Traumjob Herrscher

Traumjob Herrscher: Österreichs verwöhnte Landeshauptleute

Landeshauptleute. Kein anderes Amt bietet so viel Prestige - bei so geringem Risiko

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Es ist nicht so einfach, mit einem runden Geburtstag umzugehen. Fast jeder Jubilar wird ein wenig nachdenklich oder sentimental. Manch einen packt der Trübsinn oder sogar eine leichte Depression. Allerdings sind auch Fälle überliefert, in denen das Geburtstagskind seinen Ehrentag zur Generalabrechnung mit der gesamten Sippschaft nutzte. Beginnt eine Festrede mit den Worten: „Was ich euch schon immer sagen wollte“, ist es meistens vorbei mit der Gemütlichkeit.

Franz Voves (seit 25.Oktober 2005 im Amt), Landeshauptmann der Steiermark und seit Donnerstag vergangener Woche 60 Jahre alt, zählt offenbar zu den Freunden des offenen Worts. Er nutzte sein Wiegenfest, um den Parteikollegen darzulegen, was sie alles nicht können. Die Grazer SPÖ habe „in allen Sektionen ungefähr 30 Jahre verschlafen“, erklärte Voves. Auch die Wiener Kollegen sind nach seinem Dafürhalten nicht ganz auf der Höhe der Zeit: „Servas und griaß di und jede Woche ein Meeting, aber der Strache gewinnt auf der Straße die Stimmen.“ Im Bund hätten weder die SPÖ noch die ÖVP ihre Inhalte der Wirklichkeit angepasst, findet Voves. Sollte sich nicht sehr bald was ändern, „dann steuern wir auf den Triumph der Nicht-Politik zu“.

Der steirische Landeshauptmann hat mit seinen Analysen nicht völlig Unrecht. Diskussionswürdig ist in diesem Fall weniger der Inhalt als die Form. Voves hätte seinen Genossen die Kritik persönlich und unter vier Augen mitteilen können, aber er wählte den Weg über die Medien. Weil ihm zum 60er halt danach war, ein bisschen Unfrieden zu stiften. Und weil er das darf. Er ist ja Landeshauptmann.

Achselzuckende Spitzen
Es wäre völlig undenkbar, dass etwa Bundeskanzler Werner Faymann einen SPÖ-Landeschef in der Öffentlichkeit derartig abkanzelt – Geburtstags-Blues hin oder her. Auch Vizekanzler Michael Spindelegger wird sich hüten, ein böses Wort in Richtung St. Pölten, Oberösterreich, ­Tirol oder Vorarlberg zu schicken. Geschimpft, gespottet und gedroht wird traditionell nur in den Ländern und am liebsten gegen die Bundespolitik. Ernsthafte Gegenwehr ist nicht aktenkundig. Die Spitzen der Republik nehmen das schlechte Benehmen in den Filialen achselzuckend zur Kenntnis. Damit muss man leben.

Im Superwahljahr 2013 mit insgesamt vier Landtagswahlen steht das Chefpersonal in den Bundesländern besonders in der Auslage. Erwin Pröll (seit 22. Oktober 1992 im Amt) und Gerhard Dörfler (seit 27. Oktober 2008 im Amt) in Niederösterreich und Kärnten kämpften in den vergangenen Wochen um eine Verlängerung ihrer Dienstverträge. Für Günther Platter (seit 1. Juli 2008 im Amt) und Gabi Burgstaller (seit 1. April 2004 im Amt) in Tirol und Salzburg beginnt jetzt die intensive Phase ihrer Wahlkämpfe. Die Bundespolitik kommt währenddessen praktisch zum Erliegen. Jede Aktivität könnte einen Landesfürsten verärgern – da lässt man es lieber bleiben. Abgesagt wurde in der vergangenen Woche etwa der Plan, im Nationalrat das Spekulationsverbot samt neuen Buchhaltungsrichtlinien für die Bundesländer zu beschließen. Die Opposition hätte ohnehin nicht zugestimmt, weil die Regierungsparteien – den Ländern zuliebe – einen allzu zahnlosen Entwurf vorgelegt hatten.

Spitzenpolitik gilt als beinharte Branche, in der man vor der Zeit altert und keinen Dank erwarten darf. Der Koalitionspartner macht einem das Leben schwer, die Opposition ist aus Prinzip dagegen, die Medien spotten über jeden Lapsus. Allzu lange dauert die Karriere meistens auch nicht. Nach ein paar Jahren ganz oben ist für gewöhnlich Schluss, weil die Wähler oder die Parteifreunde oder die Journalisten ein neues Gesicht sehen wollen.
Doch es gibt einen Job, für den das alles nicht gilt: Landeshauptleute sind die Sonntagskinder im demokratischen Betrieb. Kein anderes öffentliches Amt bietet so viel Prestige bei so geringem Risiko. Keinem anderen Würdenträger fliegen die Herzen der Wähler so selbstverständlich zu. In keiner anderen Position kann ein Politiker so sicher sein, dass ihm auch gröbere Patzer verziehen werden. Der Bonus des Landeshauptmanns oder der Landeshauptfrau wiegt meist schwerer als jede noch so berechtigte Kritik. Und das sei auch kein Wunder, meint der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger: „Der Landeshauptmann ist immer präsent, kann Geld verteilen und Gutes tun. Die Verantwortung für unangenehme Dinge tragen andere.“
Es sind nicht zuletzt die Besonderheiten des österreichischen Föderalismus, die das Los der Landeshauptleute so günstig gestalten: Der Bund ist für die Einhebung der Steuern zuständig, die Länder bekommen ihren Anteil mittels Finanzausgleich überwiesen. Den Landeshauptleuten obliegt dann die erfreuliche Aufgabe, das vom Finanzminister gesammelte Geld wieder unters Volk zu bringen. Mal wird ein Museum gesponsert, mal ein Gewerbepark subventioniert. Es macht sich auch gut, die eigenen Landesbediensteten besser zu bezahlen als die Beamten auf Bundesebene. Nicht zu vergessen auf junge Familien, die immer gerne etwas geschenkt bekommen. Wien spendiert ein „Wäschepaket“, das Burgenland fördert den Familien-Van, Kärnten zahlt Babygeld. An Ideen herrscht kein Mangel, und die Bevölkerung hat ja bei der nächsten Wahl Gelegenheit, sich erkenntlich zu zeigen.

Müssten die Länder selber Steuern einheben, wären sie wohl nicht ganz so großzügig. Tirol und Vorarlberg sind grundsätzlich bereit dazu und wollen über das Thema gerne diskutieren. Eine Einigung mit den Kollegen gälte jedoch als Sensation. Die meisten sind recht zufrieden mit dem Status quo als Taschengeldempfänger.

Geringe Fluktuation
Zugegeben, der Job hat auch Nachteile. Ein Landeshauptmann soll den Bürgern nahe sein – und das hört sich lustiger an, als es ist. Das Einsatzgebiet reicht von der Eröffnung eines neuen Kindergartens über Tänzchen beim Seniorenball bis zur Präsenz bei Landwirtschaftsmessen, Betriebsjubiläen und Spatenstichen. Gibt es ein Hochwasser, muss der Chef oder die Chefin mindestens einmal durch die Kloake waten. Ist ein Lawinenabgang zu beklagen, erwartet der Wähler glaubwürdige Bestürzung vor Ort. Hochoffizielle Anlässe mit Blasmusik, Bischof und Trachtenvereinen sind auch nicht jedermanns Sache. „Was würde mein Bruder sagen, wenn er mich jetzt sehen könnte?“, dachte sich der Tiroler Altlandeshauptmann Wendelin Weingartner bang, als er zum ersten Mal einer Abordnung Schützen gegenüberstand.

Das Betriebsklima in der Branche muss dennoch gut sein, die Fluktuation ist jedenfalls denkbar gering. Wer endlich einer Landesregierung vorsitzt, gibt den Posten so schnell nicht mehr her. Drei Legislaturperioden oder mehr sind keine Seltenheit. Abgewählt wurden in der Zweiten Republik nur fünf Landeshauptleute. Einige wenige mussten auf Druck ihrer eigenen Parteien gehen. Doch die meisten konnten – wie der Papst – den Zeitpunkt ihres Abgangs selbst bestimmen. Quasi pragmatisiert sind die Kollegen in Oberösterreich. Mit dem seit 1995 amtierenden Josef Pühringer gibt es dort erst den vierten gewählten Landeshauptmann seit Kriegsende. Das ergibt im Schnitt fast 17 Jahre pro Mann. Auch der Vorarlberger Markus Wallner wird bei seiner Bank problemlos einen langfristigen Kredit bekommen. Der Ende 2011 angelobte 45-Jährige ist in seinem Bundesland der Fünfte seiner Zunft, und es sind kaum Umstände vorstellbar, unter denen er sich in diesem Leben noch einmal einen neuen Job suchen müsste. Von den aktiven Landeshauptleuten ist der Niederösterreicher Erwin Pröll mit über zwanzig Dienstjahren am längsten im Amt. Allerdings trennen ihn fast sechs Jahre von Rekordhalter Heinrich Gleißner, der Oberösterreich zwischen 1945 und 1971 regierte.

Ein verbindliches Anforderungsprofil für den Job existiert nicht. Auch die aktuellen Amtsträger sind grundverschieden: Sechs von neun verfügen über ein abgeschlossenes Studium, zwei nicht einmal über eine Reifeprüfung. Gabi Burgstaller ist ein Small-Talk-Genie, Markus Wallner in Vorarlberg eher zugeknöpft. Erwin Pröll tourt mit Kampflächeln durch das Land, Michael Häupl verströmt gepflegte Misanthropie. Eine Überdosis Charisma scheint nicht nötig zu sein, um den Wählern ans Herz zu wachsen. Anneliese Ratzenböck, Ehefrau des oberösterreichischen Altlandeshauptmanns Josef Ratzenböck, wäre dergleichen beim ersten Date jedenfalls nicht aufgefallen. „Es hat nichts Hervorstechendes an ihm gegeben“, schreibt sie in der Biografie ihres Gatten. „Ich muss sagen, dass ich den Erstbesten geheiratet habe, und in der Rückschau war er der Beste.“

Macht und Symbol
Theoretisch reichen die politischen Kompetenzen von Landeshauptleuten nicht sehr weit. Laut Verfassung sind die Herrschaften vorwiegend für die so genannte mittelbare Bundesverwaltung zuständig – also den Vollzug der Bundesgesetze. Selbstständig agieren können die Länder nur bei politischem Kleinkram wie Baurecht, Wohnbauförderung, Fremdenverkehr und Jagd. Der Politologe Fritz Plasser warnt allerdings davor, nur die faktischen Einflussbereiche zu sehen. „Die reale Macht mag gering sein. Aber der symbolische Einfluss ist hoch.“ Landeshauptleute seien wichtige Identifikationsfiguren für die Bürger. „Der Terminus Landesfürst passte früher sicher besser. Aber das Bedürfnis nach einer Art Landesvater oder Landesmutter gibt es immer noch.“

Außerdem entscheiden die Landeshauptleute darüber, wer in ihrem Einflussbereich Karriere machen darf. Gegen den Willen der politischen Führung wird weder ein kleiner Schuldirektor installiert noch der Chef des ORF-Landesstudios. Sitzen erst einmal genug Vertraute in den wichtigen Jobs, wird das Regieren noch einfacher. Genau das birgt allerdings auch die größte Gefahr: Cäsarenwahn gilt in der Landespolitik als verbreitete Berufskrankheit. Wie heftig etwa Jörg Haider daran litt, lässt sich bis heute an der Hypo Alpe-Adria besichtigen.

Es gehört zu den verführerischen Seiten des Daseins als Landeshauptmann, dass selbst grobe Fehlleistungen häufig keine Konsequenzen haben. Kärnten zum Beispiel wäre an sich pleite. Aber bevor es so weit kam, sprang der Bund ein. Niederösterreich hat bei Finanztransaktionen rund eine Milliarde Euro versenkt. Erwin Pröll duldet dennoch keine Kritik an der Gebarung. Die Malversationen in Salzburg münden demnächst zwar in vorgezogene Neuwahlen. Landeshauptfrau Gabi Burg­staller ist aber derart beliebt, dass sie auf eine Wiederwahl hoffen darf. Von ihrem Parteifreund Werner Faymann kam bis heute kein Wort des Tadels. Stattdessen attackierte er den Koalitionspartner: Die ÖVP solle sich nicht einbilden, „diese schweren Stunden für einen kleinen Erfolg“ ausnützen zu können.
Umgekehrt bocken die Länder, wo sie nur können – aus Populismus, Eigennutz oder schierem Trotz. Bildungsministerin Claudia Schmied etwa würde gerne alle Schulkompetenzen beim Bund bündeln. Das Projekt gilt als abgesagt, seit Erwin Pröll Ende 2010 das Gegenteil gefordert hatte und sämtliche Befugnisse bei den Ländern sehen will. Kärnten und Wien boykottieren die Pensionsreform im öffentlichen Dienst weitgehend. Nicht einmal ein österreichweit einheitliches Jugendschutzgesetz war bisher durchsetzbar. Dass der Österreich-Konvent zur Staatsreform vor zehn Jahren überhaupt nichts bewirkte, ist zuallererst die Schuld der Länder.
Besonders gut wirkt stets ein Njet der Landeshauptleutekonferenz – eines Gremiums, das in der österreichischen Verfassung gar nicht vorgesehen ist. Noch jede Bundesregierung der letzten Jahrzehnte kapitulierte vor dieser Front. Zu groß ist die Angst, mit den Landeshauptleuten auch deren Wähler zu verärgern oder im nächsten Nationalratswahlkampf keine Unterstützung zu bekommen.

Bernd Schilcher, früher Klubobmann der steirischen ÖVP, kennt noch einen anderen Grund, warum sich die Bundesparteien so sehr um die Gunst der Provinzfürsten bemühen. Verantwortlich dafür seien hauptsächlich die Parteistatuten, die dafür sorgen, dass Delegierte aus den Bundesländern bei jedem Parteitag die Mehrheit stellen und somit nicht nur über die politische Richtung, sondern auch über die Zukunft des Parteivorsitzenden entscheiden. Dieses Prozedere müsste dringend geändert werden, findet Schilcher. „Ich bin sehr für Föderalismus. Aber ich bin gegen diese österreichische Form von Föderalismus, bei der sich die Länder eine Regierung halten.“ Der Mann übertreibt keineswegs. Allein Erwin Pröll und Michael Häupl haben bereits mehrere Parteivorsitzende auf dem Gewissen.

Franz Voves hat sich nach seinem Geburtstags-Rundumschlag wieder beruhigt. Werner Faymann kann also durchatmen.

Interview
„Mir war damit nicht wohl“
Der Tiroler Altlandeshauptmann Wendelin Weingartner über das Amtsverständnis eines echten Landesfürsten und die Grenzen der Macht.

profil: Sie waren neun Jahre lang Landeshauptmann von Tirol. Verfolgen Sie die aktuellen Landtagswahlkämpfe mit Wehmut, oder sind Sie froh, dass Sie nicht mehr dabei sind?
Weingartner: Weder noch. Aber ich denke gerne zurück. Es ist schon etwas Besonderes, Landeshauptmann zu sein. Wobei man sagen muss, dass dieses Amt in Tirol völlig anders aussieht als in Niederösterreich.

profil: Inwiefern?
Weingartner: Die Eigenständigkeit und der Freiheitsdrang der Tiroler sind doch größer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei uns ein Politiker so lange absolut regieren könnte wie Erwin Pröll in Niederösterreich.

profil: Haben Sie Eduard Wallnöfer vergessen? Von ihm stammt das Zitat: „Dieses Land kann man nicht regieren, ohne jeden Tag die Amtsgewalt zu missbrauchen.“
Weingartner: Das war eine andere Zeit. So wie Wallnöfer sein Amt ausgelegt hat, würde es heute sicher nicht mehr funktionieren. Bei den Agrargemeinschaften zum Beispiel hat Wallnöfer ganz eindeutig gesetzwidrig gehandelt. Und zwar nur, weil er Angst hatte, dass in irgendeiner Gemeinde ein ÖAABler Bürgermeister werden könnte.

profil: Wie mächtig fühlten Sie sich als Landeshauptmann?
Weingartner: Die Bürger unterstellen dem Landeshauptmann sehr viel Kompetenz. Es gibt offenbar das Bild vom omnipotenten Herrscher, der alles irgendwie regeln kann. Aber die Realität schaut oft genug anders aus. Meistens sind die Möglichkeiten zur Einflussnahme eher gering.

profil: Die Landeshauptleute selbst tun ja auch gerne so, als hätten sie alle Fäden in der Hand.
Weingartner: Ja, dieses Image wird durchaus gepflegt, obwohl es nicht stimmt. Ich erinnere mich an die schwierigste Situation meiner Amtszeit: Bei den Verhandlungen über den EU-Beitritt Österreichs hatte der Bund beim Thema Transit viel zu schnell nachgegeben. Für mich als Landeshauptmann von Tirol wäre es politisch lustvoller und kurzfristig auch erfolgreicher gewesen, eine scharfe Anti-Beitritts-Kampagne zu machen. Die war auch schon fix und fertig vorbereitet. Wir haben es dann aber doch nicht getan, weil es gesamtösterreichisch wahrscheinlich ein Fehler gewesen wäre. Dafür haben wir die Zusage zum Ausbau der Eisenbahn bekommen.

profil: Viele Landeshauptleute lieben das fürstliche Gepränge. Wenn der Chef offiziell auftritt, ist die Blasmusik dabei, ein hoher Kirchenvertreter und diverse Trachtenvereine. Muss das sein?
Weingartner: Mir war damit anfangs auch nicht wohl. Als ich das erste Mal vor einer Schützenkompanie stand, hab ich gedacht: „Was würde mein Bruder sagen, wenn er mich jetzt sehen könnte?“ Er ist Industrieller und kann damit überhaupt nichts anfangen. Ich bin dann aber draufgekommen, dass die Bürger so einen Rahmen ganz gern haben. Es wäre sicher nicht in ihrem Sinn, das alles abzuschaffen.

profil: Derzeit wird wieder einmal diskutiert, ob die Länder einen Teil der Steuern selbst einheben sollen. Wären Sie dafür gewesen?
Weingartner: Ich war immer dafür. Das wäre das Fundament eines aktiven Föderalismus, und die Länder müssten sich nicht dauernd anhören, dass sie nur das Geld des Bundes ausgeben. Allerdings gab es zu meiner Zeit heftigen Protest der anderen Landeshauptleute. Vor allem von den Kollegen aus Ostösterreich.

Rosemarie Schwaiger