Ruth Westheimer
Ruth Westheimer: "Ihr lauft dann mit einem besseren Schritt durchs Leben"

Sex-Therapeutin Ruth Westheimer im Interview

Die deutsch-jüdische Amerikanerin Ruth Westheimer, die Mutter aller Sexualberater, wurde dieser Tage 90-Jahre alt. Ein profil-Interview aus dem Jahr 2010.

Drucken

Schriftgröße

Fragen Sie Doktor Ruth. Sie weiß alles über Selbstbefriedigung im Alter, Waffen gegen die Langeweile und die Erotik der Zwiebel.

profil: Sie behaupten, dass Sie am Gang von Menschen erkennen, ob sie sich erfolgreich selbst befriedigen. Westheimer: Es stimmt, dass ich das immer wieder sage, aber es ist natürlich Quatsch.

profil: Sie wurden gerade zur Liebesbotschafterin von Washington ernannt, um den Fremdenverkehr dort anzukurbeln. Sehen die Obamas nach einem erfüllten Liebesleben aus? Westheimer: Nächste Frage. Es gibt zwei Tabugebiete: politische Kommentare und mein eigenes Sexualleben.

profil: Aber Sie haben die Obamas immer wieder gelobt, weil sie eine wöchentliche Date-Night veranstalten. Westheimer: Das ist auch das beste Mittel, um die Langeweile zu vertreiben. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten: mit einem schönen Nachthemd unterm Arm in ein Stundenhotel zu gehen. Ich habe auch nichts gegen erotische Filme.

profil: Sie sind eine Verfechterin von Pornografie? Westheimer: Nein, weil Pornografie für mich etwas zu tun hat mit schlimmen Dingen wie Vergewaltigung oder Sex mit Kindern. Aber abseits davon muss zwischen einem Paar alles erlaubt sein.

profil: Auch wenn Schmerzen damit verbunden sind - wie bei sadomasochistischen Spielen? Westheimer: Für diese Menschen kann ich als Sexualtherapeutin nichts tun. Die schicke ich zu einem Psychiater. Ich kann nur dann therapieren, wenn ich mir das, was die im Bett miteinander tun, auch vorstellen kann und will. Irgendwann hat mich ein Anrufer bei meiner Radio-Show über Dinge mit Tieren gefragt. Da habe ich nur geantwortet: "Ich bin leider kein Tierarzt."

Hört nicht auf, euch selbst zu befriedigen! Ihr lauft dann mit einem besseren Schritt durchs Leben.

profil: Sie sind seit über 30 Jahren im medialen Sexberatungsgeschäft tätig, ganz Amerika kennt Sie. Wurden und werden Sie von Puritanern beschimpft? Westheimer: Nein, ich hatte das Glück, dass ich meine Sexberatung im Radio und Fernsehen erst mit 50 begonnen habe. Wäre ich so ein kleines Mädchen im Minirock gewesen, das herumkichert und "Penis" und "Vagina" sagt, wäre das mit Sicherheit schiefgelaufen. So hatte ich eine seriöse Anmutung.

profil: Sie waren dreimal verheiratet. Haben Sie heute einen Partner? Westheimer: Nächste Frage.

Ruth Westheimer

profil: Vor einigen Jahren haben Sie sich in Israel bei Ihren Dates zur Partnersuche vom Fernsehen abfilmen lassen. Westheimer: Das stimmt, aber ich habe leider keinen gefunden. Ich bräuchte einen, der mit meiner Energie umgehen kann, einen, der jeden Abend ausgehen will. Ich koche nämlich nicht. Meine Kinder sind hauptsächlich mit McDonald's und Kentucky Fried Chicken aufgewachsen. Mein verstorbener Mann Fred Westheimer hat sich immer darüber beklagt, dass ich keine Esskultur habe.

profil: Mit Ihrem Buch "Silver Sex" sind Sie vor ein paar Jahren in eine Tabuzone vorgestoßen. Westheimer: Das stimmt. Aber reden wir doch über mein neues Buch. Wie finden Sie das Cover? Das sieht doch wie zwei Lesben aus!

profil: Wäre das schlimm? Westheimer: Nein, natürlich nicht. Ein herrliches Buch: "Mythen der Liebe". Ich habe es mit dem Historiker Jerome Singerman verfasst. Er hat die griechische Mythologie von Leda und dem Schwan bis zu Philemon und Baucis aufgeschrieben, und ich habe sie sexuell interpretiert. Das ist sehr amüsant und lehrreich.

profil: Apropos Philemon und Baucis: Ist es schlimm, wenn alte Menschen einfach keine Lust mehr auf Sex haben? Westheimer: Ich fände es schade. Aber wenn es so ist, sollten sie wenigstens nicht aufhören, sich selbst körperlich zu mögen. Also hört mir zu: Hört nicht auf, euch selbst zu befriedigen! Ihr lauft dann mit einem besseren Schritt durchs Leben.

profil: Wir sind hier in der Stadt von Sigmund Freud. Westheimer: Ein Genie, aber er hat nichts von Frauen verstanden. Zu behaupten, dass nur ein weiblicher Orgasmus durch Geschlechtsverkehr reif ist, ist doch Quatsch. Er müsste einen Kurs bei Professor Doktor Westheimer besuchen, dann wären viele Rätsel gelöst.

profil: Haben Sie je eine Psychoanalyse zumindest probiert? Westheimer: Um Gottes willen, nein! Wer bitte hat die Zeit, sich dreimal in der Woche auf eine Couch zu legen? So lange zu liegen, ohne eine Antwort zu bekommen, das wäre nichts für mich.

Und wenn der frühere Liebhaber besser war und die Frau davor die besseren Brüste hatte, einfach den Mund halten.

profil: Gab es Patienten, an denen Sie gescheitert sind? Westheimer: Natürlich. Ich weiß, was ich nicht weiß. Wenn Frauen Schmerzen beim Geschlechtsverkehr haben, schicke ich sie zuerst einmal zum Gynäkologen. Ein Mann mit Erektionsproblemen muss auf alle Fälle zum Urologen, ehe wir reden.

profil: In Ihren Büchern erklären Sie immer wieder, dass das Grundsatzgespräch oft liebestötende Wirkung besitzt. Westheimer: Diese Attitüde, alles im Namen der Offenheit zu besprechen, kann wirklich tödlich sein. Vor allem beim Sex, wo doch auch die Fantasie auf Touren kommen sollte. Rauf, runter, hier hin und da weg. Das ist doch grauenhaft. Und wenn der frühere Liebhaber besser war und die Frau davor die besseren Brüste hatte, einfach den Mund halten. Wenn mich wer fragt: "Wie geht's dir wirklich?", dann laufe ich schon und suche mir einen neuen Gesprächspartner.

profil: Wie wichtig ist Ihre jüdische Identität für Ihre Arbeit als Sexualberaterin? Westheimer: Sehr wichtig. Im Judentum gehört es dazu, mit seiner Frau am Freitagabend Geschlechtsverkehr zu haben. Seine Frau nicht zu befriedigen gilt als eine Art Sünde. Ich habe darüber das Buch "Heavenly Sex" geschrieben. Und: Es heißt, dass ein Paar nur dann einen Sohn macht, wenn er erst nach ihrem Orgasmus ejakuliert. Ist wahrscheinlich Quatsch, aber eine schöne Idee. Unlängst habe ich bei einer Parade auf der Fifth Avenue gebrüllt: "Ruft alle Schalom, und wenn ihr es nicht ganz laut tut, dann werdet ihr keinen guten sexuellen Verkehr haben!"

profil: Und? Haben sie gehorcht? Westheimer: Natürlich. Die Menschen tun viel für guten Sex. Die werfen sogar mit Zwiebelringen.

profil: Bitte wie? Zwiebelfetischismus ist mir neu. Westheimer: Ja, ich hatte so ein Paar. Da hat sie Zwiebelringe auf seinen erregten Penis geworfen. Das hat mir gefallen. Zwiebelfetischismus ist unbedingt in Ordnung mit mir.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort