Sex am Berg

Sex am Berg: Die Gipfelstürmer

Outdoor-Extra. Brünftige Bergführer, Après-Ski-Partys und Sex in der Todeszone

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Von Thomas Rottenberg

Natürlich hat Peter Habeler vollkommen recht. "Das ist mir zu privat“, winkte der Extrembergsteiger ab. Und bat - höflich, aber bestimmt -, in dieser Causa nicht weiter behelligt zu werden. Verständlich. Schließlich gilt am Berg das gleiche wie im zivilen Alltag: Intimitäten, die zwei (oder wie viele auch immer) Menschen austauschen, gehen nur die Beteiligten an. Solange es sich um erwachsene und mündige Personen handelt - und sie es freiwillig tun. Sobald einer dieser drei Faktoren nicht zutrifft, ist es ein Fall für die Polizei. Und das/die Opfer haben jedes Recht auf größtmöglichen Schutz und Diskretion.

Dennoch:
Wie steht es um den "Sex am Berg“? Schließlich wummert dem Freizeitalpinisten 300 Meter vor dem Erreichen der ihn von den Strapazen des Pistenrutschens rettenden Schirmbar ein eindeutiges "20 Zentimeter“ entgegen. Gefolgt von "Zehn nackten Frisösen“ oder Damen, die "nur noch Schuhe an haben“, wenn sie dem Besucher (nicht nur) die Tür öffnen.

Und wer meint, das Genre "Schlagerporno“ sei lediglich ein Auswuchs des vom Ballermann in die Berge metastasierten Touri-Hochkommerzes, verleugnet 30 Jahre Prä-Youporn-Sexfilmgeschichte: Denn der Triptychon "Alm“, "Heidi“ und "Lederhose“ ist Teil des alpinen Titelkanons der (Soft-)Pornoindustrie. Und dass Skilehrer, Bergbauern und Bergführer als ewig geile Böcke gezeigt werden, kommt nicht von ungefähr: Hier wurde und wird seit jeher gespiegelt - natürlich: aufgeblasen -, worauf Sehnsüchte und Wünsche der Gäste (auch) hinauslaufen. "Auf der Alm da gibt’s ka Sünd´“ hat viele Deutungen - aber dass beim Traum von der Freiheit am Berg, abseits von Konventionen, Zwängen und Normen, Sex & Libido just keine Rolle spielen sollen, ist ein wenig grotesk. Und "Freiheit“ ist relativ: Sie liegt dort, wo man sie sucht und findet. Egal, ob als Seilbahn- und Komfortzonen-Pauschaltourist, als Hüttenwanderer, Anden-Trekker oder als Höhen- und Expeditionsalpinist: Wer sagt, am Berg sei Sex nie (Kopf-)Thema, lügt. Oder, um noch einmal Peter Habeler zu bemühen: "Sexualität ist am Berg ebenso ein Thema wie überall anders im Leben. Das ist Privatsache. Und aus. Punkt.“

Wirklich "und aus“? Ja, meint Eva Bachinger. Die Bergsteigerin und Autorin sprach für ihr Buch "Die besten Bergsteigerinnen der Welt“ mit dem Who-is-Who der weiblichen Bergszene - von Gerlinde Kaltenbrunner über Nives Meroi bis Edurne Pasaban. Nicht vorrangig, aber auch über Sex. Bachinger meint, dass jenes Fazit, das Gerlinde Kaltenbrunner in zahlreichen Interviews über die Touren mit ihrem Mann Ralf Dujmovits zog und zieht, pauschaliert werden dürfe. Kurz gefasst lautet dies: "Wir lassen es uns schon gutgehen - bis zu einer gewissen Höhe.“

Und das deckt sich mit Bachingers eigenen Erfahrungen zu diesem Thema: "Der Fokus liegt doch am Bergsteigen. Natürlich wird geflirtet und geshakert - so wie überall im Leben. Aber ganz ehrlich: Man schläft im engen Zelt, es ist kalt, man kriegt wenig Luft und über Hygiene wollen wir gar nicht reden - da vergeht den meisten die Lust auf das Abenteuer zwischendurch.“ Freilich: Geredet werde umso mehr. Und deftig: "Edurne Pasaban erzählte mir, dass ihre Mutter ihr nach den großen Touren immer sage, "Geh und wasch dir den Mund mit Seife - du redest ja wie ein Mann!“

Hunde die bellen, beißen seltener, als es den Anschein hat. Zahlen oder gar Studien gibt es naturgemäß keine, "Heldensagen“ umso mehr: Der Höhenrekord für Sex am Berg soll demnach knapp über 7000 Meter liegen - und er soll von einem Österreicher gehalten werden. Der "Rekordhalter“ - ein sehr bekannter Bergsteiger - war nicht erreichbar. Nebenbei: Der Name der beteiligten Dame wird da weit weniger offen kolportiert. Egal: Je geringer die Gefahr ist, eine Story durch zu genaues Nachfragen kollabieren zu lassen, umso g‘schmackiger darf sie sein.

Denn dass es oben oft zünftig zugeht, bestätigt nicht zuletzt der hochseriöse "Spiegel“. In Reportagen über das alltägliche Leben im großen Everest-Basislager finden sich auch Erzählungen von Eskapaden über 5000 Metern Seehöhe. Freilich: Beim zweiten Hinschauen wird klar, dass man sich in puncto Sex am Berg auch beim "Spiegel“ lieber mit einem doppelten Journalistenkonjunktiv absichert: Die Quelle ist pauschal und hat keinen Namen - und kolportiert auch nur weiter, was andere angeblich sahen: "Unter den … (Sherpa; Anm. der Red.) … kursieren Gerüchte von lauten Partys und Sex im Basislager.“ Spannender - und konkreter - ist, was dann kommt: "Sex im Basislager ist für die Sherpa eine heikle Angelegenheit. Sex im Basislager heißt die Götter herausfordern“, berichtete der Korrespondent aus Nepal im April 2003 - und legte das Thema Sex-am-Berg umgehend ad acta.

Wenig verwunderlich, meint Robert Schellander von der Bergsportabteilung des Alpenvereins: "Im Basislager ist es zwar durchaus vorstellbar, dass es zu einem Austausch kommt. Ich selbst habe aber immer nur Expeditionen erlebt, wo de facto ausschließlich Männer dabei waren.“

Im "zivileren“ Umfeld, betont Schellander, sähe das schon anders aus. Und auch die Hygiene sei dann, wenn der Ruf der Natur erschalle, keine große Bremse: "Ich habe miterlebt, wie ein Bergführer im Schlaflager Remmidemmi machte - nach einer Woche am Berg. Ohne Dusche.“ Ganz, meint Schellander - selbst Bergführer und Skilehrer - könne er das nicht nachvollziehen: "Ganz abgesehen von der Dusche: Auf der Hütte, im Lager, gibt es kaum Raum. Da gibt es keine Privatsphäre.“ Aber es gäbe eben in jedem Berufs- und Lebensumfeld "alle Sorten von Menschen“.

Freilich:
Brünftige Bergführer haben es schwerer. Schwerer als Skilehrer. Zumindest was das Image angeht. Denn während auf der Hütte die Umliegenden im Lager meist wenig Verständnis - oder gar Applaus - für das tolle Treiben auf der Matte zeigen, ist das Steiger-Klischee beim Skilehrer immer noch Teil des Berufsbildes.

In seinem Buch "Schneeverhältnisse - Bekenntnisse eines Skilehrers“ (erschienen 2012) plauderte der Kärntner Skilehrer Alexander Sever aus dem Nähkästchen - und lässt kein Klischee aus. Nicht, um Effekthascherei zu betreiben, verteidigt sich Sever seither. Sondern weil das Klischee das sei, was der Gast sucht. Und bucht: "Ich wollte bewusst einen Einblick in jenen Skilehrerzirkus geben, wie er auch von Gebieten wie Ischgl, Arlberg oder Saalbach beworben wird. Dort geht es eben vor allem um Après-Ski und Party. Leute, die dort hinfahren, erwarten das auch“, erklärte er im "Standard“.

Sever dürfte Recht haben:
Bei den Naturfreunden wurden auf "Land der Berge“-Anfrage Impressionen zum Thema "Sex am Berg“ gesammelt: Und die Berichte von Naturfreunde-Mitarbeitern mit Wurzeln und/oder Arbeitsplätzen in Schirmbar-Regionen stützen alles, was Sever schreibt - und Pornoschlager suggerieren: "In einem Lokal in St. Anton fallen dann wirklich alle Hemmungen: Mädels werden abgefüllt, bis sie auf der Theke tanzen und ungeniert ihre Pullis lüften. Die schon feuchtfröhlichen Burschen - egal welchen Alters - veranstalten als Gegenpart ein, Schwengel schwingen, fasst Naturfreunde-Sprecherin Doris Wenischnigger die Berichte zusammen. "In manchen Lokalen ist es keine Seltenheit, dass sich Leute - besonders die Briten - unerwartet eine Männer-oder-Frauen-Schlägerei liefern, tüchtig zuschlagen und anschließend beim Gruppensex wieder versöhnen. Der Wirt sieht dem Treiben ungerührt zu.“

Ganz neben der Realität dürften die Sex-Impressionen der Naturfreunde nicht liegen: Dort, wo es um Sex und "echten“ Alpinismus geht, decken sie sich nämlich in der Essenz mit dem, was auch alle anderen von "Land der Berge“ befragten Experten angaben: "Auch hier ist es wie überall: Man lernt sich kennen und vielleicht auch lieben, aber eine "schnelle Nummer“ ist im Basislager doch sehr unentspannt und die schlechten hygienischen Bedingungen ebenfalls nicht wirklich einladend.“ Das Fazit der Naturfreunde-Binnenumfrage: "Wir behaupten abschließend mit einem kleinen Schmunzeln, dass es in einem herkömmlichen Bürobetrieb öfter zu Sex kommt als auf einer Berghütte.“