Die Ukio-Spuren nach Wien: „Wir nehmen Ihre Anfrage ernst“

Die Ukio-Leaks geben nicht nur Einblick in die Geschäfte einer litauischen Privatbank, die unter Geldwäscheverdacht steht.

Drucken

Schriftgröße

Es war ein etwas wackeliger Tanz, den Wladimir Romanov da aufs Parkett legte. Eine sichtlich steife Hüfte, dazu ein paar ungelenke Schritte. Als alles vorbei war, buhte das Publikum so laut, dass es sogar die Zuschauer vor den Fernsehgeräten hören konnten.

Am Ende gewann der Banker trotz offensichtlichen Unvermögens die litauische Version von „Dancing Stars“ per SMS-Voting. Und weil viele hinter dem Sieg in der Tanzshow eine Schummelei vermuteten, bekam Wladimir Romanov in Litauen einen neuen Spitznamen: „Burratino“, Tolstois russisches Pendant zu Pinocchio.

Der gebürtige Russe Romanov war lange Jahre Aktionär und Chef der litauischen Privatbank AB Ukio Bankas, die er im Jahr 1989 gegründet hatte. Das Finanzhaus steht nun im Zentrum eines Datenlecks und einer internationalen Recherche-Kooperation: Mehr als 50 Journalisten auf zwei Dutzend Ländern analysierten monatelang rund 1,3 Millionen Datensätze der Ukio Bankas, welche der Investigativ-Plattform Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), der dänischen Zeitung „Berlingske“ und der litauischen Online-Plattform 15min.lit zugespielt worden waren. In Österreich beteiligten sich profil und die Investigativ- Plattform „Addendum“ an der Auswertung der litauischen Daten.

Die Ukio Bankas mit Sitz in Kaunas wurde 2013 auf Anordnung der litauischen Finanzaufsicht geschlossen, zerschlagen, die Reste in Konkurs geschickt. Es gab Probleme mit dem Kreditportefeuille. Obendrein sollen es die Banker mit den Sorgfaltspflichten zur Hintanhaltung von Geldwäsche nicht allzu genau genommen haben. Seit Jahren sind dazu in Litauen Ermittlungen anhängig. Hinweise auf Unregelmäßigkeiten hatte es schon Jahre früher gegeben.

Allein 2007, dem Jahr, in dem Banker Wladimir Romanov sich zum „Dancing Star“ küren ließ, lief laut der nationalen Zentralbank in einem Monat mehr Geld über Ukio-Konten, als litauische Volkswirtschaft im selben Zeitraum erwirtschaftete. Ein Großteil davon entfiel auf Unternehmen, die gar nicht in Litauen registriert waren: Briefkästen in Offshore-Destinationen wie zum Beispiel Panama, den British Virgin Islands oder Belize. Recherchen von OCCRP bringen die Ukio auch immer wieder mit Netzwerken aus der russischen Elite in Verbindung.

„Soweit es Geldwäsche betrifft, würde ich schon sagen, dass diese Bank Probleme hatte“, sagt der amtierende Chef der litauischen Notenbank Vitas Vasiliauskas in einem Interview mit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Finnlands YLE, die auch an der internationalen Recherche-Kooperation zu den Ukio-Leaks teilnahm. „Ukio war ein Transitionsvehikel für gewisse Geldflüsse.“

Die Chance, dass Wladimir Romanov sich vor einem litauischen Gericht erklärt, ist gering: Als die Probleme der Ukio größer wurden, setzte sich der Banker nach Russland ab, von wo er bisher nicht ausgeliefert wurde. Das ist die eine Geschichte. Die andere liegt in den Bankdaten vergraben, die profil und „Addendum“ für diese Recherche einsehen konnten. Sie ist delikat für den Finanzplatz Österreich – insbesondere für die Raiffeisen International Bank (RBI) AG, den internationalen Arm der österreichischen Raiffeisen-Organisation.

Die börsenotierte RBI ist eines der bedeutendsten Geldhäuser Zentral- und Osteuropas. Unter dem Dach von Raiffeisen International operieren Tochterbanken in mehr als einem Dutzend Ländern, darunter Tschechien, Slowakei, Ungarn, Serbien, Kroatien, Ukraine und Russland, zugleich der wichtigste Auslandsmarkt der Bank. Nach eigener Darstellung betreut RBI weltweit 16 Millionen Privat- und Kommerzkunden in 2200 Geschäftsstellen. Auf dem österreichischen Markt wiederum qualifiziert sie sich selbstbewusst als „führende Kommerz- und Investmentbank für die Top-1000-Kommerzkunden des Landes“. Die heutige RBI ist aus der Fusion mit ihrem früheren Hauptaktionär, der Raiffeisen Zentralbank AG (RZB), hervorgegangen. Der Zusammenschluss erfolgte in zwei Etappen, 2010 und 2017. Der Hinweis ist deshalb wichtig, weil auch die mittlerweile zur Gänze in der RBI aufgegangene Raiffeisen Zentralbank in dem Ukio-Leak eine Rolle spielt.

Die RZB war Zeit ihres Bestehens die kontoführende Bank einer Vielzahl von Unternehmen mit Sitz im In- und Ausland. Das ist bekannt. Nicht bekannt ist, dass sich unter den Kunden der RZB etliche fanden, deren Geschäftstätigkeit und wirtschaftlich Berechtigte auf den ersten Blick nicht erkennbar waren und sind. Es handelte sich um „Limiteds“, „Corporations“ und „Incorporateds“, Offshore-Firmen also, die Adressen unter anderem in Panama, auf den Britischen Jungferninseln, Belize und auf den Bahamas hatten. Das belegen dem Rechercheverbund vorliegenden Buchungen, Rechnungen und Verträgen aus der Ukio-Datensammlung. Aus dem Material geht hervor, dass Offshore-Kunden der RZB laufend Zahlungen aus Litauen empfingen. Das Geld kam ausnahmslos von anderen Briefkästen, die Konten bei der Ukio Bankas unterhielten.

Ein Beispiel: Am 30. Juni 2008 schickte eine „Limited“ mit Sitz in Tortola, British Virgin Islands, eine Rechnung an eine „Incorporated“ mit Sitz in Belize. Rechnungszweck: Lieferung von insgesamt 335 industriellen Förderbändern unterschiedlicher Längen und Breiten. Rechnungsbetrag: 1.200.750 US-Dollar – zahlbar auf ein Konto bei der RZB.

Ein zweites: Am 22. September 2008 schickte eine „Limited“ mit Adresse in Limassol, Zypern, eine Rechnung an eine andere „Limited“ in Auckland, Neuseeland (erwiesenermaßen ein Briefkasten). Rechnungszweck: mehrere hundert Canon Digital Kameras. Rechnungsbetrag: 500.000 US-Dollar geradeaus – zahlbar auf ein Konto bei der RZB.

Und ein drittes: Am 22. Februar 2008 schickte eine „Corporation“ mit Briefkasten-Adresse Nassau, Bahamas, eine Rechnung an eine andere „Corporation“ in Tortola, British Virgin Islands. Rechnungszweck: 18 Stück laminierte Möbel und einmal „Zubehör (Kit)“. Rechnungsbetrag: 304.184 Euro – zahlbar auf ein Konto bei der RZB.

Die Ukio-Daten zeigen auch, dass diese Zahlungen auch tatsächlich geleistet wurden. Was die Daten nicht erläutern: Wurden diese Waren jemals geliefert? Und wenn ja, von wem an wen?

Welche Summen die Offshore-Kunden der RZB insgesamt erhielten und wie viel davon allenfalls auf Grundlage von Scheinrechnungen passierte, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die litauischen Datensätze zeigen allerdings, dass im Zeitraum 2005 bis 2013 insgesamt zumindest 630 Millionen US-Dollar von Ukio-Kundenkonten auf RZB-Kundenkonten flossen (ab 2010 wurde das Kommerzgeschäft unter denselben Kontonummern von Raiffeisen International betrieben). Hier mischen sich völlig unverdächtige Zahlungen litauischer Unternehmen, die zum Beispiel österreichische Waren erhalten und das Geld auf deren österreichische RZB-Konten überwiesen hatten, mit den beschriebenen Geschäften von Briefkästen untereinander.

profil und „Addendum“ ersuchten RBI im Namen des internationalen Investigativ-Konsortiums um Stellungnahme. Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob und welche internen Vorsichtsmaßnahmen die Bank in Zusammenhang mit der Betreuung ihrer Offshore-Kunden gesetzt hatte. Die Antwort von RBI-Sprecherin Ingrid Krenn-Ditz fiel knapp aus: „Wir nehmen Ihre Anfrage ernst und analysieren die Fakten, die Sie erwähnen. Bitte verstehen Sie, dass es uns aufgrund des österreichischen Bankgeheimnisgesetzes nicht erlaubt ist, nähere Angaben dazu zu machen.“

Die Raiffeisen Bank International taucht in den Ukio-Datensätzen der Litauer noch an anderen Stellen auf. Schlicht deshalb, weil Raiffeisen über viele Jahre auch als einer von mehreren sogenannten Korrespondenzbanken der litauischen Privatbank agierte. Korrespondenzbanken erbringen vielfältige Leistungen, je nachdem, was benötigt wird. In der Vergangenheit ging es bei diesen Zwischenbank-Beziehungen oftmals darum, kleinen Banken und deren Kunden den Zugang zum internationalen Zahlungsverkehrssystem „SWIFT“ zu ermöglichen.

So ist es auch keine Überraschung, dass Raiffeisen International in den geleakten Ukio-Datensätzen tausendfach unter dem Begriff „Mokétojo bankas“, das heißt auf litauisch so viel wie „zahlende Bank“, aufscheint. Das bedeutet nicht, dass Raiffeisen International selbst Geld an irgendwen geschickt hätte – es ist vielmehr ein Hinweis auf die Rolle des Instituts als Korrespondenzbank der Litauer. Addiert man alle Ukio-Geldbewegungen, bei welchen Raiffeisen International als „zahlende Bank“ geführt wird, kommt man auf einen Betrag von zumindest fünf Milliarden US-Dollar. Auch hier gilt: Die Summe gibt für sich genommen noch keinen Hinweis darauf, dass die Sorgfaltsregeln im Geldverkehr vernachlässig worden wären.

profil und „Addendum“ wollten von RBI auch wissen, welche Korrespondenzbank-Leistungen genau Raiffeisen für die litauische Privatbank erbracht hatte – die Bank wollte auch diese Frage nicht beantworten – Bankgeheimnis.

Lesen Sie weiters:

Lesen Sie dazu auch hier über den Fall des Wiener Anwalts Erich Rebasso, der sich für die falschen Geschäftspartner entschied.

Eine Kurzfassung der aufwändigen Recherchen zum Fall Rebasso finden Sie hier.

Die Geschichte zum Projekt „Troika Laundromat“, das im Zentrum der internationalen Recherchen von OCCRP steht, finden Sie hier.