Wie Österreichs Lebensmittel günstiger werden könnten
„Ich sage jetzt nicht, dass ich das Modell für die Nahrungsmittelpreise schon konkret im Kopf hätte, aber wir werden darüber diskutieren müssen“, sagte Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) am Wochenende gegenüber den „Salzburger Nachrichten“ (SN). Seither ist eine alte Debatte neu entflammt: Österreichs Lebensmittelpreise seien zu hoch – besonders einkommensschwache Haushalte leiden unter der anhaltenden Teuerung. Warum Marterbauer noch keine konkrete Idee formuliert hat, könnte auch daran liegen, dass die Lösung für dieses Problem nicht gerade einfach ist. Welche Möglichkeiten staatlicher Preiseingriffe gibt es also? Und was könnte tatsächlich zu einer nachhaltigen Senkung der Lebensmittelpreise führen?
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Ein Blick auf die aktuelle Ausgangslage zeigt: Laut Schnellschätzung der Statistik Austria lag die Teuerungsrate (VPI) im Juli 2025 bei 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Damit liegt der heimische Preisanstieg rund 1,5 Prozentpunkte über dem Schnitt der Eurozone. Laut WIFO-Ökonom Josef Baumgartner ist das vor allem auf politische Entscheidungen der alten Bundesregierung zurückzuführen: „Mit Jahresbeginn 2025 ist die Strompreisbremse ausgelaufen, und auch die Energieabgaben wurden auf das ursprüngliche Niveau zurückgeführt“, sagt Baumgartner. Zudem werden seit Jänner wieder Ökostromförderbeiträge und die Ökostromförderprämie eingehoben. Auch „die Netzkosten für Strom und Gas wurden empfindlich erhöht. Und die CO2-Abgabe wurde angehoben – das betrifft Gas- und Mineralölprodukte“, so der Ökonom.
Kurzum: Sämtliche Maßnahmen zur Dämpfung der Energiekosten wurden – zeitgleich – aufgehoben. „Das war eine politische Entscheidung“, sagt Baumgartner. „Die Strompreisbremse war ursprünglich nur bis Juni 2024 geplant und wurde verlängert, weil man wusste, dass ihr Auslaufen zu massiven Preissteigerungen für Haushalte führen würde.“ Und hohe Energiepreise wollte wenige Monate vor der Nationalratswahl niemand verantworten. Das gleichzeitige Auslaufen mehrerer Entlastungen führt nun zu einem größeren Preisschock, der als sogenannter „Basiseffekt“ in der monatlichen Inflationsberechnung von Jänner bis Dezember 2025 mit einem Plus von etwa 0,9 Prozentpunkten niederschlägt. Weitere Inflationstreiber sieht Baumgartner in „stärker steigenden Dienstleistungspreisen, wo die vergangene hohe Inflation und die Lohnabschlüsse der letzten Jahre noch nachwirken.“
Josef Baumgartner (Wifo)
sieht kurzfristige Entlastungen für Haushalte vor allem im Energiebereich. Mehr Transparenz würde den Wettbewerb im Lebensmittelhandel langfristig beleben, schnelle Lösungen für das Problem gebe es aber nicht.
Doch was hat all das mit den Lebensmittelpreisen zu tun?
Insgesamt zählt Österreich zu jenen sechs Ländern in Europa, in denen die Preise zwischen Jänner 2022 und Jänner 2025 am stärksten gestiegen sind: fast 22 Prozent beträgt die kumulierte Inflation in diesem Zeitraum. Bei Lebensmitteln liegt sie sogar bei 27,4 Prozent. Trotzdem reiht sich Österreich damit im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld ein – denn in nahezu allen Euro-Ländern wurden Lebensmittel deutlich teurer. Weil hierzulande aber auch Energie- und Dienstleistungskosten besonders stark gestiegen sind, spüren Haushalte die Teuerung im Alltag besonders stark.
Ein strukturelles Problem liegt laut Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) jedoch tiefer: Internationale Hersteller verbieten mitunter, dass Händler Produkte günstiger aus anderen EU-Ländern beziehen. Diese sogenannten Lieferbeschränkungen sorgen dafür, dass Händler in Österreich im Einkauf oft mehr zahlen als ihre Konkurrenten im Ausland – mit Folgen für die Konsumentenpreise. Der sogenannte „Österreich-Aufschlag“ wurde auch von der BWB im November 2023 dokumentiert und an die EU-Kommission weitergeleitet. Ein Vergleich mit Deutschland zeigt die Dimension: Zwischen 2017 und 2023 fiel der Gesamtpreis für einen Warenkorb derselben Produkte dort um rund 20 Prozent geringer aus, auch bei Diskont-Eigenmarken betrug der Preisunterschied bis zu 30 Prozent.
Wie also kann die Politik gegensteuern, wenn nicht nur das Preisniveau hoch ist, sondern auch die Inflation für Lebensmittel stark steigt? Vier Möglichkeiten im Überblick:
Preisdeckel
Ungarn hat ein solches Modell in der jüngeren Vergangenheit ausprobiert, jedoch mit unerwünschten Nebenwirkungen. „Nicht von einem Tag auf den anderen, aber mit der Zeit hat das Angebot abgenommen“, sagt Wifo-Experte Baumgartner. Vor allem ausländische Anbieter seien nicht mehr bereit gewesen, ihr Sortiment zum festgeschriebenen Preis anzubieten: „Wenn es nicht kostendeckend ist, dann werden sie gar nicht mehr liefern.“ Ein Schicksal, das – so Baumgartner – auch Österreich treffen könnte, denn „Österreich ist für die internationalen großen Lebensmittelkonzerne ein relativ kleiner Markt. Das Angebot würde sich bei den preisgeregelten Produkten zumindest mittelfristig reduzieren“, erwartet Baumgartner.
Die Diskussion über eine solche Preisbegrenzung könnte noch spannend werden. Denn die SPÖ, die mit Marterbauer nun den Finanzminister stellt, hat vor der Nationalratswahl im Vorjahr eine solche Maßnahme propagiert. Die Koalitionspartner ÖVP und Neos haben sich im Laufe der Woche jedoch dagegen ausgesprochen.
Mehrwertsteueraussetzung
Die temporäre Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wurde bereits früher diskutiert. Laut Baumgartner ist sie aber aus mehreren Gründen problematisch. „Das macht wenig bis gar keinen Sinn.“ Einerseits wäre die Maßnahme mit Blick auf die aktuelle Budgetsituation Österreichs nicht tragbar, andererseits würde sie Besserverdienende stärker begünstigen. „Die absolute Förderung wäre bei Haushalten mit den höchsten Einkommen am größten. Eine Maßnahme alsals Riesengießkanne“. Hinzukommt, dass diese Maßnahme rechtlich gar nicht so einfach umsetzbar ist.
„EU-rechtlich dürfte man nicht einfach nur für Grundnahrungsmittel einen neuen Satz einführen, denn in Österreich ist die maximale Anzahl an unterschiedlichen Mehrwertsteuer-Tarifen bereits ausgeschöpft“, erklärt Baumgartner. Dann müsste der gesamte Zehn-Prozent-Bereich gesenkt werden. Das beträfe laut Baumgartner neben den Nahrungsmitteln auch Hotels und Gastronomie. Dem Finanzminister würden dadurch wertvolle Einnahmen entgehen.
Preistransparenz
Eine digitale App für Preisvergleiche könnte helfen, den eigenen Einkauf günstiger zu gestalten. „Wo kriege ich dieselben Produkte, in welchen Geschäften am billigsten?“ Voraussetzung dafür: tagesaktuelle Daten inklusive Aktionspreise. Für Baumgartner wäre das „relativ schnell umsetzbar“ und es könnte das Machtverhältnis zwischen Handel und Konsumenten verbessern: „Es würde ein bisschen ein Level playing field (ausgeglichenes Spielfeld; Anm.) bringen.“
Große preisdämpfende Effekte erwartet Baumgartner allerdings nicht. Zudem gebe es praktische Hürden: „Es setzt die Bereitschaft voraus, beim Einkaufen längere Wege auf sich zu nehmen“, sowie eine gewisse digitale Kompetenz. Gerade ältere Menschen könnten dadurch benachteiligt sein. Außerdem: „Das würde auf Widerstand von der Wirtschaftskammer und von den Handelsketten stoßen. Umsetzbar wäre die Maßnahme nur, wenn die vier großen Lebensmitteleinzelhandelsketten gesetzlich dazu verpflichtet würden, die Preisdaten bereitzustellen“.
Preisdatenbank
Ein weiterer Vorschlag ist die Schaffung einer nationalen Preisdatenbank. Mit dem Ziel, Preistreiber entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu identifizieren. „Man müsste sehen: Wer hat welche Kosten, wer schlägt wie viel drauf und wer ist am Ende für den höheren Preis hauptverantwortlich“, sagt Baumgartner.
Den Aufwand dafür schätzt der Ökonom aber als enorm ein: „Das ist ein ziemlich aufwendiges Prozedere, so etwas aufzusetzen“, sagt Baumgartner. Unternehmen müssten umfassende Reportingsysteme aufbauen – eine Maßnahme, die auf erheblichen Widerstand in der Branche stoßen würde, seien Politik und Wirtschaft doch gerade dabei, Bürokratie ab- statt aufzubauen. Zudem sei es „nichts Kurzfristiges“: Die Datenbank würde „wahrscheinlich einige Jahre“ benötigen, um verlässlich zu funktionieren und hinreichend lange Zeitreihen für Preise und Kosten zu haben, um Preisüberwälzungsprozesse untersuchen zu können. Erst dann könne sie ihr volles Potenzial entfalten.
Worauf läuft es hinaus?
Innerhalb der Koalition signalisierte die ÖVP vor allem beim Punkt Transparenz und mehr Wettbewerb Gesprächsbereitschaft. Neu ist das nicht. Bereits im Jahr 2023 erklärten Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), Ex-Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und der damalige Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) künftig mehr in Richtung Transparenz unternehmen zu wollen. Allerdings sei die Initiative „dann wieder im Sand verlaufen“, sagt Baumgartner, der beim bisher letzten Lebensmittelgipfel im Mai 2023 dabei war.
Es gab zwar „die Ankündigung“, dass sich die Politik und die Ministerien „solche Preistransparenz-Maßnahmen anschauen werden und es gab Veranstaltungen mit deutschen Wettbewerbsrechtlern, Wettbewerbsökonomen und der deutschen Wettbewerbsbehörde“, sagt Baumgartner – maßgebliche Verbesserungen hätten sich daraus aber nicht ergeben.
Gesucht ist nun also eine Maßnahme, die kurzfristig die Preise senkt und langfristig den Wettbewerb erhöht. Ein beinahe illusorisches Unterfangen, Entlastungsmaßnahmen sieht Baumgartner woanders, etwa im Energiebereich. „Die Preise für Gas und Strom und auch zum Teil für die Fernwärme sind hierzulande höher als im vergleichbaren Ausland“, so der Wifo-Experte. „Daher wäre im Energiebereich wahrscheinlich mehr Potenzial, wenn man das Ziel verfolgt, die Inflation zu senken.“
Gut möglich also, dass sich die Debatte um hohe Lebensmittelpreise Richtung Energiepreise entwickelt. Vielleicht ein Szenario, das Finanzminister Marterbauer bereits im Kopf hat.