Affenpockenviren: Das Virus ist den ausgerotteten Humanpockenviren sehr ähnlich, eine Infektion verläuft allerdings deutlich milder.

Warum das Affenpocken-Virus keine Pandemie auslösen wird

Eine Verkettung zufälliger Ereignisse dürfte zum bisher größten Affenpocken-Ausbruch geführt haben. Was wir über das Virus wissen.

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Der Virus-Steckbrief

Familie: Poxviridae
Gattung: Orthopoxvirus
Typ: doppelsträngiges DNA-Virus
Größe: 200–250 Nanometer
Genom: 197.000 Basenpaare
Inkubationszeit: 7–21 Tage

Patient Null reiste am 4. Mai von Nigeria nach Großbritannien. Drei Tage später war der Brite mit einer für Europa äußerst seltenen Diagnose konfrontiert: Er hatte sich im Urlaub mit Affenpocken angesteckt, einem mit dem Humanpockenvirus verwandten Erreger. Sehr viel mehr ist nicht bekannt über diesen „Indexfall“ – außer dass er in keinem Zusammenhang mit all den weiteren Infektionen stehen dürfte, die inzwischen auftraten: Bis vergangenen Freitag erfassten die Gesundheitsbehörden 388 Fälle aus mehr als 20 Ländern, darunter 13 EU-Staaten. Mehr als 70 Prozent der Infizierten sind Männer im Alter meist zwischen 20 und 55 Jahren. Da der Indexpatient keinen Kontakt zu den anderen Erkrankten hatte, dürfte das Virus mehrfach  nach Europa verbracht worden sein.

Wie kam es zu dem Ausbruch?

Fachleute sind sich einig, dass es sich bereits um eine Epidemie handelt, um einen lokal begrenzten Ausbruch einer Infektionskrankheit. Zu einer nennenswerten Zahl von Ansteckungen dürfte es bei Gay-Pride-Partys gekommen sein, darunter bei der  „Maspalomas Gay Pride“ auf Gran Canaria vom 5. bis 15. Mai mit rund 80.000 Besuchern. Um Missverständnissen vorzubeugen: Homosexuelle Männer stellen selbstverständlich keine Risikogruppe dar. Entscheidend für eine Ansteckung ist sehr enger respektive Hautkontakt, sodass Großveranstaltungen grundsätzlich als Quelle für Übertragungen infrage kommen.

388 bestätigte Fälle einer Infektion mit dem Affenpockenvirus gab es bis vergangenen Freitag.

Von den Partys könnten Infektionsketten ihren Ausgang genommen haben, von denen nun Personen aus Spanien, Italien und Portugal betroffen sind. Vom bisher einzigen österreichischen Fall weiß man, dass er mit einem italienischen Infizierten Kontakt hatte. Viele andere Erkrankte standen jedoch in keiner Verbindung zu den Events. Wie erklärt sich also der Umstand, dass zeitgleich, aber unabhängig voneinander außergewöhnlich viele Infektionen auftreten?

Der Wiener Virologe Norbert Nowotny, dessen Institut an der Veterinärmedizinischen Universität Proben des österreichischen Erkrankten analysierte, kann sich folgendes Szenario vorstellen: Besonders in Ländern West- und Zentralafrikas zirkuliert das Virus ständig. Wie viel Virusmaterial zum jeweiligen Zeitpunkt in Umlauf ist, hängt auch von den dortigen Nagetierpopulationen ab. Je höher das Nahrungsangebot in einer Saison, desto prächtiger gedeihen die Nager – und mit ihnen die Viren. Denn Ratten, Mäuse, Hörnchen und andere Nager sind das Hauptreservoir für Affenpocken. Die Bezeichnung „Affenpocken“ ist irreführend und rührt daher, dass der Erreger 1958 bei einem Laboraffen erstmals nachgewiesen wurde. Affen wie auch Menschen sind aber sogenannte Fehlwirte.

Bereisen nun Menschen Länder wie Nigeria (vielleicht nach der Durststrecke der Corona-Pandemie wieder besonders intensiv), wenn dort gerade viele infizierte Nager unterwegs sind, kann es zu vermehrten Übertragungen kommen, die in die Heimatländer der Touristen mitwandern. Die Ansteckung erfolgt beispielsweise über Ausscheidungen der Tiere. Einen Beweis für diese These gebe es im Moment nicht, so Nowotny, es handle sich aber um eine plausible Annahme, die von einer Verkettung mehrerer zufälliger Ereignisse ausgeht: erhöhte Reisetätigkeit, viele infizierte Wirtstiere sowie Massenveranstaltungen, die einen Multiplikatoreffekt ausüben.

Ist das Ausmaß der Epidemie ungewöhnlich?

Ja. In afrikanischen Ländern treten zwar jedes Jahr einige Tausend Fälle auf, außerhalb Afrikas sind Affenpocken beim Menschen jedoch äußerst selten. Allein in diesem Mai wurden mehr Fälle registriert als in den vergangenen fünf Jahrzehnten zusammen – seit dem Jahr 1970, als Affenpocken erstmals bei einem Menschen diagnostiziert wurden: bei einem neun Monate alten Buben im Kongo. In Ländern auf anderen Kontinenten, darunter Israel, Großbritannien, Singapur und den USA, kam es bisher nur zu sehr wenigen Ansteckungen, und fast alle waren unmittelbar auf Einschleppungen durch Reisen zurückzuführen. Der bislang größte Ausbruch betraf 2003 Nordamerika: Mehr als 70 Personen erkrankten, nachdem infizierte Ratten aus Ghana nach Illinois gelangt waren und dort Präriehunde gebissen hatten, die als Haustiere verkauft wurden.

Was ist über den Erreger bekannt?

Affenpocken zählen zur Familie der Orthopoxviren und sind eng verwandt mit dem Variolavirus, dem Auslöser der einst größten Plage der Menschheit: Die Pocken rafften Millionen Menschen dahin, bis sie dank globaler Impfkampagnen ausgerottet wurden und die Welt Ende der 1970er-Jahre pockenfrei war. Daran ändert sich auch durch die neuen Fälle von Affenpocken nichts: Trotz enger Verwandtschaft handelt es sich um ein anderes Virus, das zum Glück deutlich harmloser ist. Es gibt einen zentral- und einen westafrikanischen Stamm, wobei Letzterer noch mildere Verläufe hervorruft als der zentralafrikanische. Die Fallsterblichkeit bei der westafrikanischen Variante liegt bei etwa einem Prozent, bei der zentralafrikanischen kann sie bis zu zehn Prozent betragen. Das einstige Humanpockenvirus tötete bis zu ein Drittel aller Infizierten.

„Eine Impfung gegen Pocken ist keinesfalls notwendig.“

Norbert Nowotny

Virologe

In mindestens elf Ländern Afrikas sind Affenpocken endemisch. Sie zirkulieren dort ständig, besonders in Nigeria und in der Demokratischen Republik Kongo. Die Menschen stecken sich durch Bisse oder Exkremente infizierter Nager oder über „Bush meat“ an: durch Zubereitung und Verzehr von Wild, das zuvor seinerseits infiziert wurde. Sämtliche Fälle außerhalb Afrikas ließen sich bisher auf Ansteckungen in Ländern wie Nigeria zurückführen. Beim gegenwärtigen Ausbruch entstanden nach der Einschleppung erstmals eigenständige Infektionsketten in Europa. Erste Sequenzierungen des Virusgenoms, basierend auf Proben von zehn portugiesischen Patienten, konnten nachweisen, dass zumindest diese Stichprobe mit demselben westafrikanischen Virustyp infiziert ist – und das Infektionsgeschehen bei den Partys womöglich auf eine singuläre Quelle zurückzuführen ist. All die anderen Fälle, etwa die britischen, lassen sich dadurch bisher nicht erklären.

Wie verläuft eine Infektion?

Infektionen des Menschen sind generell selten, eben weil der Mensch (anders als einst beim Variolavirus) ein Fehlwirt ist. Zur Ansteckung kommt es entweder im Zuge einer zoonotischen Übertragung vom Tier auf den Menschen oder durch sehr engen Kontakt mit anderen Personen – und somit auch von Mensch zu Mensch. Im Gegensatz zu Grippe- oder Coronaviren, bei denen bereits kleine infektiöse Tröpfchen oder Aerosole (Schwebeteilchen in der Luft) eine Ansteckung auslösen können, braucht es beim Affenpockenvirus infektiöses Gewebe, Ausscheidungen oder Körperflüssigkeiten wie Blut und Speichel oder die Berührung der typischen krankhaften Hautveränderungen. Sexuelle Kontakte sind ebenfalls ein Übertragungsweg, aber sicher nicht der bedeutendste. In jedem Fall gelingt die Weitergabe des Virus nicht sehr leicht, was die bis heute insgesamt relativ geringen Fallzahlen erklärt – und eine großflächige Ausbreitung der Affenpocken oder gar eine Pandemie äußerst unwahrscheinlich macht.

Bis sich erste Symptome wie Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen sowie geschwollene Lymphknoten einstellen, vergehen meist ein bis zwei Wochen. Die Inkubationszeit kann aber bis zu 21 Tage betragen. Dem Fieber folgen die Hauteffloreszenzen: Pusteln und Bläschen, die meist im Gesicht beginnen und sich später auf andere Körperbereiche ausbreiten können. Erkrankte sind infektiös, bis die letzte dieser „Pocken“ ausgeheilt und abgefallen ist, was in der Regel drei bis maximal vier Wochen dauert. Dann haben sich die allermeisten Infizierten vollständig erholt.

Hat sich das Virus verändert?

Zumindest ein wenig. Jene portugiesischen Forschenden, die erste Vollgenomanalysen des Virus durchführten, bemerkten zwar eine hohe Ähnlichkeit zu Virusvarianten, die 2018 und 2019 in Nigeria zirkulierten, zugleich jedoch identifizierten sie an einigen Stellen im Erbgut des Virus Mutationen, also Veränderungen, die sich seit damals ins Genom einschlichen. Sie sprechen von einer „Mikroevolution“ des Erregers.

Pockenviren sind nichtsdestotrotz sehr stabil. Es handelt sich um doppelsträngige DNA-Viren, die eine Art Reparaturmechanismus eingebaut haben. Geschehen bei der Replikation „Kopierfehler“ (die Voraussetzung für die Entstehung von Mutationen), werden diese bis zu einem gewissen Grad automatisch behoben. Ganz anders ist dies bei RNA-Viren, zu denen auch das Coronavirus zählt: Hier kommt es viel häufiger zu Kopierfehlern und damit zu Mutationen, sodass der Erreger ständiger und relativ rascher Veränderung unterworfen ist – was wir daran sehen, dass wir nach recht kurzer Zeit mit immer neuen Varianten zu kämpfen haben. DNA-Viren wie das Affenpockenvirus verändern sich dagegen nur sehr behäbig.

Wie kann die Medizin reagieren?

Die Stabilität von Pockenviren ist eine gute Nachricht: Eine Impfung gegen das traditionelle Pockenvirus dürfte auch ziemlich zuverlässig gegen Affenpocken immunisieren. In der EU steht das Präparat Imvanex zur Verfügung, in den USA ist dieser Pockenimpfstoff dezidiert auch gegen Affenpocken zugelassen. Grundsätzlich geschützt sollten Angehörige jener Generationen sein, die fast obligatorisch gegen Pocken geimpft wurden. Mit erfolgreicher Ausrottung der Infektionskrankheit endeten ab Beginn der 1980er-Jahre aber auch die Impfkampagnen, weshalb die danach Geborenen keine Immunisierung mehr erhielten. Allerdings: Großflächige Impfungen sind angesichts eines überschaubaren Ausbruchs einer seltenen und kaum den Menschen betreffenden Infektionskrankheit sicher nicht angebracht. „Dies ist keinesfalls notwendig“, sagt Virologe Nowotny. Überlegt wird jedoch, gezielt Personen zu impfen, die in direktem und engem Kontakt mit Erkrankten standen, um sie zu schützen und potenzielle Infektionsketten im Keim zu ersticken. Viele Länder, darunter Österreich, haben sogar beträchtliche Mengen an (allerdings älterem) Pockenimpfstoff eingelagert – teils als Vorsichtsmaßnahme gegen Bioterrorismus.

Sonst gilt im Hinblick auf die Eindämmung der Epidemie das nun schon vertraute Contact Tracing, das in diesem Fall drei Wochen zurückliegende Kontakte erfassen muss, plus 21 Tage lang Quarantäne der Erkrankten. Da das Virus viel schwerer übertragbar ist als etwa das Coronavirus, sollte der Spuk in ein paar Wochen vorbei sein.

Können noch weitere Pockenviren Probleme verursachen?

Durchaus. Die Familie der Pockenviren umfasst eine sehr große Gruppe an Erregern, wobei zehn davon zu den „echten“ Pockenviren zählen. Neben dem Variola- und dem Affenpockenvirus kennt die Medizin zum Beispiel auch das Kuhpockenvirus. Die Bezeichnung ist wie der Begriff Affenpocken irreführend, denn Wirte sind ebenfalls vor allem Nagetiere. Diese wiederum können Katzen anstecken, denen freier Auslauf gegönnt ist. Die Katzen, von einer Maus gekratzt oder gebissen, prägen dann Pockensymptome aus, die oft nicht sichtbar unter dem Fell liegen. Durch direkten Kontakt wie Streicheln können sich in seltenen Fällen die Besitzer anstecken. Sie entwickeln eine oder wenige Pocken an der Kontaktstelle, die nach wenigen Wochen abheilen. In Österreich erkranken pro Jahr drei bis fünf Personen an Kuhpocken.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft