Alfred Stern ist kein besonders gesprächiger Mensch. Bevor er sich erklärt, klärt er zuerst alles intern. Er bleibt auch am späten Nachmittag des 11. Dezember 2024 ruhig, obwohl sein Puls hoch ist. Im obersten Stockwerk der OMV-Zentrale hat sich der gesamte Vorstand des Konzerns versammelt. Auch einige Mitarbeiter der hauseigenen „Taskforce Gas“ sind da. In wenigen Minuten wird der Konzern eine sogenannte „Urgent Market Massage“ veröffentlichen, die über nichts weniger als über das Ende des Gasliefervertrags mit Russland informieren wird – es ist der Bruch der wohl längsten Wirtschaftsbeziehung Österreichs. Sechs Jahrzehnte lang hatte Russland Österreich mit Gas beliefert.
Die von langer Hand vorbereitete Entscheidung geht innerhalb weniger Minuten um die Welt. Was Alfred Stern und seine Vorstandskollegen dazu sagten? Nichts. In den vergangenen drei Jahren bissen sich Journalisten mit ihren Anfragen die Zähne aus. Zuerst handeln, dann reden – in geopolitisch heiklen Zeiten war das im Nachhinein vielleicht nicht die schlechteste Strategie. Denn jedes falsche Wort könnte Milliarden kosten.
Zur Person: Alfred Stern
Alfred Stern ist seit 2021 Vorstandsvorsitzender der teilstaatlichen OMV. Ab 2018 war er Vorstand der OMV-Petrochemie-Tochter Borealis. Der 60-jährige gebürtige Steirer hat ein Doktorat in Montanwissenschaften, lebte und arbeitete in der Schweiz, Deutschland und den USA. Vielleicht trägt er deswegen gerne Cowboystiefel.
Stern steht dem Konzern seit 2021 vor. Der Gasausstieg war ein dramatischer Moment. Aber nicht der einzige. Der 60-jährige Steirer unterschrieb auch die Fusion der Petrochemie-Tochter Borealis mit Borouge aus Abu Dhabi und der kanadischen Nova Chemicals zum viertgrößten Petro-Chemie-Konzern der Welt. Und nun verlieren 2000 Mitarbeiter ihren Job.
Jetzt will Alfred Stern nicht mehr. Er empfängt profil im obersten Stockwerk der OMV-Zentrale, in jenem Raum, in dem auch der Ausstieg aus russischem Gas beschlossen wurde. Es ist sein erstes und vielleicht letztes Interview mit profil als OMV-Chef. Im August 2026 läuft sein Vorstandsvertrag ab, er strebt keine zweite Amtszeit an. Ein guter Zeitpunkt für ein längeres Gespräch.
Herr Stern, das ist Ihr erstes profil-Interview, oder?
Alfred Stern
Ja.
Vielleicht ist es auch das letzte als OMV-Chef. Sie wollen sich nächstes Jahr nicht mehr für diesen Posten bewerben. Warum eigentlich?
Stern
Das ist zunächst eine sehr persönliche Entscheidung. Ich habe mich hier für fünf Jahre verpflichtet, mit ganz bestimmten Zielen, die wir erreichen wollten. Es sind auch zusätzliche Herausforderungen dazugekommen, die ich so nicht erwartet hätte, wie zum Beispiel der russische Angriff in der Ukraine und damit unsere Gasdiversifizierung. Das ist uns alles insgesamt sehr gut gelungen. Es ist ein guter Zeitpunkt für eine Staffelübergabe an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin.
Sterns Vertrag endet 2026. Er strebt keine zweite Periode an
Sie gehen jedenfalls mit viel Wirbel. Jetzt müssen 2.000 Leute den Konzern verlassen, 400 in Österreich. Dabei haben Sie eben erst Übergewinnsteuern bezahlt. Bis vor Kurzem lief es also super. Was ist passiert?
Stern
Wir haben in den letzten vier Jahren auch die vier finanzstärksten Jahre der OMV geleistet. Aber ich glaube, wir müssen auch realistisch bleiben, hier in Österreich und insgesamt. Wir können uns nicht auf der Vergangenheit ausruhen. Die wirtschaftlichen Herausforderungen, die vor uns stehen, sind enorm. Und was wir sicherstellen wollen, ist die Zukunftsfähigkeit sowie Wettbewerbsfähigkeit der OMV.
Das klingt so, als würde man präventiv Leute kündigen müssen, weil die Zukunft das verlangt. Was meinen Sie konkret?
Stern
Ich kann nur jedem empfehlen, Zeitung zu lesen, um zu sehen, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wirklich herausfordernd sind. Wir sind in Österreich im dritten Rezessionsjahr. Und über die hohe Inflation sind die Lohnkosten so gestiegen, dass Österreich an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat – in Europa und weltweit. Hinzu kommen die Kosten für Regulatorik, die Transformationskosten für den Green Deal der EU. Das ist alles gut und wichtig. Aber es muss allen klar sein, dass das viel Geld kosten wird.
Sie sind aus dem russischen Gasliefervertrag ausgestiegen. Die Diversifizierung der Lieferquellen und die neuen Pipeline-Kapazitäten haben zumindest kurzfristig Kosten verursacht. Für den Borealis-Deal mit Borouge (die Fusion der beiden Unternehmen zu einem globalen Petrochemie-Riesen, Anm.) muss die OMV noch einmal 1,6 Milliarden Euro zuschießen. Haben Sie sich einfach auch ein bisschen finanziell übernommen?
Stern
Da werden gerade Dinge vermischt. Bis die Transaktion von Borouge Group International voraussichtlich im ersten Quartal 2026 abgeschlossen ist, fließt kein Geld. Zweitens investieren wir jedes Jahr circa 3,6 Milliarden in unser Geschäft. Dieser Deal ist wesentlich für uns, denn wir haben unter anderem eine Minimumdividende von einer Milliarde Euro pro Jahr vereinbart.
Dieser Deal ist wesentlich für uns, denn wir haben unter anderem eine Minimumdividende von einer Milliarde Euro pro Jahr vereinbart.
Alfred Stern
Über den Deal mit Borouge
Mit dieser Fusion ist der OMV die Beteiligung am viertgrößten Petrochemie-Konzern der Welt gelungen, mit einem künftigen Marktwert von rund 40 Milliarden Euro. OMV und die deutlich größere Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) halten daran gleiche Anteile und gleiche Rechte. Erklären Sie uns noch einmal, wie die OMV hier auch operativ das Sagen behalten soll?
Stern
Durch den Zusammenschluss der drei Unternehmen, Borouge, Borealis und Nova Chemicals, entsteht der viertgrößte Polyolefin-Konzern der Welt. Wir produzieren die zwei meistbenutzten Kunststoffe der Welt. Wir sind heute mit Borealis, an der wir mit 75 Prozent beteiligt sind, stark auf Europa fokussiert. Jetzt entsteht ein Weltkonzern mit einem besseren Zugang zu den globalen Wachstumsmärkten. Außerdem liegen 70 Prozent der Produktionskapazitäten in günstigen Rohstoffmärkten. Das heißt, wir werden dort auch wettbewerbsfähiger. Ich darf an die über 30-jährige Zusammenarbeit erinnern, auf die wir gemeinsam mit Adnoc aufbauen. Beide Unternehmen haben viel voneinander profitiert, und das soll auch so bleiben. Aber ja, wir haben natürlich auch gleiche Anteile und gleiche Rechte in dem Joint-Venture vereinbart. Dazu gehört, dass man sich nicht zwangsweise verwässern lassen muss, wenn man das nicht möchte. Für uns als OMV und für den Standort Österreich ist es sehr gut, dass die Zentrale eines Weltkonzerns in der Chemiebranche hier im Land sein wird – und damit auch der Steuersitz.
Wo soll denn die neue Zentrale eigentlich stehen?
Stern
Wir befinden uns gerade inmitten der Vorbereitung der Integration. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, bin ich jemand, der gerne zunächst einmal die Sachen intern abarbeitet, bevor wir sie extern kommunizieren. Geben Sie uns noch ein bisschen Zeit.
Der OMV-Chef bei seinem ersten und wohl letzten profil-Interview
mit Chefredakteurin Anna Thalhammer (li.) und Wirtschaftschefin Marina Delcheva (re.)
Sie haben nach fast 60 Jahren den Gasliefervertrag mit Russland beendet. Wollen Sie uns erzählen, wie die Reaktion des Gegenübers war, hinter den Kulissen?
Stern
Ich glaube nicht, dass 2022, als Russland die Ukraine angegriffen hat, irgendwer geglaubt hätte, dass OMV diese Situation wirtschaftlich meistert. Tatsache ist, dass es OMV gelungen ist, das eigene Gasportfolio vollständig zu diversifizieren. Wir haben jeden unserer Kunden lückenlos versorgt. Zusätzlich hat sich der österreichische Marktpreis am Central European Gas Hub, als Russland die Lieferungen eingestellt hat, nicht von den europäischen entkoppelt, sondern blieb im Schnitt. Es ist wirklich beachtlich, was unser Team geleistet hat. Und auch wenn das vielleicht aus journalistischer Sicht nicht immer optimal war, war es richtig, dass wir unsere Strategie konsequent durchgezogen haben, ohne dass etwas nach außen drang. Und wir im Endeffekt rund 300 Millionen Euro an Schaden, den Gazprom uns in den Jahren 2022 und 2023 zugefügt hat, einbehalten konnten. Nicht zuallerletzt: Dass es uns gelungen ist, aufgrund dieser mehrfachen, schwerwiegenden Vertragsbrüche von Gazprom, den Vertrag, der bis 2040 gelaufen wäre, endgültig zu kündigen. Jetzt sind wir von keinem einzigen Gaslieferanten mehr abhängig und haben das beste Gasportfolio, das OMV jemals hatte.
Gibt es einen Weg zurück zum russischen Gas? Soll es den geben?
Stern
Es ist immer schwierig, die Zukunft vorherzusagen. Ich bin der Meinung, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um in Europa mehr Energie selbst zu produzieren. Das ist volkswirtschaftlich und umwelttechnisch das Vernünftigste. Europa wird nämlich bis mindestens 2050 ein Netto-Gasimporteur bleiben.
Ich bin der Meinung, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um in Europa mehr Energie selbst zu produzieren.
Alfred Stern
zur Frage, ob es einen Weg zurück zu russischem Gas geben soll
Als Russland zunächst die Lieferungen gedrosselt hat, hieß es ja, dass Energie vielleicht rationiert wird, dass Wohnungen kalt bleiben könnten. Konnten Sie da noch schlafen?
Stern
Ja, die Krise mit Russland hielt mich wach.
Wann war der genaue Moment, als Sie beschlossen, aus dem russischen Gasvertrag auszusteigen?
Stern
Ab Anfang 2023 haben wir mehrere internationale Schiedsverfahren gegen die russische Gazprom eingeleitet. 2022 war ein sehr turbulentes Jahr, wir haben finanziell einen signifikanten Schaden erlitten (die OMV leitete die Schiedsverfahren gegen Gazprom unter anderem wegen ausgebliebener Gaslieferungen in Deutschland und unzuverlässiger Gaslieferungen aus dem österreichischen Gasliefervertrag ein, Anm.). Ende letzten Jahres haben wir dann von den Schiedsgerichten Schadenersatz zugesprochen bekommen – mit der Möglichkeit, dies mit schuldbefreiender Wirkung gegen die Gaslieferungen aufzurechnen. Wir haben also die Beträge gegen die Gaslieferungen aufgerechnet. Und dann hat Gazprom noch einmal vertragswidrig gehandelt und einseitig die Lieferungen eingestellt. Das war der letzte Vertragsbruch, und daraufhin haben wir den Vertrag mit sofortiger Wirkung beendet.
Anders als Ihr Vorgänger Rainer Seele gelten Sie nicht als ausgewiesener Russlandfreund. Haben Sie Wladimir Putin jemals getroffen?
Stern
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihn je getroffen hätte.
Als teilstaatlicher Konzern spielt Politik immer eine Rolle. Wie war das bei der Russland-Frage?
Stern
Ich habe eine klare Meinung dazu: Wenn ein Land russisches Gas nicht will, dann muss es dafür eine politische Entscheidung geben. Es liegt nicht an OMV, das zu entscheiden, es bedarf einer parlamentarischen Mehrheit und eine Regulatorik oder Sanktionen.
Zu uns hat eine sehr hochrangige westliche Diplomatin einmal gesagt – das war allerdings vor 2021: „Die OMV ist ein einziges Joint Venture des Kremls.“ War das früher so?
Stern
Ich kann dem wenig Gutes für die OMV abgewinnen, indem ich Dinge aus der Vergangenheit kommentiere. Ich muss mit der Situation umgehen, in der wir uns heute befinden. Wir sind uns sehr wohl unserer Verantwortung bewusst, die Versorgungssicherheit unserer Kunden zu gewährleisten, dass wir die einzige Raffinerie des Landes betreiben, und dass wir auch die Energiewende mit vorantreiben. Und zwar signifikant. Die Energiewende in Österreich ist nur mit oder durch OMV möglich. Wir haben mittlerweile Tankstellen mit 100 Prozent Bio-Sprit und Schnellladestationen. Das Geothermie-Joint-Venture mit der Wien Energie macht große Fortschritte. Spätestens 2028 können 20.000 Haushalte klimaneutral versorgt werden.
Es wurde ja immer von dem billigen russischen Gas geredet. Das russische Gas war das teuerste, das wir je eingekauft haben.
Der OMV-Chef
über das angeblich billige Gas, das etwa FPÖ-Chef Herbert Kickl wieder will
Was hat Sie der Ausstieg aus russischem Gas tatsächlich gekostet?
Stern
Es wurde ja immer von dem billigen russischen Gas geredet. Das russische Gas war das teuerste, das wir je eingekauft haben. Wenn Sie die Verluste aufrechnen, die wir durch den Gasliefervertrag eingefahren haben – das waren hohe dreistellige Millionenbeträge. Es mag sein, dass es in der Produktion billig ist, aber OMV als ein Marktteilnehmer im Westen hat an Gazprom auch die an den westlichen Börsen gehandelten Marktpreise bezahlt. Das war so vereinbart. Und da macht es keinen Unterschied mehr, ob Sie den Preis für LNG oder für russisches Gas zahlen.
Kostet das Gas, das Sie jetzt einkaufen, mehr oder weniger als das russische Gas?
Stern
Der Durchschnittspreis im Jahr 2022 lag über 120 Euro pro Megawattstunde Gas. Letztes Jahr lag der Preis unter 40 Euro, und aktuell liegen die Marktpreise bei zwischen 30 und 40 Euro. Also insofern sind die Großhandelspreise sehr stark zurückgegangen, allerdings noch immer über dem Niveau von 2021 – da hat die Verknappung schon begonnen. Inflationsbereinigt liegen die Preise mittlerweile dort, wo sie vor Corona waren. Nur: OMV versorgt keine Privathaushalte. Wir verkaufen an diverse Nahversorger und diese setzen die Konsumentenpreise fest.
Wenn Sie Kanzler wären, was würden Sie tun, damit die Energiepreise sinken?
Stern
Wie setzen sich die Energiekosten heute zusammen? Im Bereich Gas und Treibstoffe machen mittlerweile Steuern und Abgaben einen erheblichen Anteil aus – Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer, CO₂-Steuer. Auch die Netzgebühren sind enorm gestiegen. Und das sind Kosten, die irgendwann weitergegeben werden. Ich bin kein Freund von einer üppigen Subventionspolitik, weil uns irgendwann das Geld ausgeht und das keine nachhaltige Wirtschaftsform ist. Aber man kann natürlich die Investitionsbedingungen fördern. Wir haben in Österreich den größten Gasfund der letzten 40 Jahre in Niederösterreich gemacht. Das erlaubt uns, die Gasproduktion um 50 Prozent zu erhöhen. Eigentlich wollten wir jetzt schon produzieren. Das wird aber erst nächstes Jahr passieren, weil wir in einem komplexen Verfahren eine 12 Kilometer lange Pipeline genehmigen lassen mussten, damit wir das Gas in unsere Gasaufbereitungsanlage nach Aderklaa bringen können. Die Verzögerung dieser 12 Kilometer haben uns Millionen gekostet, und dieser administrative Aufwand verschiebt die Produktion um ein Jahr. Auch bei der Geothermie sind die Genehmigungsverfahren unglaublich aufwendig. Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sind aber zwei wichtige Faktoren, die wir im Auge behalten müssen. Wir sind ein Hochlohnland.
Inflationsbereinigt liegen die Preise mittlerweile dort, wo sie vor Corona waren. Nur: OMV versorgt keine Privathaushalte. Wir verkaufen an diverse Nahversorger und diese setzen die Konsumentenpreise fest.
Alfred Stern
zu den aktuellen Energiepreisen
Wenn Sie auf die Energieversorgung Europas schauen, sind wir auf dem richtigen Weg?
Stern
Wir müssen in Europa mehr Energie selbst produzieren. Mehr Angebot wird folglich das Preisniveau senken. Und ich bin ein Freund der freien Marktwirtschaft. Damit haben wir uns bisher unseren Wohlstand erarbeitet. Das mag im täglichen Gebrauch nicht immer spannungsfrei sein, aber das ist die Realität.
Wie beurteilen Sie unsere Wettbewerbsbedingungen?
Stern
Europa macht mir gerade Sorgen. Gewinnabschöpfungen, Preisdeckelungen, zusätzliche Regulatorik-Kosten, Vorschriften, Berichte, schwierige Genehmigungsverfahren sind nicht investitionsfördernd. Das Kapital wandert gerade aus Europa ab. Trotzdem engagieren wir uns stark mit OMV Petrom bei Neptun Deep (das Gasfeld im Schwarzen Meer vor Rumänien, Anm.), weil wir der Meinung sind, dass wir hier in Europa produzieren müssen. Die Arbeiten, die OMV Petrom und Romgaz gemeinsam vorantreiben, zeichnen sich durch Technologieführerschaft und eine gute Umweltbilanz aus. Die Gasgewinnung im Schwarzen Meer ab 2027 verursacht achtmal weniger CO₂-Emissionen als im globalen Industriedurchschnitt. Zusätzliche Investitionen in Erneuerbare sind natürlich wichtig.
Ab 2027 soll aus Rumänien das erste Gas fließen. Wird etwas davon nach Österreich kommen?
Stern
Neptun Deep ist das größte Gasentwicklungsprojekt in der EU. Wir schätzen die förderbaren Reserven auf ungefähr 100 Milliarden Kubikmeter ein. Pro Jahr sollen circa acht Milliarden Kubikmeter gefördert werden. Das ist der gesamte Jahresbedarf Österreichs. Mit diesen Fördermengen soll der gesamte rumänische Markt versorgt werden. Aber es wird genug übrig bleiben, dass es auch in die Nachbarländer gehen könnte. Man muss wissen, dass das Gasnetz in Europa verbunden ist. Das bedeutet, dass hier vom Westen dann weniger in Richtung Osten abgezogen wird und bei uns mehr übrig bleibt. Dadurch sollten auch die Preise sinken.
Diese Gasfelder sind seit Jahrzehnten bekannt. Die OMV ist auch schon seit Jahren daran beteiligt. Hat die russische Gazprom gegen die Erschließung lobbyiert, weil sie keine Konkurrenz am europäischen Markt wollte?
Stern
Ich bin kein Historiker, und ich möchte auch keine Vergangenheitsbewältigung betreiben. Ich bin froh, dass OMV Petrom unter der Führung von Christina Verchere das Projekt sehr gut vorantreibt und Neptun Deep 2027 in die Exploration geht.
Wie ist die Stimmung in Rumänien gegenüber der OMV? Der angekündigte Stellenabbau wird dort nicht auf sehr viel positive Resonanz stoßen. Und im profil-Interview hat der ehemalige Energieminister und Petrom-Aufsichtsrat Ihren Rückzug als Aufsichtsratschef gefordert.
Stern
Ich kann nur raten, sich die Erfolgsgeschichte der OMV Petrom anzusehen, seitdem OMV dort als Mehrheitsaktionär eingestiegen ist. Der Börsenwert hat sich vervielfacht. Das ist heute ein modernes Unternehmen. Bis 2030 sollen elf Milliarden Euro investiert werden. Aber natürlich muss man morgen besser sein als heute. Wir halten eine kontrollierende Mehrheit von 51 Prozent. Und als Mehrheitsaktionär hat man sowohl Rechte als auch Pflichten. OMV respektiert die Rechte aller Minderheitsaktionäre vollumfänglich, insbesondere schätzen wir die gute Zusammenarbeit mit dem rumänischen Staat, der mit 20 Prozent ein sehr wichtiger Partner für uns ist.
Bis zur Pension dauert es bei Ihnen noch ein bisschen. Wissen Sie schon, was Sie nach Ihrer Zeit bei der OMV machen wollen?
Stern
Was ich ganz genau weiß, ist, dass ich mich dem Aufsichtsrat und mir selbst gegenüber verpflichtet habe, bis zum Ende meiner Tätigkeit mein Mandat vollumfänglich wahrzunehmen. Wir haben über Borouge Group International gesprochen, über Neptun Deep und OMV Petrom, über Geothermie. Also da gibt es viel zu tun.
Bewerben Sie sich als CEO für Borouge International?
Stern
Also, wie ich sagte: Ich konzentriere mich jetzt auf meine Tätigkeit bei der OMV-Gruppe. Alles weitere wird sich zeigen, wenn es so weit ist.
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil und seit 2025 auch Herausgeberin des Magazins. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.