Credit Suisse und Silicon Valley Bank: Bankenkrise 2.0

Die Krisen bei Credit Suisse und der Silicon Valley Bank ziehen weite Kreise in der Bankenbranche, auch österreichische Unternehmen sind betroffen. Warum kamen die Finanzinstitute gerade jetzt ins Straucheln?

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Zahlungsunfähigkeit, massive Kursverluste und staatliche Rettungsaktionen: Die vergangene Woche lieferte auf den Finanzmärkten Anzeichen einer Krise, wie sie die Bankenwelt zuletzt 2008 erlebt hatte. Die Liquiditätsprobleme der Credit Suisse und der regionalen Silicon Valley Bank lagen nur wenige Tage auseinander. Schlimme Folgen konnten bisher durch Zuschüsse vermieden werden, doch die beiden Fälle zeigen grobe Fehler des Bankensystems auf.

Liquidätsprobleme im Silicon Valley

Die Silicon Valley Bank war das inoffizielle Hauptthema der Technologiekonferenz SXSW in Austin, Texas: Abseits von den Bühnen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank. Die zweiwöchige Veranstaltung startete am 10. März,  an dem Tag, an dem Einlagen in Milliardenhöhe abgezogen wurden – oder das zumindest versucht wurde. Denn die Firmenkonten waren aufgrund der vielen Anfragen nicht mehr zugänglich. So erzählte etwa Instagram-Gründer Kevin Systrom auf der Bühne, dass sein neues Start-up Artifact sein Geld bei der Bank habe. Viele Kunden versuchten, von Texas aus ihre Gelder zu retten. Unter ihnen auch der österreichische Manager Tobias Hann. Mit dem KI-Start-up Mostly.ai eröffnete Hann 2019 für eine Niederlassung in New York ein Konto bei der auf die Technologiebranche spezialisierten Bank: „Sie haben uns damals die Kontoeröffnung als Start-up aus Österreich recht einfach gemacht, was scheinbar nicht immer bei amerikanischen Banken der Fall ist“, erinnert er sich. Mostly.ai beschäftigt in den USA nur fünf Mitarbeiter. „Hier ist aber der größte Markt für uns.“

Standortwechsel: In Europa kam die Credit Suisse vergangene Woche ins Wanken, allerdings nicht so überraschend wie bei der Silicon Valley Bank. Seit Jahren kämpft das börsennotierte Institut mit Skandalen, da es laut Recherchen in zahlreiche Betrugsgeschäfte verwickelt gewesen sein soll. Es gilt die Unschuldsvermutung.  Zudem verbuchte die Credit Suisse 2022 einen Verlust in Höhe von 7,3 Milliarden Franken – das größte Minus seit der Finanzkrise 2008. Vor einigen Tagen kam es dann zu Liquiditätsproblemen und zweistelligen Kursverlusten, weil der Großaktionär Saudi National Bank keine Unterstützung mehr geben wollte. Um größere Auswirkungen zu verhindern, sicherte die Schweizer Nationalbank am Mittwoch bis zu 50 Milliarden Franken zu. Die Märkte beruhigte dieser Schritt nur kurzfristig.

Wenn die Bevölkerung Vertrauen verliert, ist die Gefahr weiterer Systemprobleme gegeben.

Heike Lehner, Ökonomin

Was die Krisen bei der Schweizer Großbank und der Regionalbank aus dem Silicon Valley vereint, ist mutmaßliches Missmanagement. Die 1983 gegründete Silicon Valley Bank spezialisierte sich auf den Tech-Sektor. Während die Großbanken ausländische Firmenkunden nur mit einem komplizierten Verfahren annehmen, erkannte die Bank diese Schwachstelle. So konnte auch Hann für Mostly.ai das Firmenkonto online eröffnen. Das Finanzinstitut verwaltete vor dem Crash 175 Milliarden US-Dollar und besaß Vermögenswerte von bis zu 209 Milliarden Dollar. Warum geriet das Institut also in eine Schieflage, die schließlich dazu führte, dass die Regulierungsbehörde Federal Deposit Insurance Corp. (FDIC) die Kontrolle übernahm?

Tech-Sektor im Abwärtstrend

Wie mittlerweile bekannt ist, veranlagte die SVB einen großen Teil ihrer Einlagen in zehnjährigen Staatsanleihen. Im Jahr 2021 floss mit 333 Milliarden Dollar so viel Risikokapital wie noch nie in Start-ups, viele parkten diese Finanzierungen bei der Bank. Seit mehr als einem Jahr befindet sich der Tech-Sektor allerdings im Abwärtstrend, die Unternehmen brauchen also wieder Zugriff auf ihre Reserven – die die SVB langfristig veranlagt hatte. Hinzu kommen die steigenden Zinsen und die Inflation. Das machte einige Kunden nervös, unter ihnen der prominente Investor Peter Thiel. Als er verkündete, seine Einlagen von der SVB abzuziehen, wurden andere nervös. Die auf Twitter aktive Tech-Community diskutierte sich in einen sogenannten Bank Run: Viele zogen aufgrund von Unsicherheit ihr Geld ab. So fiel der Regionalbank mangelndes Risikomanagement auf den Kopf, wie Ökonomin Heike Lehner erklärt: „Anstatt sich ausreichend gegen das Zinsänderungsrisiko abzusichern, vertraute sie darauf, dass die Einlagen ihrer Kunden bei ihnen bleiben würden. Nachdem diese allerdings trotzdem begannen, ihre Einlagen abzuziehen, musste die SVB die Anleihen mit großen Verlusten verkaufen.“ Deshalb musste die Bank zusperren, die FDIC übernahm.

Bis zum Zeitpunkt der Rettung gab es  keinerlei Kommunikation vonseiten der Silicon Valley Bank mit uns.

Tobias Hann, Mostly.ai

Davon wussten die Kunden vor dem besagten Wochenende nichts: „Das war für mich extrem überraschend, denn es gab bis zum Zeitpunkt der offiziellen Rettung am Sonntagabend keinerlei Kommunikation vonseiten der Bank mit uns“, sagt Mostly.ai-Chef Hann. Das Unternehmen habe den Großteil seiner Investorengelder auf seinem österreichischen Konto, die Einlagensicherung in Höhe von 250.000 US-Dollar hätte aber nicht gereicht. Die US-Regierung informierte am Sonntagabend, die gesamten Einlagen wiederherzustellen. Bezahlen sollen dafür nicht die Steuerzahler, betont US-Präsident Joe Biden. Stattdessen solle die Silicon Valley Bank unter neuem Management dafür sorgen, dass die Geldreserven wieder verfügbar sind. Was mit der Silicon Valley Bank passiert, ist noch unklar. Wahrscheinlich ist eine Übernahme durch eine andere Großbank. Die HSBC übernahm am Montag nach dem Krisenwochenende die britische Niederlassung für einen Pfund, in Deutschland schloss die Aufsichtsbehörde Bafin die dortige Niederlassung. Die Ex-Konzernmutter SVB Financial Group beantragte ein Insolvenzverfahren, dies betrifft jedoch nicht das von der FDIC verwaltete Bankengeschäft. Im Fall der Credit Suisse soll der Schweizer Mitbewerber UBS gegen einen Zusammenschluss sein.

Der Zusammenbruch der Banken sorgt jedenfalls für Nervosität: „Wie es in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht, hängt stark von den weiteren geldpolitischen Entscheidungen ab“, erklärt Ökonomin Lehner. Die EZB erhöhte den Leitzins am Donnerstag um 50 Basispunkte, die US-Notenbank trifft sich am Dienstag. „Manche Analysten rechnen jetzt sogar mit gar keinem weiteren Zinsanstieg in den USA“,  meint Lehner und ergänzt: „Die lockere Geldpolitik und starke Zinserhöhungen haben signifikante Finanzmarktrisiken mit sich gebracht. Ich denke nicht, dass die Währungshüter wegen der Finanzmärkte die Inflationsbekämpfung verlangsamen sollten. Denn die hohe Inflation belastet jeden Bürger und kann mittel- bis langfristig sogar Unruhen in der Bevölkerung bedeuten.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein regionaler Schock wie durch die SVB das Bankensystem in Österreich oder der EU signifikant unter Druck setzen werde, sei laut Lehner gering.  Wäre der Niedergang der Traditionsbank durch bessere Regulierungen vermeidbar gewesen? „Keine Bankenvorschrift der Welt kann gutes Risikomanagement in Banken ersetzen. Möglicherweise war die Aufsicht bei ihrer Prüfung der Bank nicht gründlich und genau genug“, analysiert Ökonomin Lehner. Es müsse geklärt werden, warum solch  große Fehler im Risikomanagement nicht vorher aufgefallen sind. Auch in den USA sehen Analysten trotz der kurzfristigen Bewegungen keine Gefahr einer mit 2008 vergleichbaren Finanzkrise. Deutschlands Bundeskanzler beschwichtigte am Freitag gegenüber dem „Handelsblatt“. „Das Geldsystem ist nicht mehr so fragil wie vor der Finanzkrise“, lehnt er Vergleiche zur Pleite der Lehman Brothers ab. Ökonomin Heike Lehner spricht ebenfalls von Einzelfällen, gibt aber zu bedenken: „Das Bankensystem basiert auf Vertrauen. Wenn die Bevölkerung das verliert, ist die Gefahr weiterer Systemprobleme absolut gegeben. “

Tobias Hann von Mostly.ai sieht die Lage wieder entspannt: „Unser operatives Geschäft war nie gefährdet, und auch wenn es nicht zum staatlichen Eingriff gekommen wäre, wären wir mit einem blauen Auge davongekommen. Der Geschäftsführer hat seit vergangenem Montag wieder Zugriff auf das Firmenkonto: „Ob wir auch weiterhin Kunde von SVB bleiben, werden wir in den kommenden Wochen entscheiden.“ Die großen Mitbewerber kristallisieren sich als Gewinner des SVB-Absturzes heraus: Bei der Bank of America etwa landeten in den vergangenen Tagen mehr als 15 Milliarden US-Dollar.