Garantiert daneben

Wirtschaftskrise: Warum Konjunkturprognosen oft meilenweit daneben liegen

Wirtschaftskrise. Die Konjunkturprognosen liegen mittlerweile meilenweit daneben und geraten zum Lotteriespiel

Drucken

Schriftgröße

Wenn ein neuer Robin-Hood-Film in die Kinos kommt, sollte man sich tunlichst auf das Schlimmste gefasst machen. Denn bisher fiel noch jede Premiere - egal, ob Kevin Costner, Russell Crowe oder Errol Flynn den Strumpfhosenträger im Sherwood Forest spielte - mit dem Ausbruch einer Wirtschaftskrise zusammen.

Unterwäsche-Theorien und "Lippenstiftindex"
Das Robin-Hood-Barometer ist beileibe nicht der einzige skurrile Konjunkturtest, dem selbst Ökonomen vertrauen: Alan Greenspan etwa, der legendäre langjährige Chef der US-Notenbank, glaubte fest an die These, wonach Wirtschaftsturbulenzen sich damit ankündigen, dass Männer sich seltener neue Unterwäsche kaufen. Der "Lippenstiftindex“ hingegen besagt, dass Frauen besonders gern dann in knallige Farben investieren, wenn Ungemach an den Börsen herandräut. Schmale Krawatten und längere Damenfrisuren wiederum sollen Lebenslust und damit Wirtschaftsaufschwung verheißen - genauso wie die schon 1926 von dem Wirtschaftswissenschafter George Taylor vorgetragene "Rocksaumtheorie“: Steigt die Zuversicht, werde die Röcke kürzer, Minirock verheißt Hochkonjunktur.

Klingt alles nach Voodoo und Daumen mal Pi? Stimmt. Liegt aber oft auch nicht weiter daneben als die professionellen Wirtschaftsvorhersagen, die auf hochkomplizierten Modellen und vertrackten Formelrechnungen beruhen. Denn für diese gilt seit Jahren nur ein Trend: Sie liegen garantiert meilenweit daneben. Mit unschöner Regelmäßigkeit müssen die Konjunkturprognosen massiv revidiert werden, erst kürzlich blieb den heimischen Wirtschaftsforschungsinstituten nichts anders übrig, als ihre Wachstumsvorhersagen kleinlaut zu halbieren. Statt um fast zwei Prozent, wie im Frühjahr vorhergesagt, wird die heimische Wirtschaft heuer lediglich um 0,9 Prozent zulegen - oder auch um weniger oder mehr, denn die statistische Wahrscheinlichkeit, dass auch diese Prognosen falsch sind, liegt recht hoch. Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 war praktisch jede Vorhersage falsch. All das könnte man als akademische Rechenfehler abtun, wenn nicht weite Teile der Politik auf Wirtschaftsprognosen aufbauen würden - von der Budgetplanung bis zur Kalkulation einer Steuerreform.

Wirtschaftsprognose als Lotteriespiel
Eine exakte Wissenschaft war die Vorhersage der Wirtschaftsentwicklung nie, inzwischen ähnelt sie aber zusehends einem Lotteriespiel mit verschwindender Trefferquote. "Die Prognosen sind deutlich ungenauer als in der Vergangenheit, und sie waren zuletzt immer zu optimistisch“, sagt Ulrich Schuh. Der Ökonom leitet das Forschungsinstitut EcoAustria und weiß, wovon er spricht: In seinem früheren Job erstellte er am Institut für Höhere Studien (IHS) die vierteljährliche Konjunkturprognose mit. Schuh hat eine Theorie entwickelt, warum die Wirtschaftsforscher zuletzt so oft danebenlagen: "Seit der Finanzkrise ist die Welt eine andere, das haben viele Ökonomen noch nicht verinnerlicht. Sie schreiben Muster aus der Vergangenheit fort, die aber nicht mehr gelten.“ Eine frühere Grundregel besagt etwa, dass jedem Wirtschaftseinbruch eine Erholung folgt. Genau so agierten die Wirtschaftsforscher, sagt Schuh: "Jahr für Jahr wird der Aufschwung erhofft - der sich aber immer in Luft auflöst.“

Das gilt beileibe nicht nur für Österreich. Auch in Griechenland und anderen Krisenstaaten wird verlässlich für "nächstes Jahr“ die wirtschaftliche Erholung prophezeit - um dann doch wieder um ein Jahr verschoben werden zu müssen. Das banale Motto "Prinzip Hoffnung“ scheint auch für Ökonomen zu gelten. Stets wird zu Jahresbeginn vorhersagt, dass jetzt aber wirklich die Wirtschaft zu brummen beginnt - spätestens im Herbst wird kräftig zurückgerudert. Nationalbankgouverneur Ewald Nowotny etwa machte noch im vergangenen Winter mit dem optimistischen Satz "Die Krise ist vorbei“ Schlagzeilen. In der Vorwoche kam das bittere Erwachen, die Nationalbank revidierte ihre Wachstumsprognose nach unten, auf mittlerweile nur noch 0,8 Prozent. Der Auslöser dafür waren übrigens die Daten der Autobahngesellschaft Asfinag, die weniger Lastwagenfahrten zählte. Die Logik dahinter ist auch für Laien verständlich: Wenn weniger Güter transportiert werden, ist das ein deutliches Signal, dass sich die Wirtschaft einbremst.

Sigmar Gabriels Seitenhieb
Der eigentliche Schuldige ist aber ausgerechnet Deutschland, das seit der Finanzkrise verlässlich die Rolle als Konjunkturmotor spielte, derzeit aber selbst an der Rezession vorbeischrammt. Die Exporte brechen ein, auch die deutsche Regierung musste Mitte Oktober ihre Wirtschaftsprognose kappen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel konnte sich bei der Verkündigung dieser schlechten Nachricht einen Seitenhieb auf die Wirtschaftsexperten und ihre Vorhersagen nicht verkneifen: "Manchmal habe ich den Eindruck, es handelt sich mehr um Wirtschaftstheologie als um Wirtschaftswissenschaften.“

Wirtschaftsprognosen, nicht mehr als reine Glaubensfragen?

Markus Scheiblecker, der Konjunkturexperte des Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo), hat sich ob der anschwellenden Kritik eine humorige Antwort auf die geringe Trefferquote zurechtgelegt. Er sagt: "Die Konjunkturprognosen beruhen auf vielen Annahmen: Wie entwickelt sich der Ölpreis? Wie die Kurse von Euro und Dollar? Wenn ich das genau wüsste, würde ich auf Ölpreis und Eurokurs spekulieren, damit mein Geld verdienen und müsste mich nicht mit Konjunkturprognosen quälen.“ In der Tat sind Vorhersagen gerade für eine kleine Volkswirtschaft wie Österreich besonders kniffelig, weil viele Faktoren von außen mitspielen, der Ukraine-Konflikt etwa. In einer globalisierten Wirtschaft fallen internationale Krisen besonders schwer ins Gewicht: Früher hätten Kalamitäten einer kleinen Mittelmeerinsel mit ihren Banken in Wien kaum jemanden gekümmert, heutzutage schlagen Zyperns Probleme bis hierher aus.

Scheiblecker sieht keinen Trend in dieselbe Richtung
Angesichts all dieser Unwägbarkeiten findet Scheiblecker, dass die Prognosen "nicht so schlecht“ seien. Wirklich beunruhigen würde ihn nur ein falscher Trend in immer dieselbe Richtung, und den gibt es nicht: Zuletzt waren die Vorhersagen viel zu positiv für die maue Wirtschaftslage, in den Jahren 2010 und 2011 hingegen schätzten Wifo und IHS das Wirtschaftswachstum mit 1,6 und 1 Prozent um die Hälfte zu niedrig ein. Immerhin, überbordender Pessimismus und Optimismus halten einander die Waage. Auch ein Trost.

Wenn die Konjunkturvorhersagen seit Jahren derart daneben liegen, ist es kein großes Wunder, dass auch das Budgetdefizit immer anders ausfällt, als angenommen - beruht doch die Haushaltsplanung der Bundesregierung auf den Prognosen der Wirtschaftsforscher. Interessanterweise ist hier von der Fieberkurve aus zu viel Optimismus und zu viel Pessimismus nichts zu sehen, im Gegenteil: Das Defizit wurde immer lediglich in eine Richtung falsch berechnet. Es ist seit dem Jahr 2011 konstant deutlich niedriger, als vorhergesagt. Im September des Vorjahres etwa tat sich zwar ein vermeintlich gigantisches "Budgetloch“ auf, der Politaufreger des Herbstes verschwand aber genauso plötzlich wieder, wie er aufgetaucht war. Das Budgetdefizit für 2013 jedenfalls lag bei 1,5 Prozent - prognostiziert waren wesentlich höhere 2,3 Prozent gewesen. Im Jahr 2012 waren 3,2 Prozent Defizit kalkuliert worden, tatsächlich wurden es 2,6. Und 2011 landete das Defizit bei 2,5 statt den vorhergesagten 3,2 Prozent.

Prognosen und Realität beeinflussen sich wechselseitig
Zwei Gründe für diese konstanten Fehlprognosen der Neuverschuldung sind leicht zu finden: Erstens planen die Beamten des Finanzministeriums traditionell einen gewissen Polster ein, zweitens waren die Zinsen, welche die Republik in den vergangenen Jahren für ihre Staatsschulden bezahlen musste, nachgerade ein Schnäppchen und deutlich niedriger als erwartet. Zwei weitere Gründe sind etwas komplizierter: Prognosen und Realität beeinflussen sich wechselseitig. Wird also eine schwache Konjunktur prophezeit und die Regierung schnürt als Reaktion darauf ein Konjunkturpaket, sind Prognose und Defizitplanung schon überholt.

Nicht zuletzt ist auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP), an dem sich Defizit und Prognosen bemessen, alles andere als eine exakte Größe: Mit eingerechnet werden Schattenwirtschaft wie Drogenhandel, Pfusch oder Prostitution, deren Umfang naturgemäß niemand wirklich genau beziffern kann. Zudem wird das BIP auch noch ständig rückwirkend korrigiert. Bis heute etwa liefert die Statistik Aus-tria für das BIP des Jahres 2012 immer wieder neue Zahlen und verändert dadurch das BIP im Nachhinein. Die Daten darüber, wie viel Energie die heimischen Unternehmen verbraucht haben, sind für die BIP-Berechnung wichtig, trudeln aber erst mit großer Zeitverzögerung ein.

Insofern sind nicht nur die Wirtschaftsprognosen für die Zukunft ein Glücksspiel, sondern auch jene für die Vergangenheit teils nur Sekundentriumphe. Paradoxerweise kann man nicht einmal Jahre danach exakt sagen, um wie viel die Wirtschaft gewachsen oder geschrumpft ist.

Ein neuer Robin-Hood-Film ist übrigens für 2015 bis dato nicht angekündigt worden, und im kommenden Winter gelten Röcke bis knapp übers Knie als der Renner der Saison. Kurz: Die Wirtschaftsprognosen, die auf Mode und anderen weichen Faktoren basieren, zeigen bisher keine eindeutige Richtung für das kommende Jahr. Möglicherweise können Sie durch beherzte Unterwäsche- und Lippenstiftkäufe oder das Tragen von der Wirtschaftslage angemessenen Krawatten und Röcken noch eine Trendwende in die Richtung auslösen, die Sie für wahrscheinlich halten. Wenn Ihre Prognose falsch war und der Haarschnitt nicht zur Konjunkturlage passt, befinden Sie sich mit Ihren Fehlannahmen zumindest in illustrer Gesellschaft.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin