"Für die Zuversicht sind im Moment wir zuständig"

Peter Bosek: "Für die Zuversicht sind im Moment wir zuständig"

Peter Bosek leitet das Österreich-Geschäft der Erste Group. Der erfahrene Banker steht vor surrealen Fragen:

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profil: Sitzen Sie bequem? Und wo sitzen Sie? Bosek: Ich sitze in unserem Office am Hauptbahnhof. Wir haben auch auf Vorstandsebene ein rotierendes System, wo wir einander abwechseln. Zwei sind immer im Büro, die anderen beiden arbeiten von zu Hause aus. Im gesamten Headquarter haben wir derzeit rund 95 Prozent im Homeoffice.

profil: Wie viele Leute sind das? Bosek: Am Erste-Campus sind es insgesamt 4500 Mitarbeiter, die normalerweise hier arbeiten.

profil: Also arbeiten jetzt ungefähr 4300 Menschen von zu Hause aus. Bosek: Ja. Wenn ich in die Kantine gehe, sitzen maximal 15 Menschen jeweils an eigenen Tischen. Das wirkt schon surreal. Dabei ist das dezentrale Arbeiten für mich ja eigentlich völlige Normalität. Ich komme aus dem Vertriebsgeschäft, da bist du es gewohnt, deine Mitarbeiter nur sehr selten zu sehen. Vorstands-und Aufsichtsratssitzungen halten wir jetzt auch per Skype ab. Die Kommunikation, der Austausch von Unterlagen, das Abstimmen über Anträge, das konnten wir schon vor der Krise online erledigen. Ob zum Beispiel mein Kollege Willi Cernko grad physisch im Haus ist oder nicht, spielt für die Zusammenarbeit und das Funktionieren des Bankbetriebs keine Rolle, ich merke da keinen Unterschied.

profil: An sich sitzt der Vorstand der Erste Bank ja im Großraumbüro. Bosek: Ja.

profil: Das hat sich in der Krise sicher bewährt. Bosek: Großraumbüros sind jetzt wohl eher eine antizyklische Sache.

profil: "Bin in Telko." Den Satz bekomme ich neuerdings andauernd geschickt, wenn ich anrufe. Bosek: Diese Telefonkonferenzen machen doch alles ein wenig effizienter, das muss man schon sagen. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass mein iPhone mittlerweile Teil meines Ohrs ist.

profil: Am Ende könnte der eine oder andere Firmenchef feststellen, dass man eigentlich gar keine Bürotürme mehr braucht, um den Laden zu führen. Bosek: Commercial Real Estate ist jetzt eher nicht die Asset-Klasse to be.

profil: Die Filialen haben alle geöffnet? Bosek: Im Moment ja. Das ist eine große Herausforderung. Wir bemühen uns, das aufrechtzuerhalten, versprechen kann ich es aber nicht. Ich kann nicht versprechen, dass alle Filialen immer und überall offen haben. Wenn ein Einkaufszentrum geschlossen wird, muss ich dort ja auch eine Filiale schließen. Wir haben unsere Öffnungszeiten auf 16.00 Uhr reduziert, bei größeren Standorten haben wir jeweils zwei rollierende Teams, die sich wochenweise abwechseln.

profil: Konnten es sich die Mitarbeiter aussuchen, ob sie in die Filiale gehen? Bosek: Im Vordergrund stand der Schutz der Risikogruppen. Gefährdete Mitarbeiter beziehungsweise Mitarbeiter, die mit Menschen mit Vorerkrankungen in einem Haushalt leben, wurden ins Homeoffice geschickt und beraten die Kunden per Telefon und Mail.

profil: Wie wird die gesundheitliche Sicherheit am Schalter gewährleistet? Bosek: Wir haben vergangene Woche Plexiglasscheiben an den Kassen und Infopoints ausgerollt, das ist für die Mitarbeiter und die Kunden gut. Wir halten die Abstandsempfehlungen ein und haben Desinfektionsspender in allen Filialen. Die Kundenfrequenz hat sich allerdings auch drastisch reduziert. Wir rufen vor allem Ältere und Menschen mit Risikofaktoren auf, möglichst wenig in die Filialen zu kommen. Ähnlich wie beim Handel haben Risikogruppen bei uns ab sofort zwischen 9.00 und 10.00 Uhr den Vorrang. Was mir ein bisschen Kopfzerbrechen bereitet, ist der nahende 1. April, wieder ein Pensionsauszahlungstermin. Es gibt immer noch genug Pensionisten, die am Monatsersten kommen und Geld abheben. Wir wollen natürlich schauen, dass da nicht zu viele auf einmal kommen. Mein Kollege in der Tiroler Sparkasse steht vor der zusätzlichen Herausforderung, dass die dort ein hartes Versammlungsverbot haben. Man kann die Leute also weder in noch außerhalb der Filiale warten lassen. Wir haben da jetzt Dinge auf dem Tisch, von denen wir nie gedacht hätten, dass es das geben kann.

profil: Wie macht man als Bank derzeit Neugeschäft? Bosek: Das ist nicht unsere erste Priorität. Manches passiert derzeit ganz von allein. Wir sehen einen ernsthaften Anstieg im digitalen Wertpapierhandel. Das hat vorletztes Wochenende begonnen. Als ich das mitbekommen habe, war ich überrascht. Wenn man mit kleinen Beträgen Wertpapiere langfristig kauft, ist das auch absolut vernünftig. Wir empfehlen das seit 20 Jahren und dachten immer, die Leute hören uns nicht zu. Sie haben schon zugehört, nur offenbar hatten sie keine Zeit.

profil: Ich gehe aber davon aus, dass die Nachfrage nach klassischen Bankprodukten derzeit inexistent ist. Bosek: Ja, klar. Meine einzige Priorität ist es, die Liquidität bei unseren Kunden zu sichern und mit Augenmaß zu stunden.

profil: Wie viel Prozent Ihrer gewerblichen Kunden machen derzeit kein Geschäft? Bosek: Das ist schwer zu quantifizieren, aber ich schätze dass etwas mehr als die Hälfte unserer Kunden die Vollbremsung der Wirtschaft erlebt haben.

profil: Wie viele sind das in absoluten Zahlen? Bosek: Als Erste Bank Österreich haben wir ungefähr 50.000 Kommerzkunden.

profil: Das wären in etwa 25.000 Unternehmen und Unternehmer, von denen wohl einige offene Zahlungsverpflichtungen haben, denen sie nicht nachkommen können, weil sie keinen Umsatz machen. Was geschieht mit denen? Bosek: Für alle Unternehmen ist Liquiditätsplanung derzeit ein zentrales Thema. Schwierig genug, weil niemand weiß, wie lange diese Phase dauert. Die einen werden zusätzliche Liquidität brauchen, die anderen haben einen Polster, der sie über einige Monate tragen sollte.

profil: Und wenn mein Polster das nicht hergibt? Bosek: Dann werden wir teilweise bis gänzlich stunden, das geschieht auch bereits. Das ist zwar grundsätzlich nichts Neues für uns, das kommt im Wirtschaftsleben schon mal vor. Neu ist die Menge, die wir abarbeiten müssen. In den vergangenen Tagen hatten wir pro Tag rund 600 entsprechende Anfragen von unseren Kunden. Die Erwartungshaltung an die von der Bundesregierung zugesagten Hilfen ist dementsprechend groß.

profil: Bekommen nur diejenigen Unternehmen und Unternehmer eine Stundung, die auch Hilfen vom Staat in Anspruch nehmen werden? Bosek: Nein. Ich weiß jetzt schon, dass wir nicht für jede Stundung eine Staatshilfe bekommen werden.

profil: Wie lange wird gestundet? Bosek: In der Regel sind es derzeit drei bis sechs Monate.

profil: Sie stehen selbst mit Kunden in Kontakt? Bosek: Ja, intensiv.

profil: Was hört man da? Bosek: Sehr unterschiedlich. Ich habe mit einer kleinen Eventagentur telefoniert, für die das eine Katastrophe ist. Die hat keine Aufträge mehr und muss für bereits erbrachte Vorleistungen jeder Rechnung nachlaufen, da machen 2000 oder 3000 Euro einen Riesenunterschied. Sie hat zwei Mitarbeiterinnen und muss sich wohl von einer trennen, was ihr unendlich leid tut. Gerade bei kleinen Unternehmen ist der Spielraum für Kostenveränderungen nicht sehr groß. Einige haben sich auf den Standpunkt zurückgezogen, keine Miete mehr zu bezahlen. Schauen wir mal, wie das ausgeht. Auf der Seite habe ich mit einem Gastronomen geredet, der einige Lokale betreibt und sich turboprofessionell auf das Gespräch vorbereitet hatte. Er hat eine sehr exakte Liquiditätsplanung gemacht, die ihm ein bisschen Luft verschafft. Die Bandbreite ist extrem groß.

profil: Erlebt man als Banker dieser Tage auch Zuversicht? Bosek: Für die Zuversicht sind im Moment wir zuständig.

profil: So ändern sich die Zeiten. Bosek: Dass Menschen Sorge haben, dass es ihnen das Geschäftsmodell aufstellt, verstehe ich. Da sehe ich es schon als meine Aufgabe, Sicherheit zu vermitteln.

profil: Der Staat will viele retten, mit Fortdauer der Krise wird es unmöglich, alle zu retten. Was kommt da noch auf uns zu? Bosek: Schwer zu sagen. Wichtig ist, relativ rasch auf eine veränderte Situation zu reagieren. Vor einem Monat hätte sich niemand eine Vollbremsung vorstellen können, mittlerweile ist das die neue Normalität.

profil: Für den Fall, dass das irgendwann vorbei ist, was auch immer vorbei dann heißen mag: Kann man Österreichs Wirtschaft einfach wieder anschalten? Bosek: Das ist kein Wasserhahn, den man auf-und zudrehen kann, weil es viel mit Emotion zu hat. Es wird eine Zeit lang mehr Vorsicht da sein. Diese Krise wird uns mental nachhängen. Und Aufschwung braucht Motivation.

profil: Stichwort Konsumlaune. Bosek: Und Investitionslaune. Jede Investition ist eine Wette auf die Zukunft. Wenn ich positiv gestimmt bin, mache ich das gern. Wenn ich negativ gestimmt bin, bin ich zögerlich und warte. Da werden wir alle gemeinsam daran arbeiten müssen, um die Stimmung wieder zu heben. Abgesehen davon ziehen wir ja jetzt schon Lehren, die wir nicht vergessen sollten. Es braucht kritische Infrastruktur, die wir wieder in Europa haben sollten, Pharmaproduktionen zum Beispiel. Dass wir im Pharmabereich Abhängigkeiten zu Indien und China haben, finde ich auch als großer Anhänger der Globalisierung nicht so gut. Wir machen es uns hier in Europa regulatorisch immer wieder sehr schwierig und sorgen damit dafür, dass Produktionen verlagert werden. Europa muss seinen mentalen Zugang zur Regulatorik überdenken. Das gilt für alle Branchen, das ist kein Bankgejammere.

profil: Es ist immer auch Bankgejammere. Bosek: Wir haben von der Regulatorik zehn Jahre lang die Botschaft reingeprügelt bekommen, dass wir kein Risiko nehmen dürfen. Und dann ändert sich die Welt in drei Wochen komplett, und jeder fragt mich: "Wieso nehmt ihr nicht mehr Risiko?" Wir werden es eh machen, dazu gibt es uns auch. Aber wir werden das mit Hirn machen. Wir haben gelernt, unser Risiko zu managen.

profil: Na bitte, da hat Ihr Berufsstand doch etwas aus der Finanzkrise gelernt. Bosek: Die einen mehr, die anderen weniger.

profil: Die Regierung hat Staatshilfen in einer Höhe von vorerst bis zu 38 Milliarden Euro angekündigt, wovon nach meinem Verständnis der größte Teil für Kredithaftungen eingesetzt werden soll. Wie läuft das in der Praxis ab? Bosek: Je nach Branche stehen ja unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Hotels und weite Teile der Gastronomie zum Beispiel haben die Hotel-und Tourismusbank. Da gibt es die Garantien bereits. Für KMU entscheidend sind die Förderungen des Austria Wirtschaftsservice, da geht es im Wesentlichen um Garantien für Finanzierungen bis 2,5 Millionen Euro, wovon das AWS 80 Prozent auf fünf Jahre garantiert. Ein Problem aus unserer Sicht: Das AWS prüft die Fälle selbst nicht, das müssen wir machen. Die schauen sich das erst im Nachhinein an, und es kann dann sein, dass sie die Garantien nachträglich entziehen. Und das finden wir nicht gut.

profil: So oder so: Viele Unternehmen werden diese Krise nicht überleben. Was heißt das für den Kreditsektor? Bosek: Die Risikokosten werden ansteigen. Die Höhe abzuschätzen, ist wahnsinnig schwierig, sie ist eine Funktion der Dauer. Standard &Poor's schätzt, dass die Risikokosten des Banksektors international um den Faktor drei steigen werden. Keine Ahnung, wie nahe das an der Realität dran ist.

profil: Sie waren aufseiten der Banken in die Verhandlungen zum Hilfspaket eingebunden. Wie haben Sie diese erlebt? Bosek: Sehr professionell. Wir hatten gemeinsam mit der Wirtschaftskammer mehrfach Kontakt mit der Politik. Alle sehr ernsthaft bei der Sache. In so kurzer Zeit derartige Mengen an Kapital zur Verfügung zu stellen, das macht sich niemand leicht. Entgegen der Gewohnheit unserer Branche, gerne mal zu raunzen - da raunz ich gar nicht.

profil: Sieht aus, als wären wir in der Krise ein bisschen erwachsener geworden. Bosek: Uns eingenommen.

PETER BOSEK

Der 51-Jährige ist promovierter Jurist und seit 24 Jahren in den Diensten des Erste Bank- Konzerns, einem der heute größten Finanzdienstleister Zentraleuropas. Seit 2019 steht er dem Vorstand der Erste Bank Österreich vor, wo das nationale Sparkassengeschäft gebündelt ist (3,8 Millionen Kunden). Bosek sitzt darüber hinaus auch im Management der übergeordneten, börsennotierten Holding. Was ihn von seinen männlichen Vorstandskollegen sichtbar abhebt: Er hat der Krawatte entsagt.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.