Das verquere Weltbild der Identitären“

Rechtsextremismus. Das verquere Weltbild der Identitären als letzter Retter des Abendlands

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Alexander Markovics hat im Wiener Café Tiroler­hof einen Platz gewählt, von dem aus er die Tür im Auge behalten kann. Der 21-jährige Burschenschafter sitzt neuerdings öfter hier, um Journalisten zu erklären, dass die Besetzung der Wiener Votivkirche für die „identitäre Bewegung“ ein medialer Durchbruch war, aber besser hätte laufen können: „Es wäre schön gewesen, wenn die Flüchtlinge gleich abgezogen wären.“

Am 10. Februar war er mit acht Kameraden – alle zwischen 20 und 30 Jahre alt – nach der Sonntagsmesse ins Gotteshaus geschlichen, wo Pakistani, Somalier und Afghanen seit Wochen hungern, frieren und protestieren. Dort hatten sie ein gelbes Transparent mit einem Lambda-Logo entrollt, „Asyl ja, Missbrauch nein“-Flugblätter verteilt und einen Internet-Livestream eingerichtet, um die Legende vom staatenlosen Sepp Unterrainer in die Welt zu setzen, einer Kunstfigur, die stellvertretend für alle stehen soll, die sich „in ihrer Heimat als Fremde fühlen“.

Zynischer Spuk
Nach ein paar Stunden war der zynische Spuk im bitterkalten Kirchenschiff vorbei. Geblieben ist eine Video-Botschaft, die auf den Facebook-Seiten der Identitären seither ausgiebig akklamiert wird. Laut Markovics kann die Bewegung inzwischen auf 100 Aktivisten und etwa zehnmal so viele Anhänger zählen. Bis vor Kurzem trat sie unter zwei Labels in Erscheinung: Die „Wiener Identitäre Richtung (W.I.R.), gegründet im Februar des Vorjahres, hatte sich aufs Denken und Publizieren verlegt; die „Identitären in Wien“ verstanden sich als der aktionistische Ausleger. Letzterer trat im Herbst des Vorjahres erstmals in Erscheinung. Mit Schweine-, Gorilla- und Geisterfratzen maskierte Männer umkreisten am 29. September 2012 eine Caritas-Veranstaltung in Wien-Floridsdorf, tanzten zu Hardbass, einem bei russischen Neonazis beliebten Sound, und verschwanden so unvermittelt, wie sie aufgetaucht waren. Zurück blieben verschreckte Menschen und Flugzettel mit grinsenden Clowngesichtern: „Wir sind die Guten. Zertanz die Toleranz“ stand darauf.

Inzwischen ging die W.I.R.-Richtung in der „Identitären Bewegung Österreich“ auf. Markovics wurde zum Obmann bestellt. Die nun vereinten Strömungen liegen auf der Traditionslinie der französischen Neuen Rechten, die sich in den späten sechziger Jahren als Antwort auf das Scheitern rechtsextremer Parteien formiert und mit der Hitler-Verehrung der „alten“ Rechten Schluss gemacht hatte. „Statt die Verbrechen des Nationalsozialismus zu leugnen oder schönzufärben, bezog man sich auf andere europäische Faschismen und ihre Vordenker“, sagt Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Die Idee dahinter: Der Bruch der Linken mit dem Kommunismus hatte den Erfolg der 68er befördert. Nach der Distanzierung vom Nationalsozialismus sollte die Rechte nun ebenfalls Schwung aufnehmen.

2003 entstand der „Bloc identitaire“, ein Zusammenschluss rechtsextremer Regionalgruppen, die nach dem Verbot der „Unité radicale“ Anschluss an eine Bewegung suchten. Der Wiener Alexander Markovics war damals zwölf Jahre alt. In der Mittelschule kam er mit Burschenschaftern in Kontakt. Bald entflammte er für die „nouvelle droite“ und ihre ideologischen Vordenker Alain Benoist und Guilleaume Faye. Im Vorjahr reiste Markovics zum Bloc identitaire-Kongress ins französische Orange, einer von mehreren Identitären aus Österreich, die sich nun als Generalimporteure des neurechten Gedankenguts versuchen.

„Identität“ und „Aula“
Die Ersten sind sie nicht. Anfang der neunziger Jahre hatte ein inzwischen aus der Szene abgetauchter Burschenschafter und ehemaliger Neonazi die Zeitschrift „Identität“ gegründet. Es handelte sich um einen jugendlichen Ableger der rechtsextremen Monatsschrift „Aula“. Sein Projekt, in Österreich eine intellektuelle Rechte aufzuziehen, scheiterte an der Theorie-Unlust und Anti-Intellektualität völkischer Recken, wie er einmal bitter beklagte.

Nun sind seine ideologischen Kinder am Zug. Laut Markovics will die identitäre Bewegung „den Neonazismus endgültig zu Grabe tragen, indem sie jungen Menschen eine patriotische, demokratische Alternative bietet“. Gemessen an den Angriffen auf ein Kulturzentrum in Wien und auf eine Schar von Demonstranten anlässlich der Angelobung des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf im Hohen Haus, wirken die Aktionen der Identitären fast schon friedlich.

Ihre Haltung zum militanten Rechtsextremismus bleibt indes unklar. In Internet-Foren alterieren sich bekennende Identitäre darüber, dass die Medien „immer gleich mit der Nazi-Keule fuchteln“. Doch so weit hergeholt ist der Vorwurf nicht: Auf den Facebook-Seiten der Identitären klicken auch Neonazi-Größen wie Franz Radl oder Werner Königshofer auf den „Gefällt mir“-Knopf.

„Dafür können wir nichts“, wehrt sich Markovics. Der 21-jährige Korporierte hat an Info-Tischen Pamphlete gegen „Massenzuwanderung“ und „Islamisierung“ verteilt. Als Schläger ist er bisher nicht aufgefallen. Einige seiner neuen Kameraden tummelten sich allerdings noch vor nicht allzu langer Zeit im Umfeld des rechtsextremen Gottfried Küssel. So wie Martin S., der bei der Besetzung der Votivkirche als jener Mann auffiel, der über das Handy unentwegt Kontakt nach draußen hielt. Beobachter der rechtsextremen Szene sahen ihn 2007 an der Seite des „Stolz und Frei“-Neonazis Norbert B. Im Jahr darauf hielt er sich auf der Gedenkveranstaltung für den Nazihelden Walter Nowotny wenige Schritte hinter Küssel. 2010 reiste er zum NDP-Aufmarsch nach Dresden. Fotos zeigen ihn neben dem steirischen Burschenschafter Julian F., der sich inzwischen ebenfalls unter die Identitären mischte. Und dann gibt es noch Markus W., ebenfalls ein guter Bekannter von Martin S. Er brachte im Eigenverlag ein Buch über die „identitäre Generation“ heraus und gehört auch nicht zu den Harmlosen. Karl Öllinger, grüner Abgeordneter und Initiator der Internet-Plattform stopptdierechten.at: „Wie aus gehackten NDP-Accounts bekannt ist, hat er den NDP-Wahlkampf in Baden-Württemberg unterstützt.“

„Versprengte Minderheit“
Markovics, der für sich beansprucht, mit W.I.R. die erste identitäre Gruppe im deutschsprachigen Raum gegründet zu haben, will mit Neonazis nichts zu tun haben. Hitler-Adoranten, Holocaust-Leugner und Gewalttäter hätten in „seiner“ Bewegung keinen Platz. Man bekenne sich zu Demokratie und Rechtsstaat und distanziere sich von Nationalsozialismus, Rassismus und Gewalt: „Wer das nicht mitträgt, kann seine Vorstellungen in einer anderen Gruppe ausleben, aber nicht bei uns.“ Er kenne sowohl Martin S. als auch Julian F., beide hätten mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen: „Jeder Mensch hat die Chance verdient, sich zu ändern.“ Auch die in identitären Kreisen viel beschworene Reconquista sei nicht wörtlich zu nehmen: „Wir meinen eine innere, geistige Reconquista als Voraussetzung dafür, dass Europa wieder zum Abendland wird.“

Auf ihren Internetseiten wälzen die Identitären die Katastrophe aus, in die Österreich taumle, wenn sie nicht noch aufgehalten werde: „Scharia-Zonen“, „migrantische Schlägertruppen“, „echte Wiener“, die zur „versprengten Minderheit“ verkommen, „reif zur Ausstellung im Zoo“. Die Identitären halten sich für die letzte zur Rettung des Abendlands berufene Generation. Das klingt aufs erste Hinhören nicht so kriegerisch, wie es ist. Nach Anders Behring Breivik und dem Attentat von Oslo im Jahr 2011 sei es zumindest „arg verantwortungslos“, so DÖW-Mann Peham.

Karl Öllinger glaubt nicht, dass das letzte Kapitel schon geschrieben ist: „Es hat sich in der Vergangenheit immer wieder herausgestellt, dass eine rechtsextreme Bewegung abseits der NS-Ideologie in Österreich wenig Chancen hat. Es wundert mich nicht, dass einige Identitäre alte Bekannte aus der Neonazi-Szene sind.“ Ähnlich sieht es Peham: „Bisher hat die Szene noch nach jedem Ermittlungsschlag zurückgeschaltet, bevor sie sich erneut radikalisierte. Seit dem Ende von Alpen-Donau und der Verurteilung Küssels befindet sie sich in der Phase des Zurückschaltens.“

Schon das Internet-Forum „Der Funke“, das nach dem Aus der Website „Alpen-­Donau“ auflebte, war um Mäßigung bemüht. Im August 2011 deckte die Plattform stopptdierechten.at auf, dass Martin S. hier ein neues Aktionsfeld gefunden hatte. Die neuen Rechten treten noch zahmer auf, reden von „zivilgesellschaftlichen Initiativen“, von „Politik außerhalb von Parteien“, weder links noch rechts, offen für alle. „Wer unsere Ideen übernimmt, ist uns letztlich egal“, sagt Markovics. „Wir könnten auch mit den Grünen, wenn sie sich herabließen, patriotische Politik zu machen.“ Die FPÖ finde man grundsätzlich in Ordnung, sie müsste nur aufhören, den identitären Diskurs auf kriminelle Ausländer zuzuspitzen, und anfangen, die wahren Feinde zu benennen: das Konsumdenken, die niedrige Geburtenrate, das Verblassen der eigenen Kultur, den schwindenden Glauben an die Zukunft. Zu bekämpfen gelte es die „herrschende Ideologie des Postliberalismus“, sagt Markovics. Und: „Österreich schafft sich selbst ab“ – eine Anspielung an Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“.
Ausländer-raus-Parolen wird man von Markovics und Co nicht hören. Unterm Strich läuft ihre Botschaft auf „Österreich zuerst“ hinaus. Es gelte, das Eigene vor Vermischung und Dekadenz zu schützen. Mit Liederabenden, Wanderungen und Stadtführungen halte man dagegen. Was an ihm selbst „österreichisch“ sei, vermag er freilich nicht zu sagen: „Man kann das doch nicht an einer Hakerlliste festmachen.“ Seine Herkunft fällt ihm ein, Wien, seine Vorfahren, die alle aus Österreich stammen, bis auf den Urgroßvater aus dem ehemaligen Böhmen, „auch das, wie es sich gehört“. Letztlich sei an ihm alles „österreichisch“.

Die altvorderen Rechten standen vor den Ordnungskräften stramm. Die neuen Rechten halten sich nicht mehr an die Codes. In Frankreich besetzen Nazis Häuser und bewerfen die Polizei mit Farbbeuteln wie die Anarchos. Auch die österreichischen Identitären spielen mit Outfits und Protestformen. Das Störmanöver gegen die Caritas-Tanzveranstaltung oder die Besetzung der Votivkirche hätte eine anarchistische Spaßguerilla kaum anders angelegt, YouTube-Propaganda und Facebook-Mobilisierung inklusive. Sie sorgen für Reichweite jenseits der „Systempresse“, wie traditionelle Medien in rechtsextremen Kreisen genannt werden. In Deutschland zogen die 2012 verbotenen „Spree-Lichter“ mit Masken und Fackeln durch die Nacht und stellten gruselige Videos davon ins Internet. Die Klicks, die sie erzielten, waren bedeutsamer als die Aktion selbst.
Aus dem Nichts auftauchen, zuschlagen, abtauchen: Burschenschafter Markovics scheint an dem neuen Modus Operandi Gefallen zu finden. Die nächste Aktion sei in Planung, aber selbstverständlich geheim: „Ein Zauberer verrät ja auch nicht seine Tricks.“ Das klingt so verspielt, dass es schon wieder gefährlich ist.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges