividenden der Wiener Stadtwerke, in deren Eigentum unter anderem die Wien Energie steht, „signifikant“ zu erhöhen. Zuletzt schütteten die Stadtwerke 2022 eine Dividende an die Stadt aus, damals in Höhe von 16 Millionen Euro. Da geht noch mehr: Im Jahr 2023 betrug der Überschuss der Stadtwerke immerhin 762 Millionen Euro. Allerdings: Das Unternehmen will bis 2028 8,8 Milliarden Euro investieren, etwa in die U-Bahn und die Infrastruktur für erneuerbare Energien, um Wien bis 2040 klimaneutral zu machen. Jede Million, die an die Stadt ausgeschüttet wird, fehlt den Stadtwerken für zukünftige Investitionen.
Wie zu vernehmen ist, will Barbara Novak das Sparprogramm beinhart durchziehen. Im Mikrobereich hat sie schon begonnen. Förderungen werden gekürzt, etwa für das Internationale Institut für den Frieden, den Auslandsösterreicher-Weltbund oder die Freunde des Militärkommandos Wien. Auf ihren Vorgänger Hanke soll Novak nicht gut zu sprechen sein.
Einen kleinen Lichtblick im Budgetdunkel gab es zu Wochenbeginn. Der Finanzausschuss des Gemeinderats beschloss zusätzliche Mittel in Höhe von sechs Millionen Euro für das Stadtmarketing Wien. Schließlich will sich die Bundeshauptstadt beim im Mai 2026 stattfindenden Song Contest von ihrer besten Seite präsentieren – trotz Sparzwang.