Frühwirth
Wenn ich für mein Geld am Sparbuch hohe Zinsen bekomme, ist das gut für mich als Anleger. Weil es sich eben um Fremdkapital handelt und die Zinsen an den Sparer von den Eigenkapitalgebern der Bank bezahlt werden. Gleiches wäre auch bei Anleihen der Fall. Bei Aktien gilt das jedoch nicht. Sie stellen Eigenkapital dar, und je höher die Dividende, umso weniger Substanz bleibt im Unternehmen und desto geringer wird der Aktienkurs nach der Ausschüttung sein. Die Aktionäre zahlen sich die Dividende quasi selbst. Das Geld wandert nur von der „Kursgewinn-Hosentasche“ in die „Dividenden-Hosentasche“.
Der Kursgewinn wird bei den meisten Anlegern erst irgendwann in ferner Zukunft realisiert. Da ist es doch nur verständlich, wenn Anleger auch von einer jährlichen Dividendenzahlung profitieren wollen.
Frühwirth
Das ist auch psychologisch erklärbar: Die meisten Menschen freuen sich über viele kleine Zahlungen mehr als über eine große. Selbst wenn die Gesamtsumme gleich hoch ist. Das ist zwar irrational, aber Anleger kassieren lieber eine Dividende in Höhe von drei Euro plus einen Kursgewinn von drei Euro als einen Kursgewinn in der Höhe von sechs Euro. Dieses sogenannte Hedonic Editing, bei dem man sich die Realität so zurechtzimmert, wie man sich am besten fühlt, funktioniert auch in die umgekehrte Richtung. Manager machen sich das gerne zunutze, wenn es eine Überbewertung in der Bilanz gibt. Dann wertet man lieber einmal ordentlich ab, anstatt häppchenweise, womit man immer wieder Aufmerksamkeit von Anlegern und Medien auf sich ziehen würde.
Es gibt doch auch eine Reihe wissenschaftlicher Studien, die belegen, dass man mit Aktien, die mehr Dividenden ausschütten, auch langfristig mehr verdient?
Frühwirth
Diese Studien betrachten meist die Dividendenrendite, also die Dividende pro Aktie, dividiert durch den Aktienkurs. Zum Beispiel zeigt eine sehr langfristige Studie des Finanzprofessors Elroy Dimson für den Zeitraum 1926 bis 2000, dass Aktien mit hoher Dividendenrendite im Durchschnitt 12,2 Prozent pro Jahr erzielt haben, solche mit geringer Dividendenrendite jedoch nur 10,4 Prozent. Die Erklärung: Eine hohe Dividendenrendite bedeutet einen geringen Aktienkurs, und eine geringe Dividendenrendite spiegelt einen hohen Aktienkurs wider. Der Fokus auf Aktien mit hoher Dividendenrendite entspricht also einer Value-Strategie, bei der man immer wieder Aktien mit relativ niedrigem Kurs kauft und sie verkauft, wenn sie im Kurs gestiegen sind. Das bedeutet aber nicht per se, dass Unternehmen durch die Ausschüttung hoher Dividenden auch Shareholder Value generieren können.
Manfred Frühwirth
„Branchen, die sich im Niedergang befinden, haben oft keine Ideen mehr für Innovationen. Daher zahlen sie ihr Geld lieber an die Aktionäre aus. Da sind hohe Dividenden ein eher schlechtes Zeichen.“
Die wertvollsten Unternehmen der Welt wie Apple oder Microsoft zeigen sich in Sachen Dividenden sehr knausrig …
Frühwirth
Ja, das zeigt auch, dass die vorhin beschriebenen Signalisierungstheorien auf tönernen Füßen stehen. Diese Unternehmen haben offensichtlich gute Projekte, in die sie das Geld stecken. Im Gegensatz dazu haben Branchen, die sich im Niedergang befinden, oft keine Ideen mehr für Innovationen, in die sie ihr Geld investieren könnten, und zahlen es daher lieber an ihre Aktionäre aus. Da sind dann hohe Dividenden eher ein schlechtes Zeichen. Theoretisch kann man sich als Anleger auch von der Dividendenpolitik eines Unternehmens emanzipieren.
Wie soll das gehen?
Frühwirth
Wenn das Unternehmen eine Dividende ausschüttet, und ich will die eigentlich gar nicht, kann ich das Geld in dieselbe Aktie reinvestieren. Umgekehrt, wenn keine Dividende ausgeschüttet wird, und ich brauche aber Geld, kann ich einen Teil meiner Aktien verkaufen. Theoretisch-mathematisch funktioniert das sehr gut, aber praktisch-psychologisch eher weniger.
Warum nicht?
Frühwirth
Weil hier das sogenannte Regret-Problem zum Tragen kommt, also das Bedauern, von zwei Entscheidungsmöglichkeiten die schlechtere getroffen zu haben.
Können Sie das konkretisieren?
Frühwirth
Wenn ich einen Teil meiner Aktien verkaufe, und der Kurs steigt danach an, dann werde ich meine Entscheidung bedauern. Wenn ich als Aktionär die ausgeschüttete Dividende reinvestiere, bin ich sauer, wenn der Aktienkurs danach sinkt. Aufgrund dieser Überlegungen bleibt man oft passiv und konsumiert einfach die ausgeschüttete Dividende. Denn das Regret-Gefühl ist bei aktiven Handlungen, wie zum Beispiel Aktienkäufen oder -verkäufen größer. Rational gesehen kann eine Unterlassung aber genauso ein Fehler sein, doch das empfindet der Mensch gemeinhin als weniger schlimm.