Pokémon GO: Die Evolution des Sammelns

profil-Praktikant Tobias Schmitzberger war auf einer "Pokémon GO"-Wanderung.

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Hier, an einem Provinzbahnhof, kehrt Pokémon zu seinen Wurzeln zurück. Via Facebook hat die Sozialistische Jugend Niederösterreich zur Pokémon GO Wanderung aufgerufen. Treffpunkt: St. Pölten Hauptbahnhof, wo genau ist unbekannt. Aber die Menschenmasse aus 13 bis 35-Jährigen, die unter dem gläsernen Dach vor dem blassgelben Gebäude stehen, ist nicht zu übersehen. Alle warten sie ungeduldig und starren auf das Handy. Von den 161 Facebookzusagen dürften die meisten gekommen sein. Und mehr.

Satoshi Tajiri würde das wohl freuen. Er hat die Pokémonspiele erfunden, die ab Mitte der 1990er-Jahre populär wurden und die Schulhöfe beherrschten. Damals spielte man eben noch nicht auf dem Smartphone, sondern mit Nintendo. Tajiri, 1965 in Tokio geboren, pflegte als Kind ein ungewöhnliches Hobby: Käfer sammeln. Zudem war er begeisterter Zocker und gründete 1981 sogar eine eigene Videospielzeitschrift. Schließlich kam er auf die Idee, auch anderen Stadtkindern sein krabbliges Hobby zu ermöglichen. Aus den Gedanken Käfer sammeln plus Gameboy wurden die ersten Pokémonspiele geboren.

Als Kind hat man die Fantasie, dass man einmal selbst Trainer wird, um die Welt reist und Pokémon fängt

Der Pulk vom Bahnhof hat sich in Bewegung gesetzt. Wie einst Tajiri ist heute Senad Husic, 16, auf der Suche nach kleinen Monstern. Auch wenn der HTL-Schüler ein Handydisplay braucht, um die Tierchen zu sehen und zu fangen. Senad trägt eine graue Jogginghose und telefoniert nebenbei. Er versucht, einen Freund zu überreden, doch noch zu kommen. "Scheiß auf Lernen!", sagt er in seine weißen Handykopfhörer hinein. Die Gruppe wandert durch St. Pölten in einen Park, Wegstrecke knappe drei Kilometer. Leider stören Serverprobleme den Spielspaß, viel weiter als über den Startbildschirm kommt man nur selten hinaus. Immer wieder stürzt das Spiel ab, einige Wanderer bleiben resignierend auf der Strecke sitzen. Trotzdem erreichen viele den Sonnenpark, wo zwischen zwei älteren Häusern Bierbänke und Dosenbier um einen Euro bereit stehen.

Senad (Mitte, mit Brille) und andere Pokémon GO-Fans.

Hier kommt man leicht ins Reden. Senad hat schon als Kind Pokémon gespielt und die dazugehörige Serie auf RTL 2 gesehen. "Als Kind hat man die Fantasie, dass man einmal selbst Trainer wird, um die Welt reist und Pokémon fängt", sagt er. Nun, die Reise vom Hauptbahnhof zum Sonnenpark ist zwar keine Weltreise. Aber einige Anwesende sind sogar aus naheliegenden Ortschaften wie Markersdorf angereist. Schnell findet Senad Anschluss an eine andere Gruppe Jugendlicher, die ebenso spielen. Am Ende des Abends werden Nummern ausgetauscht. "Schade, dass das Spiel nicht funktioniert hat, aber immerhin habe ich neue Freunde getroffen", sagt Senad. Und Freunde sammeln macht ja auch Spaß.