46-219958177
© AFP/APA/AFP/RALF HIRSCHBERGER
46-219958177
Neue Vogelgrippe-Welle: Kann Gefahr für Menschen entstehen?
Schriftgröße
Es begann in freier Natur, wie jede Saison in den vergangenen Jahren: In Kärnten, Nieder- und Oberösterreich starben Schwäne, außerdem eine Graugans und eine Ente. 23 Wildvögel verendeten in Österreich bis Donnerstag voriger Woche an der Vogelgrippe. Schon seit Anfang November gilt das ganze Land als „Gebiet mit erhöhtem Risiko“.
In Deutschland traf es diesmal besonders Kraniche auf ihrem Zug Richtung Süden. Mindestens 2000 tote Vögel wurden bis Mitte voriger Woche geborgen, vor allem im Nordosten. Ornithologen berichteten von Kranichen, die sterbend vom Himmel fielen. Deutschland meldete jüngst zudem Ausbrüche der Vogelgrippe in Geflügelbetrieben, genau wie Italien, Tschechien und die Slowakei.
Vor exakt einem Jahr war auch Österreichs Landwirtschaft massiv betroffen: Vor allem im Bezirk Amstetten zirkulierte das Vogelgrippevirus, auch Geflügelpest oder aviäre Influenza genannt, unter Hausgeflügel. Allein bis Ende Oktober mussten rund 25.000 Hühner gekeult werden. Die Seuche ereilte im November 2024 auch weitere Bezirke in Nieder- und Oberösterreich.
Eine alljährliche Seuche
Droht diesmal ein ähnliches Szenario? Stimmt der Eindruck, dass die Vogelgrippe mittlerweile öfter und heftiger auftritt als in der Vergangenheit? Mit welcher weiteren Entwicklung ist zu rechnen? Und wie groß ist das Risiko, dass sich das Virus H5N1 allmählich auch für den Menschen zur Gefahr auswächst?
Die Einschätzung der meisten Experten lautet: Was sich im Moment zuträgt, ereigne sich im Grunde inzwischen jedes Jahr und sei somit ein erwartbares, saisonal wiederkehrendes Phänomen. „Es ist ein periodisches Geschehen. Zuerst erkranken Wildvögel, anschließend gelangt das Virus oft in die Betriebe“, sagt Florian Krammer, Professor für Infektionsmedizin am Ignaz-Semmelweis-Institut der Medizinischen Universität Wien sowie an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. „Das kann natürlich auch diesmal wieder passieren.“
INTERVIEW MIT VIROLOGE FLORIAN KRAMMER
© APA/EVA MANHART
INTERVIEW MIT VIROLOGE FLORIAN KRAMMER
Infektionsexperte Florian Krammer
„Es ist ein periodisches Geschehen. Zuerst erkranken Wildvögel, anschließend gelangt das Virus oft in die Betriebe.“
Allerdings gebe es heuer auch Auffälligkeiten, meinen manche Forschende: Zum einen sei dies der zuletzt relativ rapide Anstieg der Fallzahlen, zum anderen der frühe Beginn der Ausbrüche – in einigen Regionen Europas kam es bereits im Spätsommer zu Übertragungen des Virus. Es handle sich somit zwar um einen bereits vertrauten Ablauf, so Krammer, zugleich jedoch lasse sich tatsächlich eine stärkere Dynamik beobachten – und das liege nicht zuletzt am aktuellen Virustyp, der sich besonders widerstandsfähig zeigt.
Prinzipiell ist die Vogelgrippe ein alter Bekannter: Erste Erkrankungen wurden schon 1878 in Italien bemerkt. Heute kennt die Wissenschaft eine Vielzahl von Subtypen des Virus, die anhand zweier Proteine auf der Virusoberfläche geordnet und bezeichnet werden: Hämagglutinin und Neuraminidase, kurz H und N. Die beiden Buchstaben sind die Namensgeber der verschiedenen Varianten, wobei sieben H- und neun N-Subtypen erfasst sind. Seit etwa fünf Jahren hat sich einer dieser Typen durchgesetzt: H5N1. Genauer: eine sogenannte Klade dieses Virustyps, eine weitere Untergruppe.
Ein Virus geht um die Welt
Diese Virusklade namens 2.3.4.4b ist heute praktisch global dominant – ob in Europa, in Südamerika, in den USA und genauso in der Antarktis, wo die Vogelgrippe inzwischen ebenfalls angekommen ist. Und sie hat sich als extrem robust und ausdauernd erwiesen: „Die momentane Version ist ziemlich fit“, sagt Krammer.
Mit dieser Version von H5N1 sind wir auch in Österreich konfrontiert. Das Virus muss, um saisonal Ausbrüche zu verursachen, nicht unbedingt eigens importiert werden. Es scheint inzwischen vielmehr dauerhaft vorhanden zu sein, wobei, so Krammer, „nicht ganz klar ist, wo es sich im Sommer versteckt“. Bekannt ist, dass sich manche Vogelarten wie Stockenten zwar infizieren, aber kaum erkranken. Sie könnten eine Art Speicher darstellen, und wenn im Herbst die Temperaturen sinken und damit optimales Klima für Grippeviren herrscht, könnten vermehrt Übertragungen auf andere Vogelspezies stattfinden – zum Beispiel dann, wenn ein Schwan durchs Wasser gleitet und infizierte Kotpartikel einer Stockente aufnimmt.
Bundesheer bei der Desinfektion
Im vergangenen Herbst waren mehrere österreichische Bezirke betroffen. Das Bundesheer assistierte bei der Bekämpfung der Vogelgrippe.
© APA/BUNDESHEER/ALBIN FUSS
Bundesheer bei der Desinfektion
Im vergangenen Herbst waren mehrere österreichische Bezirke betroffen. Das Bundesheer assistierte bei der Bekämpfung der Vogelgrippe.
Parallel dazu können Zugvögel, wie derzeit in Deutschland die Kraniche, zusätzlich Virusmaterial ins Land bringen und die Ansteckungswahrscheinlichkeit weiter erhöhen – aber auch dabei handelt es sich im Moment um immer dieselbe H5N1-Version, die das epidemische Geschehen dominiert und beständig um den Globus reist.
Ein sehr robuster Virustyp ist somit, mehr oder minder latent, praktisch ganzjährig präsent. Was jeweils im Herbst in unseren Breiten geschieht, hängt vor allem von einem Umstand ab: ob und in welchem Ausmaß Hausgeflügel in Kontakt mit infizierten Wildvögeln gerät – wenn etwa Wildvögel ihre Exkremente über Betrieben fallen lassen, in denen sich etwa Hühner im Freien befinden. Auch über kontaminiertes Futter könnte Virus eingeschleppt werden.
Tot in fünf Tagen
Infektionen finden fast immer über Kot oder engen, längeren Körperkontakt mit infizierten Vögeln statt. Dann geht es meist sehr schnell: Erkrankte Hühner werden rasch apathisch, leiden an Atemnot, Durchfall, Nervenstörungen oder Blutungen, nach zwei bis fünf Tagen sind sie tot, und um die Seuchengefahr einzudämmen, müssen Europas Landwirte in manchen Jahren Millionen von Hühnern, Gänsen oder Puten töten.
H5N1 kann aber auch Säugetiere infizieren: etwa dann, wenn Aasfresser wie Füchse an Vogelgrippe verendete Wildvögel verzehren. Dokumentiert sind weiters Virusübertragungen auf Waschbären, Marder, Ottern und Bären, und auch Haustiere wie Katzen und Hunde sind gefährdet – speziell in Geflügelbetrieben, in denen das Virus zirkuliert. In Südamerika wiederum kam es einem Spillover, einem Übersprung des Virus, auf Robben. Seelöwen und Seeelefanten starben zudem in großer Zahl.
In Finnland ließ sich überdies ein Ereignis beobachten, das „Virologen zum Schwitzen bringt“, wie Florian Krammer sagt: Dort waren Pelztierfarmen von Ausbrüchen betroffen – und das Virus überwand nicht nur die Barriere vom Vogel zum Säugetier, sondern wurde auch in den Pelzfarmen von Tier zu Tier übertragen. Bis dahin waren Infektionsketten unter Säugetieren nicht beobachtet worden.
Infektionen von Tier zu Tier
Solche Ereignisse sind ein Alarmsignal, weil sie erste Hinweise darstellen könnten, dass sich ein Virus allmählich an neue Spezies anpassen könnte. Allerdings: Die Ausbrüche in Finnland waren wohl insofern ein Sonderfall, als die Tiere in solchen Farmen auf extrem engem Raum leben, was Ansteckungen enorm begünstigt.
Und Menschen? Auch sie können sich das Virus einfangen, wie vor allem die massive Vogelgrippe-Epidemie zeigt, die seit eineinhalb Jahren über die USA rollt. Dort sind tausende Geflügelbetriebe und in 16 Staaten zudem fast 1000 Rinderfarmen betroffen, in denen H5N1 zirkuliert. An die 100 Millionen Hühner und Puten mussten notgeschlachtet werden. Etwa 70 Menschen erkrankten in den USA allein im Vorjahr an der Vogelgrippe, eine Person mit chronischen Vorerkrankungen starb. In Mexiko starb kürzlich ein dreijähriges Mädchen nach einer H5N1-Infektion.
Bekämpfung in Schutzanzügen
Werden landwirtschaftliche Betriebe von der Vogelgrippe ereilt, müssen oft Millionen Hühner gekeult und umfangreiche Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
© APA/BUNDESHEER/ALBIN FUSS
Bekämpfung in Schutzanzügen
Werden landwirtschaftliche Betriebe von der Vogelgrippe ereilt, müssen oft Millionen Hühner gekeult und umfangreiche Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
Der Verlauf der Ausbrüche in Nordamerika ist ein ziemlich erhellendes Lehrbeispiel dafür, wie sich das Virus verhält, wie die Übertragung vonstatten geht und wie das Ansteckungsrisiko beschaffen ist. Zunächst war die Überraschung groß, als sich plötzlich Rinder mit der Vogelgrippe ansteckten – dass sich also auch hier ein Spillover auf Säugetiere ereignete. Empfänglich für H5N1 dürfte lediglich das Euter von Kühen sein, weshalb man annimmt, dass das Virus beispielsweise durch kontaminierte Einstreu in eine der Farmen gelangte. Zur weiteren Verbreitung unter Rindern dürfte es durch Utensilien wie virusbehaftetes Melkgeschirr gekommen sein, der staatenübergreifende Handel mit Wiederkäuern sorgte schließlich dafür, dass mehr und mehr Farmen betroffen waren.
Nach wie vor ereignen sich Übertragungen nur durch Euterkontakt, wobei auch Rohmilch stark mit Viren kontaminiert ist (die durch Pasteurisierung jedoch zuverlässig inaktiviert werden). Wenn sich Menschen ansteckten, dann im Regelfall beim Melken, etwa wenn ihnen Milch in die Augen spritzte. Es ist somit für eine Infektion der regelmäßige direkte Kontakt mit virusbelastetem Material vonnöten, die Vogelgrippe verbreitet sich nicht über den effizientesten Weg, den die Influenza einschlagen könnte: per Tröpfcheninfektion, also durch Niesen oder Husten.
Noch nicht von Mensch zu Mensch
Die Folgen waren in den USA bisher zumeist sowohl bei Menschen als auch bei Rindern eher milde: Landwirte erkrankten zum Beispiel an Bindehautentzündungen, nachdem Milch in die Augen gelangt war. Und vor allem: Was bisher nie dokumentiert wurde, sind Übertragungen von Mensch zu Mensch.
Müssen wir damit aber in Zukunft rechnen? Besteht ein Risiko, dass aus einer Vogelseuche ein zoonotischer Erreger wird, ein aus dem Tierreich kommendes Virus, das eines Tages den Menschen bedroht, womöglich sogar pandemisches Potenzial entfaltet? Die Antwort lautet: theoretisch ja, derzeit deuten die Fakten aber nicht darauf hin, dass H5N1 diesen Kurs bereits eingeschlagen hätte. Um zu einer ernsten Gefahr für die Menschheit zu werden, müsste das Vogelgrippevirus erst kritische Veränderungen durchlaufen: und zwar speziell an den beiden namensgebenden Oberflächenproteinen H und N, die dem Virus helfen, an Körperzellen anzudocken und so einen Wirtsorganismus zu befallen.
Abtransport verendeten Geflügels
Im Moment ist das Virus hauptsächlich auf die Körperzellen von Vögeln spezialisiert.
© AFP/APA/AFP/RALF HIRSCHBERGER
Abtransport verendeten Geflügels
Im Moment ist das Virus hauptsächlich auf die Körperzellen von Vögeln spezialisiert.
Die Zellen von Vögeln unterscheiden sich auf molekularer Ebene in wichtigen Punkten von jenen der Säugetiere. Und auch wenn es in jüngster Vergangenheit immer wieder zu Infektionen von Säugetieren kam – H5N1 ist nach wie vor auf Körperzellen von Vögeln spezialisiert, weshalb es die Wildvogelpopulationen zwar empfindlich und dramatisch dezimiert, unter Säugetieren aber – vergleichsweise – wenig Schaden anrichtet. Im Moment lassen sich auch keine entscheidenden Veränderungen des Virus beobachten, wohl auch deshalb, weil es kaum unter evolutionärem Druck steht: Es zirkuliert höchst erfolgreich und global unter Wildvögeln und periodisch unter Massen von Hausgeflügel, sodass es kaum gezwungen ist, mithilfe genetischer Modifikationen neue Wirtsgruppen zu erschließen.
Allerdings: Je mehr Virusmaterial über lange Zeit zirkuliert und je mehr Spezies betroffen sind, desto höher ist, rein statistisch, die Wahrscheinlichkeit, dass Viren zufällige Mutationen durchlaufen, die ihr Verhalten entscheidend verändern – ähnlich wie plötzlich und überraschend die Euter von Kühen infiziert wurden, womit einst auch kaum jemand gerechnet hätte. Eine kritische Anzahl solcher Mutationen könnte – zumindest hypothetisch – auf Dauer dazu führen, dass ein zunächst auf Vögel abonniertes Virus letztlich doch die Präferenz wechselt.
Doppelte Infektion
Und noch ein Umstand könnte Probleme bereiten: eine sogenannte Koinfektion. Steckt sich eine Person mit einem herkömmlichen Grippevirus an und fängt sich gleichzeitig – etwa in den USA beim Melken einer Kuh – zusätzlich die Vogelgrippe ein, könnte ein Prozess ablaufen, den Fachleute als Rekombination bezeichnen. Grippeviren haben zusätzlich zu Mutationen die unangenehme Eigenschaft, Teile ihrer genetischen Information auszutauschen. Sie können ihr Erbgut gleichsam neu zusammensetzen und dadurch veränderte Virustypen hervorbringen – potenziell auch solche mit pandemischem Potenzial. Ob und wann solch ein Ereignis eintritt, lässt sich freilich kaum verlässlich prognostizieren. Man kann nur sagen, dass das theoretische Risiko mit der Menge des in Umlauf befindlichen Virusmaterials steigt.
Überdies ist H5N1 zwar das im Moment dominante Vogelgrippevirus, aber eben nur eines in einem bunten Kosmos verwandter Erreger. Ende Oktober schlugen chinesische Forschende vor, den Fokus zusätzlich auf H9N2 zu richten, ein deutlich milderes und daher weniger beachtetes Mitglied der Großfamilie. H9N2 gilt zwar nicht als „hoch pathogen“, also nicht als heftiger Krankheitserreger. Allerdings würden Laborexperimente im Zeitvergleich zeigen, so das Wissenschafterteam aus Hongkong, dass das Virus über die Jahre genetische Veränderungen erfahren habe, die ihm heute erlauben, leichter an menschliche Zellen zu binden – wenn auch nicht genügend Mutationen, um es zu einem bedenklichen Pandemiekandidaten zu machen.
Infektionsexperte Florian Krammer kennt die Studien. Aus akademischer Sicht seien sie fraglos wichtig, befindet er, genau wie sämtliche wissenschaftlichen Bestrebungen, die Entwicklung von Vogelgrippeviren zu überwachen. Praktische Relevanz hätte H9N2 allerdings im Moment kaum. Doch auch im Hinblick auf die aktuell massiven H5N1-Viren gelte grundsätzlich: Eine akute Bedrohung für den Menschen bestehe nach wie vor nicht, übermäßige Beunruhigung oder gar Panik sei daher gewiss nicht angebracht.
Dennoch ist die Vogelgrippe eine Tragödie: Niemand weiß, wie viele Millionen Wildvögel dem Virus bereits zum Opfer gefallen sind – darunter seit langem bedrohte Arten, die nun vom Aussterben bedroht sind.
Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft