In Chinara Tuganbayevas Family-Office- (Beratungs-)Unternehmen AES Consulting nehmen immer wieder Russinnen und Russen Platz, wenn auch meist virtuell, die auf Jobsuche in Österreich sind. „Alle haben Familie, und alle erzählen uns, dass sie eine gute und vor allem sichere Zukunft für ihre Kinder wollen“, sagt Tuganbayeva. Denn bei all diesen Familien schwinge die ständige Angst mit, vielleicht doch noch irgendwann für den Krieg gegen die Ukraine eingezogen zu werden. Wenn nicht die Väter selbst, dann die Söhne. Geld spiele selten eine Rolle.
Seit Kriegsbeginn ist Österreich deutlich strenger bei der Erteilung von (Touristen-)Visa an russische Staatsbürger. Wie eine profil-Recherche kürzlich zeigte, wurde im Vorjahr fast jeder vierte Visaantrag vom österreichischen Konsulat in Moskau abgelehnt. Dementsprechend wenig russische Touristinnen und Touristen tummeln sich in den heimischen Innenstädten und auf den Skipisten im Winter. Die Anzahl der ausgestellten Rot-Weiß-Rot-Karten ist seit Kriegsbeginn im selben Maß zurückgegangen. Von 569 im Jahr 2022 auf 423 im Vorjahr. Ganz grundsätzlich sei das Interesse aus Russland am Rot-Weiß-Rot-Karten laut AMS aber unverändert.
All inclusive
Eine Auffälligkeit führt eine Sonderauswertung des AMS für profil zutage: Die meisten Russinnen und Russen kamen als Forscherinnen, Ingenieure, Programmiererinnen oder gut bezahlte Manager (siehe Grafik) – mit Gehältern von 4000, 5000 Euro brutto aufwärts. Während aus anderen Nationen eher Personen mit Mangelberufen eingewandert sind – Köche zum Beispiel. Genau diese hochqualifizierten, zahlungskräftigen Zuwanderer sind seit Jahren sehr gern gesehene Kunden bei vielen heimischen Anwaltskanzleien und Beratungsunternehmen. Fast schon zu viele – in der Branche hört man, dass die Vermittlungshonorare sinken, weil derart viele Anwälte und Berater bei solchen Einwanderungsverfahren ihre Dienste anbieten. Zwischen 5000 und 10.000 Euro pro Person bezahlen Russinnen und Russen üblicherweise für ein rot-weiß-rotes All-inclusive-Paket.
In Bereichen wie diesen läuft die Jobsuche auch ganz anders ab als im Warteraum des AMS. Private Headhunter und Agenturen vermitteln und suchen Arbeitskräfte weltweit. Und sehr viel läuft schlicht über Mundpropaganda und Beziehungen. Es sind auch nicht kleine heimische Mittelständer, sondern international tätige Banken, Bauunternehmen oder Forschungseinrichtungen, bei denen die Russinnen und Russen anheuern. Und dann gibt es noch den einen oder anderen Manager oder Mitarbeiter, der in Russland für österreichische Firmen gearbeitet hat und nach dem Krieg nach Wien übersiedelte.
„Bei uns sitzen Ingenieurinnen, Juristen, Architektinnen. Sie alle sind wahnsinnig gut ausgebildet und verdienen in Russland sehr gut“, sagt die Anwältin Nevena Shotekova-Zöchling, die in den vergangenen Jahren einige russische Staatsbürger bei den Genehmigungsverfahren vertreten hat. Oft würden ihre Kunden hier deutlich weniger verdienen als in ihren sehr gut bezahlten Jobs in Moskau oder St. Petersburg. Sie wollen trotzdem weg.
Auch die Daten des AMS deuten auf einen Braindrain hin, also auf hochqualifizierte Abwanderung aus Russland. Von den 423 Rot-Weiß-Rot-Karten, die im Vorjahr an russische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ausgestellt wurden, waren fast alle sogenannte Blaue Karten. Diese werden nach einem strengen Punktesystem nur an Akademikerinnen und Hochqualifizierte vergeben.
Seit Kriegsbeginn haben mehrere Hunderttausend Russinnen und Russen das Land verlassen und sich zunächst in die Nachbarländer abgesetzt, bevor einige von ihnen in die EU weiterzogen. Genaue Migrationszahlen veröffentlicht der Kreml nicht. Alle öffentlich verfügbaren Daten fußen auf Schätzungen und Spiegelstatistiken aus anderen Ländern. In dieser Migrationswelle sind vor allem junge, gut ausgebildete Menschen aus den Städten überproportional vertreten. Zu diesem Schluss kam erst kürzlich eine Studie des „Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien“ in Berlin. In zahlreichen Interviews gaben die befragten Russen und Russinnen fehlende Perspektiven und Angst vor Repressionen oder Einberufung für den Kriegsdienst als Grund an, ihre Heimat zu verlassen.
Von öffentlichem Interesse
Nun ist es aber so, dass die Beziehungen zwischen der EU und Russland seit dem 24. Februar 2022, als die ersten russischen Panzer über die ukrainische Grenze rollten, angespannt sind – gelinde gesagt. Auf den EU-Sanktionslisten finden sich zahlreiche russische Staatsbürger und Firmen. Zudem sind Russlands Geheimdienste wieder äußerst aktiv in Europa. Es ist also nicht unerheblich, wer zu uns kommt. Mir der Anklage gegen den ehemaligen Staatsschutzbediensteten Egisto Ott, der mutmaßlich zum Nachteil Österreichs für Russland spioniert haben soll, findet demnächst in Wien nun der erste große Spionageprozess statt. Er soll auch in Verbindung mit dem flüchtigen Ex-Wirecard Finanzchef und Russland-Spion Jan Marsalek gestanden sein. Die Behörden haben hier also ein besonderes Interesse, genau hinzuschauen.
Für die Administration der Rot-Weiß-Rot-Karten ist das AMS zuständig. Die Bearbeitung des Antrags dauert in der Regel 24 Tage. Die Überprüfung der Personen und die Erteilung der Aufenthaltstitel obliegt dem Innenministerium. Dort heißt es auf Nachfrage: „Anträge zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung werden einer umfassenden Prüfung unterzogen. Auch etwaige Sanktionen gegen Personen sind davon umfasst.“
Wie viele der heuer 30 abgelehnten Anträge erfolgten wegen Sicherheitsbedenken? „Tut mir leid. Derartige Statistiken werden nicht geführt“, sagt ein Sprecher auf Nachfrage.