Akademikerinnen: "Das größte Karrierehemmnis liegt im eigenen Bett"

Neue Zahlen zeigen: Jede fünfte Akademikerin mit Kind zieht inzwischen Heim und Herd einer beruflichen Karriere vor. Woran das liegt und was man dagegen tun kann, diskutierten Frauenministerin Stilling und AK-Präsidentin Anderl mit einer hochkarätigen Frauenrunde.

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Es war das, was man wohl einen Zufallsfund nennt. Eigentlich war Bettina Stadler der Frage nachgegangen, wie sich die Einführung der Elternteilzeit im Jahr 2004 auf das Erwerbsverhalten von Müttern und Vätern ausgewirkt hatte. Das Ergebnis: ein deutlicher Anstieg der Zahl der erwerbstätigen Mütter mit Kindern im Vorschulalter. So weit, so erfreulich. Bedeutet das doch, dass Frauen der Wiedereinstieg nach der Karenz - wenn auch vor allem in Teilzeit - mittlerweile besser gelingt. Doch die Wissenschafterin vom Forschungsinstitut Forba machte noch eine andere Entdeckung: "Bei Müttern mit akademischem Abschluss, vor allem bei jenen mit Kindern im Vorschulalter, geht die Entwicklung auffallend gegen diesen allgemeinen Trend." Eine Forba-Analyse der Daten des Mikrozensus "Arbeitskräfteerhebung", für den die Statistik Austria vierteljährlich 50.000 Personen befragt, lieferte folgende Zahlen: Während 2005 noch 87 Prozent der Mütter mit akademischem Abschluss und Kindern zwischen vier und sechs Jahren erwerbstätig waren, waren es 2017 nur mehr 80 Prozent. In anderen Worten: Jede fünfte Akademikerin mit Kindern im Vorschulalter zieht inzwischen Heim und Herd einer beruflichen Karriere vor.

"Das hat uns doch sehr erstaunt", sagt Stadler. Und das sei bei Weitem nicht das einzige Studienergebnis, welches in diese Richtung weist, erklärt die Soziologin. Ein weiteres Forschungsprojekt befasste sich mit der Verteilung der Erwerbsarbeitszeit in Paarhaushalten. "Wir haben uns angesehen, ob beide Partner gleich viel Arbeitszeit leisten oder ob etwa einer nur 20 und der andere 40 Stunden pro Woche arbeitet", sagt Stadler. Dabei habe sich gezeigt, dass auch die Verteilung der Erwerbsarbeitszeit innerhalb eines Paarhaushaltes sich zu Ungunsten der Frauen entwickelt habe. Während etwa im Jahr 2005 in 36 Prozent der Akademikerhaushalte beide Partner gleich viele Wochenstunden arbeiteten, ist dieser Anteil laut Stadler bis zum Jahr 2015 auf 31 Prozent gesunken. Und dann wäre da noch das Wiedereinsteigerinnen-Monitoring der Arbeiterkammer Wien, welches ergeben habe, dass der Wiedereinstieg von Akademikerinnen mit dem ersten Geburtstag des Kindes rückläufig sei.

Ein alarmierender Befund, der jede Menge Stoff für Diskussionen bietet. Und so fand sich auf Einladung von Arbeiterkammerpräsidentin Renate Anderl und unter der Leitung von profil eine Damenrunde - bestehend aus Frauenministerin Ines Stilling, Petra Draxl (Geschäftsführerin des Arbeitsmarktservice Wien), Mariana Kühnel (stellvertretende Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich) Daniela Cochlar (Leiterin der Wiener Kindergärten, MA 10) sowie Studienautorin Stadler - zusammen, die lebhaft über das Thema debattierte. Früher lautete die Formel: Die Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen Wiedereinstieg steigt mit dem Qualifikationsniveau. Akademikerinnen kehren eher in den Beruf zurück als Frauen mit mittlerem oder niedrigem Bildungsniveau. Weshalb geht der Trend nun in die andere Richtung? Welche Auswirkungen hat das auf die Gesellschaft, auf die Wirtschaft, auf die Frauen selbst? Und was kann man dagegen tun?

profil: Frau Bundesministerin, befinden sich diese Frauen in der Traditionalisierungsfalle? Stilling: Grundsätzlich ist es sehr erfreulich, dass wir zunehmend auch Frauen mit Kindern in die Erwerbstätigkeit bekommen und auch bei Müttern mit Pflichtschulabsschluss der Wiedereinstieg in den Beruf funktioniert. Gleichzeitig glaube ich schon, dass es in unserer Gesellschaft eine gewisse Retraditionalisierung gibt, die vermehrt den Druck erzeugt, dass Frauen bei ihren Kindern zu Hause bleiben sollen. Ich kann nachvollziehen, dass man, wenn es die ökonomischen Rahmenbedingungen erlauben, der gesellschaftlichen Erwartungshaltung oder dem Rollenklischee nachgibt. Und der finanzielle Spielraum ist in einem Akademikerhaushalt doch zumeist höher als in einem Haushalt, wo beide Partner nur über einen Pflichtschulabschluss verfügen und man aufgrund der ökonomischen Notwendigkeit wieder arbeiten gehen muss. Draxl: Bei den Frauen, die bei uns arbeitslos gemeldet sind, sehen wir, dass der Anteil jener Wiedereinsteigerinnen, die nur über einen Pflichtschulabschluss verfügen, sinkt - zwischen 2014 und 2018 um zehn Prozentpunkte. Die Frauen machen also bessere Ausbildungen und erwerben höhere Qualifikationen, was ja gut ist. Der Anteil jener, die eine akademische Ausbildung abgeschlossen haben, lag 2014 bei knapp sechs Prozent und 2018 bereits bei über neun Prozent. Und der Anteil der Akademikerinnen mit Migrationshintergrund stieg rasant an. Da spielt dann auch die Frage eine Rolle, aus welchem kulturellen Kontext jemand kommt. Anderl: Es hat auch damit zu tun, dass die Arbeitswelt immer schnelllebiger wird und der Druck generell zunimmt, in allen Branchen und in allen Bereichen. Das betrifft naturgemäß auch Führungskräfte. Viele Frauen, die wieder in den Beruf zurückkehren, steigen in Teilzeit ein. Weil sie sagen, ein Vollzeitjob geht sich neben dem Kind nicht aus. Es ist schwierig, einen sehr qualifizierten Job oder sogar einen auf Führungsebene in Teilzeit auszuüben. Da gehen die Unternehmen noch nicht so mit. Das trifft besonders Akademikerinnen, die dann lieber zu Hause bleiben, als einen Job anzunehmen, für den sie überqualifiziert sind.

Tatsächlich arbeiteten im Jahr 2013 (aktuellere Daten sind nicht verfügbar) in Österreich nur sechs Prozent aller Führungskräfte in Teilzeit, während es beispielsweise in den Niederlanden doppelt so viele waren. Das ging aus einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin hervor. Je geschlechteregalitärer eine Gesellschaft ist, wie etwa in den nordischen Ländern, desto mehr Manager befinden sich in Teilzeit. Und eine höhere Teilzeitquote im Management erleichtert auch Frauen den Eintritt in die Führungsetagen. Der Wunsch danach wäre durchaus vorhanden: Rund 40 Prozent der österreichischen Führungskräfte gaben an, ihre Wochenstunden reduzieren zu wollen. Aus Angst zieht jedoch kaum jemand den Schritt durch: Zu wahrscheinlich ist der Karriereknick, zu präsent die Auffassung, eine Führungskraft sei unentbehrlich, müsse überdurchschnittlich viel arbeiten und permanent anwesend sein.

Cochlar: Es hat sich in den vergangenen zehn, 20 Jahren einiges geändert. Wir sehen die Väter verstärkt in den Kindergärten. Sie sind bei den Einschreibungen und bei den Elternabenden da, sie bringen oder holen die Kinder ab. Das Problem ist aber: Sie verschwinden wieder. Je älter das Kind wird, desto weniger präsent sind die Väter. Wenn das Kind klein ist, sind die guten Vorsätze noch da. Man will die Erziehungsaufgabe partnerschaftlich teilen. Doch irgendwann wird dann die abendliche Sitzung in der Firma oder das Tennisspiel mit Freunden wieder wichtiger. Das ist ein gesellschaftliches Phänomen, das rein über die Frage der Betreuungszeiten hinausgeht. Kühnel: Das liegt aber auch an uns Frauen, die Männer hier in die Pflicht zu nehmen. Es gibt eine Studie des Personalberatungsunternehmens Boyden, in der weibliche Führungskräfte unter anderem befragt wurden, wodurch sie an ihrer Karriere gehindert würden. Dabei ist herausgekommen, das größte Karrierehemmnis liegt im eigenen Bett. Das heißt also, es ist der Partner, der wesentlich mitbeeinflusst, wie sich eine Frau karrieretechnisch entwickeln kann. Cochlar: Das Schwierige und Herausfordernde ist, dass die Diskussion getarnt ist. Früher hat es geheißen, die Frau kehrt heim zu Herd und Familie. Heute heißt es, die Frau ist für den Erfolg ihres Kindes verantwortlich. Die Care-Arbeit wird also voll und ganz den Frauen angelastet. Es ist selbstverständlich, dass eine Mutter für ihr Kind das Beste will, aber das wollen die Väter doch wohl hoffentlich auch?

Die Expertinnen am Tisch sind sich allesamt einig: Je früher und länger Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt wird, desto positiver wirkt sich das auf die berufliche Laufbahn von Müttern aus. Und sie plädieren dafür, Kindergärten nicht als bloße Verwahranstalten zu sehen, sondern als Bildungseinrichtungen, von denen Kinder in ihrer Entwicklung enorm profitieren. Die Krux an der Sache: Kindergärten liegen in der Verantwortung der Länder. Entsprechend unterschiedlich sind die jeweiligen Regelungen. Österreichweit gilt einzig: Im Jahr vor dem Schuleintritt ist der Besuch eines Kindergartens verpflichtend, und er muss gratis angeboten werden. Glücklich, die Eltern, die in Wien leben. Die städtischen Kindergärten haben mehr als 47 Wochen im Jahr geöffnet, die meisten davon sogar neun Stunden pro Tag. Und die Betreuung ist kostenlos. In Ober-und Niederösterreich etwa ist nur die Halbtagsbetreuung für 2,5-bis Sechsjährige gratis. Jeder darüber hinausgehende Bedarf kostet - wenn entsprechende Einrichtungen überhaupt angeboten werden. Es ist also eine Frage der Geografie, wie gut es Eltern, beziehungsweise in den meisten Fällen: den Müttern gelingt, Job und Kind zu vereinbaren.

Anderl: Vielen Frauen ist gar nicht bewusst, was sie am Ende ihres Erwerbslebens erwartet. Nämlich: Wie schaut es dann mit der Pension aus? Wir sehen sehr genau, dass diese Erwerbszeiten fehlen, was sich darin ausdrückt, dass das Geld fehlt. Stilling: Mir ist wichtig, dass Frauen informierte Entscheidungen treffen, wobei ich noch nicht ganz glaube, dass sie das auch tun. In Hinblick auf die Pensionsleistungen, Stichwort "Altersarmut", ist eine längere Berufsunterbrechung, aber auch ein reduziertes Stundenausmaß meistens keine so kluge Entscheidung.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während Männer 2018 eine durchschnittliche Pension von 1639 Euro bezogen haben, lag die durchschnittliche Pension der Frauen nur bei 918 Euro pro Monat. Eine Erwerbslücke von einem Jahr reduziert die spätere Monatspension um rund 2,8 Prozent. Selbst wenn diese Erwerbslücke durch Kindererziehung gedeckt ist, ist mit Einbußen zwischen ein bis zwei Prozent pro Jahr zu rechnen. Teilzeitarbeit lässt das Pensionsminus zusätzlich anschwellen. Unter der von Schwarz-Blau I beschlossenen Pensionsreform haben vor allem die Frauen zu leiden: Während vorher nur die 15 Jahre mit den höchsten Einkommen zur Bemessung herangezogen wurden, werden seither alle Erwerbsjahre zum Durchrechnungszeitraum gezählt. Und da macht sich Teilzeitarbeit äußerst negativ bemerkbar.

Kühnel: Ich möchte auch daran erinnern, dass wir in Österreich einen eklatanten Fachkräftemangel haben. Insofern können wir es uns gar nicht leisten, das Potenzial des Talents "Frau" nicht zu nützen. Es liegt an uns allen, sowohl an Politik als auch Wirtschaft, diesen Talentepool optimal in den Arbeitsmarkt hineinzubringen. Die Unternehmen übernehmen bereits große Verantwortung. Für große Betriebe ist das auch kein Problem. Da ist es ein Asset, wenn man im Kampf um die besten Köpfe als attraktiver Arbeitgeber zum Beispiel einen betrieblichen Kindergarten anbietet. Allerdings besteht die österreichische Wirtschaft zu 99 Prozent aus kleinen und mittleren Unternehmen. Die sind in der Zwickmühle, weil sie oftmals die nötige Flexibilität nicht bieten können, da sie die Mitarbeiter meist physisch im Job brauchen. Da muss auch die Politik entsprechende Rahmenbedingungen, wie etwa flexible Angebote zur Kinderbetreung, schaffen. Daran haben wir alle ein gemeinsames Interesse. Anderl: Es sind eigentlich drei Schienen. Zum einen brauchen wir einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Geburtstag. Und zwar nicht nur in Wien, sondern in ganz Österreich. Wir müssen auch auf der betrieblichen Ebene dafür sorgen, dass die Beschäftigten mehr Flexibilität haben. Und der dritte Bereich ist der private: Wie schaffen wir es, dass die unbezahlte Arbeit nicht immer noch bei den Frauen landet. Denn ganz ehrlich, Frauen müssen sich - im Gegensatz zu den Männern - noch immer zu 110 Prozent beweisen.

Es kommt nicht so häufig vor, dass zwischen Wirtschaft und Politik, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ein derartiger Konsens herrscht. Einen Punkt gab es dann aber doch, bei dem die Meinungen auseinandergingen.

Wo es Quoten gibt, gibt es plötzlich auch viele tolle Frauen.

profil: Auch wenn Frauen in den Beruf zurückkehren, stoßen sie irgendwann an die gläserne Decke. Der Anteil der Frauen in Vorstandspositionen etwa ist traditionell niedrig und zuletzt noch einmal gesunken. Was kann man dagegen tun? Kühnel: Ich glaube, es steht und fällt mit einem entsprechenden Netzwerk. Darin sind Männer besser als Frauen. Es geht um ein Vorleben, also darum, Role Model zu sein, und gegenseitiges Unterstützen. Das ist der springende Punkt. Stilling: Es tut mir leid, aber ich glaube, dass wir um eine Quote nicht umhinkommen werden. Ich hoffe, dass wir sie irgendwann nicht mehr brauchen, aber bis wir ein Netzwerk haben, das so tragfähig ist wie das der Männer, werden wir Quoten brauchen. Kühnel: Aber damit behandeln wir ein Symptom und nicht die Ursache. Anderl: Dort, wo es Quoten gibt, gibt es plötzlich auch die vielen tollen Frauen, die es vorher angeblich nicht gegeben hat. Wir haben in ganz vielen anderen Bereichen Quoten, etwa im Bereich der Menschen mit Behinderung, aber nur dort, wo es um Frauen geht, ist sie negativ besetzt. Wir sehen ja jetzt auch am Beispiel Aufsichtsräte, dass die Quote funktioniert. Und ohne Quote, muss ich gestehen, hätten wir selbst in der Gewerkschaft nicht so viele Frauen im Vorstand sitzen, wie es derzeit der Fall ist. Kühnel: Man kann nicht alle Branchen in einen Topf hauen, denn es gibt sehr weiblich dominierte Branchen und sehr männlich dominierte. Man muss auch nach Arbeitgebern unterscheiden: Ist es eine öffentliche Institution oder eine private Organisation? Da geht es dann sehr stark um die unternehmerische Freiheit, in die man eingreift. Stilling: Die beeinflusse ich dadurch nicht, weil ich immer noch aus sehr vielen Menschen auswählen kann. Und im öffentlichen Dienst funktioniert die Quote übrigens hervorragend. Draxl: Die moderne Diktion der Quote, die auch in den Unternehmen ein bisschen besser ankommt, ist die "Zielerreichung". Und die halte ich für notwendig, damit Frauen sich in Unternehmen entwickeln können. Alle Unternehmen haben Zielvorgaben. Und man sieht, es ist dann auch zu schaffen. Vielleicht nicht in ein oder zwei Jahren - wir beim Arbeitsmarktservice haben 20 Jahre gebraucht, um einen 50-prozentigen Anteil an Frauen in Führungsfunktionen zu bekommen -, aber wenn die Zielvorgaben realistisch sind, dann geht das. Ich bin tief überzeugt, da führt kein Weg daran vorbei.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).