Elisabeth Scharang: "Wer Angst hat, ist leichter kontrollierbar"

Filmemacherin Elisabeth Scharang: "Wer Angst hat, ist leichter kontrollierbar"

Interview. Elisabeth Scharang über ihren Film "Kick Out Your Boss" und alternative Arbeitsmodelle

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Interview: Simon Moser

Mit Fachbüchern über Arbeitsorganisation ließen sich Bibliotheken füllen. Einen anderen, ungewöhnlicheren Zugang zum Thema fand die österreichische Filmemacherin Elisabeth Scharang. In ihrer jüngsten Dokumentarproduktion beschäftigt sie sich mit alternativen Arbeitsmodellen: "Kick Out Your Boss“ zeigt drei Betriebe, in denen flache Hierarchien und Mitbestimmung Realität sind. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die diese Projekte am Laufen halten, und ihre Vorstellung von einem erfüllenden Arbeitsleben. Eine der vorgestellten "drei Versionen einer Vision“ ist das brasilianische Industrieunternehmen Semco, dessen Demokratisierung einen enormen Wachstumsschub auslöste. Freie Arbeitszeitgestaltung (siehe auch Titelgeschichte hier) ist dort seit Jahrzehnten nichts Ungewöhnliches. Porträtiert werden außerdem die Grazer Designagentur En Garde sowie ein serbischer Pharmabetrieb, der von seinen Mitarbeitern in Selbstverwaltung geführt wird.

Zu sehen ist "Kick Out Your Boss“ ab 21. November im Wiener Admiral Kino. Begleitend zum Film ist eine Internetplattform zur Förderung des Dialogs über alternative Arbeits- und Lebensentwürfen entstanden: www.kickoutyourboss.com

profil: Alternative Arbeitsmodelle sind kein unbedingt leicht zu verfilmendes Thema. Wie kam es dazu?
Elisabeth Scharang: Einerseits spielte zu Beginn der Kampf der freien Mitarbeiter im ORF für bessere Arbeitsbedingungen eine Rolle. Da ging es nicht nur um faire Bezahlung, sondern auch um Anerkennung für die geleistete Arbeit. Zum anderen habe ich über Ricardo Semler gelesen, der in seinem Maschinenbauunternehmen in Brasilien schon vor 30 Jahren demokratische Strukturen eingeführt hat. Daraus entwickelte sich die Idee für den Film.

profil: Sie drehten auch in Brasilien, haben Semlers Modell der Arbeitermitbestimmung kennengelernt. Sind Sie dort nur auf Zufriedenheit oder auch auf Konflikte gestoßen?
Scharang: Man nimmt sich als Filmemacherin natürlich vor, möglichst viel zu hinterfragen. Es versucht dort aber niemand, Besucher davon zu überzeugen, dass alles gut läuft. Ich konnte mir selbst eine Meinung bilden. Ich habe zwei Tage lang nicht gewusst, wer der Chef ist, obwohl er die ganze Zeit im Gemeinschaftsbüro neben allen anderen saß. Es gibt in dieser Firma keine Regel, dass nur der Boss oder die PR-Abteilung nach außen über die Firma sprechen dürfen. Es geht um Vertrauen, Respekt und Eigenverantwortung. Die Mitarbeiter haben zum Beispiel die Möglichkeit, einen Teil ihres Lohns gegen mehr Freizeit einzutauschen.

profil: Würden diese flachen Hierarchien auch in einem österreichischen Industriebetrieb funktionieren? Ist das nicht auch eine Mentalitätsfrage?
Scharang: Es ist keine Mentalitätsfrage. Es kommt weder auf die Branche an, noch auf die Größe des Betriebs, auch wenn kleinere Gruppen natürlich einfacher zu organisieren sind. Es gibt ja bereits genügend Unternehmen in Österreich, die das so machen. Und zwar nicht nur im Kreativbereich, sondern auch im verarbeitenden Gewerbe.

profil: Werden demokratische Unternehmensstrukturen in 20 Jahren Normalität sein? Prekäre Arbeitsverhältnisse, Selbstausbeutung, Burnout - sieht die Realität vieler Arbeitnehmer nicht eher so aus?
Scharang: Ich weiß es nicht, ich hab ja nicht den Überblick über die ganze Welt. Mir geht es darum, Strukturen zu hinterfragen, die wir als gegeben annehmen. "Es ist halt so“, das höre ich oft, gerade in großen Unternehmen, und zwar von Mitarbeitern und von Vorgesetzten. Warum eigentlich? Wirtschaftlich ergeben diese eingefahrenen Strukturen keinen Sinn, du schöpfst das Potenzial der Leute nicht aus, du blockierst sie, frustrierst sie. Oft lässt sich da schon mit kleinen Schritten viel verändern. Man muss ja nicht gleich alles umschmeißen.

profil: Was die Möglichkeit zur Veränderung angeht, ist Ihr Film überaus optimistisch.
Scharang: Ja, man kann etwas bewegen. Sehr viele Leute haben Angst, aber die ist oft irrational. Wer Angst hat, bewegt sich nicht, und wer sich nicht bewegt, den kann man leichter kontrollieren. Menschen, die ihre Angst verlieren, lassen sich weniger einreden. Genau das wollte ich mit dem Film sagen: Man sollte nach den eigenen Bedürfnissen fragen, statt im Wirtschaftsteil der Tageszeitung nachzulesen, ob wir in einer Krise stecken und wie es einem damit zu gehen hat. Jeder hat einen gewissen Bewegungsspielraum, den man für sich nutzen kann. Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen machen das im Übrigen eher, denn die spüren die Krise tatsächlich.

profil: Aber wollen nicht gerade viele junge Menschen raus aus dem Prekariat, schaffen es aber nicht, weil es immer weniger Anstellungen gibt? Die haben vielleicht gar nicht das Bedürfnis nach mehr Mitbestimmung, sondern in erster Linie nach einer soliden Lebensgrundlage.
Scharang: Warum sollte das eine das andere ausschließen? Ich persönlich verstehe es auch als Freiheit, mit wenig Geld auskommen zu können. Angst und Pessimismus nützen ja nichts, damit kommt man nicht weiter.

profil: Wenn die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit immer mehr verschwimmen, besteht dann nicht auch die Gefahr, dass der Job noch stärker über das Leben bestimmt?
Scharang: Ja, das ist ein Grenzgang. Der Wunsch nach Spaß an der Arbeit wird ja auch instrumentalisiert, etwa von Unternehmen wie Google. Da hast du einen Arbeitsplatz mit allem, was du brauchst, und eine geschlossene Welt um dich herum. Wichtiger als der Spaßfaktor ist da wahrscheinlich die Frage, ob meine Arbeit für mich und für die Welt, in der ich lebe, Sinn ergibt. Und das ist für einen Kellner genauso möglich wie für eine Reinigungskraft oder eine Journalistin.

profil: Viele können sich das aber nicht aussuchen, weil die einzige Alternative die Arbeitslosigkeit wäre.
Scharang: Wir hatten bei einer unserer Diskussionen nach der Filmvorführung in Graz jemanden, der als Beispiel den Straßenverkäufer in Mexiko genannt hat, der 16 Stunden am Tag Essen verkauft und sich nicht den Luxus leisten könne, über seine Situation zu bestimmen. Woher kommt die Arroganz, zu beurteilen, ob dieser Mensch ein gutes oder schlechtes Leben führt, ob er Freude an seiner Arbeit hat oder nicht? Der hat vielleicht mehr Freude daran als Sie und ich zusammen.

profil: Wie viel Zeit und Energie fließt bei den Unternehmen, die Sie zeigen, in demokratische Entscheidungsprozesse?
Scharang: Es ist viel Zeit und viel Energie notwendig, aber die Loyalität und Zufriedenheit, die man bekommt, sind unbezahlbar. Es funktioniert übrigens nicht, den halben Weg zu gehen. Wenn man seinen Mitarbeitern nicht ganz vertraut, hat man es mit Marionetten zu tun.

profil: Wie geht es denn Ihnen persönlich mit innerbetrieblichen Hierarchien?
Scharang: Ich habe ja grundsätzlich nichts gegen Führungspositionen. Es kommt nur darauf an, wie transparent man mit Hierarchie umgeht. Ich kenne das aus meinem Arbeitsalltag: Viele schimpfen gern nach oben, wollen aber keine Eigenverantwortung übernehmen und machen es sich in ihrer Unzufriedenheit bequem. Insofern muss man beide Seiten in einen Dialog holen: Menschen in Führungspositionen, die in ihren Chefbüros vereinsamen und so den Kontakt zur Basis verlieren - und die Mitarbeiter, die bereit sind, selber etwas für flache Hierarchien zu unternehmen.

profil: An einer Stelle im Film beklagt ein Mitarbeiter in Brasilien, Betriebsneulinge seien es nicht gewohnt, sich zu beteiligen. Muss man den Menschen stärker beibringen, wie Mitbestimmung funktioniert?
Scharang: Deshalb gibt es ja eine Bildungsdebatte. Die Frage ist: Wollen wir Aufbewahrungsanstalten für unsere Kinder - oder wollen wir, dass sie lernen und zu eigenverantwortlichen Erwachsenen werden? Oder noch konkreter: Wer sind eigentlich diejenigen, die das nicht wollen?

Mitarbeit: Stefan Grissemann

Zur Person
Elisabeth Scharang, 45, ist nicht nur mehrfach ausgezeichnete Regisseurin und Drehbuchautorin, sondern seit mehr als 20 Jahren auch als Radio- und TV-Journalistin für den ORF tätig. Ihre Filmografie umfasst sowohl Dokumentarfilme (u. a. "Tintenfischalarm“, 2006) als auch Spielfilme (u. a. "Franz Fuchs - Ein Patriot“, 2007; "Vielleicht in einem anderen Leben“, 2011).

Foto: Monika Saulich für profil