Interview

Akakiko-Gründerin Mi-Ja Chun: Reden wir über Sushi

Sie brachte den Österreichern bei, rohen Fisch zu essen. Und das war gar nicht so einfach.

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Teil 14 unserer Serie "Österreich, deine Produkte"

profil: Frau Chun, können Sie überhaupt noch Fisch sehen, geschweige denn essen?
Chun: Aber ja. Ich habe erst vorgestern eine scharfe asiatische Fischsuppe mit viel Knoblauch und Zwiebel gegessen.

profil: Wie kommt man als Koreanerin dazu, in Wien ein Sushi-Restaurant zu eröffnen?
Chun: Damals, 1994, als ich mit Akakiko angefangen habe, war es wirklich sehr kompliziert, koreanische Zutaten zu bekommen. Koreanische Küche ohne Kimchi etwa ist nicht vorstellbar. Und damals bekam man in Österreich nur diesen langen Chinakohl. Der schmeckt überhaupt nicht, der ist so wässrig. Wir brauchen den runden Chinakohl, den gab es aber nicht. Das galt auch für viele andere notwendige Zutaten. Es war sehr mühselig, die herzubekommen. Am Naschmarkt habe ich aber gesehen, dass immer frischer Fisch verfügbar war. Besonders Lachs aus Norwegen. Und Sushi muss immer frisch sein und mit sehr guten Zutaten gemacht werden. 

profil: Das heißt, Sie wollten ursprünglich ein koreanisches Restaurant aufmachen?
Chun: Ich habe Mitte der 1980er-Jahre mit meinem damaligen Mann zwei Jahre lang ein koreanisches Restaurant im 7. Bezirk geführt. Das ist auch sehr gut gegangen, Klaus Maria Brandauer war da zum Beispiel Stammkunde. Aber wegen Eheproblemen habe ich das dann aufgegeben.

profil: Was hat Sie eigentlich nach Österreich verschlagen?
Chun: Mein damaliger Mann hat hier studiert. Ich habe in Südkorea eine einjährige Krankenschwesternschule besucht. Die Ausbildung wurde damals in Österreich anerkannt, und ich konnte hier arbeiten. Wir wollten eigentlich nur drei bis maximal fünf Jahre bleiben – bis mein Mann sein Studium abgeschlossen hat. Es ist anders gekommen. Seine Schwester hatte einen Stand am Naschmarkt, und den haben wir dann übernommen. Damals war der Markt noch nicht so kommerziell, sondern sehr idyllisch.

profil: Als Sie Akakiko gründeten, gab es noch nicht so viele Sushi-Restaurants wie heute. 
Chun: Nein, wir gehörten zu den ersten. Als ich 1994 unser erstes Restaurant in der Shopping City Süd eröffnete, war ich mit meinem vierten Kind schwanger. Obwohl es ein sehr kleines Lokal mit nur 20 Sitzplätzen war, war das eine sehr schwere Zeit für mich. Den Einkauf managen, das Baby stillen – das war hart. Auch weil wir sehr viele Kunden hatten. Die sind Schlange gestanden. Damit hatte ich gar nicht gerechnet, dass die Österreicher so gerne rohen Fisch mögen.

profil: Hierzulande versteht man unter Sushi meist eine Scheibe Fisch auf einem Reisbett …
Chun: Sushi ist sehr vielfältig. Dazu zählen etwa auch Maki, das sind die Reisrollen, und Sashimi, die puren Fischscheiben ohne Beilagen.

profil: Sojasauce, Wasabi und Ingwer sind aber immer dabei.
Chun: Ja, und ich gebe auch gerne Zitrone über den Fisch oder in die Sojasauce.

profil: Eine Frage, an der sich die Geister scheiden: Gibt man den Wasabi auf den Fisch oder verrührt man ihn in der Sojasauce?
Chun: Es gibt kein Gesetz. Man macht das ganz individuell, wie man will. Ich verrühre ihn in der Sauce. Man kann auch den Ingwer in die mit Wasabi verrührte Sojasauce tunken und legt den Ingwer dann auf den Fisch. Das schmeckt auch gut. Oder man isst den Ingwer separat. 

profil: Und wie benutzt man die Stäbchen richtig?
Chun: Manche Gäste halten die Stäbchen senkrecht und zwicken das Sushi ein. Was passiert dann? Der Reis fällt runter. Und wenn er nicht runterfällt, dann spätestens, wenn sie ihn in die Sojasauce tunken. Die spritzt dann auf die Krawatte. Das habe ich bei unseren Gästen oft gesehen. Aber die werden auch schlauer und werfen ihre Krawatte über die Schulter oder stecken sie unter das Hemd. Das habe ich in unseren Restaurants im 1. Bezirk oft erlebt. Man hält die Stäbchen fast parallel zum Teller und greift das Sushi ziemlich weit unten. Und dann tunkt man nur den Fisch leicht an der Spitze ein.

profil: Aber dann fällt doch auch alles runter!
Chun: Man braucht ein bisschen Übung. Aber unsere Gäste essen ohnehin gerne Sojasauce. Die fischen dann den runtergefallenen Reis aus der Sauce und essen ihn.

profil: Das würden Sie nicht machen?
Chun: Nein, für mich ist das zu salzig. Ich denke, die Österreicher essen generell zu salzig.

profil: Darf man von einem Sushi abbeißen oder isst man es im Ganzen?
Chun: Ja, man kann ruhig abbeißen, denn manche Sushi-Meister machen es ein bisschen größer. Und man kann es natürlich auch mit der Hand essen, auch das ist erlaubt. Man muss die Finger aber vorher abwischen, aber  nicht mit Desinfektionsmittel. Das schmeckt nicht gut. In Japan und Korea bekommt man dafür ein feuchtes, warmes Stofftuch.

profil: Isst man in Korea viel Sushi?
Chun: Ja, aber wir nennen es „Cho Bap“. Cho heißt sauer, und Bap ist Reis, also saurer Reis.

profil: Haben Sie viele Asiaten als Kunden?
Chun: Circa zehn Prozent unserer Gäste sind Asiaten. Das liegt daran, dass wir Sushi ziemlich europäisiert haben. Dafür können es auch kleine Kinder essen. Die spießen die Maki dann mit dem Stäbchen auf, das ist so süß.

profil: Wodurch unterscheidet sich Ihr „europäisiertes“ Sushi von japanischem?
Chun: In Japan ist Sushi weniger sauer und weniger süß. Der Reis ist dadurch sehr mild. Für Anfänger schmeckt das oft ein bisschen langweilig. Sojasauce macht zwar auch einen starken Geschmack, aber es gibt Leute, die essen keine Sojasauce. Deswegen muss der Reis stärker gewürzt sein. In Japan gibt man oft auch weniger Reis, dafür ein größeres Stück Fisch. Und es werden viel mehr Fischarten verwendet. Makrele zum Beispiel, aber die mag ich nicht.

profil: Zu fett?
Chun: Nein, aber der Geruch. Man hat den Geschmack den ganzen Tag im Mund, wenn man rülpst. Aber wenn man es ein bisschen mariniert, schmeckt das schon ganz gut. In Japan ist auch geräucherter Aal sehr beliebt. Das haben wir auch versucht, aber das mögen die Leute nicht. Ich fokussiere darauf, was österreichische Gäste gerne essen. Damit habe ich 27 Jahre Erfahrung. 

Dass die Österreicher so gerne rohen Fisch mögen, damit hatte ich gar nicht gerechnet.

Akakiko-Gründerin Mi-Ja Chun

profil: Am beliebtesten ist vermutlich Lachs.
Chun: Ja, genau. Und an zweiter Stelle kommt Thunfisch. Anfangs haben wir auch Butterfisch serviert, aber der ist sehr fett, der schmilzt am Teller. Und Leute mit empfindlichem Magen vertragen ihn nicht so gut. Wir hatten Gäste, die bekamen davon Durchfall. Wir verwenden stattdessen jetzt Heilbutt. Persönlich mag ich weißen Fisch auf Reis nicht so gerne, das sieht nicht so hübsch aus. Ich esse am liebsten Thunfisch.

profil: Woher beziehen Sie Ihren Fisch?
Chun: Lachs kommt zu 100 Prozent aus Norwegen, wir beziehen ihn über einen Großhändler. Auf Eis bleibt er fünf bis sieben Tage frisch. Wir bekommen ihn in Kisten mit vier bis sechs Stück geliefert. Pro Jahr verarbeiten wir 150 bis 170 Tonnen Lachs. In unserer Zentralküche werden die Fische filetiert und vakuumiert, wieder auf Eis gepackt und in die Lokale geliefert. Der Thunfisch stammt aus dem Pazifik, meistens aus Thailand. Er wird direkt am Schiff filetiert und je nach Verwendungszweck gleich in Dosen gefüllt oder für Sashimi geschnitten, vakuumiert und schockgefroren. Das hält sich zwei bis drei Monate.

profil: Machen Sie sich auch Gedanken über Nachhaltigkeit?
Chun: Oh ja. Thunfisch wird immer weniger, das ist ein Problem. Man muss immer weiter raus aufs Meer, um ihn zu fangen. Es gibt Versuche, ihn zu züchten. Ich hoffe, das gelingt bald. Der Lachs, den wir beziehen, ist gezüchtet. Da sehe ich kein Problem. Ich habe einmal überlegt, österreichischen Alpenlachs zu verwenden. Die Fische haben sehr viel Platz, immer frisches Wasser, und sie wachsen nur langsam, das heißt, sie sind nicht so turbogezüchtet. Alles sehr natürlich und schmeckt sehr gut. Aber er ist sehr teuer, und die Händler können auch die Mengen, die wir benötigen, nicht liefern. Wir müssten unser Sushi richtig teuer verkaufen. Einmal haben wir Biolachs angeboten. Die Kunden haben gesagt, sie merken geschmacklich keinen Unterschied und wollen auch nicht so viel dafür zahlen.

profil: Genauso wichtig für Sushi wie Fisch ist der Reis. Was macht guten Sushi-Reis aus?
Chun: Wir beziehen einen sehr teuren Reis. Nishiki, der kommt aus Kalifornien und kostet doppelt so viel wie normaler Reis. Die Reiskörner dürfen nicht zu klein sein. Wir verwenden Mittelkornreis, der hält zusammen. Mit Langkornreis funktioniert das nicht, der fliegt. 

profil: Und wie wird der Reis zubereitet?
Chun: Zuerst muss er sechs bis sieben Mal gewaschen werden, bis er klar ist, sonst hat er keinen Glanz. Dann wird er in großen Reiskochern gekocht und danach mit Sushi-Sauce vermischt. Die machen wir selbst. Da ist ein bisschen Sake, also Reiswein, drin, Zitronensaft, Salz und fünfprozentiger Essig. Der Essig darf nicht zu stark sein, sonst wird es zu sauer. Außerdem kommt Zucker hinein, ohne hält der Reis nicht. Diese Sauce muss man sehr vorsichtig unter den Reis mischen, damit die Körner nicht zerstört werden und rundherum mit Sauce bedeckt sind. Dann muss er abkühlen. Wenn wir viel verkaufen und keine Zeit haben, stellen wir manchmal Ventilatoren auf, um ihn zu kühlen. Zu kalt darf er aber auch nicht sein, sonst schmeckt es nicht. Wir verarbeiten pro Jahr 120 bis 150 Tonnen Sushi-Reis. Neben Lachs ist das unser Hauptprodukt.

profil: Die Ausbildung zum Sushi-Meister dauert in Japan zehn Jahre oder mehr …
Chun: Das können wir hier nicht machen, für mich ist Zeit sehr wichtig. Bei mir ist es learning on the job. Ein neuer Mitarbeiter kann nicht sofort Sushi zubereiten, der macht zuerst den Abwasch. Später zeigt ihm der Meister, wie man was schneidet und mit den Zutaten umgeht. Es gibt Mitarbeiter, die sind super, andere müssen noch lernen. Es gibt auch solche, die haben wenig Talent. Aber unsere Mitarbeiter haben alle Chancen. Sie können lernen, was sie wollen. Und glücklicherweise habe ich sehr wenig Fluktuation. Mein Personal hat null Angst vor mir. Das ist gut, denn Angst ist schlecht für das Betriebsklima.

profil: Kann man mit einer österreichischen Lehrausbildung zum Koch auch Sushi zubereiten?
Chun: Prinzipiell schon. Hier, in diesem Lokal im Gerngross auf der Mariahilfer Straße, haben wir viele Lehrlinge für Service und auch Küche gehabt, aber Sushi haben sie nicht geschafft. Die Hände sind zu groß, und sie haben wenig Gefühl in den Fingern. Deswegen habe ich nur asiatische Sushi-Meister. 

profil: Wo und wie rekrutieren Sie die?
Chun: Die kommen automatisch. Ich habe sehr viele Mitarbeiter, die haben Familie und Freunde, und die kommen dann oft auch zu uns. Bei uns sind alle auf Augenhöhe. Der Abwäscher ist genauso wichtig wie der Sushi-Meister.

profil: Und Ihre Sushi-Meister sind Japaner?
Chun: Koreaner, Philippinos, Chinesen. Mein letzter japanischer Sushi-Meister ist in Pension gegangen. In der Zentralküche habe ich eine japanische Konditormeisterin, die ist wirklich gut.

profil: In Japan können Frauen keine Sushi-Meister werden. Wie ist das bei Ihnen?
Chun: Ich habe ein paar Mädchen, die sind super. 

profil: Sushi-Zubereitung bedeutet viele Handgriffe. Ich nehme an, ein Sushi-Restaurant ist personalintensiver als ein traditionelles österreichisches Gasthaus.
Chun: Ja, man hat viel Schnibbelarbeit, viel kleines Geschirr und Dekoration auf den Tellern. Manche Köche geben das Essen ganz flach auf den Teller, das ist so schiach. Mit etwas Dekoration ist das gleich viel besser. Wir haben aber auch einen schnellen Gästewechsel, da kann man nicht wie im Haubenrestaurant alles perfekt mit der Pinzette anrichten. Doch wir haben sicher mehr Personal als manch anderes Restaurant. Gerade zu Mittag muss man sehr schnell servieren und schnell kassieren, und dafür benötigt man genügend Mitarbeiter. 

profil: Seit einigen Tagen dürfen Sie in Ihren Restaurants wieder Gäste empfangen. Kommen die Leute in Scharen oder sind sie noch zurückhaltend?
Chun: Die ersten drei Tage war sehr wenig Geschäft. Das hat uns überrascht. Wir waren so gut vorbereitet, und dann kam kaum jemand. Jetzt wird es langsam mehr, aber so wie vor der Pandemie ist es noch nicht. 

profil: Wie sind Sie generell durch diese Krise gekommen? Konnten die Umsätze aus dem Zustellservice die Einbrüche in den Restaurants wettmachen?
Chun: In meinen vier Lokalen im 1. Bezirk hatte ich Umsatzeinbußen zwischen 70 und 80 Prozent. Da kann man nicht mal die Miete zahlen. Wir haben, wie von der Regierung versprochen, den Fixkostenersatz bekommen. Ohne wäre es uns schlecht ergangen. Schon vor Corona hat die Zustellung 30 bis 35 Prozent zum Umsatz beigetragen. Das hat natürlich ordentlich angezogen. Nur ein Beispiel: In unserem Lokal in der Shopping City Süd haben wir normalerweise drei Zustellfahrer. Während der Lockdowns waren es über zehn. Vor der Pandemie hatten wir insgesamt 400 Mitarbeiter. Jetzt sind es nur noch 320, aber es ging leider nicht anders. 

profil: Zum Abschluss: Mögen Sie eigentlich die klassische österreichische Küche?
Chun: Ja, ich mag sie …

profil: Sie müssen das jetzt nicht sagen.
Chun: Doch. Ich esse gerne Zwiebelrostbraten, wenn er dünn geschnitten und nicht so hart ist und die Zwiebel nicht so schwarz gebraten sind. Tafelspitz ist auch gut. Und die österreichischen Nachspeisen sind ohnehin die besten der Welt.

 

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).