NOSFERATU: PHANTOM DER NACHT, Klaus Kinski, 1979, TM & Copyright (c) 20th Century Fox Film Corp. All
© APA-Images / Everett Collection/20th Century Fox Film/Everett Collection/APA-Images
NOSFERATU: PHANTOM DER NACHT, Klaus Kinski, 1979, TM & Copyright (c) 20th Century Fox Film Corp. All
Vor 300 Jahren: Als in Österreich der Vampir-Mythos entstand
Schriftgröße
Sie wussten, was zu tun war, und schritten entschlossen zur Tat. Sie spitzten ein Stück Holz zu einem Pflock und trieben es durchs Herz des Vampirs. Augenzeugen behaupteten, dabei sei frisches Blut aus Mund und Ohren des Untoten geflossen. Anschließend verbrannten sie den Körper zu Asche.
Der Vorfall ereignete sich vor 300 Jahren an der Außengrenze des damaligen Habsburgerreiches. Die Überlieferung verdankt sich dem Beamten Ernst Frombald. Wiens Autoritäten entsandten ihn, um mysteriöse Ereignisse im Dorf Kisolovo zu untersuchen, knapp 120 Kilometer östlich von Belgrad. Aus dem Ort, der heute Kisiljevo heißt, war die Kunde einer Serie unheimlicher Todesfälle zu den Behörden gedrungen: In acht Tagen seien neun Personen gestorben, jede von ihnen innerhalb von 24 Stunden. Wütete eine Seuche in dem Dorf im heutigen Serbien?
Frombald sollte der Sache auf den Grund gehen. Hauptsächlich deshalb, weil die Verwaltung in Wien keine Unruhe in der Region wollte, die erst sieben Jahre zuvor vom Osmanischen Reich erkämpft und der Monarchie zugefallen war.
Frombald traf im Frühjahr 1725 in Kisolovo ein. Die Menschen waren in Aufruhr. Der Reihe nach, sagten sie, seien Dorfbewohner gestorben, und es handle sich gewiss nicht um eine Seuche oder eine andere natürliche Ursache. Nein, viel schlimmer: Vampyrie!
Alte Grabsteine in Kisiljevo
Auf dem Friedhof in dem serbischen Dorf wurde ein Mann bestattet, der angeblich als Untoter wiederkehrte.
© AFP/APA/AFP/OLIVER BUNIC
Alte Grabsteine in Kisiljevo
Auf dem Friedhof in dem serbischen Dorf wurde ein Mann bestattet, der angeblich als Untoter wiederkehrte.
Die Bevölkerung hatte keine Zweifel, wie alles zusammenhing: Etwa drei Monate zuvor sei der Bauer Petar Blagojević gestorben und beerdigt worden. Doch er habe keine Ruhe im Grab gefunden und die Menschen heimgesucht. Bei Nacht, während sie schliefen, habe sich der Wiedergänger auf seine Opfer gelegt, sie gewürgt und geschlagen. Jede Person, der dies widerfuhr, sei kurz nach der unheimlichen Begegnung selbst verschieden – mit Ausnahme von Blagojevićs Witwe.
Gepfählt und zu Asche verbrannt
Die Menschen hätten, beteuerten sie, keine Wahl gehabt: Sie mussten Blagojević exhumieren und in Augenschein nehmen. Unter Beisein von Frombald inspizierten sie den Leichnam. Glaubt man der Überlieferung, zeigte er alle Merkmale eines Vampirs: Haare, Bart und Fingernägel waren nach dem Tod weiter gewachsen, unter alter Haut schälte sich frische hervor, die Mundpartie war von frischem Blut bedeckt. Zudem notierte Frombald, dass von dem „Cörper und dessen Grabe nicht der mindeste, sonsten der Todten gemeiner Geruch“ ausging. „In Summa“ seien „alle Indicia vorhanden“, welche die Leute vor Ort einem Untoten zuschrieben.
So duldete Frombald, der keine Möglichkeit hatte, sich mit der Provinzverwaltung in Belgrad abzustimmen, das folgende Ritual: das Pfählen und die Verbrennung des Vampirs.
Offensichtlich wusste die lokale Bevölkerung genau, wie in solchen Fällen zu verfahren war, sagt Peter Mario Kreuter, Historiker am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg. „Die Leute empfanden die Prozedur als normal und als gemeinschaftliche lästige Pflicht, gleichsam als übliches Hausmittel gegen Vampire“, so Kreuter, der sich wissenschaftlich intensiv mit dem Vampirglauben in der Region befasst. Dies deute darauf hin, dass sich solche Vorfälle damals wohl ziemlich regelmäßig ereigneten.
Wiener Diarium
Im Vorläufermedium der „Wiener Zeitung“ erschien vor 300 Jahren der erste populäre Artikel über Vampire.
© APA/AFP/OLIVER BUNIC
Wiener Diarium
Im Vorläufermedium der „Wiener Zeitung“ erschien vor 300 Jahren der erste populäre Artikel über Vampire.
Diesmal jedoch erlangte die Geschichte breitere Bekanntheit. Frombald verfasste einen Bericht für seine Vorgesetzten, auch um sich der Korrektheit des eigenen Verhaltens vor Ort zu versichern. Der Report wurde dem „Wienerischen Diarium“ zugespielt, dem Vorläufer der „Wiener Zeitung“. Eine gekürzte und zugespitzte Fassung erschien dort am 21. Juli 1725, einem Samstag. Darin war von „Vampyri“ die Rede, die „unverwesen“ seien, wobei „Haut / Haar / Bart und Nägel an ihme wachsen“.
Damit war das Medienphänomen des Vampirs geboren, der Begriff fand erstmals Niederschlag in einer Zeitung, ausgehend von Serbien, dokumentiert von Beamten der Habsburgermonarchie.
Ein Schmatzen aus den Gräbern
Ein paar Jahre später beschäftigte die Behörden die nächste Gruselgeschichte. Diesmal kam die Nachricht von merkwürdigen Todesfällen aus Medvegya, südlich von Belgrad. Ein gutes Dutzend Personen seien dort plötzlich ums Leben gekommen, erfuhr der Kommandant der ortszuständigen kaiserlichen Armee im Herbst 1731. Nun ließ man die Vorfälle sogar zweimal untersuchen, einmal im Dezember 1731 und neuerlich, um die abenteuerlichen Schilderungen der Einheimischen sorgfältig zu prüfen und rationale Erklärungen zu finden, im Jänner 1732. Man ließ Gräber öffnen, grub insgesamt 16 Leichen aus und inspizierte sie auf Anzeichen von Vampirismus.
Angeblich trugen die Toten ähnliche Male wie in Kisolovo: kaum Verwesung, gewachsene Haare und Nägel, frische Hautfarbe. Zudem berichteten Dorfbewohner, aus den Gräbern seien nächtens „schmatzende Geräusche“ zu hören gewesen. Und sie erzählten, von welchem Unheil der Ort ihrer Ansicht nach heimgesucht worden sei.
Alles begann demnach mit Arnont Pavle. Der Unglückselige hatte sich fünf Jahre zuvor bei einem Sturz vom Heuwagen das Genick gebrochen. Schon vor seinem Ableben habe Pavle, in manchen Quellen Paule oder Arnold Paole genannt, behauptet, einst von einem „Vampyren geplagt worden“ zu sein. Schon vier Monate nach seiner Beisetzung hätten sich die ersten mysteriösen Todesfälle ereignet, berichteten die Dörfler. Die Leute fackelten nicht lange und taten, was zu tun war: Sie gruben Pavle und seine Opfer aus, pfählten sie, schlugen die Köpfe ab, verbrannten die Leichen und verstreuten die Asche im Fluss Morava.
Todesserie durch die „vampirische Krankheit“
Doch der Spuk wollte nicht enden. Die „vampirische Krankheit“ raffte weiter Menschen dahin, und sogar das Vieh wurde befallen, sodass man die Militärverwaltung über die Todesserie durch „Vambyres oder Bluthseiger“ informierte. Im Gefolge der behördlichen Inspektionen erschienen Dutzende Berichte zum Thema, die etwa „Von denen Vampyren und Blut-Aussaugern“ oder „Vernünftige und christliche Gedancken über die Vampirs oder Bluthsaugenden Todten“ hießen. Manche Autoren, die der örtlichen Sprache mächtig waren, dokumentierten die Vorfälle nüchtern anhand der Aussagen der Bevölkerung, andere Texte besaßen wissenschaftlichen Charakter und suchten rationale Hintergründe für den „serbischen Bauernaberglauben“.
Tractat über Vampirismus
In den 1730er-Jahren befassten sich zahlreiche Autoren mit dem Phänomen des Vampirismus, viele suchten nach rationalen Erklärungen für Geschichten von Untoten und das „Schmatzen aus den Gräbern“.
© ÖNB
Tractat über Vampirismus
In den 1730er-Jahren befassten sich zahlreiche Autoren mit dem Phänomen des Vampirismus, viele suchten nach rationalen Erklärungen für Geschichten von Untoten und das „Schmatzen aus den Gräbern“.
Ein amtlich entsandter Contagions-Medicus, ein Seuchenarzt namens Glaser, hielt exzessives Fasten für den Grund allen Übels. Ganz abwegig war der Gedanke nicht, wie Historiker Kreuter sagt. Auf extreme Fastenperioden folgte mitunter zügelloses Fastenbrechen, potenziert durch viel Schnaps. Manche Menschen verkrafteten dieses Wechselspiel schlecht, begannen womöglich zu halluzinieren, wurden krank, besonders wenn harte Winter, einseitige Ernährung und dürftige Hygiene die Lage verschärften.
Wachsende Nägel, frisches Blut
Aus heutiger Sicht kommen verschiedenste Erklärungen für die Todesserien infrage. Teils konnten Pathologen rekonstruieren, dass es sich bei einzelnen Fällen um Milzbrand oder eine Plazentaentzündung gehandelt haben könnte. Auch der vermeintlich lebendige Anschein der Toten ist kein Mysterium: Tatsächlich scheinen Haare und Nägel nach dem Tod ein Stück weiterzuwachsen, weil das Gewebe schrumpft und Haare und Fingernägel relativ länger aussehen lässt. Und der ausbleibende Verwesungsgeruch? Die makellose Haut? Das frische Blut im Mund? Die „schmatzenden Geräusche“ aus den Gräbern? Letztere entstehen, wenn beim Verwesungsprozess Gase und Flüssigkeiten aus den Körpern entweichen. Alles andere seien blanke Märchen, meint Kreuter, Dichtung und dramatische Ausschmückung der Realität.
Schon ab 1732 wurden in den vielen Schriften Erklärmodelle erörtert, die Debatte erreichte die Gelehrtenkreise in Wien, unter anderem dank Glasers Vater Johann Friedrich Glaser, der Redakteur einer medizinischen Fachzeitschrift war. So erlangte das Thema Vampirismus eine gewisse Öffentlichkeit im damaligen Europa, befeuerte beinahe eine Art Hype – und entwickelte Symbolkraft, weil es auch für die Dichotomie zwischen Zukunft und Rückständigkeit stand: hie die weltläufigen Wiener, die vernünftiges Denken und moderne Wissenschaft hochhielten; dort die einfältigen Bauern an der geografischen Trennlinie zum osmanischen Territorium, die an Monster und Untote glaubten; Aufklärung kontrastierte mit Aberglauben; Zivilisation mit Barbarei, Abendland mit Orient. Auch eine religiöse Komponente schwang mit, eine Kritik an der orthodoxen Kirche, die sich in ihrer prunkvollen Komfortzone verschanzte und die Menschen ihre Lebenswirklichkeit ohne spirituellen Beistand stemmen ließ, gegebenenfalls auch bewaffnet mit gespitzten Pfählen.
Maria Theresia räumt mit dem Spuk auf
Bis in die 1750er-Jahre kursierten immer wieder Berichte über Vampirismus, vom Balkan ebenso wie aus dem heutigen Tschechien. Hatten früher schon Bürokraten die Nase darüber gerümpft, ging Maria Theresia nun energischer vor und gebot dem Treiben Einhalt. Sie beauftragte den angesehenen Mediziner Gerard van Swieten mit einem Gutachten. Van Swieten ordnete Autopsien vermeintlicher Wiedergänger an, prüfte die Befunde und urteilte, dass sich die Idee des Vampirismus von „Leichtglaubigkeit, Einfalt und Unwissenheit“ nähre. Im März 1755 erließ Maria Theresia ein Gesetz, das „Magia posthuma“ unter Strafe stellte: Praktiken zur rituellen Vernichtung von Vampiren, letztlich nichts anderes als Grab- und Leichenschändungen.
Die Vorstellung von monströsen Toten, die ihren Gräbern entsteigen und die Lebenden quälen, ist aber freilich keine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Mythen von Untoten, Wiedergängern oder „Nachzehrern“, die Menschen Blut oder im übertragenen Sinne die Lebenskräfte rauben, gab es wohl zu allen Zeiten in vielen Kulturen. Schon die Sumerer kannten die blutrünstige Todesgöttin Lilitu, die griechischen Lamien standen im Ruf, Blut von Männern und Kindern zu trinken, und ab dem 12. und 13. Jahrhundert sind vampirähnliche Motive aus England und Böhmen überliefert. Im chinesischen und afrikanischen Volksglauben existieren gespenstische Wesen, die Lebensenergie entziehen, Blut trinken oder menschliche Eingeweide verzehren.
Der Vampirgürtel am Balkan
Das Wort „Vampir“, das für Blutsauger, aber auch für Wucherer steht, tauchte allerdings tatsächlich erstmals vor 300 Jahren im Gebiet der Monarchie auf. Forschende debattierten bereits leidenschaftlich über den Ursprung des Begriffs, ob er eher aus dem Russischen, Polnischen, Südslawischen oder vielleicht Türkischen stammt. Je nach Region sind verschiedene Schreibweisen belegt, darunter neben Vampir und Vampyr auch Vapir, Upir und Uber. Verschiedene Varianten lassen sich neben Serbien und Bosnien auch im Bulgarischen nachweisen – während in Rumänien, dem verbreiteten Klischee zufolge die wahre Heimat der Vampire, sich die Menschen vor „Strigoi“ oder „Moroi“ fürchteten, in Albanien vor dem „Lugat“, in Griechenland vor dem „Vrykolakas“.
Mit ziemlicher Gewissheit lässt sich sagen: Der Vampir ist eine Wortschöpfung der südosteuropäischen Mythologie, mitunter ist sogar von einem „Vampirgürtel“ die Rede, der sich quer über den Balkan zog. Und dort wurde wohl traditionell Magia posthuma betrieben, die schließlich ab 1725 durch die Bürokraten, Mediziner und Autoren der Monarchie breite Bekanntheit erlangte. „Das Wort Vampir gelangte tatsächlich um diese Zeit in unsere Sprache“, sagt Historiker Peter Mario Kreuter. „Es handelt sich somit um ein Medienphänomen.“
© IOS Regensburg/neverflash.com/IOS/neverflash.com
Historiker Peter Mario Kreuter
„Das Wort Vampir gelangte im 18. Jahrhundert in unsere Sprache. Es handelt sich um ein Medienphänomen.“
Was hat es aber mit der gängigen Annahme auf sich, die Vampirlegende stamme aus Transsylvanien, und Bram Stoker, der Autor von „Dracula“, habe sich vom grausamen Herrscher Vlad III. zu seiner Geschichte über seinen blutdürstigen Grafen anregen lassen? Nichts: Stoker las viel über Transsylvanien, aber tatsächlich nichts über Vlad III., der als Woiwode, als Herrscher der Walachei wirkte. Vlad hatte den Beinamen Draculea, was „kleiner Drache“ oder „Sohn des Drachen“ bedeutet – abgeleitet von seinem Vater Vlad II., den man Dracul nannte, den Drachen, weil er dem Drachenorden Kaiser Sigismunds angehörte.
Dracula-Autor Bram Stoker
Der 1897 erschienene Roman verankerte die Figur des Vampirs in der Populärkultur.
© Corbis via Getty Images
Dracula-Autor Bram Stoker
Der 1897 erschienene Roman verankerte die Figur des Vampirs in der Populärkultur.
Der kleine Drache hatte die fragwürdige Angewohnheit, seine Feinde längs durch den Körper aufspießen zu lassen, wobei galt: je höher deren Rang, desto länger der Spieß. Weil aber der Beiname „Vlad der Spießer“ nicht wirklich furchteinflößend klingt, hat sich stattdessen „Vlad der Pfähler“ durchgesetzt – Vlad Tepes. Von der historischen Figur und seiner Blutrünstigkeit ließ sich Bram Stoker hauptsächlich inspirieren, obwohl Vlad III. nie in den Verdacht des Vampirismus geriet. Dabei vermischte Stoker allerdings Vater und Sohn, da ihm nur ein Buch über die Geschichte der Walachei zur Verfügung stand, das Vater und Sohn zu einer einzigen Person namens Dracula vermengte. Er dichtete passende Details dazu und schuf statt eines würgenden serbischen Bauern einen blutsaugenden Adeligen. Von den realen Vorfällen am Balkan hatte Stoker mit ziemlicher Sicherheit keine Kenntnis.
Im Jahr 1897 erschien der Roman „Dracula“ – und sicherte dem Vampir seinen Platz in der Populärkultur, seit damals untot für alle Ewigkeit.
Alwin Schönberger
leitet das Wissenschafts-Ressort.