Wird die Neutralität zum Wettbewerbsnachteil für heimische Betriebe?
Ein heimisches Unternehmen versucht seit Jahren, Drohnen für die Minensuche an die Ukraine zu verkaufen. Die Regierung untersagte das bisher mit Verweis auf die Neutralität. Vom Wiederaufbau in der Ukraine drohen heimische Firmen wegen Österreichs Haltung ausgeschlossen zu werden.
Die Reise von Wien nach Kyiv dauert gut einen Tag. Zuerst mit dem Flugzeug von Wien nach Krakau in Polen. Dann mit dem Bus weiter bis zur ukrainischen Grenze und von dort mit dem Nachtzug nach Kyiv. Flüge in die Ukraine gibt es nicht, seit Kriegsbeginn ist der Luftraum für die zivile Luftfahrt geschlossen. Zu viele Drohnen und Militärflugzeuge kreisen dort jeden Tag, auch der Himmel über der Ukraine ist zum Schlachtfeld geworden. Mit dem Zug reisten auch die Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner, Kari Ochsner, der Chef der niederösterreichischen Industriellenvereinigung, Philipp Gady, der Vizepräsident der Wirtschaftskammer, und die 60-köpfige Delegation an.
Drei Tage lang, vom 31. März bis zum 2. April, war die österreichische Delegation unter dem Motto „Wiederaufbau und wirtschaftliche Kooperation“ in Kyiv. Sie traf den ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Smihal, den Bürgermeister von Kyiv, Vitaly Klitschko, Energieminister German Galushchenko und andere hochrangige Vertreter von Wirtschaft und Politik. Bei der Reise ging es vor allem um die durch den Krieg zerstörte Energie- und Transportinfrastruktur, um den Ausbau grüner Technologie, aber auch ganz allgemein um den Wiederaufbau in der kriegsgeplagten Ukraine. Sollte das Land irgendwann zur Ruhe kommen, wird der Aufbau nach dem Krieg Milliarden kosten. Und die heimische Wirtschaft möchte daran mitverdienen.
Derzeit tut sie das aber nur bedingt. Einerseits, weil Garantien für getätigte Investitionen fehlen: Wer übernimmt die Haftung, wenn eine russische Drohne auf einer Baustelle oder in ein Gebäude einschlägt, das eben erst fertiggestellt wurde? Andererseits hat die Flaute auch mit der heimischen Neutralität zu tun. Das Neutralitätsgesetz untersagt weitestgehend Lieferungen an kriegsführende Parteien, auch an solche wie die von Russland überfallene Ukraine und deren Militär. Viele Beschaffungen laufen über das ukrainische Verteidigungsministerium, das betrifft nicht nur Waffen und Munition, sondern etwa auch medizinische Ausrüstung zur Versorgung verwundeter Soldaten oder Löschequipment für in Flammen stehende Wohnhäuser. Und für die Minensuche.
Drohnen für die Minensuche versucht der heimische Drohnen-Hersteller Schiebel aus Wiener Neustadt schon seit mehr als zwei Jahren an die Ukraine zu liefern. Geschäftsführer Hannes Hecher war ebenfalls Teil der niederösterreichischen Wirtschaftsdelegation in Kyiv. Während andere Teilnehmer gegenüber profil den „überaus guten Austausch“ loben und auf baldige „Kooperation im Bereich Erneuerbare oder bei der Bahninfrastruktur“ hoffen, läuft der Austausch nicht überall so vielversprechend.
Anfang vergangenen Jahres bekam Schiebel eine Anfrage aus der Ukraine, Drohnen für die Minensuche zu liefern. Konkret ging es um das Aufspüren von Land- und Seeminen mittels 3D-Technologie, was die Minensuche erheblich sicherer macht. Weil die Geräte auch von der ukrainischen Marine zur Suche von Treibminen im Wasser eingesetzt werden sollten und die Marine eine militärische Einheit ist, die sich im Krieg befindet, war eine Lieferung nach dem Neutralitätsgesetz nicht möglich. Zudem sind die Drohnen sogenannte Dual-Use-Güter: Sie können sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden. Damit ist der Export generell genehmigungspflichtig. profil berichtete ausführlich über den Fall.
Neue Lieferwege
Doch nicht alle Fälle widersprechen dem Neutralitätsgesetz so eindeutig. Aktuell etwa versucht Schiebel, ihre Minensuch-Drohnen über neue Wege in die Ukraine zu exportieren. Das ukrainische Landwirtschaftsministerium sucht seit Kurzem mittels Ausschreibung Unternehmen aus Europa, die bei der Entminung der Felder helfen sollen, damit sie wieder bewirtschaftet werden können. Schiebel möchte sich über ein Konsortium mit zwei anderen europäischen Firmen bewerben. Konkret sollen Drohnen aus der Luft Minen auf den Feldern lokalisieren, danach werden tieffliegende Drohnen und Roboter losgeschickt, um die Minen zu entschärfen. „Wir hoffen, dass wir bei der Ausschreibung mitmachen dürfen, weil das Landwirtschaftsministerium ja keine militärische Einheit ist und wir damit auch nicht das ukrainische Militär beliefern“, sagt Schiebel-Geschäftsführer Hecher.
In der Ukraine sind ganze Landstriche auf Jahre hin vermint. Felder können nicht bewirtschaftet werden. Hinzu kommen Treibminen vor der Schwarzmeerküste. Österreich unterstütz die Ukraine mit sieben Millionen Euro bei der Minensuche. Allein: Bisher durften heimische Betriebe nicht an der Minensuche teilnehmen.
Über Exporte und Beteiligungen an Ausschreibungen wie dieser entscheiden Wirtschaftsministerium oder Innenministerium und das Außenministerium in Absprache mit dem Verteidigungsressort. Zwei Mal hat allein das Wirtschaftsministerium seit Kriegsbeginn Exporte wegen des Neutralitätsgesetzes untersagt. Im Wirtschaftsministerium verweist man auf Nachfrage an das Außenministerium. Dort heißt es gegenüber profil: „Das Außenministerium prüft daher eingehend unter anderem die interne und regionale Sicherheitslage, die Einhaltung der Menschenrechte, die Umleitungsgefahr und die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen, einschließlich der bestehenden österreichischen Neutralitätsverpflichtungen.“ Die Prüfung erfolge jedenfalls fallspezifisch und berücksichtige die Güterart und die Verwendung vor Ort.
Ob der Export im konkreten Fall genehmigt und wie das Neutralitätsgesetz ausgelegt wird, liegt im Ermessen der zuständigen Beamten. Bisher agierte Österreich äußerst vorsichtig und zurückhaltend. Zum konkreten Fall heißt es: „Was die Frage von Exporten zu ausschließlich humanitären Zwecken betrifft, ist ein Export von Drohnen in die Ukraine neutralitätsrechtlich unbedenklich, solange tatsächlich sichergestellt wird, dass diese ausschließlich zu humanitären Zwecken eingesetzt werden (im konkreten Fall für die Entminung von Ackerflächen außerhalb der Kampfzone).“
EU-Diplomaten, vor allem jene aus Osteuropa, sahen Österreichs Eiertanz um die Neutralität bisher kritisch. Fraglich ist, ob sich die Auslegung des Neutralitätsgesetzes jetzt ändert, vor allem mit Blick auf Russlands immer aggressiver werdenden Provokationen in den EU-Ländern.
Andererseits können solche Lieferungen von sowohl militärisch als auch zivil nutzbaren Drohnen höchst brisant und heikel sein. Das hat auch Schiebel zu spüren bekommen. 2018 lieferte Schiebel Drohnen nach Myanmar, damals zur Vermessung und Verkehrsüberwachung. Problematisch wurde der Fall, als 2019 öffentlich wurde, dass diese Drohnen vom Militär in Myanmar genutzt wurden, das seine eigene Bevölkerung unterdrückte und brutal gegen die muslimische Minderheit der Rohynga vorging, wie profil damals berichtete.
Geld ja, Technologie nein
Der Fall um die Entminung in der Ukraine ist dennoch bemerkenswert. Einerseits hat Österreich versprochen, dafür sieben Millionen Euro bereitzustellen. Andererseits dürfen österreichische Unternehmen aber bisher weder Geräte noch Know-how liefern. Oder anders gesagt: Wir bezahlen mit Steuergeld für die Entminung, heimische Betriebe dürfen aber nicht davon profitieren.
„In Österreich ist die Nachfrage nach Gütern im Bereich Sicherheit und Verteidigung gering. Gleichzeitig gelten bei Exporten in Drittländer strenge Bestimmungen, die das Geschäft zusätzlich regulieren“, meint Hecher. Diese Entwicklung steht in krassem Gegensatz zum globalen und europäischen Aufrüsten, von dem sich eigentlich auch die heimische Industrie hohe Profite erhofft.
„Das offizielle Wording ist natürlich ein anderes, aber wir hören aus der Ukraine schon: Jene Firmen und Länder, die uns jetzt vollumfänglich unterstützen, sollen später auch am Wiederaufbau beteiligt werden.“
Hannes Hecher, Schiebel-Geschäftsführer
In der Ukraine war Österreich bis Kriegsbeginn der sechstgrößte Auslandsinvestor. Rund 200 heimische Betriebe haben eine Niederlassung vor Ort, viele weitere betreiben Geschäftsbeziehungen mit der Ukraine und möchten am Wiederaufbau mitverdienen. Österreich leistet wegen seiner Neutralität keine militärische Hilfe, aber sehr wohl humanitäre. Und es hat auch den Angriffskrieg Russlands verurteilt. Ob das reicht, um die Ukraine von Österreichs Solidarität zu überzeugen? „Das offizielle Wording ist natürlich ein anderes, aber wir hören aus der Ukraine schon: Jene Firmen und Länder, die uns jetzt vollumfänglich unterstützen, sollen später auch am Wiederaufbau beteiligt werden“, sagt Hecher. Und die anderen? Man wird es sehen.