Positiv denken!

Was verbindet Yoga und Paulo-Coelho-Romanen?

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Optimismus ist nämlich sogar sehr präsent, hat gewissermaßen Hochkonjunktur und befeuert ein Milliardengeschäft. Yogastudios und der Räucherstäbchenfachversand sind davon genauso betroffen wie Führungskräfteseminarleiter oder Investor-Relations-Lyriker. Es geht natürlich ums "positive thinking", das einem, so eine zeitgenössische Theorie, bei allem und jedem helfen kann: bei der Karriere, beim Die-Liebe-Finden, beim Aufräumen und Abnehmen. Sogar Bücher von Paulo Coelho lassen sich angeblich ganz einfach durchstehen, wenn man nur fest darauf vertraut, dass irgendwann die letzte Seite kommt.

Selbst körperliche Gebrechen lassen sich, positiv gedacht, behandeln. Das ist nicht zwangsläufig scharlatanös, die junge Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie etwa bewegt sich bei der Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen psychischen Belastungen und dem Immunsystem durchaus auf dem Boden empirischer Fakten. Auch die psychotherapeutische Behandlung (und Vorbeugung) körperlicher Erkrankungen mag nach Wunderheilerei klingen, hat aber doch eine wissenschaftliche Basis, etwa bei chronischen Entzündungen, die mit der Ausschüttung von Stresshormonen (also psychischen Ursachen) verbunden sind.

Wie alle Psychosomatik birgt dies -und jede andere Form von "positive thinking" - allerdings einen gefährlichen Kern, nämlich den Umkehrschluss, dass man an allfälligem Unglück, an Krankheit oder Erfolglosigkeit schlicht selbst schuld sei. Wer nicht gesund und glücklich wird, hat es halt nicht richtig versucht. Unglück und Misserfolge hätten demnach nichts mit äußeren Umständen zu tun, sondern nur mit einem selber.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.