Interview

Wie Dan McCrum den Milliardenkonzern Wirecard zu Fall brachte

Der Journalist deckte den Skandal um den deutschen Finanzkonzern auf und war Einschüchterungsversuchen, Hackerangriffen und unmoralischen Angeboten ausgesetzt.

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profil: Herr McCrum, wie kommt es, dass einer der größten Wirtschaftsskandale Deutschlands, verursacht von einer Gruppe von Österreichern, von einem britischen Reporter enthüllt wurde?

McCrum: Manchmal ist Abstand ganz hilfreich. Man geht ohne vorgefasste Erwartungen an etwas heran. Wenn Sie in München arbeiteten und an den Firmensitz von Wirecard kamen, dann sahen Sie einen Konzern mit Tausenden von Mitarbeitern, ein innovatives Vorzeigeunternehmen, mit dem sich ganz Deutschland geschmückt hat. Das macht es viel schwieriger, zu sagen, die führen nichts Gutes im Schilde. Ich habe mich erst kürzlich mit jemandem darüber unterhalten: Wenn etwa umgekehrt das deutsche „Handelsblatt“ eine Reihe von Berichten über die britische Barclays-Bank veröffentlicht hätte und ihr diverse Malversationen vorgeworfen hätte – wie hätten wir reagiert? Vermutlich hätten sich Teile der englischen Presse auf die Seite des Unternehmens geschlagen.

profil: Wann sind Sie zum ersten Mal auf Wirecard aufmerksam geworden? Was hat Ihren Investigativ-instinkt geweckt?

McCrum: Als ich 2014 in New York gearbeitet und für „FT Alphaville“, den Blog der „Financial Times“, geschrieben habe, hatte ich mir vorgenommen, den nächsten Enron-Skandal aufzudecken. 

profil: Ein ziemlich hochgestecktes Ziel.

McCrum: Das klingt jetzt großartiger, als es war. Ich habe jedenfalls begonnen, mit Leerverkäufern (Anm.: Börsenhändler, die auf fallende Aktienkurse wetten) zu sprechen. Denn das, was die tun, ist für Wirtschaftsjournalisten sehr spannend. Sie sind auf der Suche nach Unternehmen, die sich besser darstellen, als sie tatsächlich sind; die ihre Zahlen frisieren. Ich hatte ein Gespräch mit John Hempton, einem australischen Hedgefonds-Manager, der mich fragte, ob ich Interesse an deutschen Gangstern hätte. Er meinte Wirecard.

profil: Er hatte die Vorgänge durchschaut?

McCrum: Er wusste genug, um eine Meinung über das Unternehmen zu haben. Ein weiterer Hedgefonds-Manager, Leo Perry, machte mich darauf aufmerksam, dass Wirecards Profite auf eine ganze Reihe seltsamer Geschäfte und Akquisitionen in Asien zurückzuführen sind. Das war der Start für meine Recherchearbeit.

profil: In Ihrer im April 2015 begonnenen Artikelserie „House of Wirecards“ haben Sie auf Unregelmäßigkeiten in der Wirecard-Bilanz hingewiesen. Wie hat das Unternehmen darauf reagiert?

McCrum: Das  wirklich Tolle am Schreiben meines Buches, das nun auch auf  Deutsch erscheint, war, endlich all die seltsamen Dinge erzählen zu können, die während meiner Berichterstattung über Wirecard passiert sind. So etwas kann man nämlich nicht in einen Zeitungsartikel packen. Da klopft man als Zeitung an die Tür eines Unternehmens, stellt ein paar Fragen, und anstatt mit uns zu reden, kam von Wirecard: „Was sind das für Fragen? Versuchen Sie, den Aktienkurs zu manipulieren? Machen Sie gemeinsame Sache mit Leerverkäufern?“ Welcher seriöse Konzern reagiert so? Wirecard machte natürlich auch all das, was viele große Unternehmen tun: Sie bezahlten teure Anwälte, um uns zu drohen, und heuerten eine große PR-Firma an, um die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu drehen. Doch dazu kamen die schmutzigen Tricks: Hackerattacken und ein versuchter Lauschangriff. Die schwarze Limousine, die mehrfach vor meiner Wohnung auftauchte. Der Versuch Jan Marsaleks, über einen Londoner Nachtclub-Besitzer mit uns in Kontakt zu treten, um uns eine Geschichte über eine große Firmenübernahme vorzugaukeln, über die wir berichten sollten. Was wir natürlich nicht taten. Es waren diese völlig verrückten und unerhörten Aktionen, die jeden in der „FT“ überzeugten, dass wir es mit einem sehr seltsamen Unternehmen zu tun hatten.

profil: Sie hatten ein einziges Interview mit Markus Braun. Wie hat er sich verhalten? Konnte er Ihre Fragen überzeugend beantworten – oder hat er versucht, Sie unter Druck zu setzen?

McCrum: Es war ein merkwürdiges Gespräch. Er redete wie ein Managementberater aus der Tech-Bubble, sprach nur in Allgemeinplätzen und sagte in großteils völlig bedeutungsleeren Floskeln, wie wunderbar Technologie ist. Nichts Konkretes zum Unternehmen. Ich fragte ihn sinngemäß, ob er ein Betrüger sei. Er hat das nicht wirklich verneint. Er ließ mich zwar wissen, dass das Bullshit sei, klang dabei aber gar nicht wütend. Er sagte: „Ich bin ein sehr erfolgreicher Mann. Warum sollte ich einen Buchhaltungsbetrug begehen?“ Ich erinnere mich, dass ich mich über seinen Tonfall gewundert habe: Er klang, als wäre er müde, schon wieder erklären zu müssen, dass er kein Krimineller sei.

profil: Wurden Sie persönlich oder Ihre Zeitung jemals von Wirecard geklagt?

McCrum: Ja. 2019 klagte uns Wirecard wegen der „unrichtigen Verwendung von Geschäftsgeheimnissen“ und forderte Schadenersatz. Das war totaler Blödsinn. In der dem Gesetz zugrunde liegenden europäischen Richtlinie gibt es einen Absatz, der besagt, dass dies nicht auf investigativen Journalismus anzuwenden ist. Das war eine klassische Einschüchterungsklage. Wir hatten Details aus dem internen Untersuchungsbericht veröffentlicht und Wirecards Singapurer Zahlenfälscherwerkstatt aufgedeckt. Das Unternehmen tat aber so, als hätten wir das Geheimnis seiner Profitabilität an die Konkurrenz verraten. Die Klage war zwar völlig unsinnig, aber sehr effektiv. Denn wir standen kurz davor, eine große Story über Wirecards angebliche Geschäftspartner zu veröffentlichen. Wir hatten festgestellt, dass viele davon gar nicht existierten. Doch Wirecard kam dem zuvor, indem sie jedem sagten, wir verklagen die „FT“. Die Story lag dann natürlich erst mal auf Eis. Und für mich persönlich war das sehr einschüchternd, denn bevor ich die Details der Klage kannte, wusste ich nur, dass sie einer der schärfsten Wirtschaftsanwälte Deutschlands verfasst hatte und ich als Beschuldigter genannt wurde. Da denkt man sich: Okay, wir haben es mit einer Bank zu tun, die über unbegrenzte Mittel verfügt. Das ist eine ziemlich beängstigende Sache.

profil: Sie haben vorhin Hackerangriffe und die schwarze Limousine in Ihrer Straße erwähnt. Gab es auch Momente, wo Sie um Ihre körperliche Unversehrtheit fürchteten?

McCrum: Man wird wirklich paranoid. Das Gefühl, verfolgt zu werden, hat dazu geführt, dass ich meine Radroute zur Arbeit jeden Tag geändert habe und immer zu unterschiedlichen Zeiten gefahren bin. Wenn meine Frau und ich uns über heikle Dinge unterhielten, verbannten wir unsere Smartphones und andere elektronische Geräte ins Nebenzimmer. Ich hatte Angst um meine Kinder. Erst recht, als mir klar wurde, dass Marsalek wohl Kontakte in russische Geheimdienstkreise hatte. Aber ich bin mir sehr bewusst, dass es in der Welt Journalisten gibt, die tagtäglich tatsächlich unter Lebensgefahr arbeiten. Ja, es gab Bedrohungen, aber die waren nicht körperlicher, sondern mentaler Art. 

Wir waren überzeugt, dass Wirecard ein kriminelles Unternehmen war.

profil: Ich sehe Jan Marsaleks Fahndungsplakat an der Wand hinter Ihnen. Haben Sie ihn jemals getroffen?

McCrum: Nein, aber er hat mir hier die ganze Zeit über die Schulter geschaut, während ich versucht habe, in seinen Kopf einzudringen. Was mir an ihm auffällt: Er ist charmant, charismatisch, erfinderisch, aber er hat ständig improvisiert. Und sobald er ein Geschäft abgeschlossen oder ein Problem gelöst hatte, verlor er das Interesse daran. Er trank 1.000-Euro-Weine – nicht weil ihn besonders edle Tropfen interessierten, sondern wegen des Preises. Er wollte zum Urlaub nach Syrien, um mit Söldnern abzuhängen. Ich vermute, in all dem liegt der Schlüssel zur Persönlichkeit dieses mysteriösen Charakters. Aber bis er tatsächlich wieder auftaucht, wird es sehr schwer sein, ein klares Bild davon zu bekommen, für wen oder was er gearbeitet hat.

profil: Was war der Moment, in dem Sie wussten, dass es in dem Unternehmen nicht nur um buchhalterische Unregelmäßigkeiten ging, sondern dass es sich wohl um eine riesige Betrugsmaschine handelte?

McCrum: Wir waren überzeugt davon, dass Wirecard ein kriminelles Unternehmen war. Aber erst im Mai 2019 wusste ich, welche Art von Verbrechen hier vor sich ging. Das hatte ich Pav Gill zu verdanken, er war Jurist der Rechtsabteilung in Singapur. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie toll das ist, wenn plötzlich ein Whistleblower auftaucht. Jahrelang habe ich Wirecard von außen betrachtet. Und plötzlich sitzt Pav hier, zeichnet Diagramme, erzählt, wie Verträge gefälscht wurden und was für verrückte Dinge innerhalb des Unternehmens passierten. Es war wie ein Puzzle, und in dem Moment konnte ich endlich das gesamte Bild sehen. Viele Geschäftspartner und Kunden waren einfach Fake, die Wirecard nutzte, um riesige Umsätze zu erfinden. Aber selbst dann stellte sich noch die Frage: Geht es hier um Geldwäsche oder ist tatsächlich alles gefälscht? Lange Zeit waren wir uns nicht sicher, was wirklich vor sich ging. Dann gab es den Moment, als meinem Ressortleiter Paul Murphy, ein Redakteur, mit dem ich lange Zeit zusammengearbeitet habe, zehn Millionen Dollar angeboten wurden, damit er dafür sorgt, dass unsere kritische Berichterstattung eingestellt wird. Wie verrückt ist das denn? Niemand bei der „FT“ hatte jemals von so etwas gehört. Wir wissen bis heute nicht, ob das Geld tatsächlich geflossen wäre oder ob es eine Falle war, um uns der Korruption überführen zu können. 

Man wird paranoid. Ich habe meine Radroute zur Arbeit jeden Tag geändert.

profil: Gab es in all den Jahren, in denen Sie sich mit Wirecard beschäftigt haben, jemals einen Moment, 
in dem Sie an sich selbst zweifelten und dachten, möglicherweise bin ja ich derjenige, der völlig falschliegt?

McCrum: Als ich erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft in Deutschland gegen mich und meine Kollegin Stefania Palma ermittelt, weil die BaFin, die deutsche Finanzaufsicht, uns wegen des Verdachts auf Marktmanipulation angezeigt hatte. Da hatte ich all diese Arbeit hineingesteckt, um dann als Krimineller dazustehen? Es fühlte sich an, als wäre die Welt verrückt geworden.

profil: Hatten Sie immer die Unterstützung der Redaktion oder gab es Zeiten, in denen man Ihnen signalisierte, Sie befinden sich auf der falschen Spur?

McCrum: Nein, ich hatte großes Glück. Lionel Barber war seit 14 Jahren „FT“-Herausgeber, kannte mich und Paul Murphy gut und vertraute uns. Selbst als er eine interne Untersuchung der Vorwürfe veranlasste, hatte ich immer das Gefühl, dass ich in der Redaktion Rückendeckung habe. Trotzdem war dies ein sehr einsamer Moment.

profil: Es gab eine Strafanzeige gegen Sie, Wirecard warf Ihnen Absprachen mit Leerverkäufern vor, die BaFin war hinter Ihnen her, Ihr Ruf als Reporter war beschädigt: Da stand doch Ihre Karriere auf dem Spiel.

McCrum: Meine Karriere wäre völlig im Eimer gewesen, wenn Wirecard damit durchgekommen wäre.

profil: Letztlich war es genau umgekehrt: Ihr Artikel über die Vorgänge in der Wirecard-Niederlassung in Singapur brachte das Unternehmen zu Fall.

McCrum: Ja, es war der Artikel vom 29. Oktober 2019. Dank dem früheren Wirecard-Juristen Pav Gill konnten wir zeigen: So läuft der Betrug ab. Das ist die Art und Weise, wie sie es tun, wo sie es tun. Und hier sind alle Dokumente, die das belegen. Das Erstaunliche war, dass es noch weitere acht Monate dauern sollte, bis Wirecard in Insolvenz ging. 

profil: Was fühlten Sie, als Wirecard zugeben musste, dass 1,9 Milliarden Euro verschwunden sind?

McCrum: Ich saß zu Hause in meinem Büro, genau an dieser Stelle. Ich hatte so auf diesen Moment gewartet. Es war ein unglaubliches Gefühl. Ich war unendlich erleichtert, der ganze Druck fiel plötzlich von mir ab. So muss es sich wohl anfühlen, wenn man ein Tor bei der Champions League schießt. Die ganze Causa war ja längst existenziell geworden. Wirecard hatte meinen Ruf ruiniert und wollte die Reputation der „Financial Times“ zerstören. Wir mussten beweisen, dass sie die bösen Jungs sind. Zum Glück konnten wir das auch.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).