Ein sang- und klangloses Ende für das Werk
Bis Ende des Jahres wird in Enns noch gearbeitet. Dann sperrt das knapp 40 Jahre alte Werk zu, und rund 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden ihre Jobs verlieren. „Aufgrund des mangelnden Wachstums in Europa und der Veralterung unserer Anlagen müssen wir unser Europageschäft mit Leiterplattenmaterialien leider einstellen“, heißt es von Panasonic auf profil-Anfrage trocken. China, Taiwan und Südkorea dominieren inzwischen den Markt für Leiterplattenmaterial. Löhne, Energie und Rohstoffe sind dort deutlich günstiger, die Skaleneffekte größer und die Lieferketten durch die insgesamte Verlagerung effizienter.
In der Branche regt sich allerdings Unmut. „Werke wie in Enns sind im Vergleich zu Asien wirtschaftlich nicht mehr konkurrenzfähig, aber Know-how-Träger in Europa“, sagen Branchenexperten. Es sei eine politisch äußerst riskante Entscheidung, die Produktion von Leiterplatten komplett auszulagern. „Wie kann man einen so wichtigen Bereich so sang- und klanglos sterben lassen? Wir liefern uns damit komplett aus. Wenn alles geschlossen ist, wird es äußerst schwierig sein, das wieder aufzubauen.“
Aus der Politik gab es bislang kaum Reaktionen auf das Ende des Ennser Werks. Auf profil-Anfrage heißt es aus dem Büro von Wolfgang Hattmannsdorfer: „Als Wirtschaftsminister ist es natürlich nie erfreulich, wenn ein Unternehmen in Österreich schließt und Arbeitsplätze verloren gehen.“ Es sei ein Warnsignal, man müsse verstärkt gegen die schleichende Deindustrialisierung kämpfen. „Gerade im Bereich Leiterplatten sehen wir eine starke Abhängigkeit von Asien – das ist eine strukturelle Herausforderung für die europäische und österreichische Industrie. Wir reagieren darauf gezielt: Mit dem Europäischen Chips Act und wichtigen IPCEI-Projekten (Innovationsstärkung in strategischen Branchen) investieren wir massiv in die Halbleiter- und Packaging-Kompetenz Europas.“ Für Enns kommt das allerdings zu spät.
Zoll auf die Basismaterialen, nicht auf die fertigen Platten
Wenn das Werk in Enns schließt, ist ein weiterer Schritt der Lieferkette in Europa kaum noch verfügbar. „Wir befinden uns in einer sehr gefährlichen Zeit für die Leiterplattenindustrie in Europa und für unsere gesamte Elektronikindustrie. Unsere Regierungen und die wichtigsten Hersteller sollten das wissen. Wenn wir nicht in der Lage sind, ein Minimum zu produzieren und in Bezug auf die Technologie relevant zu bleiben, werden wir möglicherweise nicht in der Lage sein, die Folgen von Konflikten zwischen Ländern zu bewältigen“, appelliert etwa die Interessensvertretung „European Institute for the PCB-Community“ an die Politik. Bei den Basismaterialien ist das schon passiert. Es gibt keine Hersteller mehr für Elektronikglasgewebe, Epoxidharze und nur noch einen für Kupferfolien.
Dabei gäbe es durchaus Hebel: In der EU wird Zoll auf die Basismaterialien für Leiterplatten eingehoben, nicht aber auf die fertigen Leiterplatten, die aus China kommen. Das ist ein Nachteil für die Mikroelektronikproduzenten, aber wiederum im Interesse großer Industriebetriebe in Europa, für die der Einkauf solcher Produkte durch Zölle teurer wird.
Doch neben den geopolitischen Spannungen bleibt ein Faktor wenig beachtet: die zunehmende Wasserknappheit. Der Abbau der kritischen Rohstoffe braucht sehr viel Wasser. Eines der größten Kupferabbaugebiete der Welt befindet sich in Chile in der Atacama-Wüste. Das Land versuche jetzt Meerwasser zu entsalzen, erklärt Ökonomin Agnes Kügler vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). „Wenn Wasser rar und dadurch teuer wird, entsteht ein Problem für die Bevölkerung, und es schlägt sich auf die Produktionskosten durch.“
„Werden Ziel nicht erreichen“
Im Chaos der Pandemiezeit wurden die Abhängigkeiten der EU und der USA auf dem globalen Mikrochip-Markt besonders deutlich. Genau aus diesem Grund haben die USA, China und auch Europa einen jeweils eigenen Chips-Act beschlossen. Doch zwei Jahre später ist die Bilanz gemischt: „Wir werden das Ziel nicht erreichen. Um es klar zu sagen: Wir sind nicht einmal nah dran“, sagt Annemie Turtelboom, Prüferin des EU-Rechnungshofs, diesen Frühling bei der Vorstellung dessen Berichts. Das Ziel der EU-Kommission, bis 2030 ein Fünftel des globalen Markts für moderne Mikrochips zu bedienen, sei überambitioniert.
Es gebe zwar Fortschritte, das „Ziel war aufgrund des begrenzten Mandats und der eingeschränkten Ressourcen der Kommission sowie aufgrund der Abhängigkeit von den Maßnahmen der Mitgliedstaaten, den Investitionen des Privatsektors und anderen Faktoren wie den Energiekosten womöglich allzu ehrgeizig“, heißt es im Bericht. Der Rechnungshof empfiehlt, die Strategie zu überarbeiten und bereits jetzt eine Folgestrategie zu planen.
Von der EU-Kommission heißt es auf profil-Anfrage: „Das „Chip-Gesetz“ hat eine solide Grundlage für die Konsolidierung der Position Europas auf dem globalen Halbleitermarkt nach zwei Jahrzehnten des Niedergangs geschaffen und Europa wieder auf den Wachstumspfad gebracht.“ Eine Überprüfung des Chipgesetzes sei bis September 2026 vorgesehen. Bei der Überarbeitung des Gesetzes liege der Fokus darauf, „Europas Abhängigkeit von kritischen Technologien zu verringern und seine Souveränität bei Spitzen-Halbleitern zu stärken.“
Währenddessen ist bei einigen Großprojekten aber die Anfangseuphorie verpufft. Im deutschen Magdeburg wollte der US-Konzern Intel eine Fabrik mit einem Gesamtvolumen von 30 Milliarden Euro hochziehen. 3000 Arbeitsplätze stellte man in Aussicht. Das Prestigeprojekt ist einstweilen aufgeschoben, vielleicht sogar aufgehoben. Auch in Polen und Italien hat Intel hochsubventionierte Werke fürs Verpacken und Testen von Chips abgesagt. Große neue Chips-Fabriken von unterschiedlichen Betreibern sollen in Deutschland, Italien und Frankreich entstehen.
Prestigeprojekt in Leoben mit chinesischen Leiterplatten
Die Pandemie war eine erste Belastungsprobe. In Zeiten steigender geopolitischer Spannungen ist eine nächste Krise nicht ausgeschlossen. Ein Schritt in Richtung strategischer Unabhängigkeit wurde vor einigen Wochen in Leoben gemacht. Die steirische Firma AT&S eröffnete dort eine Produktion für IC-Substrate – ganz vereinfacht gesagt: das Schlagobers, das die Kirsche auf der Torte hält. Bisher wurde das ausschließlich in Asien gemacht.
In Zeiten der Rezession gibt es selten gute Nachrichten für einen Wirtschaftsminister. Bei der Eröffnung konnte Wolfgang Hattmannsdorfer auch einmal positive Töne anschlagen. „Mikroelektronik ist eine der zentralen Schlüsseltechnologien des digitalen Zeitalters – ohne sie ist künstliche Intelligenz nicht denkbar“, sagte er stolz. Zu Recht, rund 136 Kilometer von Enns passiert ein wichtiger Schritt – doch ab November wird AT&S ihre Leiterplatten aus China statt aus Enns beziehen.