Morgenpost

Wie Sebastian Kurz auf Thomas Schmid reagiert – eine Einordnung

Vergangene Woche war Sebastian Kurz noch auf Werbetour für sein Buch. Jetzt wirbt er auf Facebook für seine Unschuld.

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Man müsste dieses Mal gar nicht so weit gehen, einen alten Spruch zu zitieren: Nämlich den, dass das Archiv die Rache des Journalisten an den Politiker ist. Heute reicht schon ein Blick in die vergängliche TV-Thek des ORF, in der Beiträge eine Haltbarkeit von sieben Tagen haben. Darin sieht man den früheren Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz: Am vergangenen Samstag stellte er infrage, „ob es richtig war, nach Aufkommen des Ibizavideos die Koalition zu beenden.“ Am Freitag meinte er, dass die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) für ihn „mittlerweile keine allzu große Relevanz mehr haben.“ Das Bild, das Kurz zeichnen wollte, war deutlich zu sehen: Hier steht der erfolgreiche Geschäftsmann, für den Ermittlungen der Justiz höchstens eine lästige Erinnerung an sein ungemütliches Ende in der Politik sind.

Falls das seine ehrliche Überzeugung war, holte die Realität Kurz erstaunlich schnell ein. Seit Mittwoch weiß die Öffentlichkeit, dass ein ehemaliger enger Vertrauter umfassend ausgesagt hat: Thomas Schmid, Ex-Generalsekretär im Finanzministerium, belastet Kurz schwer. Kurz habe ihn beauftragt, das sogenannte Beinschab-Tool umzusetzen, behauptet er. Die WKStA vermutet – unter anderem -, dass Geld aus dem Finanzministerium verwendet wurde, um Kurz ab dem Jahr 2016 über Umfragen besser dastehen zu lassen.

Kurz hat die Vorwürfe bisher stets dementiert, und er tat es am Mittwoch erneut mit Vehemenz. Auf Facebook ging er in die Gegenoffensive, auch wenn er es nie so nennen würde: „Thomas Schmid sagt in seinen jetzigen Aussagen selbst, dass er in seinen Chats Menschen wiederholt belogen hat und er jedem oft das erzählt hat, was er hören wollte. Am Ende wird sich herausstellen, dass das auch in diesem Fall zutrifft.“ Kurz behauptet also, dass Schmid nicht die Wahrheit sagt.

Tatsache ist, dass Schmid sich um den Kronzeugenstatus bemüht und sich unter anderem auch selbst belastet. Er steht nicht unter Wahrheitspflicht – das gilt aber auch für alle anderen Beschuldigte in dem Verfahren, inklusive Kurz.

Außerdem schreibt Kurz: „Es wird immer wieder behauptet, ich hätte auf das Budget des Finanzministeriums zugegriffen, weil ich keine anderen finanziellen Mittel für Meinungsforschung gehabt hätte. Dazu möchte ich festhalten, dass ich im Jahr 2017 nicht nur als Außenminister ein Budget von über 500 Mio Euro verantwortet habe, sondern auch als Obmann der Jungen ÖVP hunderttausende Euro und als Präsident der Politischen Akademie über zwei Mio Euro.“

Auch diese Passage muss man einordnen: Die WKStA vermutet, dass Steuergeld aus dem Finanzministerium womöglich aus einem bestimmten Grund verwendet wurde. 2016 war Reinhold Mitterlehner ÖVP-Obmann, auch wenn es Kurz gerne werden wollte. Er hätte also gar nicht Gelder der Volkspartei für Umfragen in die Hand nehmen können, ohne dass Mitterlehner von Kurz‘ Aufstiegsplänen erfährt. Auch das Budget im Außenministerium ist kein wirkliches Argument – denn das wären erst recht wieder öffentliche Gelder gewesen, die für Parteizwecke verwendet worden wären.

Ob das bedeutet, dass Schmids Aussagen korrekt sind? Das kann am Ende nur ein Gericht entscheiden – sofern es zu einer Anklage kommt. Kurz legte auch ein aufgezeichnetes Telefonat mit Schmid vor, das seine Behauptungen widerlegen soll. Es stammt allerdings noch aus einer Zeit vor Schmids Geständnis. Sowohl Kurz als auch die ÖVP sollten sich jedenfalls von der Erzählung verabschieden, dass sie die Ermittlungen einfach ignorieren können.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.