Glaubensbekenntnis

Alternative Heilmittel: Milliarden für fragwürdige Methoden

profil wissen. Alternative Heilmittel: Milliarden für fragwürdige Methoden

Drucken

Schriftgröße

Von Elisabeth Schneyder

Nach all den Jahren erfolgloser Arztbesuche gehe es ihr endlich besser, dachte Ulla E. nach der Konsultation einer Heilerin. Hautprobleme und Regelschmerzen würden nun bald der Vergangenheit angehören. Ullas Rat an alle Freundinnen: Jede solle bei der Wunderfrau vorstellig werden. Koste ja bloß an die 70 Euro. Aber dann wisse man genau, wo der wunde Punkt liege. Ein paar Termine mehr, dann werde es verschwinden, ganz ohne Chemie und Pillen. So erfuhr eine Freundin: Ihr Problem liege links im Bauch, werde sich im Zuge weiterer Besuche zurückbilden und sei Folge verdrängter Liebesqual. Die Klientin entschied jedoch, den bereits angesetzten Termin bei ihrem Gynäkologen einzuhalten. Und dieser konstatierte: Endometriose mit blutgefüllter Zyste am Eierstock, rechts. Glaube kann bekanntlich Berge versetzen. Allerdings kann er rettende medizinische Errungenschaften selten ersetzen – bestenfalls dann, wenn man Einzelfallberichten über wundersame Spontanheilungen vertraut. Trotzdem ist der Ansturm auf Angebote, die Gesundheit und Heilung auf unkonventionelle Art versprechen, seit Jahren ungebrochen. Statistiken darüber, wie viele Österreicher die Dienste privater Heiler, Schamanen oder anderer Anbieter ausgefallener Konzepte in Anspruch nehmen, gibt es nicht. Geht es jedoch um die in einigen Bereichen zusehends anerkannte, vergleichsweise seriöse alternative Medizin, erfährt man: Rund 80 Prozent der Österreicher nutzen einmal pro Jahr zumindest eine solche Methode. Besonders Frauen mittleren Alters mit höherem Bildungs- und Einkommensniveau wählen diese Strategien.

Complementary and alternative medicine
Am häufigsten werden Phytotherapie, Homöopathie, Chirotherapie, Massagen und Vitamintherapie in Anspruch genommen – vor allem wegen Schmerzen, Schlafstörungen, Depressionen oder gastrointestinalen Problemen. Dazu kommt, dass die Zahl der Ärzte, die CAM (complementary and alternative medicine) empfehlen und selbst anbieten, stetig steigt. Im Jahr 2000 waren es hierzulande 3543 Ärzte (zehn Prozent aller praktizierenden Mediziner), die eine oder mehrere solche Methoden mit Zertifizierung durch die Ärztekammer offerierten. Im Jahr 2007 hatten bereits 5873 Mediziner (16 Prozent) derlei im Programm. Wer derart kurieren darf, wird per Arzneimittel- und Ärztegesetz geregelt. Dort heißt es auch, dass Mittel der komplementären Medizin keine Arzneimittel sind – es sei denn, es handelt sich um Homöopathie.

Wirkungsnachweis fehlt oft
Dass bei vielen alternativen Therapien und Mitteln bislang jeder wissenschaftliche Wirkungsnachweis fehlt, tut dem Boom keinen Abbruch. Ebenso wenig wie einprägsame Aktionen von Gegnern wie jene in Großbritannien 2010 und in Wien 2013: Gruppen von Kritikern formierten sich vor Apotheken, erwarben Fläschchen des homöopathischen Arzneimittels „Arsenicum album“, schluckten zeitgleich fröhlich den gesamten Inhalt – und blieben trotz dieser extremen Überdosierung kerngesund. Was zu denken gibt. Denn nach den Prinzipien der Homöopathie wird bei Krankheit jener Wirkstoff stark verdünnt verordnet, der bei Gesunden dieselben Beschwerden hervorrufen würde, die es beim Patienten zu beheben gilt. Ein Konzept, das geltenden Naturgesetzen widerspricht.

Dschungel von Heilsversprechen
Die Fronten zwischen begeisterten Anhängern sanfter Alternativmethoden und Hardlinern der konventionellen Medizin sind verhärtet: Die einen meinen, was wirke, bedürfe nicht zwangsläufig derselben Beweise, welche die klassisch westliche moderne Medizin verlangt. Die anderen warnen vor Risiken durch nicht hinlänglich überprüfte, mitunter überholte und möglicherweise schädliche Therapien. Und so bewirft man einander mit mehr oder minder ernst zu nehmenden Fallberichten und Studien, die von der jeweils anderen Seite entweder ignoriert oder angezweifelt werden.

Heilsversprechen
Im Dschungel von Heilsversprechen und geschickter Werbung finden sich Laien kaum zurecht. Karl D. aus Wien erfuhr vor bald fünf Jahren nach einer Darmoperation von bösartigen Tumoren in seinem Verdauungstrakt. Prognose: maximal vier weitere Lebensjahre laut Statistik. Seitdem lebt er in latenter Angst, muss wochenlang auf Befunde der Kontrolluntersuchungen warten und hat Glück, wenn er zwischendurch tatsächlich mal einen seiner Ärzte ans Telefon bekommt. Eine Qual, die Lebensqualität, Psyche und körperlichem Zustand kaum zuträglich ist. Darum zahlte Karl D. bereitwillig einige tausend Euro für eine Heilmethode, die via Hitzebehandlung Erfolg versprach – bis er nach mühsamer Recherche dahinterkam, dass die Therapie nicht dem wissenschaftlichen Standard entsprach, mit dem sie beworben worden war. Was blieb, war das bittere Gefühl, mit dem Tod vor Augen alleine dazustehen – und ein dünneres Konto.

Mehr als eine Nummer auf der E-Card
Klar ist, dass die klassische Gesundheitsversorgung durch finanzielle Vorgaben und daraus folgenden Zeitmangel in der Praxis die Unzufriedenheit der Patienten schürt – und damit die Sehnsucht nach anderen Wegen. Nach langer Wartezeit und knapper Konsultation mit bloß einem Rezept und vielen offenen Fragen aus der Ordination zu gehen, macht wenig froh. Wie wunderbar erscheint es da, wenn sich ein alternativer Behandler Zeit für Gespräch und Anamnese nimmt, allerlei Tipps für den Alltag mitgibt und so zumindest das Gefühl vermittelt, dass der Patient mehr ist als eine Nummer auf der E-Card ...

Lesen Sie die profil-wissen-Titelgeschichte von Elisabeth Schneyder in der aktuellen Printausgabe von profil wissen oder als E-Paper (www.profil.at/epaper)!

PROFIL WISSEN als E-Paper