Wirtschaft

Wem nützt eine Senkung der Lohnnebenkosten?

Die Debatte um die Lohnnebenkosten ist eine Jahrzehnte alte Fehde zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern. Die Wirtschaft klagt über hohe Arbeitskosten und magere Löhne für die Beschäftigten, die Gewerkschaften sehen den Sozialstaat gefährdet. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

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„Das machen wir sicher nicht”, sagt Wolfgang Katzian (SPÖ). Für den obersten Gewerkschafter geht die Diskussion um die Senkung der Lohnnebenkosten schon „am Hammer”. 

Die Replik der Wirtschaftstreibenden kam prompt. „Wer meint, er bekenne sich zum Industriestandort Österreich, aber eine Lohnnebenkostensenkung sei nicht nötig, hat den Ernst der Lage nicht erkannt", so Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf. Der ÖVP-Wirtschaftsbund warnt: „Die Rezession in Teilen der Wirtschaft ist echt und muss dringend eingedämmt werden.”

Österreich gehört zu den Spitzenreitern bei der Besteuerung des Faktors Arbeit - darüber sind sich die meisten Wirtschaftsexperten einig. Mit einer Abgabenquote von 46,8 Prozent liegt Österreich im OECD-Vergleich auf Platz vier hinter Belgien, Deutschland und Frankreich. 

Um die Abgabenlast zu reduzieren, wird seit Jahren von Wirtschaftsvertretern um die Senkung der Lohnnebenkosten geworben. Die Neos wollen ein 15. Gehalt für die Beschäftigten ermöglichen, Wirtschaftstreibende predigen die Stärkung des heimischen Wirtschaftsstandortes in Anbetracht der Rezession. 

 

Mehr Netto am Bankkonto für die Arbeitnehmer oder weniger Abgaben für die Betriebe - wer profitiert letztlich von einer Senkung der Lohnnebenkosten?

Aber erst einmal grundsätzlich: Was sind Lohnnebenkosten? Was monatlich auf dem Girokonto von Arbeitnehmern landet, ist der Nettobezug. Addiert man Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge, die automatisch abgezogen werden, ergibt sich der Bruttobezug – im Fachjargon werden diese Abgaben als Dienstnehmeranteil bezeichnet. 

Auf das Brutto werden die Lohnnebenkosten aufgeschlagen, zusammen ergeben sie das „Brutto-Brutto”. Darin enthalten sind die Anteile zur Sozialversicherung durch den Dienstgeber, Beitrag zur Mitarbeitervorsorgekasse, Familienlastenausgleichsfonds, in Wien, die U-Bahnsteuer und viele weitere Entgelte. Welchen Anteil die Abgaben tatsächlich haben hat profil anhand des Medianeinkommens veranschaulicht:

Mehr Netto vom Brutto-Brutto

Für die Neos gilt: die Senkung der Lohnnebenkosten soll sich auf dem Bankkonto der Arbeitnehmer wiederfinden. Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) schreibt in seinem Blog gar von einem „Mehr-Netto-Automatismus", denn in Zeiten des Arbeitskräftemangel würden Beitragssenkungen der Betriebe an ihre Mitarbeiter weitergegeben werden. Doch wer garantiert, dass sinkende Lohnnebenkosten den Arbeitnehmern zu Gute kommen?

Fest steht: Von einer Senkung der Lohnnebenkosten profitieren zunächst die Betriebe durch niedrigere Abgaben. Ob die freigewordenen finanziellen Spielräume in die Belegschaft, in neue Investitionen oder Gewinnausschüttungen fließen, bleibt jedem Unternehmer frei. Dass der gesenkte Anteil der Lohnnebenkosten sich eins zu eins im Nettogehalt der Arbeitnehmer wiederfindet, wäre kein Automatismus, sondern müsste erst verhandelt werden. Je nachdem, welcher Anteil der Lohnnebenkosten gesenkt wird, fehlen beispielsweise im Familienlastenausgleichsfond die Mittel für die Familienbeihilfe.

Ich kann keinen Sozialstaat wie in Skandinavien und Steuersätze wie in Großbritannien haben.

Helmut Hofer

Arbeitsmarktforscher, Institut für höhere Studien

Sparen oder neue Steuern

In der Fehde um die Senkung der Lohnnebenkosten geht es letztlich um eine Grundsatzdebatte: Wie soll der Sozialstaat finanziert werden?

Arbeitsmarktforscher Helmut Hofer vom Institut für höheren Studien (IHS) begleitet die Diskussion rund um die Lohnnebenkosten schon 30 Jahre. „Ich kann keinen Sozialstaat wie in Skandinavien und Steuersätze wie in Großbritannien (Anm: 31,5 Prozent Abgabenquote) haben”, sagt der Ökonom im profil-Gespräch.

Das IHS spricht sich gemeinsam mit dem WIFO für eine Senkung der Lohnnebenkosten aus. Das könne ohne Leistungskürzungen bei der Sozialversicherung funktionieren, glaubt der Ökonom. Dafür brauche es mehr Ausgabendisziplin, verweist der Forscher auf diverse Rechnungshofberichte – der Staat solle sparen und effizienter arbeiten. „Vielleicht entsteht der nötige Reformdruck erst durch die Senkung der Lohnnebenkosten, wenn den betroffenen Stellen weniger Geld zur Verfügung gestellt wird”, so Hofer. 

Einsparungen im System stehen die Arbeitnehmervertreter traditionell kritisch gegenüber. „Hier und da würde es sicherlich Effizienzpotenziale geben. Aber zehn Milliarden Euro gibt es im Staatsbudget nicht als Einsparungspotenzial”, sagt Pascal Schraml, Leiter der Steuerabteilung der Arbeiterkammer. „Diese Besteuerung finanziert einen Sozialstaat, der Pensionen, Krankenversicherung und Pflege für viele Millionen Menschen sicherstellt.” Selbst die nicht-arbeitnehmerbezogene Kammerumlage zwei des Wirtschaftskammer-Rivalen verteidigt der Steuerexperte. Denn für eine starke Sozialpartnerschaft benötige es auch eine Finanzierungsbasis. Eine Senkung der Lohnnebenkosten ohne konkrete Gegenfinanzierung wäre nach Ansicht der Arbeiterkammer mit Leistungseinschränkungen für die Allgemeinheit verbunden.

Die Experten sind sich uneinig, ob Österreich ein ausgabenseitiges Problem hat. Klar ist, dass die Abgabenlast auf den Faktor Arbeit im internationalen Vergleich zu hoch ist. Damit sich das ändert, müsste die unbequeme Diskussion über Einsparungen oder neue Einnahmequellen für den Staat geführt werden. Die von den Gewerkschaften geforderten Vermögenssteuern oder eine Rückanhebung der Körperschaftssteuern könnten damit eine Option sein. 

Kevin Yang

schreibt im Rahmen des 360° JournalistInnen-Traineeship für profil.