Alle Möglichkeiten nutzen
Welchen Zweck verfolgt Ihre Arbeitsgruppe?
Josef Seethaler: Wir befassen uns mit der Frage, wie Medien und Journalismus demokratische Strukturen stärken können, aber andererseits auch mit der Kehrseite – also damit, welche Beiträge medialer Kommunikation dysfunktional auf die demokratische Ordnung wirken. Die Frage ist heute aktueller denn je.
Spielen soziale Netzwerke hierbei eine Rolle?
Fake News und Desinformation sind keine neu- en Phänomene. Das Neue daran ist das Ausmaß und die Steuerung durch autoritär regierte Staaten oder radikale politische Kräfte. Dabei helfen die immer noch weithin unregulierten digitalen Kommunikationsräume enorm weiter. Dennoch sind soziale Netzwerke nicht der Übeltäter schlechthin. In Österreich haben wir fünf Nutzungsgruppen festgestellt: Die größte Gruppe setzt primär auf traditionelle Me- dien. Es handelt sich dabei um Personen, die eher älter, gut situiert und politisch nicht uninteressiert sind. Die zweite Gruppe nutzt vor allem Fernsehangebote. Es handelt sich um weniger gebildete Menschen mit geringem Interesse an Nachrichten und Politik. Diesen eher traditionell orientierten Gruppen stehen zwei kleinere, politisch interessierte Gruppen gegenüber: Da gibt es die breit aufgestellten Online-Nachrichtennutzer, die sich quer durch das Angebot informieren, und die schrumpfen- de Gruppe der Nachrichten-Junkies, die so- wohl traditionell als auch online Information einsammelt. Wichtig ist die fünfte Gruppe der Light-News-User, junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren. Sie haben kaum Interesse an Nachrichten und Politik. Wenn sie aber nach Informationen suchen, wählen sie dazu am ehesten eine Social-Media-Plattform. Professioneller, ethisch verpflichteter Journalismus erreicht sie kaum mehr. Was das Medien- nutzungsverhalten der fünf Gruppen außer- dem prägt, sind ihre Erwartungen an die demokratische Kommunikationsleistung der Medien – stärker informierend oder stärker einbindend, Wissensvermittlung für die Wahlentscheidung oder Empowerment zu zivilgesellschaftlicher Teilhabe. Sehen sie diese Erwartungen nicht erfüllt, klinken sie sich aus dem öffentlichen Diskurs aus und können leichter Desinformationen auf den Leim gehen. Das gilt in besonderem Maße für die Light-News-User, die immerhin 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Dr. Josef Seethaler, Kommunikationsforscher
Was wiederum Auswirkungen auf die Demokratie hat…
Demokratie lebt von Teilhabe, in welcher Form auch immer. Zum Glück ändert sich das journalistische Selbstverständnis: Es hat immer mehr den Anspruch, aktuelles Geschehen einzuordnen und zu analysieren, auf gesellschaftliche sowie politische Missstände hinzuweisen, Auswirkungen und Lösungen aufzuzeigen und dabei den Fokus auf die selbstständige Meinungsbildung des Publikums zu legen. Es gibt auch diese klare Trennung zwischen den Ausspielkanälen nicht mehr – die Medien nutzen al- le Kanäle, um auch jene zu erreichen, die mit der klassischen Zeitung oder Nachrichtensendung nichts anfangen können. Innovativer Journalismus in einer Sprache, die die Menschen er- reicht, ist allerdings kostenintensiv. Es bedarf einer grundlegenden Reform des Fördersystems in Österreich, damit nicht nur die Platzhirsche bedacht werden. Das sehe ich wirklich als eine wichtige demokratiepolitische Aufgabe.
Ist denn die Demokratie gefährdet?
Wir sind an einem Punkt angekommen, wo Demokratien weltweit im Rückzug sind. Können wir die Zusammenhänge herausfiltern, wie die Vorstellungen bestimmter Bevölkerungsgruppen, was Demokratie ist, mit ihrem Mediennutzungsverhalten, mit Anfälligkeit oder Widerstandsfähigkeit gegenüber dysfunktionalen In- halten zusammenhängen, könnten wir Empfehlungen ausarbeiten, in welche Richtung Journalismus gehen sollte, um die demokratische Grundhaltung zu stärken. Ein einschlägiges großes europäisches Projekt bereiten wir gerade vor.