3D-Blick auf Pharao Amenophis I.
Dossier: Crime

Vom Ötzi bis zur Covid-Lunge: 50 Jahre Computertomografie

Die Computertomografie revolutionierte Medizin, Forensik und Archäologie. Nun steht sie erneut vor einem Durchbruch.

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Die Beatles und der erste Scan

Die Patientin, die vor 50 Jahren als erster Mensch der Welt ihren Kopf in die Röhre eines Computertomografen legte, hatte großes Glück. Die bis in die 1970er-Jahre übliche Untersuchung bei Verdacht auf einen Hirntumor war eine Qual: Der Arzt entzog dem Patienten durch die Punktion mit einer Spritze Hirnflüssigkeit und injizierte ihm stattdessen Luft ins Rückenmark. Diese sollte dann langsam ins Gehirn aufsteigen, um dem Röntgenbild mehr Kontrast zu verleihen. Um das zu erreichen, mussten sich die Patienten drehen und immer wieder umlagern. Die Folgen: furchtbare Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Schwindel. Die Erholung von der Prozedur dauerte meist mehrere Tage.

All das blieb Patientin eins erspart. 30 Minuten lang lag sie im Atkinson Morley Hospital London in der Röhre, dann eilte deren Erfinder, der Ingenieur Godfrey Hounsfield, mit den entstandenen Magnetbändern in sein Büro. Zweieinhalb Stunden dauerte es, die Daten aus dem Tomografen mit dem eigens entwickelten Computerprogramm in ein Bild zu verwandeln. Und da war sie, etwas verpixelt, aber doch deutlich zu sehen: eine zwetschgengroße Zyste im linken Frontallappen der Patientin. Hounsfield fotografierte das vom Computer ausgespuckte Bild mit einer Polaroidkamera und eilte zurück ins Krankenhaus. Der Chirurg war nach der OP begeistert: "Der Tumor sah in Wirklichkeit genauso aus wie auf dem Bild." Bisher hatten sich die Operateure mehr oder weniger blind durch die Gehirne ihrer Patienten wühlen müssen. Jede andere Methode, das Gehirn sichtbar zu machen, war mit diesem Zeitpunkt obsolet.

Zu verdanken haben wir die revolutionäre Technologie nicht nur Ingenieur Hounsfield, der 1979 dafür den Nobelpreis erhielt, sondern auch der berühmtesten Band der Welt: den Beatles. Ihr weltweiter Erfolg schwemmte große Mengen Geld in die Kasse ihrer Plattenfirma Electric and Musical Industries (EMI).Diese war aber nicht nur auf Musik spezialisiert, sondern baute in der Kleinstadt Haynes auch Lenkwaffen, Computer und Radaranlagen. Dort besaß Techniker Hounsfield-den vier Pilzköpfen sei Dank-den Luxus, kreativ zu sein. Der Rest ist Medizingeschichte.

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Langzeitschäden: Covid-Lungen im CT

Bald wurden neben dem Gehirn auch alle anderen Körperteile per Röntgenstrahlen in Scheiben geschnitten und am Computer wieder zusammengesetzt. "Ohne das CT wäre die moderne Medizin undenkbar", sagt der Innsbrucker Radiologe Gerlig Widmann. Die Scans wurden mit der Zeit immer präziser. Mittlerweile sind die Aufnahmen von Herzkranzgefäßen so zuverlässig, dass viele Untersuchungen mit dem Herzkatheter nicht mehr nötig sind.

Während der Corona-Pandemie hat die Technologie ihren enormen Nutzen einmal mehr bewiesen. Gerlig Widmann und sein Team von der Medizinischen Universität Innsbruck zeigten auf 3D-Scans erstmals den Virusbefall der Lunge im Zeitraffer. Sie scannten die ersten Covid-Patientinnen und Patienten aus Ischgl während ihres Spitalaufenthalts sowie Wochen später-und fanden Hinweise auf länger andauernde Lungenschäden. Sie gehörten 2020 weltweit zu den ersten Forschern, die auf die große Bedeutung von Rehabilitationstherapien für Corona-Patienten hinwiesen.

CT oder MRT: Was ist der Unterschied?

Während die Computertomografie mit Röntgenstrahlen arbeitet, erzeugt die Magnetresonanztomografie die Schnittbilder mittels Magnetfeldern und Radiowellen. Gehirne und Knie werden heute hauptsächlich im MRT durchleuchtet, weil diese Weichteile, Bänder, Knorpel und Gewebe noch genauer darstellen kann als die Computertomografie.

Für Knochenbrüche und Notfalldiagnostik ist jedoch das CT das Mittel der Wahl, sagt Radiologe Gerlig Widmann. Kommt jemand nach einem schweren Verkehrsunfall in den Schockraum, wird zuerst ein Ganzkörper-CT erstellt. Das geht schnell und klärt sofort die wichtigsten Fragen: Welche Gliedmaßen sind gebrochen, welche Organe verletzt, ist das Gehirn beschädigt? In der Tumordiagnostik ist die Computertomografie immer noch die wichtigste Methode, die MRT wird ergänzend eingesetzt. Letztere eignet sich besonders gut für das Aufspüren von Krebs und Metastasen im Gehirn und in der Leber.

Für Patientinnen und Patienten ist das CT angenehmer. Es ist in wenigen Minuten erledigt und fast geräuschlos, während die Magnetimpulse im MRT laute Klopfgeräusche verursachen und man längere Zeit in der Röhre liegen muss. Die Strahlenbelastung durch die Computertomografie sank seit der Erfindung des ersten Geräts, ist aber in geringem Maße nicht zu vermeiden. Beim MRT gibt es hingegen keinerlei ionisierende Strahlung.

Mumien, digital ausgewickelt

Woran starb Ötzi, die berühmteste Gletschermumie der Welt? Forscherinnen und Forscher lösten dieses Rätsel 16 Jahre nach dem sensationellen Fund im Ötztal 1997. Die CT-Technologie hatte in puncto Präzision wieder einmal einen Sprung nach vorn gemacht, also war es an der Zeit, Ötzi in die CT-Röhre zu schieben. Das Ergebnis: Der Mann aus der späten Jungsteinzeit war nach einem Schuss in den Rücken verblutet. Die Pfeilspitze, die immer noch in Ötzis Schulter steckt, traf die Unterschlüsselbein-Arterie. Das CT-Bild enthüllte den Bluterguss entlang der Schussbahn und widerlegte die Vermutung, die Pfeilspitze könnte von einer früheren, nicht tödlichen Verletzung stammen.

Etwas jünger als Ötzi und in Stoffbinden gehüllt ist die Mumie von Amenophis I. Der Pharao hatte den Thron 1525 vor Christus bestiegen, war 1881 von Archäologen entdeckt und wegen seiner Unversehrtheit nie näher untersucht worden. Doch nun wickelte ein Computertomograf den ägyptischen König erstmals digital aus. "Er war 1,69 Meter groß, beschnitten und hatte gute Zähne. Äußerlich scheint er zudem seinem Vater ähnlich gesehen zu haben: Er hatte ein schmales Kinn, eine kleine, schmale Nase, lockige Haare und leicht vorstehende obere Zähne",sagt die Radiologin Sahar Saleem von der Universität Kairo. Amenophis I. war zudem mit 35 Jahren etwa zehn Jahre älter geworden als bisher angenommen. Ihre Todesursache verriet die Mumie nicht, jedoch erzählte sie einiges über die dramatischen Ereignisse nach der Einbalsamierung. Ein Loch in der Bauchdecke sowie Brüche an Hals und Händen zeugen von Grabräubern, die an diesen Stellen nach Schmuck gesucht hatten. Zudem hatten Amun-Priester den Sarg 400 Jahre nach dem Tod des Pharaos umgebettet. Immer wieder standen die Hohepriester bei Historikern im Verdacht, die Mumien ebenfalls geplündert zu haben. Das Gegenteil war hier jedoch der Fall: "Die neuen CT-Aufnahmen belegen, dass die Hohepriester damals die Mumie von Amenophis sorgsam restaurierten und wertvolle Amulette und Schmuck am Toten ließen oder sie sogar hinzufügten",so Forscherin Sahar Saleem.

Forensik: Den Tätern auf der Spur

Auch aus der modernen Forensik ist die Computertomografie nicht wegzudenken. "Das CT ist eine echte Revolution in der Rechtsmedizin",sagte der berühmte deutsche Forensiker Michael Tsokos 2019 im profil-Interview. Fälle mit Polytraumata, das heißt Stürze aus großer Höhe, Zug-und Verkehrsunfälle, Schusstodesfälle und alle kindlichen Todesfälle untersuchen er und seine Kolleginnen vorab im CT. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen spart es Zeit bei der Obduktion, weil man weiß, wo sich zum Beispiel ein Projektil im Körper befindet. "Zum anderen werden die Ergebnisse digital archiviert, bevor sie bei der Öffnung des Körpers zerstört werden",so Tsokos.

Potenzielle Tatwaffen scannt der Rechtsmediziner ebenfalls im CT, was 2012 den europaweit gesuchten "Puzzle-Mörder" hinter Gitter brachte. Im Sommer 2011 hatte man in Berlin immer wieder mit Tattoos übersäte Leichenteile gefunden, zuerst den Rumpf, dann die Beine, die Arme und schließlich den stark verfaulten Kopf. Nach einiger Zeit fand die Polizei heraus, dass es sich bei dem Toten um einen 25-jährigen Tätowierer aus Österreich gehandelt hatte. Er war in Berlin auf Jobsuche gewesen, wobei er einen amerikanischen Kollegen kennengelernt hatte. Mit diesem war er zuletzt beim Feiern gesehen worden. In der Wohnung der Freundin des Amerikaners hatte die Kripo eine Axt, zwei Beile, ein Messer und einen Hammer gefunden. "Mithilfe eines 3D-Modells verglichen wir die eingescannten Klingen und Oberflächen virtuell mit den Verletzungen im Gesicht und an der Schädeldecke. Die beiden Beile und das Messer waren mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tatwerkzeuge. Der Amerikaner wurde verurteilt",sagt Tsokos.

Tiere und Steine im Scanner

Fressen und gefressen werden: Im Bauch einer Hakennasennatter befanden sich gleich zwei Beutetiere, als sie von einem Biologen als Forschungsexemplar gefangen und getötet wurde-ein halb verdauter Salamander und eine frisch erlegte Kröte. 20.000 Wirbeltiere wie die Natter aus dem Florida Museum of Natural History werden seit 2017 nach modernsten Methoden gescannt und in der weltweit kostenlos abrufbaren Datenbank oVert (open-Vertebrate) gesammelt. Mehr als 80 Prozent aller bekannten Wirbeltiere sollen demnach bis ins Detail archiviert und Forschern rund um den Globus zur Verfügung gestellt werden-vom Skelett über das Nervensystem bis zum Weichgewebe der Tiere.

Das Wiener Naturhistorische Museum besitzt seit Dezember 2020 ein Mikrotomografie-Gerät. Es ermöglicht den Blick ins Innenleben von wenige Millimeter kleinen Organismen wie zum Beispiel Fliegenaugen. Fossilien und Steine werden dort ebenfalls gescannt: So verrät die Volumendarstellung eines geschliffenen Rubins die Qualität des Edelsteins, der Scan eines urzeitlichen Haizahns berichtet von dessen "Ur-Karies".

Die Zukunft: Suche nach der besten Krebsbehandlung

Die Computertomografie hat sich seit ihrer Erfindung vor 50 Jahren ständig weiterentwickelt, und sie tut das immer noch. Die Schlagworte der Stunde sind künstliche Intelligenz, Deep Learning und Radiomics: Damit werden CT-Scans zusätzlich ausgewertet. Ein Beispiel: Ein spezifisch trainierter Algorithmus soll anhand eines segmentierten Lebertumors weit mehr erkennen, als der Arzt es je könnte. Die Software gleicht Aussehen, Größe, Textur und Dichte des Geschwürs mit Millionen anderer Bilder von Lebertumoren sowie den zugehörigen Krankenakten ab. Welche Chemotherapie bekamen Patientinnen mit einem ähnlichen Tumor? Wie gut oder schlecht hat sie gewirkt? Gibt es noch andere Therapien mit Erfolgschancen? Fragen wie diese mithilfe einer intelligenten Software zu beantworten, sei noch nicht Routine, werde aber im klinischen Alltag immer öfter möglich, sagt Radiologe Gerlig Widmann. "Die nächsten Jahre versprechen Meilensteine für die personalisierte Tumorbehandlung.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.