Auslieferungsturm in Wolfsburg. Womit 300.000 VW-Fahrer in Österreich jetzt rechnen müssen.

VW-Diesel-Fahrer? Was tun?

Der Dieselskandal trifft 363.000 Autofahrer in Österreich. Über eine Affäre, deren Dimensionen nicht einmal VW selbst kennt.

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Aus Reinhold H. wird in diesem Leben bestimmt kein Autofreak mehr. PS, Hubraum, Drehmoment - oder worüber sonst Afficionados stundenlang mit Inbrunst diskutieren können - lassen den 44-jährigen Niederösterreicher ziemlich kalt. Sein Fahrzeug soll nur halbwegs sparsam im Verbrauch sein und ihn verlässlich von A nach B bringen. Ohne irgendwelche Mätzchen.

Fragt man Reinhold H., welches Auto er fährt, antwortet er: "VW Golf, Kombi, blau". Auch das Baujahr - 2009 - kann er gerade noch nennen. Und: Er tankt Diesel.

Die Kombination dieser Fakten führte allerdings dazu, dass sich H. in den vergangenen Tagen doch häufiger und intensiver als üblich mit seinem Auto auseinandersetzen musste als üblicherweise. Sie wissen schon: VW-Abgasskandal. Manipulationssoftware. Und eine große Rückrufaktion.

Reinhold H. war irritiert. Sein zuverlässiges Auto eine fahrende Dreckschleuder, er selbst mit seinem Gefährt halb in der Illegalität unterwegs? H. tippte auf der Unternehmenswebsite des Volkswagen-Konzerns seine 17-stellige FIN (Fahrzeugidentifikationsnummer) ein -und atmete auf.

"Lieber Volkswagen-Kunde, wir möchten Ihnen bestätigen, dass das Fahrzeug mit der von Ihnen eingegebenen Fahrzeug-Identifizierungsnummer nicht von der Software betroffen ist, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf (NEFZ) optimiert. Wir bedauern zutiefst, dass Ihr Vertrauen in die Marke Volkswagen derzeit auf die Probe gestellt wird, und arbeiten mit Hochdruck daran, alle Unregelmäßigkeiten aufzuklären und das Vertrauen, das so viele Menschen in uns setzen, vollständig wiederzugewinnen. Wir werden alle unsere Kunden weiterhin fortlaufend und transparent informieren. Sollten Sie weitere Fragen haben, nutzen Sie bitte unsere Kontaktfunktion auf dieser Website."

Was verändert sich jetzt für jene VW-Fahrer in Österreich, die vom Skandal betroffen sind?

Reinhold H. hatte vorerst keine weiteren Fragen. profil jedoch schon. Was verändert sich jetzt für jene VW-Fahrer in Österreich, die vom Skandal betroffen sind? Werden ihnen Nachteile entstehen? Haben sie Handlungsbedarf? Und was geschieht, wenn ihnen Abgaswerte reichlich egal sind - und sie sich weigern, bei etwaigen Rückholaktionen mitzumachen?

Beim VW selbst scheint es mit der viel beschworenen transparenten Information nicht weit her zu sein. In den vergangenen Wochen richtete dieses Magazin mehrere Anfragen an die Konzernzentrale im deutschen Wolfsburg. Keine einzige wurde beantwortet. Ebenso fällt die unternehmenseigene Pressedatenbank als Abhilfe aus. Normalerweise versorgt sie Journalisten rund um die Uhr mit allen möglichen Informationen. Doch diesmal zeigt die Probe aufs Exempel: Viele Daten (vor allem technische), die vor einigen Wochen noch verfügbar waren, sind mittlerweile gelöscht. Ein weiteres Indiz, wie defensiv und intransparent das Informations- und Krisenmanagement beim VW-Konzern ausfällt, der bis vor einigen Wochen noch als deutsches Vorzeigeunternehmen galt.

In Österreich muss Volkswagen 339.000 Diesel-PKW zurückrufen.

Viele Fragen sind nach wie vor offen. In Österreich muss Volkswagen 339.000 Diesel-PKW (plus 24.4000 Nutzfahrzeuge) zurückrufen - immerhin jedes dreizehnte Auto, das auf Österreichs Straßen fährt. Deren Halter sind verunsichert. Was kommt auf sie zu? VW hat das bisher höchst lückenhaft beantwortet. Offensichtlich kennt das Unternehmen die Antworten selbst nicht.

Über VW entspannt sich gerade - so viel jedenfalls steht fest - ein Fall, der die gesamte Autobranche ins Gerede bringt, die Zukunft des Dieselantriebs zur Disposition stellt - und im deutschen Konzern selbst keinen Stein auf dem anderen lässt.

Vor einem Monat gab das US-amerikanische Umweltamt bekannt, in einer halben Million Fahrzeuge eine Software zur Manipulation von Abgaswerten entdeckt zu haben. Dutzende Staaten leiteten daraufhin Ermittlungen gegen den Konzern ein. VW stürzte an der Börse ab und musste Milliarden zur Seite legen, um die drohenden Folgekosten der Affäre stemmen zu können. Der gefeierte, langjährige Vorstandschef Martin Winterkorn galt innerhalb weniger Tage als nicht mehr tragbar:

Er trat am 23. September zurück und wurde durch Matthias Müller (zuvor Porsche-Vorstandsvorsitzender) ersetzt. Gleichzeitig gab VW bekannt, dass weltweit elf Millionen Fahrzeuge von der Manipulation betroffen seien.

VW hatte bis dahin gern mit sauberen Abgaswerten geworben. Mit Werten, die nicht nur unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen lagen, sondern auch jene der Mitbewerber unterboten. Es war nicht mehr als eine irreführende Werbekampagne. Mehr noch: Manche dieser Fahrzeuge könnten sogar illegal unterwegs sein, weil sie gesetzliche Abgaswerte überschreiten. Auch in Österreich.

Nachdem das deutsche Verkehrsministerium Mitte Oktober die Zwangsrückholung für 2,4 Millionen betroffene Fahrzeuge angeordnet hatte, zog auch Österreich nach. Ziel einer solchen Rückrufaktion: Die festgestellten Mängel müssen auf Kosten des Herstellers beseitigt werden.

Betroffene heimische VW-Kunden erhielten dieser Tage die Information, "dass an Ihrem/n nachfolgend angeführten Fahrzeug/en Nacharbeiten erforderlich sein werden". Weiters hieß es in dem Schreiben: "Sobald die technischen Maßnahmen zur Verfügung stehen, werden wir Sie nochmals schriftlich informieren." Ausgeschickt wurden die Briefe von der Porsche Holding Salzburg, einer 100-Prozent-Tochter der Volkswagen AG, die als Importeur für die Durchführung des Rückrufes verantwortlich ist. Die Daten zu Fahrgestellnummern und aktuellen Zulassungsbesitzern stammen vom österreichischen Versicherungsverband. Voraussichtlich ab Jänner 2016 soll nun mit dem Rückruf begonnen werden.

In Österreich gibt es aktuell 270 Vertragswerkstätten für Volkswagen (für 180.500 betroffene Fahrzeuge), 223 für 72.500 betroffene Audis, 180 für 54.3000 Skoda und 149 für 31.700 Seat.

"Wir werden die Kunden schriftlich dazu einladen", sagt Richard Mieling, Sprecher der Porsche Holding. Allerdings nicht alle auf einmal, sondern in mehreren Tranchen. "Damit es nicht zu allzu langen Wartezeiten auf Werkstatttermine kommt." Denn die Aktion ist logistisch eine Herausforderung. Die Vertragswerkstätten des Konzerns müssen erst für die Nachbesserungen nach Vorgabe des Herstellers autorisiert werden. Und es muss abgeklärt werden, ob die Servicepartner auch die geeigneten Diagnosegeräte zur Verfügung haben. In Österreich gibt es aktuell 270 Vertragswerkstätten für Volkswagen (für 180.500 betroffene Fahrzeuge), 223 für 72.500 betroffene Audis, 180 für 54.3000 Skoda und 149 für 31.700 Seat. Das ergibt rein rechnerisch 421 Fahrzeuge pro Werkstatt, die zusätzlich zum üblichen Tagesgeschäft verarztet werden müssen.

Die Porsche Holding muss während der Aktion das Verkehrsministerium regelmäßig über den Fortschritt der Rückrufmaßnahmen informieren. Sind Kunden säumig, erhalten sie nach drei Monaten ein Erinnerungsschreiben, erklärt Porsche-Sprecher Mieling. Treten sie dann immer noch nicht den Weg in die Werkstatt an, werden die Autofahrer nach zwölf Wochen ein weiteres Mal erinnert. Wird danach noch ein vierter Brief nötig, wird dieser eingeschrieben zugestellt. Dessen Inhalt? "Das ist Sache des Verkehrsministers. Dieser hat sich diesbezüglich aber noch nicht geäußert", sagt Mieling.

Was also, wenn die betroffenen Dieselfahrer die Umrüstung einfach verweigern? In letzter Konsequenz kann sogar die Zulassung entzogen werden. "Dazu zwingt uns die europäische Rechtslage", heißt es auf profil-Anfrage aus dem Verkehrsministerium. Hintergrund: Die Typengenehmigung für Fahrzeuge in ganz Europa obliegt jeweils den Behörden im Herstellerland. Im Falle VW also das deutsche Kraftfahrtbundesamt in Flensburg. Dieses kann die Typisierung auch wieder entziehen, wenn sich herausstellt, dass sie durch Tricksereien erschwindelt wurde. Und in der Folge wäre in Österreich die Zulassung perdu, weil das Auto ja nunmehr kein genehmigtes mehr ist. Fazit: "Wir können den Autofahrern nur dringend dazu raten, der Aufforderung von VW zur Umrüstung nachzukommen", heißt es aus dem Büro von SPÖ-Verkehrsminister Alois Stöger. Nachsatz: Man gehe davon aus, dass VW alle dabei anfallenden Kosten übernimmt -nicht nur für die Umrüstung selbst, sondern etwa auch für eventuell notwendige Leihwagen.

Ist der Schaden wirklich so groß, dass sich Österreichs VW-Fahrer gar auf eine Phase im geliehenen Fahrzeug gefasst machen müssen? Das ist derzeit noch unklar. "Es gibt momentan wahrscheinlich nur zwei Stellen in Europa, die genau wissen, welche Autotypen in welchem Umfang umgerüstet werden müssen", sagt Werner Tober, Autoexperte der Technischen Universität Wien (TU):"VW selbst und das deutsche Kraftfahrtbundesamt."

Doch nicht einmal das trifft zu. Laut Porsche-Sprecher Mieling ist "dem Hersteller noch nicht bekannt, für wie viele Fahrzeuge ein reines Softwareupdate ausreicht und bei wie vielen in die Hardware eingegriffen werden muss". Aktuell müssen mehrere Hundert unterschiedliche Softwarelösungen entwickelt werden. Ob Fünf- oder Sechs-Gang-Getriebe, ob Automatik oder manuell, ob 1,2-, 1,6-oder Zwei-Liter-Hubraum - alles erfordere eine individuelle Programmierung, sagt Mieling. Dazu kommt das jeweilige Baujahr und Gewicht, das jeweils unterschiedliche Lösungen erfordert. Wenn sich danach herausstellt, dass die jeweilige Softwarelösung nicht genügt, müsse die entsprechende Hardware erst entwickelt werden, so Mieling.

Zur Verwirrung trägt auch bei, dass bisher nicht klar ist, wie die Software in Europa genau funktioniert. VW hat bislang lediglich zugegeben, dass auch diesseits des Ozeans manipuliert wurde. Aber lief dies genauso ab wie in den USA? Von dieser Frage hängt der Umfang der notwendigen Umrüstungsarbeiten ab.

Zur Erinnerung: In den USA sorgt die Manipulations-Software dafür, dass die Abgasnachbehandlung - zum Beispiel der Katalysator - nur auf dem Prüfstand voll aktiv ist, also bei der Feststellung des Schadstoffausstoßes unter Laborbedingungen. Fährt der Wagen hingegen auf der Straße, stößt er bis zu 35mal soviel Schadstoffe aus. Er liegt damit weit über den strengen gesetzlichen Grenzwerten, wie sie etwa in Kalifornien gelten.

In Europa hingegen ist der gesetzliche Abgasgrenzwert viel weniger streng als in den USA: Drüben beträgt er etwa 30 Milligramm Stickoxid pro Kilometer, hier - bei bestimmten Abgasklassen - 180. Das führt zur Frage: Wenn die Regulierung in Europa weniger streng ist, warum sollte dann im selben Ausmaß getrickst worden sein?

Vielleicht war die Software in europäischen Fahrzeugen nicht vollständig aktiviert. Dann würde vermutlich ein Software-Update zur Herstellung des zulässigen Zustands ausreichen, erklärt Tober.

Der schlechtere Fall: Die Autos überschreiten auch in Europa die gesetzlichen Grenzwerte massiv, sobald die illegale Software deaktiviert ist. Dann wären aufwendige Anpassungsarbeiten notwendig. Denn es gilt zu vermeiden, dass die Einhaltung der Stickoxidemissionen zu einem höheren Kraftstoffverbrauch führen. Einen höheren Verbrauch werden die Kunden nicht widerspruchlos hinnehmen. Die VW-Techniker in Wolfsburg stehen vor einer weiteren großen Herausforderung.

"Ziel ist natürlich, Leistung und Verbrauch unverändert zu halten", sagt Mieling. Ob dies auch gelinge, könne man heute noch nicht sagen. "Das wissen wir erst, wenn die Maßnahmen stehen", erklärt der Porsche-Sprecher.

Für Sabina S. heißt es also abwarten. Die Wienerin fährt einen VW Tiguan, Baujahr 2013. Auch S. hat kürzlich die Website des VW-Konzerns konsultiert und ihre Fahrgestellnummer eingetippt.

Die Antwort fiel anders aus als bei Reinhold H.:"Lieber Volkswagen-Kunde, wir müssen Sie leider informieren, dass der in Ihrem Fahrzeug eingebaute Dieselmotor vom Typ EA189 von einer Software betroffen ist, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf (NEFZ) optimiert. Wir versichern Ihnen jedoch, dass Ihr Fahrzeug technisch sicher und fahrbereit ist! Wir bedauern zutiefst, dass wir Ihr Vertrauen enttäuscht haben, und arbeiten mit Hochdruck an einer technischen Lösung. Volkswagen übernimmt selbstverständlich die Kosten für alle Reparaturmaßnahmen und setzt alles daran, Ihr Vertrauen vollständig wiederzugewinnen. Volkswagen wird schnellstmöglich auf Sie zukommen, um Sie über die notwendigen Maßnahmen zu informieren. Sollten Sie keinen Volkswagen-Kontakt haben, nutzen Sie bitte unsere Kontaktfunktion auf dieser Website."

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