Uniqa-Chef: „Ich habe mich bei Russland massiv geirrt“

Von Marina Delcheva
Schriftgröße
Wir führen das Interview inmitten der ersten Hitzewelle. Ohne Kühlung würde hier, im Uniqa-Tower, heute niemand arbeiten können. Wie klimafit ist Ihre Firmenzentrale?
Andreas Brandstetter
Sehr. Wir haben das Gebäude 2004 bezogen und 130 Energiepfähle tief in den Schwemmgrund geschlagen.
Was sind Energiepfähle?
Brandstetter
Das sind tiefe Verankerungen, die uns helfen, im Winter mit Erdwärme zu heizen und im Sommer mit der Kühle des Untergrunds zu kühlen. Der Energieverbrauch ist dadurch sehr gering – auch inklusive der LED-Lichtinstallationen, die wir zu bestimmten Anlässen nutzen.
Auf die Hitze folgte zuletzt extremer Niederschlag. Ihre Auszahlungen für Umweltschäden haben sich verdoppelt. Rechnen Sie heuer wieder mit einem Anstieg?
Brandstetter
Das ist ein globaler Trend. Naturkatastrophen-Schäden steigen seit Jahren – solange es keine wirksamen Maßnahmen gegen den menschengemachten Klimawandel gibt. 2024 lagen die weltweiten Schäden bei 340 Milliarden US-Dollar – versichert war weniger als die Hälfte. Auch in Österreich bleiben die Zahlungen hoch. Das ist keine Überraschung, sondern ein Trend, den wir antizipieren, weil wir Risikoszenarien berechnen müssen.
US-Investor Warren Buffett warnte vor einer globalen Finanzkrise infolge des Klimawandels, die noch gravierender ausfallen könnte als jene von 2008. Teilen Sie diese Sorge?
Brandstetter
Ich teile seine Einschätzung zu den wirtschaftlichen Folgen, nicht aber zur Resilienz von Versicherungen. Wir zeichnen keine Risiken, die wir nicht managen können. Aber bei Extremereignissen – etwa Jahrhundertfluten – wird es Public-Private-Partnerschaften brauchen.
Sie fordern eine verpflichtende Versicherung gegen Umweltschäden.
Brandstetter
Wir fordern nichts. Zynisch gesagt: Das jetzige System ist für uns aktuell sogar wirtschaftlich vorteilhaft. Schäden durch Hochwasser sind derzeit mit rund 8.000 Euro für Gebäude und 8.000 für Einrichtung gedeckelt – das betrifft auch andere Versicherer. Wir könnten also sagen: passt so. Aber die Belastungen für die Menschen steigen. Derzeit zahlt der Katastrophenfonds nur 20 bis 30 Prozent des Zeitwerts. Das macht Bürger und Bürgerinnen zu Bittstellern. Wir brauchen ein Modell, das Existenzen sichert – auch für jene, die nicht in Risikozonen leben.
Wir stellen fest, dass der Einfluss auf die Wirtschaft Österreichs durch Schäden aus Naturkatastrophen von Jahr zu Jahr steigt. Das ist eine Entwicklung, die leider so sicher wie das Amen im Gebet ist.
Andreas Brandstetter, CEO Uniqa
über die steigenden Klima-Schäden
Also doch weiter wie bisher?
Brandstetter
Nein. Wir stellen fest, dass der Einfluss auf die Wirtschaft Österreichs durch Schäden aus Naturkatastrophen von Jahr zu Jahr steigt. Das ist eine Entwicklung, die leider so sicher wie das Amen im Gebet ist. Also müssen wir uns gemeinsam überlegen, wie wir die Bevölkerung schützen. Derzeit bezahlen die Katastrophenfonds der Bundesländer etwa 20 bis 30 Prozent des Schadens, bezogen auf den jeweiligen Zeitwert. Das ist aber keine Situation, in der eine Österreicherin eine voll anspruchsberechtigte Partnerin des Staates ist. Da ist man eine Art Almosenempfänger und angewiesen auf das Wohlwollen der Landespolitik. Sie würden mich das jetzt vermutlich sowieso gleich fragen, also spreche ich den Punkt gleich an: Wieso sollte jemand, der im 20. Stock in Alterlaa wohnt, für so ein Modell mitzahlen, wenn dort Überflutungen so gut wie ausgeschlossen sind?
Das müsste man dieser Person und vielen anderen, die nicht in Hochwassergebieten leben und überschwemmt werden, tatsächlich erklären.
Brandstetter
Den Klimawandel werden wir auch in der Stadt spüren. Nicht infolge von Überschwemmungen, aber in anderer Form. Wir haben heute zum Beispiel viel mehr Hitzetage und die langfristigen Konsequenzen für die Einwohner und Einwohnerinnen von Städten sind derzeit noch nicht vollständig absehbar. Daher brauchen wir eine Lösung für das ganze Land.
Was passiert mit dem Geld aus einer solchen Pflichtversicherung, wenn es nicht ausgeschöpft wird? Geht das dann als Dividende an die Aktionäre?
Brandstetter
Das bleibt in einem Topf für später.
Ein Produkt, das sich sehr gut verkauft, sind private Gesundheitsversicherungen. Funktioniert denn unser öffentliches Gesundheitssystem so schlecht, dass man für eine gute medizinische Versorgung privat bezahlen muss?
Brandstetter
Österreich hatte europaweit ein erstklassiges Gesundheitssystem.
Hatte?
Brandstetter
Im Laufe der letzten Jahrzehnte sind in allen europäischen Ländern viele Faktoren aufgetreten, die nicht wirklich überraschend sind: die demografische Entwicklung, Menschen leben länger und brauchen mehr medizinische Betreuung. Hinzu kommt der Ärztemangel, steigende Medizinkosten. Das war eine schleichende Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte, und immer mehr Menschen sorgen lieber für ihre und die Gesundheit ihrer Kinder vor. Das hat dazu geführt, dass weitgehend unbemerkt weit über 30 Prozent der Österreicherinnen, das sind 3,8 Millionen, bereits privat zusatzversichert sind. Davon sind ungefähr 1,4 Millionen bei uns. Und tatsächlich ist das jenes Produkt, das im Privatkundengeschäft in Österreich derzeit am stärksten nachgefragt wird. Aber wir sehen uns immer nur als eine Ergänzung zur öffentlichen Hand.
Versicherung für manche
Wer nicht kerngesund ist, bekommt in Österreich in der Regel keine privaten Gesundheitsversicherung. Der Uniqa-Chef verteidigt das System: "Letztlich müssen Versicherungen Risiken vorab prüfen, egal in welchem Bereich. Das liegt in der Natur unseres Geschäftsmodells. Das schlägt sich, und das verstehe ich emotional, mit dem Aufschrei: Jemand ist zwar vom Krebs geheilt, bekommt aber dennoch keine Privatversicherung. Als Versicherer habe ich eine andere Position", sagt Andreas Brandstetter zu profil.
Sollten die öffentlichen Kassen, die aus Beiträgen aller gespeist werden, denn für privat bezogene medizinische Leistungen Geld zuschießen?
Brandstetter
Das öffentliche System wäre ohne das private noch stärker belastet. Wenn fünf Patienten und Patientinnen vom Wahlarzt zum Kassenarzt wechseln, erhöht das den Druck auf das öffentliche System.
Das öffentliche System versichert aber auch jene, die bei Ihnen keine Chance hätten, zum Beispiel Menschen nach einer geheilten Krebserkrankung. Was sagen Sie denn zur aktuellen Debatte zum sogenannten „Recht auf Vergessen“?
Brandstetter
Letztlich müssen Versicherungen Risiken vorab prüfen, egal in welchem Bereich. Das liegt in der Natur unseres Geschäftsmodells. Das schlägt sich, und das verstehe ich emotional, mit dem Aufschrei: Jemand ist zwar vom Krebs geheilt, bekommt aber dennoch keine Privatversicherung. Als Versicherer habe ich eine andere Position. Ich muss die gesamte Versicherungs-Gemeinschaft schützen und kann nicht jedes Risiko annehmen. Das ist auch für mich persönlich oft ein emotionaler Zwiespalt. Ich sehe aber, dass die Branche hier gerade einen Wandel durchmacht, zum Beispiel beim Thema Mental Health und Psychotherapie. Wo wir in zehn Jahren stehen werden, kann ich aber noch nicht sagen.
Sie haben den demografischen Wandel schon angesprochen. Ist unser öffentliches Pensionssystem noch finanzierbar?
Brandstetter
So, wie es heute dasteht? Nein.
Wie kann man es finanziell besser absichern?
Brandstetter
Ich bin ein großer Fan der ersten Säule (der staatlichen Pension, Anm.). Egal welche Kritik ich äußere, das richtet sich nie gegen die erste Säule, die in Österreich sehr gut funktioniert. Jetzt kommt das Aber. Wir haben eine andere demografische Entwicklung als vor 30, 40 Jahren. Dass unser System unter Druck kommt, war glasklar. Seit spätestens 20 Jahren. Wir leben heute länger und unsere Kinder werden wahrscheinlich noch langlebiger. Wir müssen einen gesellschaftlich fairen Automatismus finden, bei dem wir länger arbeiten können.
Zur Person
Andreas Brandstetter, 56, ist seit 2011 Vorstand der Uniqa Insurance Group. Der Konzern hat 15.000 Mitarbeiter und ist in 17 europäischen Ländern, vor allem in Osteuropa tätig. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete der Konzern einen Gewinn von 348 Millionen Euro. Brandstetter ist promovierter Politikwissenschafter und Historiker. Bei Uniqa ist er seit 1997. Davor war unter anderem im Büro des ehemaligen Vizekanzlers Erhard Busek tätig und leitete das EU-Büro des Österreichischen Raiffeisenverbands.
Nicht alle Berufsgruppen können länger arbeiten, und nicht alle Unternehmen wollen ältere Arbeitnehmerinnen beschäftigen.
Brandstetter
Ja, da haben wir als Unternehmen auch Fehler gemacht. Ich bin seit 2011 CEO. Wir hatten zweimal ein Programm, bei dem wir uns von Mitarbeiterinnen getrennt haben und es waren primär ältere. Das würde ich so nicht mehr machen, aus einer Vielzahl von Gründen. Ich will damit sagen, die Wirtschaft ist gut beraten, Mitarbeiter jenseits der 60 länger im Beschäftigungsverhältnis zu halten. Das fordert auch Finanzminister Markus Marterbauer, den ich für einen exzellenten Ökonomen halte. Dem Staat fehlt Geld für Investitionen und Konsumankurbelung und gleichzeitig muss er immer mehr Milliarden für Pensionen ausgeben. Das kann sich nicht ausgehen. Ich sage aber auch nicht, dass jemand, der mit 15 Jahren begonnen hat zu arbeiten und nicht wie ich das Privileg hatte, in Ruhe zu studieren, unbedingt bis 70 arbeiten muss.
Laut Ihrem Geschäftsbericht machen Lebens- und Pensionsversicherungen gut ein Fünftel Ihres Portfolios aus. Im Grunde also Vorsorge fürs Alter. Wie entwickeln sich künftig die zweite und dritte Säule?
Brandstetter
Das hängt vom Reifegrad einer Gesellschaft aus. In Österreich geben Menschen im Schnitt 2.200 Euro pro Jahr für Versicherungen aus. In Polen oder Tschechien sind es rund 450 Euro. Und in Südosteuropa circa 280. Je mehr Geld ich also zur Verfügung habe, desto eher investiere ich in die private Vorsorge. Wir versuchen gerade das Thema Altersvorsorge bei Frauen zu pushen. Frauen bekommen im Schnitt 30 Prozent weniger Pension als Männer, unter anderem, weil sie länger in Teilzeit arbeiten. Wenn die Regierung die Versicherungssteuer auf Pensionsprodukte senkt, freuen wir uns natürlich auch sehr.
Vor allem die zweite Säule, die betriebliche Pensionsvorsorge, hat sich zuletzt nicht mit Ruhm bekleckert. Es gab Kürzungen, die hohe Inflation hat die Kaufkraft massiv geschmälert.
Brandstetter
Die Kritik verstehe ich. Man geht mit solchen Kursschwankungen am besten um, indem man die eigene Performance erhöht und den Kunden und Kundinnen einen Mehrwert bietet.
Sie haben nach Großangriff auf die Ukraine 2022 den Rückzug aus Russland angekündigt und das Russlandgeschäft verkauft. Wollen Sie nach einem möglichen Kriegsende wieder zurück? Wurde ein Rückkaufrecht vereinbart?
Brandstetter
Nein, das ist ganz ausgeschlossen. Kein Rückkaufrecht, keine Rückkehr, kein Strohmann-Konzept. Weil wir nicht daran glauben, dass in Russland substanzielle demokratiepolitische Änderungen folgen werden. Ich habe mich bei Russland massiv geirrt. Wir sind 2008 eingestiegen, wir waren ab dem ersten Jahr profitabel. Normalerweise dauert das sechs bis sieben Jahre. Wir haben mit der Raiffeisenbank Moskau zusammengearbeitet und unsere Produkte über die Bank verkauft. Wir hatten eine große Repräsentanz auf der ukrainischen Krim. Als sie 2014 von Russland besetzt wurde, wurden wir praktisch enteignet. Unsere Büros, unsere Kunden, unsere Firmenautos, alles war futsch. Wir haben es noch als politischen Störfall abgetan. Auch damals hätte ich nie gedacht, dass Russland acht Jahre später in die Ukraine einmarschiert.
Sie haben sich zwar aus Russland zurückgezogen, aber es gibt ein Gerichtsurteil, das Sie betrifft. Die Uniqa und andere Kernaktionäre des Baukonzerns Strabag wurden wegen eines gescheiterten Deals der RBI bezüglich der Strabag-Aktien des Oligarchen Oleg Deripaska zu einer hohen Zahlung verurteilt. Da nur die RBI Assets in Russland hat, musste aber nur diese bezahlen. Warum haben auch Sie dagegen berufen?
Brandstetter
Die Anteile an der Strabag von Oleg Deripaska sind sanktionsbedingt eingefroren. Er wollte diese Anteile dann an eine Holding weiterverkaufen. Allerdings hatten wir Aktionäre – Uniqa, Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien und die Haselsteiner Familienstiftung – ein Vorkaufsrecht vereinbart, das wir dadurch verletzt sehen. Deshalb sind wir juristisch dagegen vorgegangen. Mehr kann ich zu den laufenden Verfahren aber derzeit nicht sagen.
Im Bereich der Administration könnten in den kommenden zehn Jahren 15 bis 20 Prozent der Tätigkeiten wegfallen.
Andreas Brandstetter, Vorstand Uniqa
In der Ukraine sind Sie nach wie vor tätig. Wie läuft es dort?
Brandstetter
80 Prozent des Geschäfts betreiben wir im Westen des Landes. Wir sind heuer dort im ersten Quartal um zehn Prozent dank einer unglaublichen Anstrengung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewachsen.
Machen wir noch einen kurzen Schwenk zur Künstlichen Intelligenz. Was schätzen Sie, wie viele Arbeitsplätze die KI bei Ihnen im Unternehmen ersetzen kann?
Brandstetter
Im Bereich der Administration könnten in den kommenden zehn Jahren 15 bis 20 Prozent der Tätigkeiten wegfallen. Jetzt kommt aber das große Aber. Wenn ich mir ansehe, wie unser Geschäft wächst und wie es sich verändert, dann kommen immer mehr neue Aufgaben dazu. Und in den kommenden Jahren geht ein Drittel unserer Belegschaft in Pension. Jene 20 Prozent, deren Arbeit irgendwann die KI erledigt, werden dann eben eine andere Aufgabe im Konzern übernehmen, weil wir die Mitarbeiter einfach brauchen werden.

Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".