Wer zahlt drauf: Der Mieter oder der Vermieter?

Hohe Mieten, mickrige Renditen: Taugt die Immobilie noch als Anlageobjekt?

Hohe Mieten, mickrige Renditen: Taugt die Immobilie noch als Anlageobjekt?

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Als Richard Totzer* im Jahr 2011 die Entscheidung traf, hielt er sie für die beste seines Lebens. Um etwas mehr als 200.000 Euro kaufte er eine Eigentumswohnung, um sie anschließend zu vermieten. Totzer kratzte seine Ersparnisse zusammen, legte einen Bankkredit oben drauf, und fertig war das Investment. Ein ruhiges Eck in einem quirligen Teil Wiens, 6. Bezirk, 90 Quadratmeter. Sogar eine Gartenparzelle ist dabei. „Trotzdem stelle ich heute fest“, so der Mittvierziger, „dass ich fast nichts an der Wohnung verdiene.“

Hanna Maurer* kann das nicht nachvollziehen. Sie ist seit ein paar Jahren auf der Suche nach einer größeren Wohnung. Genau genommen, seit sich Nachwuchs angekündigt hat. Mittlerweile steht die kleine Tochter knapp vor ihrem vierten Geburtstag. Und schläft immer noch im Zimmer der Eltern. Dabei sind die Ansprüche der Familie nicht hoch: „Anna soll ihr eigenes Kinderzimmer haben. Wünsche, wie einen kleinen Balkon, haben wir uns längst abgeschminkt“, sagt die junge Frau. Die Maurers, beide berufstätige Akademiker, haben eine absolute Schmerzgrenze: 950 Euro. Eine höhere Miete können sie sich nicht leisten. Doch erschwingliche Objekte seien nicht zu finden. Und wenn, sind sie schnell vergeben. „Die Eigentümer verlangen Wuchermieten“, ist Maurer deshalb überzeugt.

Eine Stadt, zwei Wahrnehmungen: Mieter klagen über enorm gestiegene Mieten – in Wien genauso wie in anderen Ballungsräumen Österreichs. Wohnungseigentümer hingegen behaupten, sie könnten mit dem Vermieten kaum noch Erträge generieren. Ein Paradoxon, so scheint es. Wie ist diese Diskrepanz möglich?

Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Immobilieninvestments scheinen die Anleger jedenfalls nach wie vor nicht zu plagen.

Wer das wissen will, muss seinen Blick weit über Österreich hinaus richten, auf die Lage der Weltwirtschaft: Seit der Finanzkrise ist die Nachfrage nach Immobilien als Kapitalanlage groß wie nie zuvor. Die Achterbahnfahrten auf den Aktienmärkten (wie zuletzt die Börsenturbulenzen in China), Sparbuchzinsen, die entlang der Nulllinie grundeln, die Angst vor massiver Inflation, trieben Anleger in ein Investment, von dem sie sich Stabilität erhofften. „Immobilien gehören in jedes Portfolio“, bekamen sie von ihren Beratern zu hören. Immerhin werden dem Grundeigentum Eigenschaften zugeschrieben, die keine andere Investition zu bieten vermag: Es soll den Wert des investierten Kapitals erhalten, Schutz vor Inflation bieten und gleichzeitig in Form von Mieten regelmäßig Erträge abwerfen. Doch sind Immobilien tatsächlich der sichere Hafen, als der sie angepriesen werden? Und: Kann man mit ihrer Hilfe sein Vermögen nicht nur erhalten, sondern in Form von Mieterträgen auch vermehren?

Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Immobilieninvestments scheinen die Anleger jedenfalls nach wie vor nicht zu plagen. Das belegen die Zahlen der Grundbuchauswertung durch das Maklernetzwerk Remax: Rund 21.500 Wohnungsverkäufe wurden von Jänner bis Juni 2015 in ganz Österreich verbüchert. Um 36 Prozent mehr als noch im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Ein Drittel aller Wohnungen wechselte in Wien den Besitzer – so viele wie nie zuvor.

Die enorme Nachfrage der vergangenen Jahre trieb die Preise in schwindelerregende Höhen. Von 2010 bis 2014 stiegen sie für gebrauchte Eigentumswohnungen in Wien um fast 60 Prozent, jene für neu errichtete um 25 Prozent. Die Inflationsrate belief sich im selben Zeitraum auf rund zwei Prozent jährlich.

Die Zeiten, in denen regelmäßige Mieteinnahmen das Vermögen stetig in die Höhe trieben, sind eindeutig vorbei.

Zwar ist der rasante Preisanstieg mittlerweile vorüber, „mit einem Fallen der Preise ist aber nicht zu rechnen“, meint Sandra Bauernfeind von EHL Immobilien. In Wien liegt der Durchschnittspreis derzeit bei rund 3500 Euro pro Quadratmeter. Auch Salzburg und Innsbruck erreichen in guten Lagen diese Werte.

Trotzdem folgt bei Richard Totzer auf die Euphorie langsam die Ernüchterung – genauso wie bei Tausenden anderen Anlegern, die dieselbe Erfahrung machen wie er: Die Zeiten, in denen regelmäßige Mieteinnahmen das Vermögen stetig in die Höhe trieben, sind eindeutig vorbei. Dafür sind die Anschaffungskosten für Immobilien schlicht zu teuer geworden. Denn für Immobilien gilt, wie für jedes andere Investment: Wer (zu) spät in einen boomenden Markt einsteigt, hat seine Chance auf Gewinne verpasst.

Noch vor zehn Jahren wurde etwa bei Vorsorgewohnungen – das sind Neubauwohnungen, die direkt vom Bauträger gekauft und dann weitervermietet werden – eine Rendite von sechs oder sogar sieben Prozent erreicht. „Manche Immobilienentwickler vermarkten ihre Wohnungen noch immer mit solchen Zahlen. Das ist eine Illusion“, ärgert sich Friedrich Noszek, Präsident des Zentralverbands Haus und Eigentum. Die Erträge sanken über die Jahre. Heute liege die mit Eigentumswohnungen in Wien erzielbare Rendite zwischen zwei und höchstens vier Prozent – in sehr guten Lagen, wie Richard Buxbaum von Otto Immobilien erklärt.

Brutto, wohlgemerkt. Bezieht man jedoch die Erwerbsnebenkosten, Instandhaltungsaufwand und sonstige Ausgaben mit ein, sieht die Rechnung gleich anders aus. Mehr als ein bis zwei Prozent Nettorendite braucht man dann nicht zu erwarten. Immer noch besser als derzeit etwa Anleihen abwerfen, die in puncto Sicherheit aber längst nicht mithalten können. Außerdem: Zur Werterhaltung über lange Zeit eignet sich eine Immobilie immer noch bestens. Allein die große Wertsteigerung sorgt dafür, dass man sich um eine Verarmung von Immobilienbesitzern keine Sorgen machen muss. Nur: Durch Vermietung kommt heutzutage nicht mehr viel herein.

Der Preisanstieg bei den Mieten fiel trotz aller Sprünge nicht so rasant aus wie der beim Eigentum. Deshalb schnellen die Mieten zwar in die Höhe, gleichzeitig nehmen die Renditen der Vermieter ab.

Paradoxerweise stimmt gleichzeitig aber auch die Wahrnehmung der Wohnungssuchenden Hanna Maurer. Denn nicht nur die Immobilienpreise, auch die Mieten sind empfindlich gestiegen. Zwischen 2010 und 2014 kletterten sie im gesamtösterreichischen Durchschnitt um rund 15 Prozent, in Wien sogar noch höher. Maurer spürt diesen Anstieg empfindlich, genauso wie viele andere Mieter. Immerhin ist man in Österreich wegen des Sozialen Wohnbaus und strenger Mietgesetze an Mieten gewöhnt, die im internationalen Vergleich immer noch niedrig ausfallen. Dass die Österreicher fürs Mieten rund ein Drittel des Haushaltseinkommens aufwenden müssen, ist ihnen neu.

Doch der Preisanstieg bei den Mieten fiel trotz aller Sprünge nicht so rasant aus wie der beim Eigentum. Deshalb schnellen die Mieten zwar in die Höhe, gleichzeitig nehmen die Renditen der Vermieter ab.

Der Umkehrschluss, dass jene, die ihr Eigentumsobjekt schon lange besitzen, das große Geld abschöpfen könnten, lässt sich aber auch nicht ziehen. Das zeigt das Beispiel von Peter Brandner*. Der Wiener nennt das sein Eigen, was viele Österreicher wohl für eine Art Lottosechser halten würden: ein Zinshaus in Wien-Ottakring. Er hat das 1910 erbaute Gebäude geerbt. Insgesamt 16 Wohnungen enthält es. Das Objekt gehört seit jeher seiner Familie. „Es hat einen hohen sentimentalen Wert für mich“, erklärt er.

Finanziell allerdings eher weniger. Im Durchschnitt komme er auf 3,90 Euro Miete pro Quadratmeter und Monat, rechnet Brandner vor. Als Wiens grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im Jahr 2012 eine Mietpreisbegrenzung auf sieben Euro forderte und dafür Proteste erntete, ließ ihn das kalt. Denn von Mieteinnahmen in dieser Höhe kann Brandner nur träumen. Schuld daran trägt das sowohl bei Mietern wie Vermietern umstrittene Mietrechtsgesetz (MRG), das in seinen wesentlichen Eckpunkten fast 100 Jahre alt ist.

Bei den begehrten Altbauwohnungen gilt seit 1994 das Richtwertsystem, das den maximalen Preis pro Quadratmeter festlegt. Zu diesem Basiszins (in Wien aktuell 5,39 Euro pro Quadratmeter) kommen allerdings meist noch eine Reihe von Zuschlägen, etwa für die Lage des Hauses. Diese sind häufig höher als der Richtwert selbst. „Freie Mietzinsbildung“ ohne jegliche rechtliche Beschränkung gilt etwa für vermietete Eigentumswohnungen mit Baujahr nach 1945.

Wer trotz allem versucht, an seinem Wohneigentum zu verdienen, bewegt sich häufig am Rande der Legalität – und wird, wenn man so will, zum Immobilienhai.

Wer das Glück hatte, seinen Mietvertrag vor 1994 abgeschlossen zu haben, unterliegt zudem der sogenannten Kategoriemiete. Deshalb gibt es nach wie vor Mieter, die im parkettgeschmückten Altbau wohnen und dafür pro Quadratmeter weniger zahlen als die Bewohner eines Gemeindebaus. Aufgrund großzügiger Eintrittsrechte laut MRG können längst erwachsene Kinder und Enkel die günstigen Verträge ihrer Verwandtschaft übernehmen. Der Vermieter darf dann zwar den Zins erhöhen, aber auf höchstens 3,43 Euro pro Quadratmeter. Unbefristet.

Brandners Pech: Ein Drittel seiner Wohnungen unterliegen der Kategoriemiete. „Meine Mieteinnahmen sind so gering, dass ich die vergangenen sechs Jahre sparen musste, um 8000 Euro für das Ausmalen des Stiegenhauses zusammenzubekommen“, erklärt er. Ein Immobilienhai sieht anders aus.

Wer trotz allem versucht, an seinem Wohneigentum zu verdienen, bewegt sich häufig am Rande der Legalität – und wird, wenn man so will, zum Immobilienhai. Dass die Richtwertmieten mittlerweile ein höheres Niveau als freie Mieten haben, wie aus einer Untersuchung des Wifo hervorgeht, liegt an dem komplizierten System von Zu- und Abschlägen. Das gibt Raum für Tricksereien. Der, wie die Wiener Arbeiterkammer erhoben hat, auch weidlich genutzt wird. Sie überprüfte im Jahr 2013 150 Mietangebote in Wien. Ergebnis: Die geforderten Mieten lagen durchwegs weit über dem gesetzlich zulässigen Rahmen, bei unbefristeten Verträgen gar um 81 Prozent.

Die Tücken des MRG treffen Mieter wie Vermieter. Dass es entrümpelt gehört, darüber sind sich Experten aller Couleurs einig. Doch wie, darüber gehen die Vorstellungen auseinander. ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter kündigte nach seinem Amtsantritt einen „größeren Wurf“ an. Inzwischen scheint das Projekt sanft entschlafen.

Wohnen ist ein Grundrecht. Die Preisgestaltung sollte also nicht einzig und allein den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterliegen. Andererseits: Dass Immobilienbesitzer nicht nur für Gotteslohn arbeiten wollen, sollte auch außer Streit stehen. Solange die Immobilienpreise nicht wieder sinken und das Mietrecht nicht entrümpelt wird, werden beide Gruppen weiter klagen: die Mieter über hohe Mieten, die Vermieter über mickrige Renditen. Letztere können sich einstweilen mit der beachtlichen Wertsteigerung ihrer Objekte trösten.

Brandner etwa könnte mit dem Verkauf seines Zinshauses ein mittleres Vermögen lukrieren. „Ich bekomme etwa 15 Anfragen pro Jahr.“ Auch Richard Totzer, der Wohnungskäufer aus Wien-Mariahilf, hat sich damit abgefunden, dass ihm die Vermietung nur wenig Geld einbringt. Dafür verfügt er über ein Anlageobjekt, dessen Wert wohl weiterhin steigen wird – noch dazu über eines, das etwa im Vergleich mit Wertpapieren ziemlich sicher ist. „Es ist eine Investition, von der später meine Kinder profitieren werden.“

EIN HAUS IM CHECK

Dachgeschoss

Der Dachboden wurde vor 25 Jahren günstig gekauft und ausgebaut. Heute könnte ihn sein Besitzer um ein Vielfaches verkaufen. Er vermietet aber lieber und bekommt für die 150 Quadratmeter rund 1200 Euro. Unbefristet. Dachbodenausbauten unterliegen – wie Wohnungen, die größer als 130 Quadratmeter sind – keinerlei Mietpreisbindung. Heute könnte der Eigentümer deutlich mehr verlangen: Als der Vertrag abgeschlossen wurde, waren die Mieten in Wien noch um ein Drittel niedriger.

Zweiter Stock

Die alte Dame wohnt feudal: 4. Bezirk, 210 Quadratmeter, Parkett, Flügeltüren. Dafür zahlt sie gerade einmal rund 360 Euro Miete. Sie hat ihren Vertrag vor Jahrzehnten abgeschlossen und unterliegt damit der sogenannten Kategoriemiete (1,71 Euro pro Quadratmeter). Aktuell werden Wohnungen dieser Größenordnung und in vergleichbarer Ausstattung für Monatsmieten ab 3000 Euro angeboten. Pech für den Eigentümer: Ihr knapp an der Midlife-Crisis schrammender Enkel plant den Vertrag zu übernehmen. Dann kann der Vermieter den Zins zwar erhöhen, aber auf lediglich 3,43 Euro pro Quadratmeter.

Parterre

Für die 90-Quadratmeter-Wohnung dürfte der Vermieter rund 1000 Euro verlangen: So sieht es das Richtwert-System vor, das Mieten in Altbauten reguliert, wenn deren Verträge nach dem Jahr 1994 abgeschlossen wurden. Doch der Vermieter trickst mit den Zu- und Abschlägen. Eigentlich müsste er die Miete um 25 Prozent reduzieren, weil er den Vertrag nur befristet vergeben hat. So will es das Gesetz. Dafür setzt er den Lagezuschlag höher als erlaubt an. Die Folge: Sein Mieter zahlt monatlich 1300 Euro, rund 300 Euro zu viel. Mieterschutzorganisationen beklagen, dass derlei Tricksereien gang und gäbe seien.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).