Gender-Pay-Gap: Heimat bist du schlecht bezahlter Töchter
Ab 2026 müssen größere Betriebe ihren Gender-Pay-Gap veröffentlichen. Das soll Lohndiskriminierung verhindern. Eine Rundfrage bei den größten Unternehmen zeigt: Nirgendwo verdienen Frauen mehr als Männer, nirgendwo gibt es mehr Chefinnen als Chefs.
Sarah K. fühlt sich verräumt. Vor etwas mehr als einem Jahr leitete sie noch eine ganze Abteilung mit einem Dutzend Mitarbeitern in einem heimischen Finanzinstitut. Dann bekam sie ein Kind, ging ein Jahr in Karenz und kam zwar in Vollzeit, aber als einfache Angestellte zurück – unfreiwillig. „Die Mutterschaft hat mich meine Führungsposition gekostet. So sollte es doch nicht sein, oder?“, sagt Sarah K., die eigentlich anders heißt, aber ihren Namen und den ihres Arbeitgebers aus Angst vor Nachteilen nicht lesen will. Sie und ihr Partner hatten Karenz und Betreuung so geplant, dass beide danach wieder arbeiten können.
Den Job von Sarah K. macht jetzt ausgerechnet die Karenzvertretung. Weil sie jetzt ein Kind habe und weniger flexibel sei und die Kollegin – ohne Kind – den Job nun ein Jahr gemacht habe, sei es vielleicht in ihrem Sinn, etwas zur Seite zu treten, meinten ihre Arbeitgeber. Immerhin wolle man ihr das gleiche Gehalt zahlen – weniger wäre auch unzulässig. In den kommenden Jahren wird Sarah K. trotzdem finanziell schlechter aussteigen als Führungskräfte, die Beförderungen und höhere Gehaltssprünge erwarten.
Gleiche Geschichte, anderes Unternehmen: Katharina G. wiegt ihr Baby, während sie mit profil spricht. Es gluckst und strampelt in alle Richtungen. Auch sie verlor während ihrer ersten Karenz ihre Führungsposition in einem bekannten Start-up. „Meine Chefs sagten: Wir können uns ja nicht darauf verlassen, dass du wieder voll zurückkommst. Und ich denke mir: Warum soll ich das noch tun, wenn mich dort keiner haben will“, meint Katharina G. „Das Gesicht deines Arbeitgebers zeigt sich, wenn du aus der Karenz zurückkommst.“
Österreich hat mit 18,3 Prozent den zweithöchsten Gender-Pay-Gap in der EU (siehe Grafik). Seit dem 2. November arbeiten Frauen hierzulande bis Jahresende gratis im Vergleich zu Männern. Rechnet man Faktoren wie Branchenzugehörigkeit, Teilzeit oder die Position im Unternehmen heraus, bleibt immer noch eine nicht erklärbare Lohndiskriminierung von 12,02 Prozent gegenüber Männern.
Im Management muss man Frauen mit der Lupe suchen: Nur 13,8 Prozent der Geschäftsführer:innen in den Top-200-Unternehmen Österreichs sind Frauen – jede weibliche Chefbesetzung wird von einer PR-Fanfare begleitet. Laut dem European Institute for Gender Equality gibt es nur ein Land mit weniger weiblichen CEOs und Vorständen als Österreich – Luxemburg. Aber das ist wiederum das einzige EU-Land, in dem Frauen im Schnitt um 0,9 Prozent mehr verdienen als Männer. Eine profil-Rundfrage bei den 30 größten heimischen Betrieben (nach Umsatz 2024, Anm.) zeigt: Nirgendwo verdienen Frauen mehr als Männer. Der Gender-Pay-Gap fällt – mal mehr, mal weniger – zuungunsten der Frauen aus. Und überall sind sie im Top-Management in der Minderheit. Wie frauenfeindlich ist Österreichs Arbeitswelt?
Ziemlich, wenn man sich die blanke Statistik ansieht. Eine neue EU-Richtlinie zu mehr Lohntransparenz soll den Gender-Pay-Gap ab 2026 lindern. Ganz konkret schreibt die EU dann vor: Unternehmen ab 100 Angestellten müssen den Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern berechnen und veröffentlichen. Beschäftigte können dann Auskunft über ihr eigenes Entgelt im Durchschnitt zum Entgelt nach Geschlecht und für die gleiche Tätigkeit verlangen. Und sollte es zu arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen kommen, liegt die Beweislast künftig nicht mehr bei der oder dem Angestellten, der mutmaßlich aufgrund des Geschlechts weniger verdient, sondern beim Arbeitgeber. Ziel ist es, die geschlechterspezifischen Gehaltsunterschiede auf unter fünf Prozent zu bringen.
Wie viel verdienst du so?
Für Großbetriebe gelten bereits Berichtspflichten und Quoten. Seit 2018 müssen ein Drittel der Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen Frauen sein. Die „Women on Board“-Richtlinie der EU (40- bzw. 30 Prozent-Quote) hätte 2024 umgesetzt werden sollen. Weil Österreich säumig ist, läuft nun ein EU-Vertragsverletzungsverfahren.
„Wir rechnen schon mit mehr Beschwerden aufgrund der neuen EU-Gehaltstransparenzrichtlinie“, sagt Verena Pirker, Juristin bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft. 374 Fälle von geschlechterspezifischer Diskriminierung am Arbeitsplatz und 30 wegen Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts landeten im Vorjahr bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Heuer waren es schon 386 beziehungsweise 38 Fälle. War schon einmal ein Mann da, weil er im Vergleich zu einer Kollegin weniger verdiente? „Nein, das hätte sich sofort bei uns herumgesprochen. Männer melden sich bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft in der Regel , wenn sie wegen ihrer Herkunft oder aufgrund des Alters diskriminiert werden“, erklärt die Juristin.
"Ich hatte einmal einen Fall, in dem eine Vorgesetzte deutlich weniger verdiente als ihr männlicher Mitarbeiter. Und einmal mussten wir streiten, weil die männliche Karenzvertretung gleich 40 Prozent mehr Gehalt für die gleiche Tätigkeit erhielt als die Frau, die eben ein Baby bekommen hatte.“
Verena Pirker, Juristin bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft
„Aber ich hatte einmal einen Fall, in dem eine Vorgesetzte deutlich weniger verdiente als ihr männlicher Mitarbeiter. Und einmal mussten wir streiten, weil die männliche Karenzvertretung gleich 40 Prozent mehr Gehalt für die gleiche Tätigkeit erhielt als die Frau, die eben ein Baby bekommen hatte“, erzählt Pirker. Die Gründe, die Arbeitgeber für die ungleiche Entlohnung ins Treffen führen, seien immer die gleichen. Hier ein Best-of, das die Gleichbehandlungsanwaltschaft auf ihrer Website veröffentlicht: „Sie hat einfach weniger Gehalt verlangt als ihr Kollege.“ Oder: „Sie leistet weniger im Job.“ Auch oft: „Sie ist nicht so flexibel.“
Sich zu wehren, bleibt oft ein Privileg gebildeter Frauen. Im Warteraum der Gleichbehandlungsanwaltschaft sitzen Akademikerinnen mit Einkommen und Selbstbewusstsein. Eine Supermarktkassiererin oder Pflegekraft verirrt sich kaum hierher – dabei ist dort die Benachteiligung oft größer.
Ganz untätig war Österreich dennoch nicht: Der Equal-Pay-Day rückt jährlich nach hinten, die Beschäftigungsquote von Frauen steigt. Dennoch arbeitet die Hälfte aller Frauen in Teilzeit; bei Männern sind es nur 13,7 Prozent.
Die letzte CEO
Im Sommer dieses Jahres verließ Elisabeth Stadler den Vorstand der Vienna Insurance Group (VIG), und Österreich verlor seine einzige ATX-CEO. Seitdem gibt es keine Frau mehr an der Spitze eines ATX-Konzerns.
profil fragte in den 30 größten heimischen Unternehmen nach, wie es mit der Frauenfrage im Betrieb steht. Red Bull, KTM und die voestalpine verzichteten auf eine Stellungnahme. Das Stahlunternehmen voest muss als börsennotiertes Unternehmen in seinem Geschäftsbericht einen Gender-Pay-Gap ausweisen. Und dort steht auf Seite 288, dass Frauen im Konzern im Vergleich zu Männern um 19,8 Prozent weniger verdienen (Vorstand herausgerechnet). Auch überall anders fällt die Bilanz zuungunsten der Frauen aus. In Kürze: Es gibt keinen österreichischen Großbetrieb, in dem ausnahmsweise Frauen im Schnitt mehr verdienen als Männer. Sie sind auch nirgendwo im Top-Management in der Überzahl. Und dort, wo es jetzt schon Quotenvorgaben oder Berichtspflichten für den Gender-Pay-Gap gibt, etwa bei börsennotierten Unternehmen, fallen die Gehaltsunterschiede deutlich niedriger aus.
Kurz zusammengefasst: Bei Österreichs Großbanken und Versicherungen liegt der bereinigte Gehaltsunterschied – also gleiche Position und gleiche Arbeit – im niedrigen einstelligen Bereich. Der unbereinigte Wert aber, also um wie viel Frauen insgesamt weniger verdienen als Männer, schnellt in den zweistelligen Bereich hinauf. Den geringsten – wohlgemerkt bereinigten – Gehaltsunterschied weist ausgerechnet der männlich dominierte Baukonzern Porr auf: Dort verdienen Frauen bei gleicher Qualifikation und gleicher Tätigkeit um 3,7 Prozent mehr. Unbereinigt, weil sie auch in Management-Position unterrepräsentiert sind, verdienen die Frauen dort im Schnitt um ein Fünftel weniger. Den höchsten Gehaltsunterschied meldete der Zuckerkonzern Agrana, nämlich 28,3 Prozent (unbereinigt).
Auch in Branchen, wo der Großteil der Belegschaft weiblich ist – im Lebensmittelhandel etwa – verdienen Frauen im Schnitt etwas weniger als Männer, und sie sind auch im Vorstand unterrepräsentiert. Lediglich Hofer, eine der vier großen Supermarktketten, hat zwei weibliche und zwei männliche Vorstände.
Bei der OMV gibt es sogar regionale Unterschiede: Im Headquarter in Österreich verdienen Frauen (unbereinigt) fast um ein Zehntel weniger als Männer; in der gesamten Gruppe schrumpft der Gender-Pay-Gap auf 1,4 Prozent. Immerhin: Fast alle angefragten Unternehmen streben den von der EU geforderten Pay-Gap von unter fünf Prozent an und versprechen Maßnahmen.
NTERVIEW: ARBEITS-, SOZIAL- UND GESUNDHEITSMINISTERIN KORINNA SCHUMANN (SPÖ)
Verordnete Transparenz
Arbeitsministerin Korinna Schumann (SPÖ) muss bald den Gesetzesentwurf für die Umsetzung der EU-Gehaltstransparenzrichtlinie vorlegen.
Eva-Maria Burger kommt gerade aus dem Arbeitsministerium. Sie leitet in der Arbeiterkammer Wien die Abteilung „Frauen und Gleichstellungspolitik“ und verhandelt gerade aufseiten der Sozialpartner die Umsetzung der neuen EU-Gehaltstransparenzrichtlinie mit dem zuständigen Arbeitsministerium. Am Ende dieser Verhandlungen sollte Arbeitsministerin Korinna Schumann einen Gesetzestext in Begutachtung schicken, der die Vorgaben aus Brüssel in nationales Recht gießt. Und die Monitoring-Plattform, auf der Unternehmen ihre anonymisierten Lohndaten einmelden müssen, sollte weitgehend fertig sein. Dort – so das Ziel – soll man den Gender-Pay-Gap nach Branche, nach Region und sogar nach Unternehmen filtern können. „Es geht hier um Transparenz, die nicht nur Frauen, sondern auch Männer vermissen. In unserer jüngsten Umfrage wünscht sich die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Informationen und Transparenz zu den Gehältern im Betrieb“, sagt Burger.
Ob sich das auch die betroffenen Unternehmen wünschen, ist fraglich. Arbeitgebervertreter sehen in der neuen Maßnahme die nächste Bürokratiekeule aus Brüssel. Und für den einen oder anderen wird es wohl auch teurer, weil man Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn bezahlt hat. Der Tenor aus der Wirtschaft: Man wartet ab, wie die konkrete gesetzliche Umsetzung aussieht – und ist vorerst skeptisch. Der österreichische Weg eben.