Radfahrer in Wien
Mobilität

Wien will eine Radfahrer-Stadt werden - wieder einmal

SPÖ-Stadträtin Ulli Sima verspricht eine Radweg-Offensive. Dürfen die Radler diesmal auf echte Verbesserungen hoffen – und wenn ja, wo?

Drucken

Schriftgröße

Rechtzeitig zum Frühlingsbeginn meldet sich die Stadt Wien zur Präsentation ihrer neuen Radwege-Offensive. Knapp 19 km an neuen Strecken sind für 2024 an 45 Standorten geplant. Das  erklärte Ziel von Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ): Den Fahrradanteil des Modal Splits (Wahl des Verkehrsmittels) von derzeit neun Prozent durch ein flächendeckendes Radnetz zu erhöhen. „Als ich das Ressort übernommen habe, dachte ich, dass es in Wien ein gutes Fahrradnetz gibt. Relativ schnell wurde ich eines besseren belehrt - es ist lückenhaft”, sagt Sima im profil-Interview selbstkritisch. Wien hätte ein gutes Straßen- und Öffinetz, das Radwegenetz wäre im derzeitigen Zustand beschämend, gibt die Stadträtin zu, die das Stadtplanungsressort vor drei Jahren von Birgit Hebein (Ex-Grüne) übernommen hatte.

Diese Töne aus dem Rathaus sind neu und sie sind richtig: Denn anders als europäische Metropolen wie Kopenhagen oder Amsterdam wurde eine Fahrradoffensive in Wien zwar oft angekündigt, aber nie ernsthaft umgesetzt. Wird es diesmal wirklich anders werden? profil konnte im Rathaus einen Einblick in die Planungsskizzen nehmen.

Im Westen was Neues

Vom Urban-Loritz-Platz bis zur Johnstraße zieht sich auf der Hütteldorfer Straße ein 1,6 km langer Mehrzweckstreifen zwischen Schrägparkern und motorisierten Fließverkehr. Neu ist: Heuer soll er durch einen separaten Zweirichtungsradweg ersetzt werden. Die Stadt ist baufreudig, denn in den Folgejahren soll sich die Strecke weiterziehen: 2025 bis zur Leyserstraße und 2026 bis zur Pachmanngasse im 14. Gemeindebezirk. 

Wie in den Vorjahren widmen sich die Stadtplaner auch den Außenbezirken jenseits der Donau. Während in der Donaustadt schon Fahrradstraßen errichtet wurden, soll heuer Floridsdorf ins Visier genommen werden. Die Floridsdorfer Hauptstraße soll einen Fahrradweg samt neuer Begrünung erhalten. In der langfristigen Strategie sollen die Hauptwege soweit ausgebaut werden, dass auch Niederösterreich ans Radwegenetz angeknüpft wird. “Früher ist niemand 15 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren, durch E-Bikes sind längere Strecken inzwischen einfacher zu bewältigen”, sagt Sima. 

Virtuelle Simulation über neuen Radweg in Floridsdorf

Neuer Radweg: Floridsdorfer Hauptstraße

Die Floridsdorfer Hauptstraße soll einen Fahrradweg samt neuer Begrünung erhalten. In der langfristigen Strategie sollen die Hauptwege soweit ausgebaut werden, dass auch Niederösterreich ans Radwegenetz angeknüpft wird.

Neben Lückenschlüssen der vorhandenen Radinfrastruktur setze die Stadt bei vier von fünf Radwegen auf baulich getrennte Fahrradwege oder Fahrradstraßen - der Schnellstraße unter den Radwegen. Die unbeliebten Pop-Up-Wege oder Mehrzweckstreifen versuche die Stadt Wien eher zu vermeiden. Wo genau die neuen Radwege für 2024 errichtet werden, finden Sie hier

Das neue Radnetz Wiens

Verkehrsentlastung durch Zweiräder

„Wenn die Menschen aufs Rad steigen, dann wird die U-Bahn entlastet und damit sind auch andere Verkehrsmittel entlastet", sagt der städtische Planungsdirektor Thomas Madreiter im profil-Gespräch. Wien stehe im Spannungsverhältnis zwischen Einheimischen und Pendlern - geht es nach der Stadt, müsse man den Anteil des motorisierten Individualverkehrs reduzieren. Ganz vereinfacht ausgedrückt: Die Stadt möchte den Öffi-Fahrern das Radfahren schmackhafter machen, um Pendlern mehr Platz in den Öffis zu ermöglichen. 

Die Ziele der Stadtplanung sind jedenfalls ambitioniert: In Zukunft sollen Langstrecken sicher und ununterbrochen auf dem Radweg bewältigbar sein. Wer beispielsweise die Strecke von Breitensee im 14. Bezirk stadteinwärts bis zur Hauptbücherei auf dem Zweirad bestreiten wollte, sucht zunächst vergeblich nach einem Radweg. Stattdessen teilt man sich den Fahrstreifen mit dem Durchzugsverkehr und den Straßenbahnen. Sobald der erste Fahrradstreifen auf der Hütteldorfer Straße in Sicht ist, droht aber die nächste Gefahr: rückwärts ausparkende Autos von rechts, vorbeiflitzende Autos links. Erst ab dem Gürtel beginnen die baulich getrennten Radwege. Durch die neue Radstrecke Hütteldorfer Straße-Meiselstraße soll Radfahrern mehr Sicherheit geboten werden, indem ein eigener Weg für Fahrräder sichergestellt werde. Autos, Straßenbahnen oder Ausparker sollten in Zukunft damit eine geringere Gefahr darstellen. 

100 Millionen Euro sind für das Radnetz in dieser Legislaturperiode veranschlagt, heuer sollen nach Auskunft des Rathaus mindestens 25 Millionen investiert werden. Laut Regierungsübereinkommen sollen zehn Prozent der Wiener Verkehrsflächen zugunsten des Fahrrads umgestaltet werden. 

Stadtplan für den neuen Radwag auf der Hütteldorfer Straße

Die Grenzen des Radfahrens

Sebastian Kummer vom Institut für Transportwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien ist selbst leidenschaftlicher Radfahrer. Nach Ansicht des Wirtschaftsprofessors gelange das öffentliche Verkehrsnetz täglich an seine Belastungsgrenze. Für das Individuum mache sich der Umstieg auf das Fahrrad bezahlt - der Faktor Zeitersparnis wäre das stärkste Argument für Verkehrteilnehmende, die Wahl des Verkehrsmittel zu ändern. Auch wenn sich der Professor für das Fahrrad ausspricht, sieht er dennoch die Radwege nicht als alleiniges Allheilmittel der Wiener Verkehrsplanung: „Gerade zu den schwierigen Zeiten, beispielsweise wenn es schneit, haben Sie ein Problem.”

Kein Neubau in Neubau

„Jeder zusätzliche Radweg ist zu befürworten”, sagt Kilian Stark, Verkehrssprecher der Wiener Grünen, aber: „Die Stadt Wien muss bei der Ausbaugeschwindigkeit zulegen.” Erstaunlich ist, dass gerade in der grünen Keimzelle Neubau, dem 7. Wiener Gemeindebezirk, heuer keine neuen Radwege geplant sind. Im Büro des Bezirksvorstehers Markus Reiter verweist man auf die schon bestehenden Radwege. Der Bezirk würde keine neuen Radwege bauen, da der Bezirk schon längst flächendeckend fahrradfreundlich sei - man konzentriere sich mehr auf verkehrsberuhigte Zonen. 

Dass sich Bezirk und Stadt nicht immer einig sind, zeigt sich an der „2er Linie” am Museumsquartier und dem Gürtelradweg entlang des Westbahnhofs. Die Streckenführung am Gürtel verläuft zwischen Nebenfahrbahnen und Parkstreifen im Slalom über der U-Bahntrasse. Der Bezirk fordert seit Jahren eine Neugestaltung, die im Rathaus auf taube Ohren treffe. Ob eine Umgestaltung noch in naher Zukunft stattfinden wird, wird angesichts bestehender Parkstreifen und motorisierten Fließverkehrs jedenfalls schwierig zu verhandeln sein. Wer in der Zwischenzeit die neuen Strecken auf dem Fahrrad erkunden möchte, muss sich aber noch ein paar Monate gedulden - die neuen Radwege werden erst im Zuge des Jahres fertiggestellt.

Kevin Yang

schreibt im Rahmen des 360° JournalistInnen-Traineeship für profil.