Eine zahnärztliche Behandlung.
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Von Diabetes bis Herzinfarkt: Wie kranke Zähne dem Körper schaden

Entzündungen im Mund können Herzleiden, Diabetes und womöglich Krebs und Alzheimer auslösen. Was ist der Grund? Und was kann man dagegen tun?

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Antoni van Leeuwenhoek war begeistert. Der niederländische Naturforscher blickte durch sein Mikroskop und notierte hernach, dass sie sich „sehr hübsch bewegten“. Was Leeuwenhoek da so berührt betrachtete, waren Bakterien, die er zuvor aus seiner Mundhöhle gekratzt hatte. Seit dem 17. Jahrhundert ist dank dieses Pioniers der Mikroskopie bekannt, dass der Mund von zahlreichen Mikroorganismen bewohnt ist.

Etwa ein Jahrhundert später tendierten manche Zahnärzte sicherheitshalber zur Radikalkur: Sie rissen ihren Patienten präventiv die Zähne. Denn sie waren überzeugt, dass desolate Zähne die Ursache für Erkrankungen in anderen Bereichen des Körpers sein können.

Natürlich würden moderne Medizinerinnen und Mediziner nie zu einer solchen Maßnahme raten. Die historischen Beispiele zeigen aber: Man weiß schon lange, dass der Mund des Menschen Heimat eines reichen Zoos von Bakterien ist, eines Biofilms, der sich aktuellen Erkenntnissen zufolge aus 700 bis 1000 Arten zusammensetzt. Und auch schon seit geraumer Zeit ist bekannt, dass mangelhafte Mundgesundheit ernste Auswirkungen auf den Rest des Körpers haben kann.

Ein vernachlässigtes Problem

Umso erstaunlicher, dass diesem Zusammenhang heute bei zahnärztlichen Behandlungen oft eine untergeordnete Rolle zukommt, jedenfalls im Rahmen der üblichen Kassenmedizin. Meist werden schadhafte Zähne geflickt oder ersetzt, die gesamte Mundhöhle inklusive des Zahnhalteapparats, des sogenannten Parodontiums, jedoch vergleichsweise selten in die Diagnose und Krankheitsprävention einbezogen. Doch eine fortschreitende bakterielle Entzündung, eine Parodontitis, lockert nicht nur die Zähne, sondern begünstigt auch Krankheiten, an die man kaum denken würde.

„Eine Parodontitis ist eine chronische offene Wunde in der Mundhöhle, von der Bakterien in den Körper eindringen und ihn regelrecht überschwemmen können“, sagt Anton Sculean, Professor für Parodontologie an der Universität Bern und Generalsekretär der European Federation of Periodontology (EFP). „Unsere Zähne sind kein geschlossenes System. Die Mundhöhle stellt eine direkte Verbindung zum Rest des Körpers dar und hat wichtige Effekte auf die allgemeine Gesundheit“, so Sculean.

Anton Sculean
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Anton Sculean

„Eine Parodontitis ist ene offene Wunde in der Mundhöhle, von der Bakterien in den Körper eindringen können“, sagt der Professor für Parodontologie.

Erst kürzlich fand in Wien ein von der EFP unter Sculeans Führung organisierter Kongress statt, bei dem jüngste Erkenntnisse dieser Achse zwischen Mundgesundheit und systemischen Erkrankungen erörtert wurden. Gesichert sind Wechselwirkungen zwischen Diabetes und Parodontitis, viele Studien legen auch Zusammenhänge mit Herzleiden, Autoimmunerkrankungen, Komplikationen in der Schwangerschaft und sogar Alzheimer nahe. Heiß diskutiert werde im Moment außerdem, ob parodontale Entzündungen mit bestimmten Krebsformen einhergehen, so Sculean. Manche Forschende bringen an die 50 Krankheitsbilder mit Parodontitis in Verbindung, darunter Adipositas und das Lungenleiden COPD.

Alwin Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft