Ursula Wagners Laden Designer Second Hand Vienna

Zweistellige Wachstumsrate: Second-Hand-Mode boomt in Österreich

Second-Hand klingt nach Mottenkugeln und Flohmarkt? War einmal. Heute steht gebrauchte Kleidung für Nachhaltigkeit, Individualität – und ziemlich viel Stil. Während der klassische Modehandel in Österreich seit Jahren auf der Stelle tritt, geht’s im Second-Hand-Segment wirtschaftlich steil bergauf.

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Verstaubte Kleiderstapel, der Geruch von altem Leder und Räucherstäbchen in der Luft – wer früher an Second-Hand dachte, hatte oft ein ganz bestimmtes Bild vor Augen: alternative Hippie-Kundschaft, die in dunklen, chaotischen Läden nach Schätzen stöberte. Doch dieses Klischee ist längst überholt. Heute ist Second-Hand chic, nachhaltig – und massentauglich. Ob auf Online-Plattformen wie Willhaben und Vinted oder in sorgfältig kuratierten Vintage-Boutiquen: Der Markt für gebrauchte Kleidung boomt. Eine aktuelle, noch unveröffentlichte Umfrage des Handelsverbands zeigt: Immer mehr Österreicherinnen und Österreicher investieren bewusst in Second-Hand-Mode. Wer durch Wiens Vintage-Läden und Designer-Second-Hand-Shops streift, erkennt schnell, wie vielfältig und fest etabliert dieser Trend mittlerweile ist.

Zwischen Liebe zur Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Vernunft

„Wir beobachten in den letzten Jahren einen kontinuierlichen Anstieg an stationären Vintage- und Second-Hand-Geschäften, vor allem in den Ballungszentren Wien, Graz und Salzburg“, erklärt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands. Der aktuelle Consumer Check wurde vom Marktforschungsinstitut Reppublika im Auftrag des Handelsverbands durchgeführt. Zwischen dem 30. Juni und dem 7. August wurden dafür 1.009 Personen aus allen Bundesländern repräsentativ befragt. Die Altersgruppen waren mit Anteilen zwischen 15,3 und 18,7 Prozent annähernd gleichmäßig vertreten. 48,6 Prozent der Befragten waren Männer, 51,2 Prozent Frauen und 0,2 Prozent identifizierten sich als divers.

Ein exemplarisches Beispiel für die wachsende Beliebtheit von Second-Hand-Mode ist „Marcy Vintage“ in der Wiener Gußhausstraße. Die Inhaberin Marcieh Kafitehrani eröffnete den Laden vor zweieinhalb Jahren. Ihr Konzept basiert darauf, dass Kundinnen und Kunden ihre Kleidung vorbeibringen und beim Verkauf die Hälfte des Nettopreises erhalten. „Am Ende bleibt für mich zwar kaum etwas übrig, aber ich liebe es, alten Dingen ein neues Leben zu geben“, erklärt Kafitehrani.  Die Preise reichen von einem Euro für einfache Stücke bis zu 350 Euro für Designermode wie Burberry-Mäntel. 

Marcieh Kafitehrani in ihrem Geschäft Marcy Vintage
Marcy Vintage
Marcy Vintage

Während anfangs hauptsächlich Touristinnen und Touristen einkauften, wächst der Anteil lokaler Kundschaft stetig. „Viele merken, dass sie durch den Kauf hier auch sich selbst unterstützen – und das Konzept funktioniert“, so Kafitehrani. Gekauft wird quer durch alle sozialen Schichten, nur Jugendliche zwischen 16 und 20 suchen oft gezielt Trendteile, die nicht immer verfügbar sind. Welche Teile besonders beliebt ist, lässt sich aber kaum vorhersehen, erzählt die Geschäftsinhaberin. „Manche Tage bestehen aus vielen kleinen Verkäufen, an anderen reicht ein einziges teureres Teil für den großen Umsatz.“ Insgesamt zieht sie eine positive Bilanz: „Wenn ich an meine Anfänge denke, ist das Interesse heute definitiv gestiegen“

Zweistellige Wachstumsrate in Österreich

Die Umfrage des Handelsverbands bestätigt diesen Trend. Drei von vier Befragten haben bereits gebrauchte Waren gekauft, besonders im Modebereich. Die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben pro Second-Hand-Käufer liegen bei 211 Euro, davon die Hälfte für Bekleidung. 38 Prozent der Käuferinnen und Käufer kauften in den letzten zwölf Monaten Kleidung für Erwachsene, 17 Prozent Taschen und Accessoires, 15 Prozent Kinderbekleidung und elf Prozent Schuhe. „Während der stationäre Modehandel in den letzten Jahren teilweise stagnierte, wächst das Second-Hand-Segment zweistellig pro Jahr“, erklärt Will. Aber nicht nur Händler profitieren vom Trend, auch Privatpersonen. Laut der Umfrage nahmen Personen, die gebrauchte Kleidung online oder bei Händlern verkauften, in den vergangenen zwölf Monaten 171 Euro ein.

Hauptsächlich erfolgen Käufe über Online-Plattformen wie Vinted, Willhaben oder eBay, über die mehr als die Hälfte der Kundschaft einkauft. Dennoch bleibt der stationäre Handel relevant: „Vintage-Fans und junge Zielgruppen schätzen das Einkaufserlebnis, die Beratung und das Stöbern im Geschäft“, erläutert Will. "Wir sehen künftig eine Koexistenz: Online für Reichweite und Preisvorteil, stationär für Erlebnis und Individualität."

Designer Second Hand Vienna

Auf 30 Quadratmetern bietet Ursula Wagner rund 500 ausgewählte Designerstücke an, vom Qualitäts-Einzelteil ab 50 Euro bis zum Luxus-Highlight für fast 3.000 Euro. 

Second Hand Handel auch für Luxusinteressierte

Second-Hand hat längst den Sprung ins Luxussegment geschafft. Im „Designer Second Hand Vienna“ von Ursula Wagner finden sich Stücke wie eine Chanel-Tweedjacke für 2.900 Euro, ein Burberry-Faltenrock für 350 Euro oder Gucci-Sneakers um 650 Euro. Ihr Geschäft in der Gumpendorfer Straße führt sie seit 2016, begonnen hat alles 2010 mit Pop-up-Stores. Mehrmals hat Wagner ihr Sortiment neu ausgerichtet – zuletzt während der Pandemie. „Der Handel hat sich seitdem stark verändert. Als Ein-Personen-Unternehmen kann ich schneller reagieren als große Modeketten“, sagt sie. Grund dafür seien steigende Fixkosten bei stabilen Umsätzen. Die logische Konsequenz: eine klare Spezialisierung auf hochwertige Second-Hand-Ware im Luxusbereich.

Der Großteil der Stücke kommt auf Kommissionsbasis: Kundinnen geben ihre Designerteile ab und erhalten nach dem Verkauf einen Anteil. Angenommen wird nur, was gute Chancen auf einen schnellen Verkauf hat. „Klassiker von Louis Vuitton gehen immer“, so Wagner. Häufig handelt es sich um ungetragene Fehlkäufe aus dem Onlinehandel. Parallel möchte ich zukünftig den Onlineverkauf mehr ausbauen, doch der stationäre Laden hat für sie weiterhin Vorrang: „Online bin ich eine von Tausenden. Im Geschäft gibt es Laufkundschaft und spontane Käufe.“

Ursula Wagners Designer Second Hand Vienna

Pre-loved im Einzelhandel und „Thrift Hauls“ auf TikTok

Wagners Kundschaft reicht von Studentinnen, die erschwingliche Designermode suchen, wohlhabende Kundinnen die nach speziellen Stücken Ausschau halten, bis hin zu einem Sammler von Helmut-Lang-Mode. „Noch vor wenigen Jahren wäre es selten gewesen, dass auch vermögende Kundinnen Second-Hand kaufen. Heute ist "preloved" ein Lifestyle, der durch alle Schichten geht. Nachhaltigkeit ist zum Lifestyle geworden.“ Das bestätigt auch die Umfrage des Handelsverbandes. 74 Prozent der Befragten möchten gebrauchten Produkten ein zweites Leben geben, 71 Prozent nennen günstigere Preise als Kaufgrund. Das wollen auch die Einzelhandelsgeschäfte nutzen um ihr Geschäft zu beleben und neue Kunden zu gewinnen, erklärt Rainer Will. „In immer mehr Modegeschäften, aber auch in Möbelhäusern finden sich zunehmend eigene Abteilungen oder Ecken für Second-Hand-Waren, teils unter zeitgemäßen Labels wie 'Pre-owned' oder 'Pre-loved' oder als Pop-up-Konzept.“ Gesetzliche Maßnahmen der EU, wie die Ökodesign-Verordnung, das Recht auf Reparatur und das Vernichtungsverbot für Textilien, unterstützen den Trend zusätzlich. Auch Social Media trägt zur Popularität bei: Auf Plattformen wie TikTok und Instagram präsentieren vor allem junge Menschen ihre Second-Hand-Funde.

Rainer Will geht stark davon aus, dass der Second Hand Handel in den nächsten Jahren weiter wachsen wird: „36 Prozent der Konsument:innen planen, künftig häufiger Second-Hand-Waren zu kaufen, nur sieben Prozent wollen das seltener tun. Das eröffnet neue Perspektiven für den Handel.“

 

Simon Doering

ist Volontär bei profil.