Der Grenzübergang zwischen Österreich und Ungarn bei Nickelsdorf.

Asyl-Camp mit Hintertürl

Nur wenige Kilometer von Österreich entfernt errichtet Ungarn ein Lager für Asylwerber - mit dem Hintergedanken, sie über die Grenze loszuwerden?

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Brot und Ölsardinen: Das sei alles, was er seit seiner Ankunft hier zu essen bekomme, sagt Bako, und in seinem Blick liegt eine Mischung aus Verwunderung und Verzweiflung. Fast ein Jahr lang war der 46-jährige Senegalese, ein Hüne mit bunter Mütze und Rasta-Frisur, in einem Lager in Bicske nahe Budapest untergebracht. Am 2. Mai sollte er auf einmal in einen Bus einsteigen, der ihn zweieinhalb Stunden lang nach Westen fuhr. Das Ziel: die westungarische Stadt Körmend. 30 bis 40 Asylsuchende kommen hier seit einer Woche Tag für Tag an und werden vor Zelten auf einer Wiese der örtlichen Polizeischule abgeladen.

"In Bicske hatten wir warmes Essen und Gemeinschaftszimmer in festen Gebäuden, hier wohnen wir in Zelten, in denen es nass und kalt ist“, erzählt Bako: "Wir verstehen nicht, warum man das mit uns macht.“

Das ist in der Tat eine gute Frage. Die Antwort darauf könnte in der Lage des neuen Camps zu finden sein. Die 12.000-Einwohner-Gemeinde Körmend liegt in Sichtweite von Österreich: Nur zehn Kilometer Straße sind es vom Stadtzentrum zum nächsten Grenzübergang, über die Felder ist der Weg ins Nachbarland deutlich kürzer.

Bringt Ungarn Asylsuchende hierher, um sie zu animieren, sich dorthin zu verflüchtigen?

Die Behörden dementieren. Das Camp in Körmend habe eingerichtet werden müssen, weil die bereits bestehenden überfüllt seien, heißt es - was nicht ganz dazu passt, dass die Budapester Regierung gleichzeitig mehrere Lager an der Grenze zu Serbien auflöste.

Unter den Insassen von Körmend gehen währenddessen Geschichten um, die den Verdacht erhärten, es handle sich um so etwas wie ein Camp mit Hintertürl. So sollen Aufseher einem Afrikaner, der sich über die Unterbringung beschwerte, erklärt haben, er möge doch nach Österreich gehen, wenn es ihm hier nicht passe. Überprüfen lässt sich diese Behauptung allerdings nicht.

Während der Senegalese Bako darauf beharrt, in Ungarn bleiben zu wollen, sind andere erkennbar auf dem Sprung - zwei junge Kurden aus der syrischen Stadt Aleppo etwa, die nicht einmal ihre Vornamen nennen möchten. Sie verraten bloß, dass ihr Ziel Deutschland ist.

Um nach Ungarn zu gelangen, haben sie den Stacheldrahtzaun überwunden, den der rechtsnationale Regierungschef Viktor Orbán im vergangenen Herbst an der Grenze zu Serbien und Kroatien hochziehen ließ. Anschließend wurden sie geschnappt, als "Grenzverletzer“ vor Gericht gestellt und in einem Schnellverfahren des Landes verwiesen - eine Prozedur, die inzwischen mehr als 1000 andere Asylsuchende durchgemacht haben, und die immer gleich endet: mit einer De-facto-Internierung. Serbien nimmt nämlich niemanden zurück, der in Ungarn wegen illegalem Grenzübertritt verurteilt wurde. Für die beiden Kurden führte das nach Kiskunhalas in Südungarn und damit in ein Lager, in dem praktisch Haftbedingungen herrschen.

Jetzt finden sie sich plötzlich in einem offenen Camp hart an der österreichischen Grenze wieder. Auf der anderen Seite wurden bereits wenige Stunden nach Ankunft der ersten Flüchtlinge in Körmend fünf Afghanen aufgegriffen. Nach Darstellung der burgenländischen Polizei waren sie "vermutlich“ aus dem dortigen Lager aufgebrochen.

Ungarn ist für die meisten Asylsuchenden Transitland. Als die Flüchtlingskrise im vergangenen Spätsommer ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, suchten in Ungarn nach Angaben des Migrationsamtes 177.000 Menschen um Asyl an. In 152.000 Fällen wurden die Verfahren eingestellt, weil die Flüchtlinge weitergezogen waren. Parallel dazu winkten die Behörden mehr als 300.000 Menschen ohne Formalitäten von Kroatien quer durch Ungarn nach Österreich durch.

Ganz versiegt ist der Strom nicht

Inzwischen sind deutlich weniger Asylsuchende auf der Balkanroute unterwegs. Der Pakt zwischen der EU und der Türkei zeigt Wirkung: gegen Zugeständnisse wie Visafreiheit für die eigenen Bürger verhindert die Regierung in Ankara derzeit weitgehend, dass Flüchtlinge von der Türkei in Booten auf EU-Gebiet übersetzen.

Ganz versiegt ist der Strom aber nicht. In Ungarn ertappt die Polizei pro Tag 100 bis 200 illegale Grenzgänger. Das Migrations-und Staatsbürgerschaftsamt BAH hat in diesem Jahr bereits 13.000 Asylanträge entgegengenommen. Doch die meisten Betroffenen warten das Ende des - meist ohnehin abschlägig beschiedenen - Verfahrens nicht ab und setzen sich weiter in den Westen Europas ab.

Im Burgenland wurden in den ersten vier Monaten des heurigen Jahres 1822 Asylsuchende aufgegriffen, 200 mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Situation ist also wieder die gleiche wie vor der Eskalation der Flüchtlingskrise im Sommer 2015.

Das BAH bestreitet jedenfalls, mit der Einrichtung des Lagers Körmend den Hintergedanken zu verfolgen, Asylsuchende nach Österreich loszuwerden. "Der Einrichtung des Auffanglagers ging ein zügiger Abwägungsprozess mit Blick auf die infrage kommenden staatlichen Immobilien voraus“, hieß es in der schriftlichen Beantwortung einer Anfrage von profil: "Eine wesentliche Rolle bei der Auswahl der Lokalität spielte, dass die in Körmend ansässige Polizeifachmittelschule über ein entsprechend großes und ausgestattetes Terrain verfügt, um eine kurzfristige Unterbringung, Verköstigung und Versorgung der Asylbewerber zu ermöglichen.“

"Irgendwohin werden sie schon gehen, ob nach Österreich oder nach Deutschland“

Im benachbarten Südburgenland vermag das freilich niemand ernst zu nehmen. "Wie viele Kilometer sind es denn von dort bis hierher?“, entfährt es einem Polizisten am Grenzübergang von Moschendorf gleich gegenüber von Körmend verblüfft, als beim Plaudern mit profil die Rede auf das Camp und die möglichen Beweggründe für seine Einrichtung kommt.

Seit Anfang Mai wird an der Grenze wieder kontrolliert, auch das Bundesheer ist in der Region verstärkt sichtbar. Wer aus Ungarn kommt, muss sich ausweisen, oft wird auch der Kofferraum inspiziert.

Eine Sprecherin der Landespolizeidirektion Burgenland bestätigte, dass die Errichtung von Grenzzäunen erwogen wird - allerdings nur für den Fall, dass sich die Situation wieder zuspitzt. Man rede schon einmal vorsorglich mit den Grundstücksbesitzern.

In Moschendorf ist gerade Tag der Feuerwehr. Am Morgen sind die Florianijünger dabei, die Bänke für das Fest aufzustellen. Klar, dass das Lager in Körmend auch hier Gesprächsthema ist.

"Irgendwohin werden sie schon gehen, ob nach Österreich oder nach Deutschland“, schmunzelt Wolfgang Jost (43), von Beruf Installateur, säuerlich. Ihm machen die Migranten Sorgen, weil der Arbeitsmarkt "mit ausländischen Arbeitskräften überschwemmt ist“. Es sei gut, dass die Grenze nun von Polizei und Bundesheer überwacht wird.

Orbán schürt Hass

In Ungarn wiederum schürt der Populist Viktor Orbán den Hass auf Fremde und Flüchtlinge, obwohl sich nur die wenigsten in dem wirtschaftlich und sozial unattraktiven mittelosteuropäischen Land niederlassen. Mit Händen und Füßen wehrt sich Orbán gegen verbindliche Quoten zur Verteilung von Asylbewerbern. Im Herbst plant er eine Volksabstimmung, bei der die Bürger dafür votieren sollen, dass die EU keine "Zwangsansiedlung“ von Ausländern in Ungarn verfügen darf.

Volksabstimmungen sind in Ungarn in der Regel keine Straßenfeger, und neuerdings ist ein Quorum von 50 Prozent vorgeschrieben, damit ein Referendum überhaupt gültig ist. Orbáns Regierungspartei Fidesz und ihre Apparatschiks zwingt das, sich bis ins letzte Dorf ordentlich ins Zeug zu legen. Immer wieder fährt die Regierung Kampagnen mit Plakaten sowie TV- und Radiosendungen. Darin wird die Flüchtlingskrise zur "neuen Völkerwanderung“ und zur "Invasion“ hochstilisiert.

Dass das auf fruchtbaren Boden fällt, ist auch in Körmend zu beobachten. Dort herrschte vor Kurzem Krisenstimmung: Flüchtlinge hätten Teenager beim Handballtraining in der Turnhalle neben dem Zeltlager begafft, hieß es, und dann sogar eine Fensterscheibe eingeschlagen - wohl um einzudringen.

Dass das Fenster laut Polizei erstens blickdicht verschlossen und zweitens viel zu klein war, um sich durchzuzwängen, störte niemanden: Sofort verkündete der ungarische Kanzleramtsminister Janos Lazar von Budapest aus, die Flüchtlinge hätten die Mädchen sexuell belästigt.

Jetzt ist in Körmend die Ablehnung gegen die Flüchtlinge groß - und für viele von ihnen wohl ein weiterer Ansporn, das Camp, die Stadt und das Land möglichst schnell zu verlassen.

Mitarbeit: Christoph Zotter