Das Bild zeigt einen Austernpilz oder Austernseitling
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Materialien der Zukunft: Wie Pilze die Welt retten können

Österreichische Forschende züchten aus Pilzen Dämmstoffe, Schaltkreise, Sensoren und Leder – nachwachsend und komplett abbaubar.

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Hinter den schweren Türen verbirgt sich eine Wunderwelt bizarrer Lebensformen. Der Raum ist mit Regalen zugeschlichtet, in denen zu Hunderten kompakte Würfel ruhen, in transparente Folien gehüllt. An deren Oberseite recken sich bräunlich-weiße Gebilde empor, manche wie wuchernde Beulen, manche wie Gruppen von Muscheln, manche erinnern an kleine Stämme, Röhren oder Tonnen; einige streben stramm nach oben, andere räkeln sich seitwärts, teils grotesk verdreht. Zusammen bilden sie eine fremdartige Landschaft, in der ein chaotisches Gewirr an Geschöpfen um den besten Platz zu buhlen scheint.

In den Regalen wachsen Pilze, hauptsächlich Kräuterseitlinge, aber auch Austernpilze und Shiitake. Sie gedeihen in sechs Reifungsräumen, klimatisiert und belüftet bei 15 bis 20 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Der Prozess beginnt mit dem Substrat, einem Gemisch aus Holzspänen, verpackt in Folien. In diesem Fundament sprießt zunächst das Myzel, das fadenartige Netzwerk der Pilze, das sich in der Natur unsichtbar unter der Erde verzweigt. Vom Moment an, in dem sich die ersten Fruchtkörper durch die Oberfläche des Substrats bohren, vergehen, je nach Pilzart und klimatischen Bedingungen, noch ein bis zwei Wochen bis zur Ernte.

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Sechs bis sieben Tonnen Pilze gewinne man jede Woche, sagt Laurenz Hoffmann, Geschäftsführer von Vitus Vitality, einem Pilzhersteller in Perschling im niederösterreichischen Tullnerfeld. Sobald ein Schwung reif ist, bereiten ihn Mitarbeiter des Betriebs für den Verkauf vor. Sie tragen Handschuhe und Schutzmasken, mit scharfen Messern trennen sie die essbaren Teile vom Substrat und schlichten sie in Kisten. Die Ware geht an Gastronomen, Bioläden und mehrere Supermärkte.

Mitarbeiter bei Vitus Vitality bereiten Pilze für den Versand vor.
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Vorerst liege der Fokus auf Speisepilzen, frisch wie auch getrocknet, so Hoffmann, doch denke man an weitere Anwendungen: etwa an Produkte mit gesundheitlichem Mehrwert, reich an Proteinen, antioxidativen Substanzen, Vitamin-D-Vorstufen und Ballaststoffen wie Betaglukanen. Schon jetzt seien Pilze ein probater Fleischersatz, der zur Herstellung 90 Prozent weniger Fläche und 80 Prozent weniger Wasser benötige als die Fleischproduktion.

Porträt von Laurenz Hoffmann, Geschäftsführer von Vitus Vitality.
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Laurenz Hoffmann, Geschäftsführer von Vitus Vitality

„Aus unserer Sicht sind Pilze ein Wundermittel. Sie erlauben gänzlich nachhaltige Konzepte.“

Zudem sei die Pilzzucht rückstandsfrei: Nach der Ernte können die Substrate kompostiert oder von Schweinebauern als Biofutter verwendet werden. Künftig will Vitus Vitality Tiernahrung wie Hundefutter daraus herstellen, und Marillenbauern äußerten bereits Interesse, Substrate als Dünger einzusetzen. Theoretisch könnte man auch Pellets daraus gewinnen, so Hoffmann, und gemeinsam mit Forschenden der Technischen Universität Graz tüftle man an Baustoffen auf Pilzbasis, die ganz von allein wachsen. „Aus unserer Sicht sind Pilze ein Wundermittel“, sagt Hoffmann. „Sie erlauben gänzlich nachhaltige Konzepte.“

Alwin Schönberger

Alwin Schönberger

leitet das Wissenschafts-Ressort.