Staatssekretärin Ulrike Lunacek

Kulturpolitik in der Corona-Krise: Abwarten und Daumen drücken

Wie kann die zerschlagene Kulturszene saniert werden? Die Bundesregierung begegnet dieser Herausforderung mit erstaunlicher Ratlosigkeit. Stefan Grissemann über das Fehlen von Strukturmaßnahmen und Eigeninitative.

Drucken

Schriftgröße

Baumärkte und Möbelhäuser, Textildiskonter und Frisiersalons, der Elektrofachhandel -sie alle haben ihren Betrieb wieder aufgenommen. Restaurants, Bars und Cafés werden demnächst folgen. Das Geschäftsleben ist neu angelaufen, mit Maskenpflicht, Desinfektionsassistenten und Distanzregeln zwar, aber immerhin: Es läuft. Nur in Sport und Kultur ist fast alles zum Erliegen gekommen. Abgesehen von einem gut gemeinten digitalen Heimkonsum-Überangebot läuft hier so gut wie gar nichts mehr, vermutlich noch für längere Zeit.

Österreichs kulturelle Landschaft liegt nach zwei Monaten des Shutdowns von Opernhäusern, Theatern, Filmproduktionen und Kinos weitgehend zertrümmert vor uns. Und diese Nachricht ist alles andere als nebensächlich. Denn wir reden nicht von einer Branche, die für das "Schöne" zuständig wäre und in Krisenzeiten eben vorläufig hintanstehen sollte, sondern von einer Szene, die an die 180.000 Menschen beschäftigt und eine jährliche Bruttowertschöpfung von rund sechs Milliarden Euro generiert.

Die Verzweiflung ist groß. Josefstadt- Direktor Herbert Föttinger träumt in einer leicht gespenstischen Videobotschaft aus seinem stillgelegten Haus ("Ein Theater. Keine Aufführungen, kein Publikum, kein Beifall. Kein Jubel. Leere Garderoben, keine Proben, keine Kantine") mit Pathos in der Sprecherstimme und dröhnender Orchesterbegleitung sogar schon von Verrissen und Theaterintrigen. Aber die Hoffnung lebt: "Liebes Publikum, am Ende des Tunnels schimmert das Bühnenlicht." Ja? Wo müsste man hinschauen, um es schimmern zu sehen? Optimismus ist sympathisch. Nur: Wie wird das Gute, das am Ende triumphieren soll, auch Wirklichkeit?

Ulrike Lunacek, seit Anfang Jänner grüne Staatssekretärin für Kunst und Kultur, müsste darauf eine Antwort haben. Sie wisse, lässt sie per Aussendung wissen, um "die großen Herausforderungen dieser Branche und die Existenznöte der in diesem Bereich Tätigen", und sie nehme diese "sehr ernst". Vergangene Woche führte Lunacek ausführliche Gespräche mit der Filmbranche. Dabei ging es naturgemäß vor allem um Ausfallsentschädigungen und Möglichkeiten zum Wiederhochfahren der brachliegenden Filmwirtschaft, um eine "baldige Wiederaufnahme" von Dreharbeiten, Festivalleben und Kinobetrieb. Dabei sammelte die Kulturpolitik erst einmal nur Meinungen und Stimmen, um sich ein erstes Bild von den Problemen der Branche zu verschaffen - als ließe die Krise viel Zeit für Überlegungen, als stünden zahllose Optionen sinnvoller Hilfeleistung zur Verfügung.

Eigeninitiative? Fehlanzeige.

Man prüfe nun also den eingeholten Input, lasse ihn "in anschließende Gespräche mit Gesundheits- und Wirtschaftsministerium einfließen", heißt es aus dem Büro Lunacek. Vorschläge zur Güte? Verschoben. Stattdessen verschraubte Formulierungen wie diese: Die Staatssekretärin werde sich, soweit Filmdrehs betroffen seien, "dafür einsetzen, die Entwicklung von praktikablen Lösungen bestmöglich zu unterstützen". Man muss diesen Jargon kurz wirken lassen, um das semantische Spiel über die Bande, das darin getrieben wird, zu durchschauen: Man hat nicht etwa vor, selbst etwas zu entwickeln, man will sich lediglich für die Unterstützung der Entwicklung einsetzen. Eigeninitiative? Fehlanzeige. Stattdessen: Augen schließen, abwarten und Daumen drücken.

So kann vorläufig nur Geld für Frohbotschaften sorgen. Aber auch da hat es eher den Anschein, als werde bloß kosmetisch interveniert. Die Förderungen für die Bereiche Musikwirtschaft, Filmwirtschaft, Buch- und Verlagswesen sowie bildende Kunst werden, so kündigte Lunacek vergangene Woche an, um 3,07 Mio. Euro erhöht. Damit könne man "einige Härten für die Branche abfedern". Aber drei Millionen Euro mehr sind in der gegenwärtigen Situation nichts als eine Krokodilsträne auf die glühende Herdplatte. Labelchef Walter Gröbchen kommentiert den vollmundig verlautbarten Zuschuss mit drei sarkastischen Fragen: "Welche Summe ist nochmal in das KTM-Museum in Mattighofen geflossen? (Anm.: 1,8 Millionen Euro allein aus dem Kulturbudget.) Was verlangt Anna Netrebko für einen Abend an der Staatsoper? Und welche Summen hat das Kultur-Staatssekretariat für seinen eigenen Apparat jährlich budgetiert?"

Für die meisten Kunstschaffenden dieses Landes stellt das aktuelle Kulturdesaster einen Sturz aus geringer Höhe dar: vom prekären Künstlerleben ins Nichts. Das ist aber die schlimmste denkbare Nachricht, denn eine größere Fallhöhe gäbe deutlich weniger Anlass zur Sorge. Wer stets bestens verdient hat (oder staatlicherseits als unabdingbar gilt), kann sich ein Dürrejahr leisten. Für all jene, die immer schon auf das Prinzip Selbstausbeutung setzen, ohne Rücklagen und doppelten Boden arbeiten mussten, ist schon ein Monat ohne Einkünfte vernichtend. So bedeutet der Status quo vor allem für die vielen freien Gruppen und kreativen Individuen, für alle Vereine und privat betriebenen Institutionen eine Katastrophe. Um Burgtheater und Staatsoper muss man sich, bei allen horrenden Verlusten, eher keine Sorgen machen, um WUK, Arena, Treibhaus und Moviemento schon - um nur vier von Tausenden zu nennen.

Aber auch der Kunstmarkt liegt im Wachkoma: Es gibt keine Kunstmessen, keine Auktionen mehr, und nach massiven Börsenverlusten gerade jener Elite, die den Markt am Laufen gehalten hatte, ist auch kein Geld zur Investition in Malerei oder Fotoeditionen mehr da. Am härtesten trifft dies erneut nicht die Auktionshäuser und Messenplaner, sondern die Kreativen selbst. Die Kunstunis und etwa auch die Künstlervereinigung der Secession fordern daher für ihre ins Leere stürzende Klientel Grundeinkommen, Ausfallshaftungen, Steuerbefreiungen.

Kinosäle mit Isolationszellen?

Auf diesem Ohr hört die Kulturpolitik noch am besten. Ihr Krisenmanagement hat sich, in gefährlicher Abhängigkeit von Finanz- und Wirtschaftsministerium, bislang auf finanzielle Zuwendungen beschränkt: Es gab Überbrückungshilfen in Millionenhöhe und punktuelle Zahlungen aus Soforthilfetöpfen. Wie lange aber können diese angesichts des bereits geschlagenen Milliardenlochs in einem Budget, das - bei stark erhöhter Arbeitslosigkeit - auch mit künftig merklich verringerten Steuerzahlungen rechnen muss, noch geleistet werden? Es ist abzusehen, dass die Misere der Kulturveranstaltungen im Herbst nicht ausgestanden sein wird. Wer wird nach der expliziten Angstpolitik des Kanzlers ("100.000 Tote") noch Lust auf Menschenmengen an Kulturschauplätzen haben? Abgesehen davon: Wie sollte man solche Veranstaltungen ausrichten? Nur noch Rockbands ohne Schweiß- und Speichelfluss buchen? Kinosäle mit Isolationszellen ausstatten? Eine Plexiglaskabine pro Opernsitzplatz? Das wäre schon aus raumakustischen Gründen unmöglich.

"Lippenbekenntnisse ohne belegbare Zahlenunterfütterung sind passé"

Zunächst gehe es "um schlichtes Überleben", sagt Gröbchen, wenn er über die Misere der Musikindustrie nachdenkt. Viele der bedrohten Betriebe - sein Label eingeschlossen - seien "mehr oder minder idealistische Kultur-Infrastruktur-Kioske". In Österreich gebe es eine nennenswerte Musikindustrie nur in der Klassikszene, "die ja über 95 Prozent der öffentlichen Subventionen absaugt, auch in ,guten Zeiten '." Ein erster Schritt in eine lichtere Zukunft bestünde laut Gröbchen darin, "nicht nur in Museales", die Populärmusik des 18. und 19. Jahrhunderts, zu investieren , sondern auch in den Pop des 21. Jahrhunderts: "Lippenbekenntnisse ohne belegbare Zahlenunterfütterung sind passé." Gefragt wären neben Darlehen und Schuldentilgung aber eben auch Strukturmaßnahmen, Ideen und Rahmenbedingungen zur Wiedereröffnung von Theatern, Konzertsälen, Kinos, Filmproduktionen und Opernhäusern.

Denn auf Abstand kann man keine Stücke inszenieren, keine Opern erarbeiten und keine Filme drehen. Künstlerischer Erfindungsgeist braucht Tuchfühlung, Risikobereitschaft und offene Visiere. Kunst ist eine Feier der produktiven Unvernunft. Mit Maske, Desinfektion und Distanzregelung wäre sie ein Widerspruch in sich.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.